Hmm, aber wenn der Weg das Ziel ist, dann ist ankommen doch sch...
... schlecht ...
Dem würde ich voll und ganz zustimmen.
Wenn der Weg das Ziel ist, nimmt man sich die Freude am Ankommen. Normalerweise freut man sich, wenn man sein Ziel erreicht, nach einem langen Tag auf der Autobahn endlich ins Bett sinken und schlafen kann, vielleicht jemanden wiedersieht, den man lange nicht gesehen hat oder an einer Veranstaltung teilnimmt, auf die man sich gefreut hat, aber beim Klavierspielen lernen wird einem das versagt. Weil es immer nur ein Schritt auf einem Weg ist, der nie endet.
Das ist psychologisch betrachtet ungünstig, denn jeder Mensch braucht eine Belohnung, sonst macht er nicht weiter (außer sein Leben ist bedroht und er kämpft dagegen an, zu verdursten oder zu verhungern. Dann ist die Belohnung das Überleben oder die Hoffnung darauf. Das ist aber in diesem Fall nicht gegeben
).
Deshalb werfen auch so viele das Handtuch, glaube ich. Vor allem, wenn man entweder autodidaktisch lernt und keinen richtigen Plan hat, oder auch, wenn man eine/n schlechte/n Lehrer/in hat, wo man nicht weiterkommt. Oder das Gefühl hat, nicht weiterzukommen. Manchmal kommt man ja weiter und merkt es selbst gar nicht so, weil die Fortschritte klein sind.
Da kommen die kleinen Zwischenziele ins Spiel. Wenn man nur ein ganz großes Ziel hat, wird es vielleicht schwierig werden (je nachdem, was für ein Mensch man ist), denn es dauert lange, das zu erreichen, und da kann man dann metaphorisch gesprochen auf dem Weg dahin verhungern. Aber ein kleines Ziel, das ich heute, diese Woche oder diesen Monat erreichen kann, kann mich am Laufen halten. Denn dann bekomme ich meine Belohnung (im Kopf, im Belohnungszentrum im Gehirn), sobald ich dieses kleine Ziel erreicht habe, auch wenn das große Ziel noch in weiter Ferne ist.
Aus diesem Grund würde ich sagen, nicht der Weg ist das Ziel, sondern das nächste kleine Zwischenziel, der nächste Meilenstein auf dem Weg, ist das Ziel, das ich erreichen will und für das ich mir dann auf die Schulter klopfen kann. So hangelt man sich von kleiner Belohnung zu kleiner Belohnung und wird nie müde, das große Ziel zu verfolgen. Selbst wenn man es tatsächlich nie erreicht. Man hat aber immer das Gefühl, man hätte zumindest ETWAS erreicht.
Deshalb habe ich mir jetzt kleine Meilensteine gesetzt. Ich habe einen Plan für die nächsten drei Monate gemacht, alle Tonleitern ordentlich spielen zu lernen. Jede Woche eine neue Tonleiter, in 12 Wochen also alle 12 Tonleitern durch. Dafür habe ich mir ein kleines Buch mit allen Tonleitern, Akkorden und Kadenzen gekauft (
https://www.alfredmusic.de/instrumente/the-basic-book-of-scales-chords-arpeggios-cadences.html), damit ich das ganz gezielt angehen kann. Wenn ich die dort angegebene "Große Form" erreicht habe, ist das auf jeden Fall ein großer Schritt.
Gleichzeitig die 1. Invention von Bach für den nächsten Monat. Wenn ich länger als 3 oder 4 Wochen brauche, um die zu lernen, ist sie noch zu schwer für mich. Glaube ich aber nicht. Ich habe jetzt damit angefangen, und die ersten 5 Takte sind bis zur nächsten Klavierstunde fällig. Danach dann im nächsten Monat die nächste Invention und im darauffolgenden Monat die nächste. Denn die gefallen mir wirklich gut. Da bleibe ich motiviert. Kein Stück und kein Komponist kann mich bis jetzt so motivieren wie Bach. Er hat einfach etwas, das die anderen nicht haben.
So habe ich nun einen Plan für die nächsten 3 Monate, alle Tonleitern, Akkorde, Kadenzen und dazu 3 Inventionen. Das ist überschaubar und klar, und sobald ich das erreicht habe, habe ich den ersten etwas größeren Meilenstein passiert. Dann kommt der nächste Meilenstein, den ich auf dem Weg sehen kann. Welcher das ist, weiß ich jetzt noch nicht. Das werde ich dann mit meiner Klavierlehrerin zusammen festlegen.
Ich fand immer, dass "Der Weg ist das Ziel" ein sehr zweischneidiger Spruch ist. Er kann motivierend sein, aber er kann auch sehr demotivierend sein, wenn man das Ziel nicht sehen kann oder gerade ein Tief hat und den Weg nicht besonders spannend oder inspirierend findet. Wenn man sich aber ein kleines Zwischenziel setzt, das man schon am Horizont sehen kann, bewegt man sich leichter darauf zu. Wie bei einer Bergwanderung, wo man zwar den Gipfel erreichen will, aber sich zuerst einmal das Ziel setzt, die nächste Hütte zu erreichen oder was immer auf dem Weg liegt. Hätte man immer nur den Gipfel vor Augen, könnte man leicht den Mut verlieren, aber die nächste Hütte oder die nächste Lichtung oder der nächste Aufstieg, das ist erreichbar. Und zum Schluss kommt man dann auf dem Gipfel an.
Auch beim Klavierspielen kommt man irgendwann auf seinem eigenen persönlichen Gipfel an. Bei dem, was man mit seiner Zeit und seinen Fähigkeiten erreichen kann. Und wo man den Ausblick genießen kann. Auch wenn es vielleicht noch einen höheren Gipfel gibt, den man nicht erreichen kann, der nur für Profis reserviert ist, die von ihrem 3. Lebensjahr an jeden Tag 12 Stunden geübt haben. Aber das ist nichts, was man anstreben oder erreichen muss, wenn man erst später im Leben mit dem Klavierspielen anfängt. Deshalb muss man sich darüber keine Gedanken machen.
Also nicht "Der Weg ist das Ziel", sondern "Der nächste sichtbare oder in relativ kurzer Zeit erreichbare Meilenstein ist das (Zwischen)Ziel". Damit kommt man bestimmt auf die Dauer Stück für Stück weiter.