Lernmethode von Wei Tsin Fu

  • Ersteller des Themas chrzaszczyk
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aber was mir doch etwas fehlt: was waren denn die Tipps und Unterrichtskniffe, meinetwegen gerne am Exempel des d-Moll Konzerts von Rachmaninov? Ich habe mit diesem Stück oft genug zu tun gehabt und trage da gerne zu den schwierigen Abschnitten aus meiner Perspektive bei.


Ich denke ganz einfach, dass Wei Tsin-Fu für diejenigen Schüler, die ein tiefes Interesse am pianistischen und musikalischen Fortschritt hatten, unglaublich viele Ideen, Tipps, Denkweisen, Metaphern, Herangehensweisen parat hatte und damit große Begeisterung ausgelöst hat. Jedenfalls ging es mir so. Und die Begeisterung war (bei mir) keine Blase, sondern ich habe wirklich sehr große Fortschritte gemacht. Aber NICHT, weil ich etwa nur 30 Minuten am Tag geübt habe, sondern weil ich von einzelnen seiner Tipps und Ideen so fasziniert war, dass ich sie unbedingt ausprobieren wollte, und ja, die meisten haben funktioniert. (Hinweis: Mir liegt viel daran, nicht den Eindruck zu erwecken, hier "Werbetexte" zu verfassen oder - auch schon viel zitiert in diesem Thread - mich nur ansatzweise in die Nähe des gesamten Esoterik-Wunderheiler-Business zu begeben, das mir sehr zuwider ist. Daher bitte ich Euch, Fragen zu stellen, wenn Ihr zu bestimmten Punkten mehr wissen wollt.)


Lieber Sebastian,

herzlichen Dank für deine Antworten! Es bestätigt sich viel von dem, was ich dachte und ich danke dir für das differenzierte Bild, das du gezeichnet hast!

Mich interessiert aber wie Rolf, welche Tipps und Ideen Wei Tsin Fu hatte, die dich so beeindruckt haben. Vielleicht kannst du ein paar Beispiele geben?

Liebe Grüße

chiarina
 
Ach ich hab noch vergessen: Es gibt sogar eine PV-Prüfung bei uns im Bachelor-System, die aber meines Wissens noch nie einer abgelegt hat - inklusive mir (ich bin die erste im System). Merkwürdiger Weise ist sie mit einer Prüfung in Neuer Musik kombiniert, mal sehen wie das wird.... haha. Vielleicht hat da auch jemand einfach nicht nachgedacht und / oder keine Ahnung gehabt. Wäre ja keine große Überraschung :p
 
Brahms kompakt in 48 Stunden

In meinem Fall war es "nur" eine Reifeprüfung, in der die Leistung des Instrumentalisten zählte (ich hatte auch leider keine Zeit, die Sonate zu üben). Der war in meinem Fall einfach nur froh, dass ich einspringen konnte, auch wenn ich alles Füllmaterial (das ist ja recht viel bei Brahms :D ) weggelassen habe und zeitweise nur Melodie und Bass spielte. Das ist nicht sonderlich schön für den Instrumentalisten, aber es reicht für die grobe Übersicht. Denen war es sowieso immer wichtiger, dass man bei Verspielern mitgehen konnte, ihnen half bei Gedächtnislücken etc..

Im Konzert sieht das anders aus. Da würde ich sowas nie abliefern. Wenn man immerhin zwei Tage Zeit hat zu üben, übe ich natürlich als Erstes die Solostellen, damit die gut klingen. Grundsätzlich muss alles weggelassen werden, was den Fluss behindert und klanglich nicht so eine bedeutende Rolle spielt (z.B. Terzen, Fülltöne....).

Es zeugt von gesundem Menschenverstand und fundierter Fachkompetenz, so vorzugehen. Rolf hat ebenfalls recht mit seiner These, dass diese unangenehme Situation nicht allzu oft vorkommt - aber wenn's dann passiert, wäre man doch froh über einen glücklichen Ausweg. Es gilt in der Tat der Grundsatz, lieber transparenter und einigermaßen richtig zu spielen als den ohnehin schon nervlich angespannten Partner am Melodieinstrument mit allzu vielen falschen Tönen und unorganischer Tempoführung aufgrund manueller Überforderung zusätzlich zu peinigen. Wenn es nicht anders geht, ist auch hier weniger unter dem Strich mehr.

Mit dem Blick auf den Notentext soll zwischen Wesentlichem wie der Melodieführung und Nachrangigem wie Mixturtönen und Füllstimmen unterschieden werden. Da werden Doppelgriffpassagen eben schon mal auf akkordische Einzelakzente bei Harmoniewechseln auf betonter Zählzeit reduziert, um den musikalischen Fluss nicht zu behindern. Wenn zwei Tage Vorbereitungszeit mit einigen Stunden Übemöglichkeit zur Verfügung stehen, lässt sich auf pianistischem Wege natürlich schon ein schwerer Part ziemlich notationskonform einüben, auch wenn gestalterische Reife noch illusorisch sein dürfte.

In einem früheren Kommentar habe ich mal die "Hot-Sonate" für Altsaxophon und Klavier von Erwin Schulhoff erwähnt, bei der ich zwei Tage vor dem Examen (mit Note Eins absolviert) als Retter in größter Not einspringen durfte. Einige Zeit erzählte mir ein Spezialist für Kammermusik mit Streichinstrumenten von Saxophon-Aufnahmeprüfungen, bei denen er eben dieses Stück zum Blattspiel auf das Notenpult gelegt bekam. Nach eigener Aussage sei er in der Lage gewesen, zwischen zwanzig und dreißig Prozent der Vorgaben des Notentexts halbwegs erkennbar umzusetzen. Aber da lag der viel zitierte Schwarze Peter ganz eindeutig beim Prüfungskandidaten selbst, der sich bei derartiger Literatur schlicht und ergreifend mal lieber vorher um einen versierten Pianisten bemüht hätte. Wer das Stück schon gut und sicher begleitet hat, kann einem hinlänglich begabten Kandidaten Sicherheit und Unterstützung auch ohne Verständigungsprobe mit auf den Weg geben. Aber muss man bei Aufnahmeprüfungen wirklich sein Schicksal so herausfordern?, fragt

Rheinkultur ;)
 
Eine Marginalie namens Prima Vista

Ach ich hab noch vergessen: Es gibt sogar eine PV-Prüfung bei uns im Bachelor-System, die aber meines Wissens noch nie einer abgelegt hat - inklusive mir (ich bin die erste im System). Merkwürdiger Weise ist sie mit einer Prüfung in Neuer Musik kombiniert, mal sehen wie das wird...

Es wird mit Sicherheit nicht so werden, dass ansonsten versiert und kompetent agierende Prüfungskandidaten aufgrund eines nicht perfekten Vom-Blatt-Spiels massive Probleme bekommen. Dass die PV-Prüfung ein so marginales Dasein fristet, lässt den eher geringen Stellenwert erwarten, den die Kommissions-Mitglieder dieser Aufgabe beimessen. Allerdings: Wenn mehrere allesamt sehr gut spielende Nachwuchssolisten zum Sprung ins nicht eben einfache Berufsleben ansetzen - hat dann nicht jener Kandidat einen punktuellen Vorteil gegenüber der Konkurrenz, der auch ohne Vorbereitung eine künstlerische Aufgabe geschickt angeht, während andere unter dieser Anspannung schwimmen und straucheln?

