Ich denke, das Meiste von dem, was Wei an "Tricks" parat hat, wurde bereits häufig von anderen Lehrern und Pianisten gelehrt, verwendet und verstanden. Als ich Jahre später in Neuhaus' Werken gelesen habe, ist mir vieles bekannt vorgekommen. Auch der so genannte Online-Chang, mit dem ich mich aufgrund dieses Forums erst kürzlich intensiver beschäftigt habe, enthält vieles von dem, was ich bei Wei gelernt habe (z. B. Stichwort: parallele Sets - ich weiß: umstritten). Wei ist damit eher ein versiertes "Kompendium" vieler alter und wirksamer Tricks.
Nun: warum existieren keine "Beweise"? Es ging Wei - so hatte ich den Eindruck - nie so sehr darum, einzelne Highlight-Studenten zur Konzertreife zu führen (obwohl er dazu bei einigen durchaus in der Lage war). Sondern er wollte immer die "breite Masse" erreichen. Er hat in seiner Hochphase von morgens 7 bis abends spät in die Nacht unterrichtet - er war wie besesssen. Es finden sich auf Youtube daher tatsächlich keine wirklich beeindruckenden Beispiele, wobei einige der Leistungen der Video-Protagonisten, der er auf seiner Website verlinkt hat, sich mehr als sehen lassen können (manche aber leider auch weniger).
Und damit kommen wir zu einem weiteren wichtigen Punkt hinsichtlich der "Methode", der viele derjenigen, die Wei nicht kennen und erlebt haben, fast unweigerlich gegen ihn aufbringen lassen muss: ihre Vermarktung. Das hat er einfach wirklich sehr ungeschickt und wie soll ich sagen - asiatisch - gehandhabt. Das "altis citius fortius" schwang in einer Art und Weise mit, die ich völlig vermessen finde. Meines Erachtens war dieses überlaute Rühren der Werbetrommel unnütz bzw. sogar, wie man deutlich sieht, der Sache abträglich. Gepaart mit falschem Professorentitel (er ist KEIN Professor) und schlechter Internetseite, die in ihrem großspurigem Tenor Wunderheiler-Esoterik-Whatever-Sekten sehr nahekommt, nehme ich niemandem, der ihn nicht kennt, übel, dass er nur zu gerne glauben mag, dass das, was er seinen Schülern beibrachte, kaum mehr als sehr lauwarmes Wasser gewesen sein kann. Ich habe das in den letzten Jahren (in denen es deutlich schlimmer und größenwahnsinniger wurde) nicht mehr so verfolgt, war aber immer wieder aufs Neue überrascht, wie man so dick auftragen kann. Paart man das mit den Missbrauchsdelikten, so kann ich es wirklich niemandem übelnehmen, wenn er ihn nicht nur als Mensch verurteilt (eine Einschätzung, an der "arbeite"), sondern eben auch nur zu gerne bereit ist, sein gesamtes Werk, seine jahrelange Arbeit mit zahlreichen Schülern und deren Fortschritte (sofern sie nicht Opfer seiner unglückseligen Neigungen wurden) zu verdammen. Und bei just diesem letzten Punkt möchte ich zur differenzierten Sichtweise ermahnen.
Ich stehe hier nun recht alleine dar. Ich weiß, es gibt sie, diese ehemaligen Schüler, die das, was ich hier schildere bestätigen können, vielleicht sogar nickend mitlesen. Vielleicht aber bin ich auch eher allein mit meinem Standpunkt, und meine ehemaligen Mitstudenten schütteln angewidert den Kopf. Das glaube ich aber irgendwie nicht. Ich würde mich daher über eines sehr freuen: wenn sich diejenigen, die DABEI WAREN und hier evtl. schweigend mitlesen, melden und ihre Meinung mitteilen. Sei es für oder gegen Wei Tsin-Fu. Es darf aber eben nicht nur alles Spekulation sein, wenn eine Verdammung eines gesamten Lebenswerks vorgenommen wird, sondern sollte auf Fakten beruhen. Dabei wiederhole ich nochmals: ich möchte damit keinesfalls den Kindesmissbrauch relativieren, schmälern oder Wei Tsin-Fu etwa als Lehrer empfehlen. Jemand, der seine Sexualtriebe in solche einer Weise nicht im Griff hat, hat eigentlich selbst die Verantwortung, sich von der entsprechenden Versuchung fernzuhalten. Leistet er dies nicht, ist es die Öffentlichkeit, die dies dann - zurecht - in Form von Haftstrafen vorzunehmen hat.
Auch möchte ich zum Abschluss noch eine Sache betonen: Niemals ist es auch nur ansatzweise meine Absicht, den Opfern nicht den angebrachten Respekt zu zollen. Wie oben erwähnt, denke ich, dass ich den emotionalen Kraftakt, dessen es bei der Aufdeckung solcher Dinge bedarf, nicht einmal nur ansatzweise nachempfinden kann. Ich hoffe, dass ich mitlesenden Opfern nicht den Eindruck vermittle, Wei Tsin-Fu rehabilitieren oder seine Übergriffe aufgrund seiner Leistungen als Lehrer relativieren zu wollen. Vielmehr möchte ich zum Ausdruck bringen, dass ich vor einem moralischen und ethischen Dilemma stehe, wenn ich mich hier überhaupt als Fürsprecher für die Lehrleistung Wei Tsin-Fus einsetze.
Ich möchte mich auch an all diejenigen wenden, Pi4no und alle anderen, die Wei kennen oder bei ihm studiert haben, und die hier bereits gepostet haben: gebt Euch Mühe und beantwortet die berechtigten Fragen derjenigen, die diese Diskussion hier ernsthaft betreiben. Wie gesagt, ich denke, man kann es niemandem übelnehmen, wenn er aufgrund dessen, was man von Wei mitbekommt, bereit ist, auch seinen Unterricht per se in Frage zu stellen. Daher ist es an denjenigen, die das anders sehen, Argumente zu bringen und sich auf Rückfragen einzulassen.
So. Ich habe nun viel Zeit hier investiert, bin hungrig und müde und breche daher ab
. Wem oder was es nutzen soll oder kann, weiß ich nicht. Es war mir aber ein Bedürfnis, weiter meinen Beitrag zu leisten. Ich hoffe auf offenen und respektvollen weiteren Austausch mit Euch, rolf, chiarina, rheinkultur und allen anderen.
Viele Grüße
Sebastian