Hier im Forum kann der Eindruck entstehen, Wei Tsin-Fus Schüler seien generell eher minderbemittelte Schäfchen, die blind ihrem großen Guru folgen. .....................................Mir ist wichtig, das hier klarzustellen, damit nicht der Eindruck entsteht, die Schülerschaft Wei Tsin-Fus bestünde aus Individuen, die den Herausforderungen des "wahren Lebens" nicht standzuhalten in der Lage seien und sich deswegen unter die fragwürdigen Fittiche eines "Gurus" begeben müssten, der es ihnen ersparte, sich mit jedwedem ernstzunehmenden Bildungssystem auseinanderzusetzen.
Lieber Sebastian,
danke für deine ausführliche und berührende Antwort!!! Und ich möchte gleich klarstellen (ich darf da sicher für alle sprechen), dass du keine Sorge haben musst, jemand hier würde so etwas denken!!! Wenn tatsächlich der Eindruck entstanden ist, Wei's Schüler seien minderbemittelte Schäfchen, dann tut mir das sehr leid. Ich meine aber im Gegenteil immer FÜR die Schüler gesprochen zu haben!!! Auch mit viel Respekt!!! Ein wesentlicher Grund für mein Engagement hier sind doch die Schüler, besonders die betroffenen (wobei letztendlich mehr oder weniger alle betroffen sind). Es kam schon öfter im Forum zu dem Thema "Missbrauch" und ich empfinde es als meine Pflicht, als Klavierlehrerin deutliche Signale wider solche Verbrechen zu setzen. Tatsächlich kann ich gar nicht sagen, wie furchtbar ich es finde, dass das Vertrauen der Schüler in ihren Lehrer in solcher Weise ausgenutzt wurde. Es ist eben auch
mein Beruf, mit dem ich bestimmte, durchaus hohe ethische und moralische Werte verbinde abgesehen vom Fachlichen. Jeder Schüler ist etwas ganz Besonderes, als Lehrer habe ich die wundervolle Aufgabe, jeden heranwachsen, zarte Pflänzchen zu üppiger Blüte reifen zu sehen und mein Bestes dazu zu tun - es tut mir in der Seele weh, dass ein
Klavierlehrer so viel Ödnis und Zerstörung hinterlässt.
Was mich frustriert hat, war die Häufigkeit in diesem Faden, mit der meine (und nicht nur meine!!!) Beiträge, mit denen ich mir wirklich Mühe gegeben habe und bei denen ich versucht habe, auf die Sicht der anderen einzugehen, komplett ignoriert wurden. Du bist der Einzige, der auf sie eingegangen ist und du merkst vielleicht, wie froh und dankbar wir alle darüber sind.
Ich bin der Meinung, dass Schwarz-Weiß-Denken nur sehr selten stimmt und daher gehe ich auch aufgrund deiner Schilderung davon aus, dass Wei Tsin Fu seine Schüler wirklich begeistern konnte mit seinem großen Idealismus, seiner Kreativität, seinen Ideen. Ich habe ihn ja selbst kennen gelernt und kann mir das vorstellen. Ich glaube auch gern, dass er für spieltechnische Probleme gute Lösungen hatte. Ich lerne sehr gern dazu und habe mir deshalb auch vor Jahren die Schneemann-Schule gekauft, sie aber nie benutzt. Das ist nicht meine Vorstellung von einem musikalischen Unterricht - ich habe in meinen ersten Beiträgen in diesem Faden schon jede Menge dazu gesagt. Mir haben auch die vielen Metaphern Wei Tsin Fu's gefallen und seine Übungen, aber: wir Klavierlehrer benutzen ebenfalls sehr oft Metaphern gerade im Umgang mit Kindern und ich habe die Erfahrung gemacht, dass Metaphern sehr unterschiedlich bei einzelnen Schülern funktionieren und man am besten mit ihnen zusammen immer wieder neue entwickelt. Aber auch dazu habe ich schon viel geschrieben.
Wenn du mal Rolf's und meine Beiträge hier im Forum liest, wirst du lesen, wie viele Übungen wir schon empfohlen haben, auch auf Tischplatten - das ist völlig normal! Wenn ich nicht für spieltechnische Probleme Lösungen parat hätte oder sie zusammen mit dem Schüler entwickeln würde, wäre ich nicht das Papier wert, auf dem meine Zeugnisse gedruckt sind. Und ich bin nur eine ganz normale Klavierlehrerin, keine Professorin..... ! Ich habe auch nicht verstanden, warum keine Zusammenarbeit von Wei Tsin Fu mit anderen Fachleuten stattfand. Ich hätte das gern getan, um einen besseren Einblick zu bekommen, aber meine Anfrage wurde, wie gesagt, abgelehnt. Entweder ein ganzes Studium oder gar nichts............................ .
Aimard, Margulis, Natochenny, ...............sind absolute Ausnahmeerscheinungen als Lehrer - was man von denen lernen kann/konnte, ist
absolut nicht mit Wei Tsin Fu zu vergleichen!!!!!! Ganz ehrlich ist das so und das hat gar nichts mit irgendwelchem Schlechtreden von Wei Tsin Fu zu tun. Auch in ihrer Eigenschaft als Pianisten sind das himmelweite Unterschiede!!!! In seiner Eigenschaft als Künstler ist Wei Tsin Fu also durch den Missbrauch nicht disqualifiziert, aber eben nur so, wie er auch war. Auf dem Niveau, auf dem er sich befand.
Er hat sie primär nach Tatendrang und Ehrgeiz "ausgewählt", teilweise sogar umsonst unterrichtet, was vor allem auf Studenten zutraf, die knapp bei Kasse waren (dazu zählte auch ich selbst). Der pianistische Level war zweitrangig, generell jedoch empfand ich ihn als hoch. Und es gab einige herausragende Ausnahmetalente unter seinen Schülern, die den hohen pianistischen Level aufgrund seines Unterrichts erworben haben. Wohl haben diese Leute sich dann später an Musikhochschulen ihre pianistische Ausbildung fortgesetzt. Diese Tatsache gibt aber doch keinen Anlass zu dem Schluss, die vorausgegangene Ausbildung sei schädlich und generell abzulehnen.
Ich habe grundsätzlich ein komisches Gefühl ob dieser "Uneigennützigkeit" Wei Tsin Fu's, gerade auch durch das Urteil und den Prozess. Allerdings kann ich das nicht beurteilen. Nur erinnere ich an die riesige vermeintliche Selbstlosigkeit Gerold Beckers.......... . Man gewinnt kein Geld, man gewinnt aber Macht .... und wie soll ein Schüler seinen Lehrer anklagen, der ihn auch noch umsonst unterrichtet.
Seinen Idealismus aber glaube ich sofort. Er muss eine große Begeisterungsfähigkeit gehabt haben, viele sprechen von Charisma. Wie es aber um die Charakterbildung bestellt ist, erkenne ich aus meiner Sicht daran, dass er sämtliche Übergriffe leugnet und die Vergewaltigung als Wunsch des Opfers bezeichnet.
Liebe Grüße
chiarina