Freilich habe ich vielfach die Beobachtung im Prüfungsbetrieb gemacht, dass Blattspielaufgaben oft nur pro forma gestellt werden: Ein meist ganz leichtes Stück wird dann abgespielt, das praktisch jeder problemlos hin bekommt. Die Relevanz geht in der Tat gegen null. Wenn schon, wäre das Handeln eines Prüfungskandidaten aussagekräftiger, wenn man diesem ein sehr schweres und komplexes Stück vorlegen würde, das niemand auch nur annähernd zu hundert Prozent vom Blatt abspielen könnte - vielleicht im Schwierigkeitsgrad von Messiaen oder Boulez. Die Palette würde dann vermutlich alles zwischen völlig heillosem Versagen bei den einen und offenkundigem Erkennen der Strukturen bei den anderen abdecken, auch wenn da immer noch Töne fehlen oder verfehlt würden. Aber genau dann würde man vermutlich große Unterschiede zwischen ansonsten bei konzertreif studierter Vortragsliteratur vergleichbar qualifizierten Kandidaten ausmachen können. Im Berufsleben gibt es immer wieder Situationen, wo die einen stets eine gewisse Ruhe bewahren können und andere unter den gleichen Bedingungen völlig die Nerven verlieren. Mir ist freilich auch klar, dass es sich hier um eine echte Ermessensfrage handelt - zumal das Vom-Blatt-Spielen nur schwer gezielt erlernbar ist. Außer eben durch viel hören, viel lesen, viel beobachten, viel begreifen...! ;);););)
 
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Guten Morgen allerseits,

gerne will ich versuchen darzustellen, welche "Kniffe" und Ratschläge von Wei Tsin-Fu mich am meisten begeistert haben bzw. am wirksamsten waren (bei mir). Vorausschicken möchte ich, dass es zwei Kategorien von Übungen gab, nämlich einfach die, die er mir während des Einzelunterrichts vorgestellt hat und die, die wir in der Studentengruppe gemeinsam besprochen und ausprobiert haben. Nachvollziehbarerweise waren die Einzelunterricht-Tipps für mich subjektiv die wirkungsvolleren. Dies liegt nun schon über zehn Jahre zurück, aber vieles ist mir dennoch noch sehr präsent. Natürlich kann ich Euch die Ideen nur mit subjektiver Gewichtung beschreiben, das heißt, dass Euch vielleicht einiges trivial oder als im Kanon eines guten Klavierunterrichts ohnehin vorauszusetzend erscheint. Subjektiv war die Wirkung für mich aber immer enorm, vor allem mit der Lust verbunden, es unbedingt sofort weiter ausprobieren zu müssen. Vielleicht ist es auch so: dass Wei Tsin-Fu eine für mich bisher völlig unbekannte und damit faszinierende Art und Weise hatte, sofort zu verstehen, wie meine "Grenzfläche" aussah, sprich die Gesamtheit der Punkte, an denen ich "feststeckte" und nicht weiterkam, und wo eben nicht mehr galt "Übung macht den Meister", sondern wo ich mich (für mich) damit begnügen musste (und dies partiell schon gemacht hatte), dass ich hier nur mit "absurd viel Übung" weiterkäme bzw. gar nicht. Klar ist: befindet man sich in solche einem Zustand, dann eröffnen sich einem "Universen", wenn ein Lehrer auftaucht, der an jedem (!) dieser "Punkte, bei denen es bei mir kein Fortkommen mehr gibt" einen Kniff, eine Übung, einen Ratschlag weiß, der nicht nur klug klingt (das hätte mich nicht beeindruckt), sondern dessen Ad-Hoc-im-Unterricht-Durchführung sofortigen und spürbaren Erfolg bringt (und das, ohne dass ich die Übung selbst länger geübt habe).
Bevor ich jetzt endlich mal in medias res eintauche, kurz noch dies eine vorweg: Es war meist so, dass ich mit einem Stück zu ihm kam (z. B. Chopin-Etüde a-moll Opus 25 Nr. 11), an denen ich einfach nicht recht weiterkam. Sagen wir z.B., ich verkrampfte bei den schnellen Akkordbrechungs-Arpeggien in der rechten Hand (bitte seht mir etwaige Fehler in den Nomenklaturen nach) und war zu sehr mit Notenlesen beschäftigt, so dass ich mich oft verhaspelte. Der Übergang von langsamen Üben hin zu schnelleren Tempi wollte einfach nicht recht klappen. Im Langsamen, einzeltonweise, war alles wunderbar. Bisher dahin war meine - zugegeben damals vielleicht auch recht naive - Vorgehensweise diejenige, dass ich das Metronom allmählich schneller einstellte, bis das Zieltempo erreicht war. Das ist aber natürlich falsch. Warum? Weil ein bewusstes, sinnvolles gruppenhaftes Internalisieren/Automatisieren unmöglich gemacht wird und das Gehirn somit unnötig viel Denkaufwand benötigt, was dann, wenn das Tempo zu schnell wird, zu Fehlern führt, und zwar zu unkontrollierten Fehlern. Wei Tsin-Fu hat das damals anhand des Zusammenspiels Bewegungsapparat-Gehirn dargestellt: Man sollte die Wörter "vier zwei drei eins" langsam und laut und ohne Pause wiederholt sagen und dabei allmählich schneller werden. Irgendwann erreichte man den Punkt, an dem eine weitere Erhöhung des Tempos zu Verhaspelungen oder Verkrampfungen in der Zunge führte. Dann bat er uns, die Wortgruppe "Sechzehn, siebzehn" ebenso laut und wiederholt zu sprechen. Die Temposteigerung gelang hier schon deutlich besser. Zu guter Letzt versuchten wir dasselbe mit dem Wort "zweiundzwanzig". Temposteigerung nochmals viel besser. Die Idee ist klar: obwohl jedesmal dieselbe Anzahl Silben und sicherlich ungefähr dieselbe Komplexität an Sprechmotorik involviert sind, nutzt mir hierbei der verschiedene Grad der Internalisierung/Automatisierung, um den Denkaufwand und damit die Fehleranfälligkeit zu reduzieren.
So. Und wie setzte er dies nun an der A-Moll-Etude um? Ich hatte durch das Temposteigern "Ton für Ton" geübt und nicht gruppenweise. Also simpel: Gliedere den Notentext in kleine Gruppen und übe diese getrennt. "Wie jetzt, das war's?" :-) Ich habe bei den Akkordbrechungen z.B. immer "handweise" Grüppchen gebildet, sprich Daumenuntersetzer und Handsprünge bildeten die Zäsuren. Die einzelnen Gruppen habe ich dann separat geübt und automatisiert. Dann kam der Übergang zwischen den Gruppen. Die Gruppen wurden dabei als "Block" gegriffen (alle Töne auf einmal) und die Sprünge und/oder Daumenuntersetzer wurden geübt. Dann Zwei-Grüppchen-weise: Zwei Grüppchen samt ihrem Übergang wurden gespielt, dann Vierergruppen etwa und schließlich das gesamte Arpeggio. Dabei war ihm eine Sache ganz wichtig: IMMER vorausdenken, nie den Bewegungsapparat einfach loslaufen lassen. Was geschrieben auch nach Trivialität klingt, war bei mir bei weitem nicht "hart" in den Übungsalltag eingebaut, weswegen ich hier tatsächlich auch Hilfe brauchte. Seine Idee war: Höre und fühle und denke voraus, was kommt. Ich habe meinen Schülern immer gesagt (wenn sie z.B. einen Sprung geübt haben): NIE einfach so drauf los üben. Sondern: halte (wo auch immer du grade bist), den letzten Ton oder Akkord gedrückt und entspanne dich (leicht "rührendes", geschmeidiges Handgelenk). Dann konzentriere dich darauf, wie sich der Sprung anfühlt, wie es klingt, wenn du den Zielakkord greifst, etc. Dann springe. Entschieden und schnell. Und danach halte wieder an und entspanne dich. Falls falsch, spiele NICHT sofort die Korrektur. Sondern STELLE sie dir VOR. Wie es richtig klingt und es sich richtig anfühlt. Das dann wiederholen.
So bin ich dann die ganze Etüde durchgegangen: Phrasen mit vielen Takten zerfallen in Gruppen, die ihrerseits wieder in weitere Untergruppen zerfielen, deren Automatisierungsgrad und Abrufbarkeit hinsichtlich "wie FÜHLT und HÖRT es sich an?" immer stärker zunahmen (entspricht dem "sechzehn" und "siebzehn" im obigen Beispiel). Schließlich war das gesamthafte Spielen kein Ergebnis eines unreflektierten "Ich-mache-mein-Metronom-immer-schneller-ohne-Hierarchien-zu-bilden", sondern eines hierarchischen Internalisierungsprozesses à la "sechzehn siebzehn".
Und das hat dann einfach wahnsinnig gut funktioniert. Und machte mich damals "heiß" drauf, es überall sonst auch so auszuprobieren. Wie gesagt, nochmal: Grüppchenweise zu üben und zu internalisieren ist nicht der heilige Gral und schon gar nichts "Neues". Es ist nur ein Aspekt des "Tippcocktails", der bei mir eben recht schnell und wirksam gefruchtet hat, und hinsichtlich dessen ich klare Defizite hatte. Und Wei Tsin-Fu hat mir dies eben sehr gut und sehr eindrucksvoll, gewürzt mit noch vielen weiteren Ideen, Metaphern und Tricks, für die ich jetzt noch etwas tiefer in der Erinnerung grabne müsste (und dies gerne tue, wenn es Euch interessiert) illustriert.
Zum Thema Vom-Blatt-Spiel: Hier ging er ähnlich vor (Zielidee: zu erreichen, dass an den richtigen Stellen reduziert wird (also das Skelett des Stückes herausschälen können und beibehalten. "Das Ohrläpppchen darf fehlen, das Auge nicht."). Stück nehmen und einen Takt ansehen. Tonart klar? Tonraum? Vorzeichen? Welche Harmonien sind im Spiel? (Muss dazu sagen, ich war damals ein guter Vom-Blatt-Spieler, weswegen ich nicht weiß, wie er mit den "Basics" begann. Ich weiß nur, dass ich selbst häufig das "Vorauslesen" geübt habe (also mit den Augen schon immer sagen wir einen Takt voraus sein, so dass der Prozess des "Lesen - das Wesentliche erkennen - in "wie fühlt es sich zu spielen an?"-Übersetzen und schließlich Spielen" trainiert wird. Vielleicht war das sogar das Wichtigste für mich: zu realisieren, dass man bei allem, was man tut, sich immer erst vorstellen muss, wie es sich anfühlt, das zu tun, und es dann zu tun. Damit ist man mit Hirn und Augen und Vorstellungsvermögen immer der aktuellen Handlung voraus. Fehler entstehen dann immer nur aus rein motorischen Unzulänglichkeiten, aber nie, weil falsch "gedacht" wird. Das hat bei mir unheimlich gut funktioniert. Während ich hier tippe funktioniert das z.B. auch: Ich habe 10-Finger-Schreiben nie explizit gelernt, aber ich nutze die Wei Tsin-Fu-Ideen: Stelle Dir ein Wort vor, wie sich dessen Tipp-Vorgang anfühlt, und erst dann tippe es. Treffsicherheit und Tempo erhöhen sich dabei enorm. Auch verbessert sich dabei die Effizienz der Anatomie: die Hände und Arme unterstützen die Finger in der "richtigen Weise" (z.B. durch leichtes Kippen der Handrücken in die richtige Richtung, durch Impulse aus dem Arm etc.). (Ich spreche immer noch exemplarisch vom Tippen an einer Computertastatur. Man kann dieselbe Idee aber auch beim Sprechen etc. anwenden. Ich glaube, wir sind hier bei dem Thema, was gemeinhin als "Kopf-Kino-Techniken" bekannt ist, oder auch "mentales Üben". Wahrscheinlich auch nichts Neues.
 
