Natürlich kann letztlich jeder spielen wie er will - das hatten wir schon mal. :D
Dennoch möchte ich mal zur Sprache bringen, dass mir die Begriffe "Interpretation" und "Geschmack", wie sie hier im Forum häufig benutzt werden, manchmal Sodbrennen bereiten.
Ich denke, gerade der Anfänger oder der fortgeschrittene Anfänger, sollte zunächst mal die Wichtigkeit der eigenen Person, des eigenen "Geschmacks" zurück nehmen und nach der "Wahrheit" suchen.
Ein kleines Beispiel: Eine diskussionsfreudige Schülerin spielt "Morgen kommt der Weihnachtsmann". Bei den "Ga-ben" betont sie ziemlich unwirsch die letzte Silbe, das "-ben" Ich spiel es ihr mit korrekter Betonung vor und frage: "Was hörst Du? Was habe ich anders gemacht?"
"Du hast die letzte Note leiser gespielt, aber das ist doch Geschmacksache, ich interpretier das eben anders." - "Nun, Du interpretierst das also anders, sing's mir doch mal vor. "Ich kann doch nicht singen" - "Na dann sing ich es Dir vor: ... bringt uns viele Gabeeen" Darauf musste sie schallen lachen und war überzeugt.
Leider ist es bei einer Bach Invention nicht so einfach und klar, es gibt keinen Text, meistens auch keine Bögen, dennoch verstecken sich in so einem Notentext ganz viele "Ga-ben", die eben richtig betont werden wollen. Ich behaupte, da ist nicht alles Interpretations- oder Geschmacksache.
Meine Aufgabe als Lehrer sehe ich in erster Linie darin, dem Schüler/Studenten beizubringen wie man einen Notentext korrekt liest und sinnvoll umsetzt, sicher ist das nicht immer einfach und manches ist am Ende doch eine Frage der Interpretation. Meiner Erfahrung nach benutzt der Schüler aber zu oft das Argument "meine Interpretation" um die Lösung musikalischer Aufgaben zu umgehen und da nehme ich mir schon heraus, dem einen oder anderen "die Flügel zu stutzen" natürlich in humorvoller, liebevoller Weise.
Hallo Franz,
so wie das Notenlesen, Rhytmuslehre usw. in den Klavierunterricht gehören, gehört auch die Entwicklung des musikalischen Geschmackes und Urteils, sowie die klangliche und musikalische Entwicklung in den Unterricht.
Man lernt dem Schüler, daß ein
sforzato eine Betonung heißt.
Da freuen sich plötzlich die kleinen Schüler: Ahhh, jetzt kommt gleich ein
sforzato
Und der Klavierlehrer sucht schnell wo er Entdeckung gehen kann..... :D:D
Kleiner Scherz!
Nein, was ich damit sagen will ist, der Schüler muß lernen, daß man bei einem sforzato nicht willkürlich laut spielen kann, sondern er muß das sforzato musikalisch begreifen, daß sforzato zwar betont heißt, aber man nicht so reindreschen kann, wie man will.
Das gilt auch für Melodiephrasen, die bestimmte Höhepunkte und wenigere Höhepunkte zwischen den einzelnen Noten besitzen und nicht nach Belieben der x- Ton betont werden darf, und dasselbe gilt auch für Dynamik usw.
Um einem Schüler z. B. eine Phrasierung fühlbar zu machen, spiele ich es ihm mit auffallend schlechter Phrasierung vor, oder zum Beispiel an falschen Stellen anhalten, d. h. nicht direkt bei Halb- oder Ganzschlüssen und frage ihn dann, ob es so richtig war. Wenn der Schüler "Nein" sagt, wird er bereits zum Nachdenken und Bessermachen motiviert. Aber auch mit Singen, wie Du es beschrieben hast, kann sehr viel erklärt werden. Oder auch erklären: Auch ein Klavier sollte atmen, oder auch Melodieen haben Kommas und Punkte usw.
Das alles hat jetzt aber
nichts mit Geschmack des Schülers zu tun, sondern mit der klanglichen und musikalischen Entwicklung, diese der Schüler nicht bekommt, wenn der Lehrer sie ihm nicht lehrt.
Der Schüler muß neben den Notenlesen im Klavierunterricht auch Musik verstehen lernen.
Somit sind schlechte Pharsierungen, übertriebene sforzato, falsche Betonungen von einzelner Noten in einer Melodie, wie Du es in jenem Weihnachtslied beschrieben hast, genauso schlecht, wie wenn man falsche Noten spielt.
Solche Fehler haben nichts mit der individuellen Interpretation oder Geschmacksache zu tun, sondern das Fehlen der klanglichen und musikalischen Entwicklung.
Ansonsten ist Interpretation natürlich Geschmacksache, in denen der Interpret seine Musikvorstellung auf seine Weise gibt.
Nur hört man bei einer Interpretation sehr wohl, ob es jetzt individuelle Geschmacksache ist (dann ist sie mit Gewißheit eine schöne Interpretation),
oder es an
fehlender klanglicher und musikalischen Entwicklung oder es sogar an der
Klaviertechnik fehlt.
Liebe Grüße, Mario