Ihr seid schon ein lustiges Völkchen.
Lieber Pi4no,
lustiges Völkchen??? Mir vergeht hier jeder Spaß!
Ich nehme bitterernst, was Wei Tsin Fu vielen seiner Schüler angetan hat, denn meine Sicht geht von den Opfern aus! Ich bitte dich, dich mit dieser Sicht einmal wirklich auseinanderzusetzen - wo bleibt deine ausdrückliche Empathie und Solidarisierung mit den Opfern???
Du, wie auch Sebastian, schreibst davon, dass so ein gutes Klima unter den Schülern herrschte.
Es gab keine Borniertheiten, keinen Neid, kein "der ist besser und der ist schlechter, das ist richtig und das ist falsch", überhaupt gab es kaum Schlechtreden oder Lästern oder Missgunst (und - nehmt mir es nicht übel - diese sehr menschlichen Charakterschwächen häufen sich in diesem Forum manchmal ziemlich). Es drehte sich einzig allein um die Menschen und das Klavier und die Musik.
Das ist eure Wahrnehmung gewesen, aber leider war das nur die Oberfläche, die Realität war eine ganz andere!
Wisst ihr, wie sich Klavierschüler fühlen müssen, wenn sie immer wieder von dem Lehrer, dem sie vertrauen und den sie mögen, im Unterricht missbraucht werden? Wisst ihr, mit welcher Angst, welcher Scham, mit welchem Druck diese Kinder in den Unterricht gegangen sein müssen? Der Richter sagte, die bekannten Fälle seien nur die Spitze des Eisbergs. Wie viele Schüler sind nun für ihr Leben traumatisiert, können keine Nähe ertragen, kein Vertrauen aufbauen? Es reichen doch (zumindest bei mir) nur ein paar Funken Empathie, um sich das vorstellen zu können!!!
Diese Kinder haben aber niemanden gehabt, dem sie sich anvertrauen konnten. Es ist bekannt, dass jahrelanger (vermutlich jahrzehntelanger) Missbrauch nur stattfinden kann, wenn ein Klima herrscht, dass diesen unterstützt. Deshalb findet Missbrauch auch so oft in Familien statt. Gerold Becker von der Odenwaldschule ist auch so ein Fall gewesen. Ein charismatischer Mensch, den alle anhimmelten und der sehr beliebt war. Die Oberfläche war also tatsächlich die eines genialen Pädagogen.
In der Realität sah auch dort alles anders aus. Die Kinder dort wie hier haben Furchtbares erlitten, das sie für ihr Leben prägt. Unter der schillernden Oberfläche fanden traumatisierende, entsetzliche Verbrechen statt. Klavier spielen wird für diese Schüler immer mit Missbrauch verknüpft sein, denn Wei Tsin Fu's Klavierunterricht bot die Gelegenheit und das Setting für den Missbrauch! Wie soll für diese Schüler jemals mehr unbefangenes Klavierspielen möglich sein?
Chick Corea ist Scientologe... willst Du ihm deshalb seine Fähigkeiten am Instrument absprechen? Oder Michael Jackson - ist seine Musik nun nichts mehr wert? OJ Simpson ist als Sportler nicht mehr ernst zu nehmen?
Ich bin sehr entsetzt über diesen Vergleich! Du vergleichst eine religiöse Überzeugung mit einem Verbrechen von hohem strafrechtlichen Belang. Ein Scientologe wird hierzulande wegen seiner religiösen Überzeugung nicht für 5 Jahre ins Gefängnis gesteckt, ein Kinderschänder schon. Dein Vergleich ist eine Relativierung, über die ich dich bitte, ernsthaft nachzudenken. Hier lesen sicher auch manche Opfer mit!
Und noch einmal: hier geht es überhaupt nicht um die Schneemann-Methode! Darüber haben wir schon ausführlich und m.E. sehr differenziert diskutiert - ich verweise noch einmal auf die Diskussion mit Sebastian, auch auf vorherige Beiträge (hast du sie inzwischen gelesen, dann kommst du vielleicht zu anderen Schlüssen?). In diesem Teil der Diskussion geht es ausschließlich um die
Person Wei Tsin Fu.
Ich unterscheide also selbstverständlich zwischen der Methode und der Person, ich unterscheide aber niemals zwischen den Taten dieser Person und ihrem Charakter!!!
Und ich wiederhole wieder, dass sich für mich Wei Tsin Fu als Mensch und Pädagoge völlig disqualifiziert hat. Und zwar aus dem einfachen Grund, dass er trotz der erdrückenden Beweislast, die zur Verurteilung führte, immer noch alles leugnet! Er äußert keine Empathie mit seinen Schülern, kein Entsetzen, kein Mitgefühl -
im Gegenteil fühlt er sich völlig im Recht. Er übernimmt keine Verantwortung, er lässt seine Schüler mit ihren Gefühlen allein. Auf seinem Computer fand sich jede Menge Jugendpornographie..... . Wie soll man so jemandem noch vertrauen??? Wie kann man so jemandem noch seine Kinder anvertrauen!!! Welche ethischen und moralischen Maßstäbe besitzt jemand, der sich offensichtlich das Recht einräumt, schlafende Jugendliche zu vergewaltigen und Schüler an den Genitalien zu berühren..............?