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Ich möchte aber nochmals betonen, dass Wei Tsin-Fu eine enorme Fähigkeit hatte, seinen Schülern solche kleinen Ideen in der richtigen Weise beizubringen. Für jeden muss ja auch eine andere Kommunikationsform gewählt werden. Ich z.B. bin ein recht analytischer Mensch und mochte es, wenn man offen über Denkmechanismen gesprochen hat. Ich wollte immer detailliert verstehen, warum die Dinge wie funktionieren. Andere wiederum hat das weniger gekümmert. Hier hat er dieselben Ziele ganz anders erreicht, gebrauchte andere Metaphern, andere Ansätze.
Fakt ist, dass ich nach einem halben Jahr Unterricht bei ihm Rachmaninoffs 2. Klavierkonzert spielen konnte. Auch hier hätte ich damit nicht in einen Konzertsaal gehen können, das war auch damals überhaupt nicht mein Anspruch. Was mich so sehr verblüfft hat war, dass ich als jemand, der sich mit gewissen Einschränkungen seiner selbst schon in frühen Jahren abzufinden bereit war (weil mir NIEMAND, niemand meiner Lehrer davor nur ansatzweise das Gefühl gegeben hatte, dass es da Möglichkeiten oder Hoffnungen geben könnte, meistens fanden die mich ohnehin schon "gut") so schnell und so plötzlich sich ein ganzes Klavierkonzert erarbeiten kann. Natürlich habe ich bei Wei Tsin-Fu geübt. Aber mit was für einem Fortschritt! Mit was für einer Begeisterung! Natürlich mag es vermessen sein, einem Schüler seinem Entwicklungsstand unangemessen schwere Literatur "vorzusetzen". Aber stellt Euch vor, wie sich das für mich anfühlte: Plötzlich konnte ich mir ein Stück einfach so erarbeiten, ich konnte es im richtigen Tempo spielen, auch die schnellen Passagen. Ich erinnere mich, dass fast die einzige Stelle, bei der ich Schwierigkeiten hatte, eine Oktav-Stelle im dritten Satz war (As-Durig). Alles andere funktionierte mit seinen Denk- und Überweisen eben einfach irgendwie. Und an Stellen, an denen ich nicht weiterkam oder verkrampft oder fehleranfällig spielte, hatte er immer wieder neue und funktionierende Tricks parat. Danach hätte dann das folgen müssen, was hier vielfach bemängelt wird: das detaillierte musikalische Erarbeiten der Konzertreife. Dazu kam es in meinem Fall (meine Entscheidung) nicht, ich denke auch, ich hätte hierzu dann noch einmal deutlich mehr arbeiten/üben müssen. Und ich denke, dass ich hierzu vielleicht wirklich zu einem anderen Lehrer gegangen wäre. Damit möchte ich aber die Dinge, die ich bei Wei Tsin-Fu gelernt habe, in keiner Weise diskreditieren.
Übrigens gab es damals ziemlich viele Schüler, denen er ähnlich ging wie mir und die ähnliche Erfolge erfuhren. Viele davon waren übrigens Studenten anderer Fächer, denen Klavierspielen jedoch weit über ein "Hobby" hinausging. Somit war das Thema "Musikstudium an einer staatlichen Hochschule" für viele eben auch schon beantwortet. Ich habe mich aber immer schon gesträubt, ein "was bin ich?" oder eine "berufliche Laufbahn" als singulären, alles andere ausschließenden Aspekt zu sehen.
Gerne würde ich hier auch noch einiges zum Thema "hochentwickelte Hände" schreiben, sein Stichwort rund um alles, was mit "Trockenübungen" zu tun hatte, die wir alle damals fast schon besessen trainiert haben. Es ging darum, Arme, Handgelenk und Finger zu trainieren (Muskulatur zu kräftigen und Reflexmotorik (Zittern) zu üben). Wobei ich hier persönlich in den Jahren eine andere Sichtweise erlangt habe (nach wie vor führe ich Trockenübungen täglich durch), dazu später gerne mehr. Aber auch das hat schnelle, dauerhafte und beachtliche Erfolge gebracht. Wir haben quasi Hirn, Ohr und Hände getrennt "beackert".
Nochmal zu den Schülern und deren Qualität: Wei Tsin-Fu hatte nicht das Ziel, einzelne Star-Schüler hervorzubringen (wobei das trotzdem der Fall war), sondern sehr vielen Schülern zu helfen. Und er hat wirklich Schüler jeden Alters und Entwicklungsstands unterrichtet. Daher kam das "Massenhafte", das hier oft "durchriecht". Er hat sehr häufig auch (z. B. bei Schülern oder Studenten) wenig Unterrichtsgebühr verlangt oder mitunter auf sie verzichtet. Sein einziges Interesse galt, so hatte ich oft den Eindruck, dem Fortschritt des Schülers, egal, wer er war. Das wird auch bestätigt durch die Tatsache, dass ihm an einem Schüler nicht Begabung, Entwicklungs- oder Wissensstand wichtig war, sondern dessen Wille und Bereitschaft, vorwätszukommen. Was ihn ärgerte, häufig soogar wütend machte, war "Nicht-verstehen-wollen" oder "nicht-können-wollen". Im Gegenteil jedoch, wenn ein Schüler seine Ideen aufnahm, sie ausprobierte und mit Erfolg anwandte, war seine Begeisterung ungebremst.

