Ergänze: eine "Analyse" muss nicht unbedingt rational-verstandesmäßig erfolgen - das geht auch intuitiv.
Lieber Dreiklang,
das ist keine Ergänzung, vielmehr hatte ich zum Thema Intuition - Ratio bereits geschrieben:
Begabte Menschen spielen z.B. die unterschiedliche Spannung von unterschiedlichen Intervallen oft intuitiv richtig. Es wird aber noch ein ganz anderer Schuh draus, wenn sie diese Spannung BEWUSST reflektieren, wahrnehmen und benennen können, indem sie Intervalle singen, hören, erkennen u.v.a.m. Dann verbindet sich Intuition mit Reflexion und der Ausdruck sowie das Verstehen und letztlich Deuten wird eine ganz andere Qualität haben.
Dazu eine Geschichte in eigener Sache: ich habe aus meiner Sicht intuitiv vieles richtig gemacht in meiner Jugend. Die Beschäftigung mit Generalbass, Formenlehre, Harmonielehre etc. haben jedoch mein Gehör und mein Verständnis von Musik enorm geschult. Dadurch wurde mein Denken, Hören und Fühlen sehr viel klarer und ich habe nun viel mehr Möglichkeiten, als ich früher hatte. Heute weiß ich, WARUM ich so oder so spiele. Ich kann mich entscheiden und ich kann begründen, warum ich was wie spiele und bleibe nicht der Intuition allein überlassen. Denn die lag, man höre und staune, auch durchaus falsch.
Ich habe in der Zeit mal Brendel mit Schubert gehört. Ich war vollkommen begeistert und fasziniert. Mein Problem aber war, dass ich nicht sagen konnte, WARUM mir das so gefallen hat und was Brendel denn gemacht hat, dass es mich so berührt hat. Du redest ja oft von "schöner Musik". Ich bin neugierig und will wissen, warum es denn anders klingt als bei anderen, was das besondere ist. Mir reicht es nicht, zu sagen, das hat mir besonders gut gefallen, das hat mich in besonderer Weise berührt. Ich will was lernen und von den Besten lernen! Was machen sie, was ich nicht kann! Und erst später mit zunehmender Hörschulung, Erfahrung und deutlich mehr Wissen wurde mir klar, dass bei Brendel die Klangbalance, die Plastizität und Gestaltung der einzelnen Stimmen so wunderbar und besonders war.
Zum Thema Intuition außerdem aus
dieser Quelle:
"Maßgeblichen Einfluss auf das Verständnis von Intuition hatte der kanadisch-amerikanische Psychiater Eric Berne, der die
Transaktionsanalyse entwickelte. Seine Definition lautet folgendermaßen:
Eine Intuition ist Wissen, das auf Erfahrung beruht und durch direkten Kontakt mit dem Wahrgenommenen erworben wird, ohne daß der intuitiv Wahrnehmende sich oder anderen genau erklären kann, wie er zu der Schlussfolgerung gekommen ist.
Wenn Intuition allerdings auf Erfahrung beruht, ist festzustellen, dass nicht jeder Mensch dieselben Erfahrungen macht. Der Erfahrungshorizont eines Menschen ist geprägt von seiner Sozialisation und damit Teil der Kultur. Wer also intuitiv handelt, urteilt immer auch vor dem Hintergrund seiner persönlichen Entwicklung in dieser Kultur.
Intuition ist damit nicht automatisch gut oder schlecht, sie kann ebenso gut qualifiziert wie unqualifiziert sein, sich zwischen falsch oder richtig, engstirnig oder weitsichtig bewegen. Ebenso haben Tabus Auswirkungen auf Intuition, indem eine Situation einfach anders interpretiert beziehungsweise bestimmte Aspekte ausgeblendet werden."
Intuition speist sich aus Wissen und für eine Interpretation, die diesen Namen verdient, sind sowohl Intuition wie auch Ratio unbedingt nötig. Der Meinung sind auch alle großen Interpreten. Pogorelich, für seine extravaganten Interpretationen berühmt,
sagt:
„Meine Chopin-Interpretation ist nicht nur extravagant, sie ist das Ergebnis eines wohlüberlegten Konzepts, das auf dem Notentext und den Quellen beruht.“
Brendel sagt im
Interview:
Sie haben hierzulande nicht nur Konzerte gegeben, sondern auch Masterklassen geleitet. Kann man einem jungen Klavierspieler raten, wie er spielen soll, wie er ein guter Pianist wird?
„Wie man spielen soll? Das kommt zunächst sehr darauf an, wie der Betreffende oder die Betreffende bereits spielt, und dann kann man einhaken. Ein Rat, den ich allen jungen Pianisten gebe, ist, Komposition zu studieren und eine Zeit lang zu komponieren. Auch wenn sie nicht Komponisten bleiben, ist es eine ganz wichtige Erfahrung, auch für den Interpreten, zu wissen, wie man ein Stück vom ersten bis zum letzten Ton führt. Es ist auch wichtig zu wissen, wie man ein Stück niederschreibt und was diese Niederschrift bedeutet. Dadurch erhält man dann eine andere Perspektive, wenn man sich an die großen älteren Komponisten hält.“
Ist es also wichtig, intellektuell an das Werk heranzugehen und sich nicht nur auf die Intuition zu verlassen?
„Beides ist wichtig, eine Kombination aus beidem. Ich würde sagen, es beginnt mit dem Gefühl und endet mit dem Gefühl. Der Verstand aber, der Intellekt, ist dazu da, das Gefühl zu filtern, er ermöglicht das Kunstwerk erst. Also der Intellekt verwandelt das Chaos in Ordnung. Es sollte aber immer etwas Chaos durch die Ordnung schimmern, wie Novalis gesagt hat.“
Wenn es dich interessiert, über Glenn Gould:
https://hiram7.wordpress.com/2007/08/11/glenn-gould-–-die-biografie/, daraus:
"Es ist eine Arbeitsweise, die Kontrolle, Genauigkeit, Überprüfung und Korrektur zulässt und damit dem Künstler Gould entgegenkommt, der immer betont, dass ein Musikstück nicht während des Spielens seine endgültige Form finde, sondern unabhängig von jeder Aufführung bereits als Idee existiere, als fertiges Stück in der Vorstellung vorhanden sei."
Auch Gould, der übrigens auch komponiert hat, hat sich intensiv mit den musikalischen Strukturen in den Stücken, die er spielte, beschäftigt. Niemals ist bei ihm etwas beliebig, niemals speisen sich seine Interpretationen nur aus seiner Intuition. Im Gegenteil!
Es gibt viel, viel mehr Beispiele, im Grunde alle.
Das hier
Ergänze auch hier: intuitives Verstehen genügt.
ist nur dann richtig, wenn du es auf dich beziehst. Intuitives Verstehen genügt DIR und das ist auch völlig in Ordnung so.
Pianisten und denen, die es werden wollen, genügt es nicht. Auch Schüler motiviert es sehr, ihre Wahrnehmung zu schärfen, ein Stück zu verstehen und immer neue Aha-Effekte zu erleben.
Diesem würde ich nicht unbedingt widersprechen. Aber nicht nur Wissen, und Verstehen, spielen eine Rolle in der Musik - die Emotion ebenfalls. Musik berührt. Ich meine irgendwo gelesen zu haben, es gibt überhaupt keine Musik, die keine emotionale Reaktion beim Menschen hervorruft.
Selbstverständlich! Ich hatte das Wort "spüren" verwendet und meinte damit auch die emotionale Seite.
Fortsetzung folgt - Beitrag leider zu lang