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chiarina
Guest
Ich kann aber sehr gut verstehen, dass viele Fragen auftauchen, die tatsächlich auch von den bisherigen "Fürsprechern" (markus, Hemiole und war es Clemens?) nicht beantwortet wurden. Ich würde mich freuen, wenn ich dazu beitragen kann.
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Ich könnte jetzt viel schreiben (bei vielem der vorherigen Beiträge war mir danach, ganze Romane zu verfassen ), aber möchte es lieber erst einmal bei dieser kurzen Vorstellung belassen und später - Euer Interesse vorausgesetzt - auf konkrete Fragen versuchen zu antworten.
Lieber Sebastian,
herzlich willkommen hier und herzlichen Dank für deine Bereitschaft, Fragen zu beantworten! Das ist sehr wohltuend!!!
Meine Fragen zitiere ich aus bereits gemachten Beiträgen. Letztendlich geht es mir darum, warum die Schüler oft so schlecht und unmusikalisch /klanglich schlecht spielen.
Denn das primäre Ziel ist bei der Schneemann-Methode, möglichst schnell Strukturen im Notentext erfassen zu können und die Kapazitäten des Gehirns optimal zu nutzen, wenn ich das richtig verstehe.
Mein primäres Ziel besteht hingegen darin, die Basis für ein grundlegendes Musikverständnis zu legen und zu lehren, wie die Klangvorstellung, die sich dabei ergibt, auf dem Klavier realisiert werden kann (=Technik). Musik ist also nicht Neben-, sondern absolute Hauptsache!!!
Ich zäume also das Pferd von der ganz anderen Seite auf! Mich wundert dann auch gar nicht, dass viele Schüler Wei Tsin Fu's eben so spielen, als hätten sie die Musik gar nicht verstanden. Dies wurde ihnen offensichtlich unzureichend beigebracht!!!
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Eine allerdings nicht verifizierte Theorie meinerseits ist, dass es für eine musikalische Ausbildung nicht gut ist, sofort in Akkorden zu denken. Denn geht man vom Singen aus, der natürlichsten Art des Menschen, Musik zu machen, so steht die Melodie an erster Stelle. In Akkorden kann man nicht singen und so ist die große Gefahr bei der Schneemann-Methode, die Akkordstrukturen an die erste Stelle setzt, mechanistisch in Griffbildern zu denken anstatt in Phrasen, Melodien, Intervallen. Die dann natürlich begleitet werden mit Hilfe von Quinten bzw. Akkorden. Ich habe den Verdacht, dass die horizontale Entwicklung von Klangschichten und Melodieverläufen kaum eine Rolle spielt, wenn man vorrangig in vertikalen Strukturen wie Akkorden denkt. Und gerade Akkorde sind musikalisch absolut komplex. Sie haben meist einen Ton als Bestandteil einer Melodie (oft der oberste, aber längst nicht immer), dann einen Basston als Fundament, dazwischen Klangschichten, die die Melodie färben. All dies muss dynamisch und klanglich entsprechend den Eigenschaften unseres Instruments austariert sein. Akkorde nur als Griffbilder zu sehen, kann da sehr kontraproduktiv sein. Nach meiner Meinung wird diese Theorie wird durch das Spiel vieler Schüler Wei Tsin Fu's bestätigt. Dass man mit der Schneemethode schnell bestimmte Strukturen im Notentext erfassen lernt und diese dann in Griffen umsetzt, bezweifle ich nicht. Aber die erfassten Strukturen entsprechen nicht den musikalischen Strukturen, sondern eher Griffmustern und führen zumindest zunächst einmal zu unmusikalischem Spiel.
Das, was von Clemens und Markus hier geschildert wurde, ist eine Methode, um schnell Notenlesen und aufgrund einer visuellen Verknüpfung die dazugehörigen Tasten drücken zu lernen.
Eine genuine Musikpädagogik hingegen geht vom Gehör und von musikalischen, nicht optischen Grundelementen (der Schneemann ist ein optisches Grundelement, das allein aufgrund der zufälligen Beschaffenheit des Notensystems existiert!) aus.
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Überdies ist es von einem musikalischen Standpunkt aus aus folgendem Grunde sehr ungünstig, gleich mit Akkorden einzusteigen:
Harmonisches Hören ist die komplexeste Anforderung, die es beim Musizieren gibt. Daher sind 1) die meisten Musikkulturen im Grunde a-harmonisch (in der europäischen gibt es Harmonik ja auch erst seit ein paar Jahrhunderten) und haben 2) die meisten Menschen auch keinen "Sinn" für Harmonik (d.h. sie können sie nicht in der eigentlich erforderlichen Weise differenziert wahrnehmen und genießen; wir müssen uns immer bewußt sein, daß jeder Mensch auf ganz individuelle Weise hört! Wo ich eine geile Akkordfolge höre und die Modulation feiere, hören die meisten nur ein Wischiwaschi. Gutes Beispiel sind auch chinesische Klassikspieler, die ja in ihrer Musikkultur keine Harmonik im engeren Sinne kennen und daher oft kein Gespür für die Bedeutung der Harmonien in den gespielten Stücken haben - das weiß ich aus höchstpersönlichen Bekanntschaften).
Harmonik muß nicht über Kügelchen auf dem Papier und entsprechende Tastendrücke eingeführt werden, sondern über 2stimmige Intervalle, die es zunächst zu internalisieren gilt, gewissermaßen als "Grundfarben, mit denen gemalt wird", und, damit zusammenhängend, über typische tonale Spannungs- und Auflösungsverhältnisse als horizontale Komponente. Daher ist zum Lernen der musikalisch zweckmäßigen Hörweise am Anfang die Zweistimmigkeit das Richtige, und bereits Bach hat dies völlig richtig erkannt und in seinen Lehrwerken so umgesetzt, also keine homophonen Akkord-Etüden, sondern beispielsweise die 2stimmigen Inventionen geschrieben.
Man muß von Anfang an so lernen, weil das, was am allerersten Anfang geschieht, sich am eindrücklichsten im Hirn festsetzt. Man kann also NICHT erst Schneemänner lernen und dann zum Zweistimmigen "zurückkehren", weil dann nämlich das Zweistimmige auf unzweckmäßige Weise vom Schüler wahrgenommen wird und somit der Weg zur richtigen Wahrnehmung sehr wahrscheinlich verbaut ist.
Leider ist der beste Weg nicht unbedingt der schnellste, und das wird sich auch im Zeitalter der Smartphones und Hirnforscher nicht ändern.
Wie stehst du denn dazu, dass man auch via Internet an der Akademie studieren kann?
Ich freue mich sehr, wenn du zu diesen Punkten Stellung nimmst! Eine Frage noch: bist du Schüler oder Lehrer, hast du also beruflich mit Klavierspielen und Klavierunterricht zu tun?
Liebe Grüße
chiarina