So weit mal an diesem Vormittag mal ein sehr partieller Ausschnitt, gerne später mehr, gerne könnt ihr auch zu den einzelnen Punkten nachfragen.

Viele Grüße

Sebastian
 
Vielleicht noch ein kurzer Nachtrag:
Bitte versucht das, was ich hier so (im späteren Nachlesen doch sehr begeistert und "jüngerhaft" klingend) schreibe, immer in dem Kontext zu sehen, dass ich damals bei ca. 4-5 Lehrern VOR Wei Tsin-Fu Unterricht hatte, die sehr standardmäßigen Unterricht boten, deren Tipps über "mach mal hier dein Handgelenk höher" oder "die Finger müssen aktiver sein" nicht hinausgehen. Und was bringt mir ein Tipp "die Finger müssen aktiver sein"??? Da könnte ich jetzt noch wütend werden, nach all den Jahren :-). Ich glaube: der Erfolg von Wei Tsin-Fu rührte sicher auch daher, dass viele Klavierlehrer nach wie vor ein Standardrepertoire an Unterrichtsmethoden abwickeln und Schluss. (Dabei spreche ich natürlich nicht von den Musikhochschulen, wo ich nur wenig Einblick habe.) Entsprechend groß war eben meine Begeisterung. Da es vielen so ging bei Wei-Tsin Fu, schließe ich daraus, dass der Großteil des Musikschul-Unterrichts für Kinder und Jugendliche nicht so gut ist, wie er sein könnte.
 
Lieber Sebastian,

vielen herzlichen Dank für die aufgewendete Zeit und große Mühe, die du dir gegeben hast. Endlich hat mal jemand formuliert, was inhaltlich im Unterricht passiert ist und ich hab eine Vorstellung, woher der Erfolg Wei Tsin-Fus möglicherweise rühren könnte. Ich versuche das mal aus deinen Beiträgen "heraus zu zitieren" und ein bisschen zu analysieren. Vielleicht verstehe ich die ganze Sache so besser und kann auch positive Schlüsse auf meinen eigenen Unterricht ziehen.

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Die Voraussetzung: Begabte, eigentlich motivierte Schüler
dass ich damals bei ca. 4-5 Lehrern VOR Wei Tsin-Fu Unterricht hatte, die sehr standardmäßigen Unterricht boten, deren Tipps über "mach mal hier dein Handgelenk höher" oder "die Finger müssen aktiver sein" nicht hinausgehen.
Es war meist so, dass ich mit einem Stück zu ihm kam (z. B. Chopin-Etüde a-moll Opus 25 Nr. 11),
naive - Vorgehensweise diejenige, dass ich das Metronom allmählich schneller einstellte, bis das Zieltempo erreicht war.
Übrigens gab es damals ziemlich viele Schüler,[...]Viele davon waren übrigens Studenten anderer Fächer, denen Klavierspielen jedoch weit über ein "Hobby" hinausging.
Um zu verstehen, warum das System so gut funktioniert hat, schau ich mir zuerst die Schüler an: Sie sind begabt und interessiert und möchten wirklich Klavierspielen lernen, teilweise sind sie auch schon auf einem hohen Kenntnisstand. Sie sind aber frustriert, weil sie merklich ihre Grenzen spüren und ihre Lehrer nichts Nützliches zu sagen haben. Gleichzeitig sind die Übestrategien mehr als dürftig - "Rohdiamanten" also. Wei Tsin-Fu ist vielleicht der letzte Versuch, doch noch weiter zu kommen.
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Austausch mit anderen
Vorausschicken möchte ich, dass es zwei Kategorien von Übungen gab, nämlich einfach die, die er mir während des Einzelunterrichts vorgestellt hat und die, die wir in der Studentengruppe gemeinsam besprochen und ausprobiert haben.
Nun kommt man bei Wei in den Unterricht und alles ist Neu und anders: Ein wichtiger Punkt, der sicher nicht unterschätzt werden darf, ist dieser Gruppenunterricht! Dadurch lernt man andere Schüler kennen, tritt in Austausch, schließt Freundscahften, wird von der Begeisterung anderer angesteckt, hört positive Geschichten, wird durch deren Fortschritt angespornt, es stellt sich ein Zusammengehörigkeits- und Zugehörigkeitsgefühl ein. Bei anderen Klavierlehrern gibt es vielleicht einmal pro Halbjahr ein Klassenvorspiel, ansonsten übt jeder allein vor sich hin. Dies ist - Überraschung - auch mal wieder anders in Musikhochschulen, auch dort gibt es den gegenseitigen Austausch. (Übrigens - warum habt ihr euch hier im Forum angemeldet? Na? ;) )
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Unerwartet gute Problemlösung und individuelle Vermittlung
Was mich so sehr verblüfft hat war, dass ich als jemand, der sich mit gewissen Einschränkungen seiner selbst schon in frühen Jahren abzufinden bereit war (weil mir NIEMAND, niemand meiner Lehrer davor nur ansatzweise das Gefühl gegeben hatte, dass es da Möglichkeiten oder Hoffnungen geben könnte, meistens fanden die mich ohnehin schon "gut")
dass Wei Tsin-Fu eine für mich bisher völlig unbekannte und damit faszinierende Art und Weise hatte, sofort zu verstehen, wie meine "Grenzfläche" aussah,
[...] eine Übung,[deren] Ad-Hoc-im-Unterricht-Durchführung sofortigen und spürbaren Erfolg bringt (und das, ohne dass ich die Übung selbst länger geübt habe).
Ich möchte aber nochmals betonen, dass Wei Tsin-Fu eine enorme Fähigkeit hatte, seinen Schülern solche kleinen Ideen in der richtigen Weise beizubringen. Für jeden muss ja auch eine andere Kommunikationsform gewählt werden.
Plötzlich hat man einen Unterricht, der einem weiterhilft! Man hatte das Klavierspielen schon fast abgeschrieben und wird nun so überrascht. Wie auch immer die Qualität des Unterrichts eingeschätzt werden will - diese Fähigkeit, genau zu erfassen, was dem Schüler fehlt und ihm funktionierende Lösungsvorschläge so zu erklären, dass er sie versteht und nachvollziehen kann, ist meiner meiner Meinung nach enorm hoch zu bewerten. Das kann die Mehrheit der Lehrer sicher nicht in diesem Maße und ist eine Sache, die höchst bestrebenswert für den Lehrer ist. Man kann es vielleicht auch noch anders formulieren - die Schüler konnten vieles schon vorher, sie wussten es nur nicht und ihre Gedanken mussten in die richtige Bahn gelenkt werden.
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Nachvollziehbare Beispiele zu allgemein Bekanntem
Man sollte die Wörter "vier zwei drei eins" langsam und laut und ohne Pause wiederholt sagen...
Teil seines Unterrichts und sehr wichtig ist offenbar, verständliche und nachvollziehbare Beispiele aus dem Alltag zu bringen. Fachvokabeln, Bewegungs- und Musikanalyse allein sind zu sphärisch.
Gliedere den Notentext in kleine Gruppen und übe diese getrennt.
Dann konzentriere dich darauf, wie sich der Sprung anfühlt, wie es klingt, wenn du den Zielakkord greifst, etc. Dann springe. Entschieden und schnell. Und danach halte wieder an und entspanne dich. Falls falsch, spiele NICHT sofort die Korrektur. Sondern STELLE sie dir VOR.
Der Inhalt, den die Schüler begreifen sollten, ist nichts Neues - das wurde auch hier schon vorher vermutet und festgestellt. Wei Tsin-Fu wusste offenbar nur besser als manch anderer, wie er es verpackt und vermittelt.
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Daraus resultierend: Große Motivation, die früher vielleicht erstickt wurde
Subjektiv war die Wirkung für mich aber immer enorm, vor allem mit der Lust verbunden, es unbedingt sofort weiter ausprobieren zu müssen.
Natürlich habe ich bei Wei Tsin-Fu geübt. Aber mit was für einem Fortschritt! Mit was für einer Begeisterung!
Das Ergebnis: Motivation, Begeisterung, Interesse, Lust und Tatendrang.
Natürlich mag es vermessen sein, einem Schüler seinem Entwicklungsstand unangemessen schwere Literatur "vorzusetzen". Aber stellt Euch vor, wie sich das für mich anfühlte: Plötzlich konnte ich mir ein Stück einfach so erarbeiten, ich konnte es im richtigen Tempo spielen, auch die schnellen Passagen.
Und wenn man im jugendlichen Elan noch die großen Kracher spielen darf und plötzlich kann, nimmt das noch zu. Es ist auch nichts schlechtes dabei, die Schüler sowas mal ausprobieren zu lassen. Wenn sie so motiviert sind und man erlaubt es nicht, machen sie es heimlich (so war es jedenfalls bei mir). Warum also nicht begleitend probeiren lassen.
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Ansteckende Begeisterung
Er hat sehr häufig auch (z. B. bei Schülern oder Studenten) wenig Unterrichtsgebühr verlangt oder mitunter auf sie verzichtet. Sein einziges Interesse galt, so hatte ich oft den Eindruck, dem Fortschritt des Schülers, egal, wer er war. Das wird auch bestätigt durch die Tatsache, dass ihm an einem Schüler nicht Begabung, Entwicklungs- oder Wissensstand wichtig war, sondern dessen Wille und Bereitschaft, vorwätszukommen. Was ihn ärgerte, häufig soogar wütend machte, war "Nicht-verstehen-wollen" oder "nicht-können-wollen". Im Gegenteil jedoch, wenn ein Schüler seine Ideen aufnahm, sie ausprobierte und mit Erfolg anwandte, war seine Begeisterung ungebremst.
Zusätzlich dazu hat Wei Tsin Fu auch offenbar noch selbst eine riesige Begeisterung gehabt und ausgestrahlt, die ansteckend war. Auch das ist eine Sache, die bestimmt vielen Lehrern fehlt und die aber enorm wichtig ist - Ansteckende Begeisterung.

