Schade dass es so ist ,denn es kann auch ein Ziel sein, dass jeder Ton der Tonleiter mit Klang erfüllt ist, dass die aufstrebende und abfallende Linie hörbar wird, dass bestimmte dynamische Aufgaben umgesetzt werden, und dass letztlich aus jeder Übung, aus jeder Tonleiter Musik wird zumindest als innere Haltung und Anspruch, das strebe ich an.
Ich habe es auch nicht verstanden. Bei mir klingen Fingerübungen und jede Tonleiter abgedroschen, keinesfalls nach Musik. Und so schlimm kann das ja nicht sein, wenn Rolf schreibt, dass gespiegelte Fingerübungen sinnvoll sind. Ich finde sie gut, mache sie aber nur selten wegen des scheußlichen Klangs derselben.
Dass Tonleitern bei mir nicht schön klingen ist jetzt so und es war schon so, als ich noch Klavierunterricht hatte.
Was ich schon in meinem Post zu Beginn meinte - aber ok, ich bin, obgleich ich nun Klavier studiere, bei weitem (noch..haha) kein Profi, aber das ist meine Erfahrung - ist eine mögliche Herangehensweise hier die, dass man versucht zu verstehen, in welchem musikalischen Kontext solche Strukturen, wie sie bei den Fingerübungen zu finden sind, normalerweise vorkommen, und welche "Funktion" sie hier erfüllen.
Was hier "verstehen" heißt, ist natürlich höchst individuell, und auch stark von der eigenen Spielerfahrung abhängig.
Aber bleiben wir mal z.B. bei Tonleitern.
1.) Tonleiterartige Läufe gibt es ja auch in vielen Sonaten der Klassik, hier häufig auch mit Harmonien unterlegt, welche auch dabei helfen können zu verstehen, was ein sinnvoller Spannungsaufbau bei so einem Lauf ist (zur Dominante hinspielen, von der Dominante wegspielen, etc.). Der Grundtonus des Laufes hängt vielleicht mit der Funktion zusammen, welche ich weiter oben angesprochen habe. z.B. Majestätische Eröffnung, wie beim Beginn von Beethovens 3. Klavierkonzert, verspielte Zwischenspiele, wie bei der Haydn Sonate in Es-Dur, ein "wütender Sturm" wie bei der Brahms Rhapsodie op. 79 no. 1, ... Durch Werkstudium sieht man hier auf jeden Fall, dass es unglaublich viele musikalisch sinnvolle Möglichkeiten gibt eine Tonleiter zu spielen, und es auch ganz viele verschiedene "Zwecke" gibt, diese in Stücken einzusetzen.
Auf jeden Fall ist es hier nun möglich sich zu überlegen, wie man sich einen solchen Lauf/Tonleiter eingebettet in einen größeren Kontext sinnvoll vorstellen könnte. Wichtig dafür ist allerdings auch der 2. Punkt der nun folgt.
2.) Nun kann man sich überlegen welche Gestaltungsmöglichkeiten man bei so einem Lauf/einer Tonleiter hat:
- Der Anschlag: Zwischen verspieltem leggiero und klebrigem legato ist alles möglich, der Anschlag kann sich auch beim Spielen des Laufes/der Tonleiter kontinuierlich ändern.
- Die Dynamik.
- Agogik
- Vielleicht sogar ein homöopathischer Pedaleinsatz
- ...
3.) Nachdem man sich die Parameter überlegt hat, an denen man drehen kann, kann man sich überlegen, wie man diese Parameter im musikalischen Kontext ,den man bei 1) schon genauer analysiert hat, verwenden kann, um dem Zwecke dienlich zu sein.
4.) Man kann das alles auch mit anderen Musikstücken wiederholen, bzw. mit wachsender Spielerfahrung stellt sich intuitiv ein, was ein "musikalisches Spiel einer Tonleiter" eigentlich je nach Kontext bedeuten kann. Man sieht, dass dann der eigentliche Zweck dieses Tonleiterspiels dabei liegen kann, die vollkommene Beherrschung der Modulation der unter (2) aufgezählten Parameter zu trainieren und zwar als direkte Umsetzung der eigenen Klangvorstellung, welche, damit sie sinnvoll ist, an einen musikalischen "Kontext" gebunden ist, welchen der geübtere Spieler so nicht mehr "explizit" braucht, um zu wissen was sinnvoll ist.
Und dies kann man sich nun auch bei anderen Fingerübungen so überlegen. Aber wenn ich Fingerübungen außerhalb eines wie auch immer gearteten musikalischen Kontextes übe, und im schlimmsten Fall nicht mal weiß, welche "verstellbaren Parameter" mein Spiel überhaupt hat, dann ist es halt wirklich überhaupt nicht zweckdienlich. Weil was man beim Klavierspiel im Ernstfall benötigt, ist eine perfekte Anschlagskontrolle, die der eigenen musikalischen Vorstellung untergeordnet ist und diese intuitiv perfekt umsetzt. Und beim Üben von Fingerübungen, zum Zwecke der Fingerstärkung, -streckung, -stauchung, -verknotung, ohne sich über die musikalische Bedeutung und akustische (!) Auswirkung der Bewegungen im Klaren zu sein, übt man dann halt nichts, was man für das Klavierspiel wirklich benötigt.
Und um ein letztes Gleichnis zu bemühen (es gibt ja bekanntlich Menschen die Metaphern besser verstehen, als rational-logische Argumentation, wobei ich nun wertungsfrei beide Ansätze respektabel finde): Wenn man zeichnet, würde man doch auch nicht auf die Idee kommen Zeichentechniken unabhängig von einem Motiv zu üben. Im schlimmsten Fall zeichnet man einen Hell-Dunkel-Verlauf. Aber halt in einer Art und Weise, wie man diesen Hell-Dunkel-Verlauf auch bei einem echten Motiv vorfinden würde. Man übt ja nicht blind das Zeichnen gerader Linie, der geraden Linie wegen, sondern weil man gerade Linien auch so im Bild verwenden möchte. Und vor allem sagt man ja nicht "Ich übe das Zeichnen gerader Linien, weil mein Handgelenk zu schwach ist um in einem großformatigen Gemälde lange gerade Linien zu zeichnen". Hier weiß halt jeder Mensch, der von Geburt an sieht, was der "optische Kontext" ist, in dem solche Techniken verwendet werden müssen. Das ist bei der Musik wohl etwas schwieriger, weil sie nicht so omnipräsent ist, wie die in der bildenden Kunst umgesetzte optische Eindrücke.
Entschuldigt die Kettensätze, und wie gesagt, ich bin erst am Anfang meines Studiums, und dementsprechend erhebe ich keinen Anspruch darauf, dass das hier wirklich die ultimative Wahrheit darstellt. Es ist meine Meinung bei meinem aktuellen Stand.