Du verwendet die Vokabeln "Hexenjagd" und "Inquisition". Wir haben aber nicht Wei Tsin Fu gerichtet, sondern er ist von einem Gericht verurteilt worden. Hexen waren ja oft unschuldig - ich hoffe nicht, dass du Solches von Wei Tsin Fu denkst.
Ich habe den Eindruck, dass du das ganze Ausmaß der Verbrechen von Wei Tsin Fu nicht wirklich sehen willst, weil du seine Methode unabhängig davon beurteilt haben möchtest. Das tun wir aber doch! Da brauchst du nichts zu rechtfertigen! Wir werden vermutlich über die Effektivität und Qualität der Methode nicht einer Meinung sein, aber im Moment geht es nicht um sie! Auch die gegründeten Akademien haben sich nicht von der Methode, wohl aber deutlich von der Person Wei Tsin Fu distanziert. Das ist auch dringend nötig!
Ich verstehe in diesem Zusammenhang sehr gut, wie schwierig es ist, das eigene positive Bild mit den Übergriffen in Einklang zu bringen. Sebastian und Walter haben auch davon berichtet. Wird Missbrauch bekannt, werden die eigene Wahrnehmung, die eigenen Erfahrungen völlig auf den Kopf gestellt. Man versteht die Welt nicht mehr. Walter schreibt:
Er ist letztlich von seiner Stelle entfernt worden und hat einen Scherbenhaufen hinterlassen, nicht nur bei mir und meiner Familie.
Das ist bei uns jetzt etliche Jahre her und wir haben für uns einen einen emotionalen Weg gefunden, beide Positionen nebeneinander stehen zu lassen.
Einerseits die hohe Qualität des betreffenden Menschen, andererseits die abolut daneben liegenden Missgriffe desselben Menschen.
Wir haben lange daran gekaut, aber ich glaube, diese Diskrepanz bekommen wir in dieser Welt nicht aufgelöst.
Lieber Walter, ich persönlich bin mir ganz sicher, dass es diese Diskrepanz gar nicht gibt. Wer einen solchen Scherbenhaufen hinterlässt, von dem du berichtest, hat leider als Mensch keine hohe Qualität. Wie schon gesagt, man kann die Taten eines Menschen nicht von seinem Charakter trennen!
Kein Mensch kann einen hohen Charakter haben und furchtbare Missgriffe begehen. Eigentlich ist das ganz einfach und logisch.
Ein Mensch kann aber trotz furchtbarer Missgriffe schöne Eigenschaften haben. Er kann z.B. selbstkritisch sein und sich mit seiner Schuld auseinandersetzen. Er kann versuchen, etwas wiedergutzumachen. Wei Tsin Fu tut das nicht.
Ein Mensch ist nie nur böse! Schwarz-Weiß-Denken ist wie so oft völlig fehl am Platz. Er kann trotzdem ein gewinnendes Auftreten haben, er kann lustig sein, er kann freundlich sein. Ich bestreite nicht Sebastians Erfahrungen - für ihn war Wei Tsin Fu offensichtlich ein wichtiger Lehrer. Das Problem ist, dass man aus eigenen Erfahrungen oft auf die Allgemeinheit schließt. Subjektives wird zur objektiven Realität erklärt. Wenn man nun erfährt, dass diese Realität ganz anders war, geraten natürlich die eigenen Wahrnehmungen ins Wanken. Hätte man nicht etwas merken müssen? Wie kann jemand, der einerseits so engagiert und begeisternd auftritt, andererseits solche entsetzlichen Untiefen haben? Etwas überspitzt ausgedrückt: Wo war das Böse?
Ich meine, man kann seine eigenen positiven Erfahrungen absolut stehen lassen. genauso war es ja damals für einen selbst. Doch nun muss man diese Erfahrungen aus einer anderen Perspektive betrachten. Bildeten sie früher einen lichten Raum, so ist heute sehr viel Dunkles drum herum. Es bietet viele Chancen, sich damit auseinander zu setzen. Vielleicht erkennt man dann, dass man durchaus etwas hätte wahrnehmen können. Ohne entsprechendes Umfeld kein Missbrauch. Hier war es das eines angehimmelten Pädagogen, zwischen dessen Schüler es überhaupt keine ganz normalen menschlichen Eigenschaften wie Neid etc, gab, der fast wie ein Gott erschien. Wie in der Odenwaldschule gab es keinen Austausch zwischen Klavierpädagogen anderer Couleur - es war ein eigener Kosmos. Also sollte man aus meiner Sicht die eigenen positiven Erfahrungen so stehen lassen, sie aber als nur kleinen Teil der Realität "Wei Tsin Fu" akzeptieren. Wenn diese schmerzliche Erfahrung dazu dient, Augen zu öffnen, genau hinzuschauen und wahrzunehmen und zu erkennen, dass es keine Übermenschen gibt, ist auch für einen selbst viel gewonnen.
Liebe Grüße
chiarina