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So, das war nun mal das, was ich herauslesen konnte. Vielleicht ein bisschen einseitig oder unvollständig, bitte korrigiere mich, wenn du irgendwo widersprechen möchtest.
Die Ideen und das Unterrichtsmodell scheint tatsächlich sehr gut zu sein. Wenn man nun die Sache noch dahingehend wandeln würde, dass die musikalische Umsetzung einfach unglaublich wichtig und der eigentliche rote Faden und Ausgangspunkt ist... --- denn das ist einfach ein sehr wesentlicher Bestandteil des Klavierspielens!
Dass die Schneemannmethode nicht der idealste Einstieg ins Klavierspielen ist, wurde hier ja schon besprochen - aber ich denke, dass diese Methode und der Unterricht bei Fortgeschrittenen noch unterschieden werden muss.



Gerne würde ich hier auch noch einiges zum Thema "hochentwickelte Hände" schreiben, sein Stichwort rund um alles, was mit "Trockenübungen" zu tun hatte, die wir alle damals fast schon besessen trainiert haben.
weiteren Ideen, Metaphern und Tricks, für die ich jetzt noch etwas tiefer in der Erinnerung grabne müsste (und dies gerne tue, wenn es Euch interessiert) illustriert.
Nur zu!
 
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Rach III

Rolf hatte mich ja gebeten, noch ein paar Beispiele von Rachmaninoffs d-moll-Konzert zu geben. Nehmen wir z. B. im ersten Satz die "piu-vivo-Stelle" (zwischen Nr. 13 und Nr. 14), wo das "Zwei-Ton-Motiv" vom ersten Thema durch den a-moll, c-moll, es-moll- fis-moll-Tonraum gejagt wird (bitte entschuldigt meine unorthodoxe Sprechweise), eine meiner absoluten Lieblingsstellen. Ich glaube, hier hat er (oder hätte er) z. B. Folgendes vorgeschlagen (zum ersten Erarbeiten): 1) Nur Melodie der rechten Hand (im richtigen Fingersatz) spielen, hierbei "vorn im Kopf" denken (metaphorisch für: "Melodie ist präsent, anleitend"), 2) in Gruppen unterteilen (etwa jedes einzelne Zwei-Ton-Motiv, d.h. Halbtakte), und "Begleitlinie" in der rechten Hand "matschen" (sein Ausdruck für "bewusst noch nicht sauber spielen, sondern gesamthaft die Gruppe greifen" (UNBDEDINGT die richtigen Töne, NICHT UNBEDINGT richtiger Rhythmus, Phrasierung, etc.) 3) Zwei-Ton-Motive samt Begleitlinien in der rechten Hand sauber spielen, dabei gruppenweise "vorausdenken" (immer: wie FÜHLT sich die nächste Gruppe AN?). Evtl. durch tonweises Rechtskippen des rechten Handgelenks 4. und 5. Finger bei den Zwei-Ton-Motiven unterstützen, damit Hand nicht verkrampft. Dabei Arm zwischen Handgelenk und Schulter permanent locker, kann man gut durch leichte "Rührbewegung" von Ellbogen und Handgelenk sicher stellen.
4) Jetzt linke Hand: Die einzelnen halbtaktigen Figuren in solche Gruppen von (mindestens) zwei Tönen teilen, für die keine Handwanderung oder Daumenuntersatz nötig ist. Diese Gruppen "matschen", d. h. clusterhaft spielen, damit Positionen klar sind. Dann Übergänge zwischen den Gruppen, wobei die Gruppen immer noch "gematscht" werden. Dann einzelne Figuren langsam gesamt. Dann schneller. Falls falsche Töne auftauchen, erst wieder in den "Matschmodus".
5) Beide Hände. Langsam. Dann schneller werden. Dabei die rechte Begleitmeldodie und linke Hand "hinten im Kopf" denken (untergeordnet).
6) Wie immer: vorausdenken und voraushören.
7) Weiter unten, wenn die Akkordsprünge in der rechten Hand auftauchen, die beiden Akkorde (zwischen denen gesprungen wird) mit Unterarm unterstützen (dabei nicht "nach unten" denken, sondern "mit Handgelenk nach oben wegstoßen" denken.
8) Schließlich dann alles zusammenfügen, beidhändig halbtaktige Abschnitte spielen, Pause (Hände liegenlassen wo sie sind), denken: wie fühlt sich der nächste Takt an?, dann nächsten Halbtakt. So auch Tempo erhöhen. Dann das Ganze mit ganzen Takten, dann zwei-, dann viertaktigen Gruppen.
 
