Interessantes Thema! (ich meine Handgröße, nicht das Komponistenstichspiel, das jegliche Musikdiskussion zu töten vermag)
Folgendes schreibe ich aus dem Gedächtnis, das sich irren mag.
Was Beethoven angeht, scheint er in allen Perioden von einer maximalen Spanne einer Dezime ausgegangen zu sein. Genauer gesagt: alle kleinen Dezimen und die großen Dezimen zwischen 2 weißen oder 2 schwarzen Tasten*. Für alles weitere wird, so weit ich weiß, ein eindeutige Anweisung zum Arpeggieren gegeben (zB Mondschein-Sonate 3. Satz h-gis'-dis''). Diese Grenze ist wahrscheinlich ein Indiz für die eigene Handgröße gewesen. Es stimmt auch, dass in den meisten Passagen die Oktave als Grenze gilt. Das ist vielleicht eine Folge der damals konventionellen Bequemlichkeit.
*all diese Dezimen findet man u.a. am Anfang von Op2 #3, im 2. Satz von Op81a, im 3. Satz von Op106.
Also was ist mit der Bequemlichkeit nach damaliger Konvention? Als Grundregel kann man unterstellen, dass die Oktave als Grenze galt. Bei Mozart kenne ich nur eine Ausnahme (Anfang von K379, Akkord c'-g'-d"). Von Haydn und CPE Bach fällt mir nichts ein. Wenn bei Beethoven diese Regel noch größtenteils zu gelten scheint (wie vom TE bemerkt), gibt es doch einige markante Gegenbeispiele, wie die Nonen im 1. Satz der Mondscheinsonate.
Titelouze (16. Jh) hat, soweit ich mich erinnere, in einem Vorwort sinngemäß geschrieben, es sei üblich, auf Intervallen, die größer als eine Oktave sind, zu verzichten, er aber halte sich nicht daran, setze ohne weiteres Dezimen, weil doch jeder Mensch die Dezime greifen kann.
Bei Byrd und Bull gibt es keine überlieferte ausdrückliche Erwähnung, aber in deren Werken sind einige unvermeidbare Dezimen, nämlich die gleichen wie bei Beethoven mit Ausnahme von Fis-ais. Das Arpeggieren ist m.E. hier kein Thema, denn die Töne müssen gehalten werden. (NB hier muss man bei der Analyse wegen der kurzen Oktave sehr gut aufpassen.)
Bei Sweelinck könnte man sich fragen, ob er für manche größere Intervalle die Hilfe des Orgelpedals voraussetzte. Wenn man glaubt, das alles, was in den Manualzeilen steht, mit den Händen zu spielen ist, muss man die kleinen Dezimen zwischen 1 schwarzen und 1 weißen Taste greifen können. Ähnliches gilt für seine Nachfolger.
Eine interessant Entwicklung ist bei der frz. Barockmusik zu beachten. Bei Chambonnières (~1670) werden noch etliche Dezimen in der linken Hand verlangt. Spätestens bei F. Couperin und Rameau ist aber die Oktave eine absolute Höchstgrenze, trotz teilweise sehr großer Virtuosität.
Ich meine, gelesen zu haben, dass J.S. Bach besonders große Hände hatte. Es stimmt jedenfalls, dass in seinen Klaviersätzen Dezimen gelegentlich vorkommen. Vor allem in Frühwerken, habe ich den Eindruck. Hierzu müsste es irgendwo genauere Information geben...
Danach kommen wir allmählich zu einem Zeitalter, in dem das Dämpferpedal zunehmend wichtig wurde. Das bedeutet, dass Komponisten Akkorde schrieben, in der Erwartung, dass sie arpeggiert und vom Pedal gehalten werden. Dementsprechend wird es schwierig, eindeutige Hinweise zur Höchsthandspanne zu erkennen.
Einen interessanten Fall bildet C.M. von Weber. Ich kenne bei weitem sein Schaffen nicht umfassend, aber würde anhand dessen, was ich kenne, behaupten, dass ihm die Akkorde B-f-as-d' und es-b-es'-g' in der linken Hand greifbar waren. Ich glaube, er war zu seiner Zeit wegen der Größe seiner Hände und die dadurch ermöglichten Sonoritäten, die er tatsächlich einsetzte, berühmt.
Eine nicht zu arpeggierende Dezime kommt bei Liszt, mit Ausnahme etlicher früheren Werke, selten vor.
Berlioz gab in seinem Buch über das Orchestrieren die Dezime als größte auf dem Klavier ausführbare Intervalle an.
Es gibt also zwei Faktoren, die für dieses Thema im Werk eines Komponisten ausschlaggebend sind: die Größe der eigenen Hand, und die Klaviersatzkonvention des jeweiligen Zeitalters. Meine Konklusion wäre also: Beethovens hat die oben genannten Dezimen greifen können, und setzte diese auch gelegentlich in seinen Werken ein, obwohl sie in der damaligen Tradition eher unüblich waren. Davor und danach hat es Perioden gegeben, wo die Tradition durchaus größere Intervallen zuließ. Bei dieser Analyse spielt Tastengröße keine Rolle, wenn wir zunächst annehmen, dass jeder Komponist für die für seine Zeit übliche Tastatur komponierte.