Lieber Sebastian,

noch einmal herzlichen Dank für deinen ausführlichen Bericht und die Arbeit, die damit verbunden ist!!! Es ist interessant zu lesen!

Allerdings bin ich schon verblüfft, weil alles, was ich hier gelesen habe, zum Standardrepertoire eines Klavierlehrers gehören sollte. Ich rede nicht von Professoren, sondern von Klavierlehrern, die allerdings Klavier/Klavierpädagogik als Hauptfach an einer Musikhochschule studiert haben (da der Beruf nicht geschützt ist, gibt es leider unendlich viele KL's ohne diese fachliche Qualifikation........).

Was du am Anfang bei der a-moll-Etüde beschreibst, ist völlig normales rhythmisiertes Üben, wie es hier im Forum schon sehr, sehr oft beschrieben und empfohlen wurde. Ich behaupte, dass dies jeder Klavierstudent als einen Baustein eines umfangreiches Überepertoires kennt!

Bei deiner Beschreibung des Vorausdenkens fehlt mir eine wichtige Komponente: ich sollte immer hören, was ich gerade spiele. Das Hören im Hier und Jetzt kann nämlich durch zuviel Vorausdenken ausgeschaltet werden und so könnte sich mir auch erklären, wieso die Schüler oft so unmusikalisch spielen. Sie hören sich nicht zu oder nicht gut genug zu! Das ist natürlich nur eine Vermutung. Aber es fällt auf, dass du dieses eminent wichtige Hören kaum erwähnst. Du schreibst auch, dass die Schüler sich die Bewegung vorstellen sollen. Es ist aber viel wichtiger, dass sie sich den Klang vorstellen! Wenn sie das tun, stimmt die Bewegung von allein, denn der Klang bestimmt die Bewegung. Auch da wird m.E. zu sehr vom Technischen als vom Klanglichen, von der Bewegung als vom Ohr ausgegangen. Der Schulung des Ohrs und die Klanggestaltung sollten an allererster Stelle stehen!!!

Das Problem ist nämlich, dass man nicht wie bei deinem Rachmaninov erstmal ein Stück lernt und dann das Stück musikalisch erarbeitet/zur Konzertreife gebracht wird. Die musikalische Erarbeitung geht mit einem immer intensiveren Verständnis des Stücks, seinem Aufbau, seiner Entwicklung, seinen klanglichen Facetten etc. einher und das muss immer gleichzeitig mit dem Üben, mit der Erarbeitung des Stücks erfolgen. Durch ein bewusstes und kluges Üben taucht man immer tiefer in das Stück ein, lernt, möglichst viele Facetten wahrzunehmen und zu hören. Dabei formt sich die Klangvorstellung, die wiederum mit der technischen Umsetzung Hand in Hand geht. Spielt man erst einmal ein Stück klanglich schlecht, haben sich schon ungünstige Bewegungsmuster verfestigt und man hat sich schon an diese unmusikalischen Klänge gewöhnt und hört dies womöglich gar nicht mehr. Und an was man sich gewöhnt hat, was man gelernt hat, ist nur sehr schwer wieder zu verlernen bzw. sich abzugewöhnen.

All das sind ganz normale Aufgaben eines Klavierlehrers, der diesen Namen auch verdient. An Hochschulen bei Professoren lernt man dann ganz andere Dinge.

Mich interessieren aber noch die Trockenübungen. Wenn du dich hoffentlich noch nicht ausgequetscht wie eine Pampelmuse fühlst, wäre es supernett!!!! :p Irgendwann zumindest!!!

Lieben Dank und liebe Grüße

chiarina
 
Zitat von Chiarina:
All das sind ganz normale Aufgaben eines Klavierlehrers, der diesen Namen auch verdient. An Hochschulen bei Professoren lernt man dann ganz andere Dinge.
Was meinst du denn jetzt damit? Versteh ich nicht...

EDIT: Sorry, ich hab gesehen, dass es von Chiarina ist, irgendwie wurde das falsch Zitiert, ich weiß nicht, warum.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:

Liebe Chiarina,

ich konnte Deine Antwort etwas "voraushören" (wenn wir schon beim Thema sind :-)), da Du ja an anderer Stelle im Blog ähnlich schreibst. Den "klanggetriebenen" Ansatz finde ich einen super (wahrscheinlich sogar den einzig richtigen) Ansatzpunkt, da alles letztlich im Klang mündet und daher auch alles von ihm ausgehen sollte. Aber ich finde es schwierig, daran zu glauben, dass dann "schon alles richtig wird", wenn man nur die richtige Klangvorstellung hat. Ich hatte mal eine Klavierlehrerin, die mir sagte, "musikalisch" zu spielen sei das einzige Ziel, alles andere ergebe sich von selbst. Ich habe mich da immer unverstanden gefühlt. Weil: auch wenn ich mich hier als analytischen Menschen darstelle, empfinde ich - so hoffe ich - die Musik sehr tief. Ich konnte aber nicht musizieren, da ich technisch an den immer gleichen Stellen gescheitert bin. Ich hatte dann gar keine Lust mehr auf Klang oder Musik.
Wie auch immer: ich denke tatsächlich, dass ich anfällig bin für die - sagen wir's mal hart - Effekthascherei (oder auch Verführungskunst?) der (durchaus auch vom Klang losgelösten) Klaviertechnik (im Sinne von: ich will einfach nicht mehr mit technischen Schwierigkeiten kämpfen müssen, bitte, lieber Lehrer, gib mir einen Tipp, wie ich sie überwinden kann). Wenn man mal bei einer Chopin-Etüde so feststeckt, dass man einfach nicht mehr weiterkommt, dann fürchte ich, dass einem die Klangvorstellung allein nichts mehr bringt, sondern dass hier einfach handfeste Übetechniken hermüssen (sofort danach dann natürlich wieder der Klang). Ich hatte schon eine Klangvorstellung, aber die technische Umsetzung ging bei weitem nicht Hand in Hand.
Die Kehrseite des Ganzen (die Du oben ja auch beschreibst) leuchtet mir indes natürlich völlig ein: dass sich ungünstige Bewegungsmuster, die auf "klang-losgelöste" Übweisen zurückzuführen sind, später nur schlecht wieder korrigieren lassen.

Dass das, was ich geschildert habe, die Aufgaben eines Klavierlehrers sind, habe ich nie bezweifelt. Daher habe ich vorausgeschickt, dass einiges davon sicher trivial klingen mag. Ich hatte jetzt nur ein paar wenige für mich damals sehr wirkungsvolle Aspekte herausgepickt. Schön wäre es natürlich, wenn sich hier im Forum irgendwann noch andere Studenten melden würden, um ihre (sicher wieder ganz andere) Sichtweise darzustellen.

Viele Grüße
Sebastian
 
Hallo Sebastian,

Ich lerne selber bei meinem Lehrer nach der Methode und kann mich deinen Ausführungen nur anschliessen, auch wenn ich erst seit 5 Monaten Unterricht habe.

Bin sehr froh diese Methode gefunden zu haben.
Da ich mit 33 sehr spät angefangen habe und ich nicht soviel Zeit zum üben habe bin ich von den schnellen Erfolgen und der Motivation weiter zu machen sehr begeistert.

Gruß
Dennis
 
Was meinst du denn jetzt damit? Versteh ich nicht...

Liebe Blüte,

ich antworte mal sicherheitshalber! :D

Was ich meinte, war, dass Übetipps wie rhythmisiertes Üben Klavierstudenten (hoffentlich) schon vor dem Studium gelehrt wurden. Klavierlehrer, die diesen Namen auch verdienen, sind für mich Klavierlehrer, die einen staatlichen Abschluss im Hauptfach Klavier bzw. in Klavierpädagogik haben, was nicht heißen soll, dass es nicht auch gute KL's gibt, die diesen Abschluss nicht haben. Auf jeden Fall sollten solche Klavierlehrer ihren Schülern eine Basis mitgegeben haben, wozu ein breites Überepertoire ebenso gehört wie verschiedene Arten von Herangehensweisen an Stücke, Möglichkeiten zur Problemlösung etc. etc..

Im Studium wird darauf aufgebaut, teilweise werden Lücken geschlossen, aber grundsätzlich ist die Arbeit eine erheblich anspruchsvollere.

Ich muss jetzt doch nicht ins Detail gehen, oder? :D

Aber ich finde es schwierig, daran zu glauben, dass dann "schon alles richtig wird", wenn man nur die richtige Klangvorstellung hat. Ich hatte mal eine Klavierlehrerin, die mir sagte, "musikalisch" zu spielen sei das einzige Ziel, alles andere ergebe sich von selbst. Ich habe mich da immer unverstanden gefühlt. Weil: auch wenn ich mich hier als analytischen Menschen darstelle, empfinde ich - so hoffe ich - die Musik sehr tief. Ich konnte aber nicht musizieren, da ich technisch an den immer gleichen Stellen gescheitert bin. Ich hatte dann gar keine Lust mehr auf Klang oder Musik.
Wie auch immer: ich denke tatsächlich, dass ich anfällig bin für die - sagen wir's mal hart - Effekthascherei (oder auch Verführungskunst?) der (durchaus auch vom Klang losgelösten) Klaviertechnik (im Sinne von: ich will einfach nicht mehr mit technischen Schwierigkeiten kämpfen müssen, bitte, lieber Lehrer, gib mir einen Tipp, wie ich sie überwinden kann). Wenn man mal bei einer Chopin-Etüde so feststeckt, dass man einfach nicht mehr weiterkommt, dann fürchte ich, dass einem die Klangvorstellung allein nichts mehr bringt, sondern dass hier einfach handfeste Übetechniken hermüssen (sofort danach dann natürlich wieder der Klang). Ich hatte schon eine Klangvorstellung, aber die technische Umsetzung ging bei weitem nicht Hand in Hand.

Lieber Sebastian,

als du das Problem mit der Chopin-Etüde hattest, lag das wesentliche Problem und damit auch der Ansatz für eine Problemlösung darin, dass du die Töne einzeln und nicht in Gruppen gedacht und gehört hast. Durch das rhythmisierte Üben hast du gelernt, in Gruppen zu hören und zu denken. Die Korrektur der Klangvorstellung durch die hilfreiche und dir bisher unbekannte Methode des Rhythmisierens hat dir geholfen, das Problem zu lösen und die Etüde spielen zu können.

Selbstverständlich braucht man kompetente Anleitung, ich meinte keinesfalls, dass man allein auf sich gestellt ist bei der Lösung von Problemen, die manchmal komplexer Natur sind! Auch deine Gefühle kann ich nur zu gut verstehen, als deine Lehrerin meinte, alles andere außerhalb der musikalischen Arbeit ergebe sich von selbst. Diese Ansicht teile ich keineswegs. Wenn das so rübergekommen ist, habe ich mich nicht richtig ausgedrückt.

Es ist aber ganz klar, dass, wenn der Klang stimmt, auch die Bewegung stimmt. Umgekehrt ist es ebenfalls richtig: wenn der Klang schlecht ist, stimmt die Bewegung nicht.

Wie gehe ich als Lehrkraft bei einem Schüler (und übrigens auch bei meinem eigenen Üben) vor? Ich höre als Erstes, wenn der gespielte Klang oder eine Klangfolge nicht so gespielt wird, wie ich mir das in meiner Klangvorstellung vorstelle. Hier liegt also ein Problem vor, dass ich anspreche und woran ich mit dem Schüler arbeiten möchte. Das Problem ist also ein Klangliches! Die Technik dient nur dazu, eine Klangvorstellung umzusetzen (eine Technik losgelöst vom Klang gibt es beim Klavierspielen gar nicht!), ist der Klang schlecht, stimmt also auch etwas mit der technischen Umsetzung nicht. In der Arbeit an diesem Problem ist die einzig mögliche Kontrolle, die ich habe, demzufolge das Ohr bzw. die deutliche Verbesserung des Klangs oder einer Klangfolge.

Aus dem Grund muss man immer vom Ohr ausgehen, will man eine Stelle klanglich verbessern, das ist m.E. völlig logisch. :p Wenn ich als Lehrkraft nun dem Schüler zeige, wie er das Problem lösen kann, eröffne ich ihm neue, für diese Stelle unbekannte Klangmöglichkeiten. Diese sind untrennbar mit neuen oder veränderten Bewegungsmustern verknüpft, die ich ihm natürlich auch zeige. Aber die Kontrolle erfolgt über das Ohr. Ich lasse also den Schüler keineswegs allein, jedoch muss er sich selbst gut zuhören, damit er weiß, ob die Bewegung richtig ist. Manchmal sieht die Bewegung nämlich richtig aus, der Klang ist aber immer noch nicht gut, weil der Kontakt der Fingerkuppe mit der Taste nicht intensiv genug ist, weil die Bewegung von kaum sichtbaren Anspannungen blockiert wird u.v.a.m..

Selbstverständlich sind auch die Weitergabe der unzähligen Möglichkeiten des Überepertoires Aufgabe des KL's! Sie dienen aber genauso dazu (s. Beispiel oben - Etüde), die Klangvorstellung zu schulen und entsprechend technisch umzusetzen. Kümmert man sich nur um die technische Umsetzung, kann der Schüler nicht wissen, wie es richtig ist, weil er nicht weiß, wie es klingen soll.

Ich hoffe, es ist etwas klarer geworden.

Liebe Grüße

chiarina
 
Liebe Chiarina,

danke für die ausführliche Antwort! Ja, es ist klarer geworden. Und ich kriege Lust, mich sofort damit auseinanderzusetzen :-)

Viele Grüße

Sebastian
 
(eine Technik losgelöst vom Klang gibt es beim Klavierspielen gar nicht!)
sagen wir so: eine "Spieltechnik" ohne ausdifferenzierte Klangqualität verdient nicht, Spieltechnik genannt zu werden...
...das aber ist was sehr alltägliches: dass vermeintlich "virtuose" Fortschritte gemacht werden ohne die nötige verautomatisierte Klangqualität (und letzteres hört man dann ganz besonders bei manuell schwierigen Sachen)
 
erstmal Danke an Sebastian75!!

lieber Sebastian75,
erstmal vielen Dank für deine Schilderungen und Beispiele.

Chopin op.25,11 "Sturmetüde"
...hier wundert mich aber sehr, die arpeggio-Figuren der rechten Hand von Ton zu Ton zu denken und dann zu jammern, wenn´s nicht klappen will...;)... dass Figuren solcher Art, auch ihre leichteren Vorformen, sich aus Bewegungsgruppen zusammensetzen, ist eigentlich altbekannt -- und es ist auch normal, dass man schnelle Tonfolgen nicht buchstabiert, sondern sowohl als rhythmische als auch als motorische Bewegungsgruppen denkt und greift (gerade Chopin hat da viele schöne solche Gruppen, deren motorische Aufteilung nicht mit der rhythmischen übereinstimmt)

Rachmaninov, zweites Konzert
also ein halbes Jahr für dieses Konzert ist eine recht lange, keineswegs eine überraschend schnelle Zeit - allerdings wenn man Sachen solcher Art vorher nicht gespielt hatte, dann ist es schon ok, aber eben nicht auffallend und darum als Beweis einer speziellen "Methode" nicht der Rede wert (versteh mich nicht falsch: das sagt ja nichts gegen die unbestreitbare Leistung, dieses Konzert zu lernen)

Berichte von Tipps aus dem Unterricht
auch hier vermag ich nichts besonderes oder charakteristisches, geschweige denn einzigartiges zu erkennen - lediglich eines finde ich bedauerlich: dass zu wenig auf Grundlagen geachtet wird (ob vom Schüler oder Lehrer?) denn die Klangqualität ist in den vorgeführten Ergebnissen nicht wie erwartet.
(aber das alles wurde ja schon zigmal durchgekaut)

Trockenübungen
gibt es tatsächlich ein paar ganz gute, sie betreffen das Handgelenk und die Bewegungsfreiheit

Rachmaninov drittes Konzert
...das ist ein Brocken, der ganz oben angesiedelt ist, und zudem braucht man da das Durchhaltevermögen, trotz Orchester alles hörbar zu machen - wer das überhaupt anfasst, sollte wie schon mal gesagt viel Erfahrung haben. Die Übungsweise, von der du erzählst, gefällt mir nicht allzu sehr: ich bin dagegen, irgendetwas unrhythmisch zu machen - aber amüsant zu lesen, wie die "Hirn-Metaphern" hier eingesetzt werden :) - ansonsten ist das achten auf Lockersein ja völlig ok (und nichts neues, wie auch das allmähliche vergrößern der Grifffolgen völlig normal ist) -- jede schwierige Stelle setzt sich aus einfachen Elementen zusammen (Margulis), die gilt es herauszuschälen und dann alles zusammenzusetzen, und das in kleinen Abschnitten durchaus in hohem Tempo (ggf sogar schneller als das Zieltempo!) ((was ich da andeute, ist auch eine altbekannte und bewährte Übungsweise)

Also mir kommt es nun, nach deinen Berichten so vor: ein motivierender Uunterricht in etwas anderem Ambiente, mit ein paar ulkigen Eigenheiten, dabei eigentlich nichts neues oder außergewöhnliches - aber nicht auf Hochschul-Niveau (wozu auch, es sind ja private Musikschulen)
 
Schwer leicht hüpfend crescendo decrescendo ritardando etc. etc. alles Begriffe die ich in Bewegung erleben kann und entsprechend auch anders höre wenn ich die Bewegung dazu erlebt habe und mir vorstellen kann

WIe würdest du die Bewegung von Chopin 25/11 bezeichnen? Könnte man es als Krabbeln einer Spinne umschreiben?

RUdl
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Lieber Rolf,
danke für Deine Antwort. Ich denke, Du triffst mit Deinen Beschreibungen die Sache ziemlich auf den Punkt.
Nochmal kurz zu den Gruppen, ich glaube da habe ich den Kern meiner damaligen Erkenntnis, wenn man so sagen will, nicht ganz präzise beschrieben: klar habe ich früher auch schon lange Phrasen oder Arpeggien in Gruppen zerlegt, auch das Rhythmisieren war mir bekannt. Was für mich neu bei Wei Tsin-Fu war, war die Idee, eine Gruppe auch als "anatomische Einheit" zu sehen, d.h. sich pro Gruppe Gedanken zu machen, wie man sie anatomisch ideal spielt (ich habe viel mit horizontalem Kippen des Handgelenks gearbeitet zum Beispiel oder auch mit Impulsen aus dem Unterarm oder dem Handgelenk). Und das dann eben gepaart mit der Idee, den gesamten Bewegungskomplex pro Gruppe zu internalisieren. (Ich ahne, dass sich Chiarina die Haare sträuben, wenn sie das liest :-)) Aber ich fand das gut damals, und es trug schnell Früchte, und das war auch der Grund, warum ich an den Rachmaninoff-Konzerten so begeistert dranblieb. Muss vielleicht auch dazu sagen, dass ich damals die Musik bzw. das Klavierspielen nicht "fulltime" betrieb, sondern ich studierte eigentlich Mathematik, was in den ersten Semestern sehr heftig ist. Daher kann man mich in keiner Hinsicht mit einem Student einer staatlichen Musikhochschule vergleichen, da ich einfach auf einem niedrigeren Level war. Ich sah mich stattdessen mit der Herausforderung konfrontiert, zu wissen, dass Musik bzw. das Klavier meine große Liebe ist und bleiben wird, und dass ich weitaus mehr dafür tun will, als es nebenher als ein "Hobby" (ein Wort, das ich in diesem Zusammenhang nicht leiden mag) zu betreiben. Dafür war das, was mir Wei Tsin-Fu damals geboten hat, perfekt, und ich bin ihm sehr dankbar dafür.
In den letzten zehn Jahren hatte ich keinen Klavierunterricht mehr, spiele aber sehr viel, habe ca. 40 Auftritte pro Jahr als Jazzpianist (im Sinne von improvisierter Musik) solo oder mit Band, wobei ich das, was ich spiele, eher als "Crossover" bezeichnen würde, irgendwo zwischen klassischem Sound und Jazz, vielleicht etwas in Richtung Keith Jarrett.
Dies nur zur Info für alle diejenigen, die sich fragen, warum ich nie versucht habe, an einer staatlichen Hochschule unterzukommen.
In den letzten zehn Jahren ohne Unterricht habe ich mich stets von den Ideen Wei Tsin-Fus genährt, vor allem die Trockenübungen mache ich fast täglich, und sie helfen mir, auch in Zeiten, in denen ich wenig zum Üben komme (ich arbeite fulltime als Mathematiker), meine "Technik" auf einem recht brauchbaren Level zu halten.
Vielleicht einigen wir uns also auf Folgendes (Rolf hatte es ja sinngemäß schon geschrieben): Wei Tsin Fus Unterricht ist vor allem auch für Leute wie mich geeignet, die sowas Verrücktes wie (intensiven) Klavierunterricht neben Mathestudium betreiben, und, wie Stilblüte so schön sagte, Stücke wie Rachmaninoff III heimlich üben würden, wenn sie sie im Unterricht nicht spielen "dürften"...einem Hochschulstudium entspricht es wohl nicht, denke ich, eher etwas zwischen normalem Unterricht und Hochschule. Aber ich muss sagen, dass ich Wei Tsin Fu auch nie ganz "ausgereizt" habe: er hatte zu jeder meiner Fragen immer Antworten, und zwar immer sehr inspirierte, gute und vor allem: funktionierten sie. Sie haben mir das Gefühl gegeben, bzw. haben es reell werden lassen, nach der Entscheidung gegen eine rein musikalische Karriere (die mir beim klassischen Klavier wohl auch gar nicht offen gestanden hätte) dennoch beliebig viel fürs Klavierspielen tun zu "dürfen" und diese magische Grenze zwischen staatlich studiert und nicht staatlich studiert etwas zu verschieben zu können. Und ich habe Wei Tsin-Fu eben nie ganz "ausgereizt", da ich den Eindruck hatte, ich hätte noch unendlich mehr Fragen stellen können und zu allem hätte er einen umsetzbaren Tipp gehabt. Vielleicht übertreibe ich, aber es hat sich mir damals so dargestellt.
So, liebe Forumsmitglieder, jetzt behellige ich Euch nicht weiter mit meinen persönlichen Erfahrungen bzw. meinem Werdegang (es sei denn, es gibt noch Fragen), wollte das aber noch als Hintergrund geschildert haben.

Viele Grüße
Sebastian
 

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