Rim, Ecken, Patente, Goldmedaillen, Strads, Medienkriege und anderes Uninteressante
Zum "Rim": man betrachte mal dieses Bild eines uralten Steinway-Flügels. Er steht z.Zt. noch unrestauriert in Hampshire, USA-Oststaaten. Es ist die Nr. 35025 vom Baujahr 1877.
Rechts am hinteren Ende der Diskantwand weg vom Pianisten gibt es einen scharfkantigen Übergang. Nach links schwenkt die "Hohlwand" weg zum hinteren Flügelende. Sie ist hier noch ein massives, unter Dampf gebogenes Brett. Dieses Gehäuse ist also noch ein sogenanntes "constructed case", ein aus Einzelteilen zusammengesetztes Flügelgehäuse mit Eckleisten an zwei Übergangsstellen, am Ende der Diskantwand, und nochmal eine am Ende der langen Basswand.
Interessant wird das Instrument in zweierlei Hinsicht: es wurde gebaut unmittelbar bevor Theo Steinweg die neuere, angeblich bessere, heutige Machart in die Serie umsetzte, das "Rim-Patent". 1878, ein Jahr nach diesem Flügel, kamen die ersten (kleinen) Flügel mit dem "contiguous rim", der umlaufenden, ohne scharfe Ecken auskommenden Gehäusewand. Die allerersten Modelle A-182 (ja, damals noch 6 cm weniger..) und B-211. Ab 1881 wurde dann das große Modell D ebenso mit Conti-Rim gebaut.
Der letzte Steinway-Flügel nach Altvätersitte war der sogenante "Parlor Grand Style II", den man als Vorläufer des C-Flügels noch bis 1886 konventionell baute: mit dampfgebogener Hohlwand und verleimten Eckleisten.
Genau die Flügel des oben gezeigten Types sind auch diejenigen (meines Wissens einzigen) Klaviere, in deren Bauzeit 1875-1884 es hälftig, 1875-81 nach "Muster alt" das gebaute Gehäuse gibt, und hälftig ab Baujahr 1881 bis 1884 den "contiguous rim"; die durchlaufende Flügelkontur.
Es handelt sich bei den 424 Instrumenten angeblich um die besten jemals in der Geschichte der Klaviere gebauten Flügel. Es sind auch, nebenbei, Steinways schwerste je hergestellte Serienbauten: die sogenannten "Centennial D". Mit ihnen sollte sich der Sinnspruch erfüllen, den der Vater dem Unternehmen mitgab: "To build the best pianos possible". Vater Steinweg hatte es jedoch nicht mehr erlebt: der Typ Centennial kam vier Jahre nach seinem Tode 1871 heraus. Mit diesem Typ gewann das Unternehmen auf der Weltausstellung in Philadelphia den Wettbewerb der Klavierbauer mit der Goldmedaille. Die "Centennial Exhibition", die Ausstellung zur Feier von einhundert Jahren Bestand US-Verfassung.
Das war der Beginn der sogenannten "piano war" (Klavierkriege) in den USA, in dem sich die wettbewerbenden Hersteller gegenseitig der Bestechung der Jury und anderer schmutziger Dinge etc. bezichtigten. Vor allem der New Yorker Konkurrent Weber war der Auffassung, dass seine Klaviere die besseren gewesen seien.. Die Streitereien zogen sich medienwirksam über Jahre hin.
Weil, es kann ja einfach nicht sein, dasss da einer einfach mal behaupte, das seien die besten Klaviere der Erde...
Frechheit aber auch! ..
In Österreich, in Hainburg an der Grenze zu Tschechien, wird gerade einer der letzten Centennial D verkauft, Baujahr 1884. Der Klaviermachermeister nennt ihn "Stradivary (sic) of the pianos". Mit Y.
Sei es, wie dem auch sei. Sie klingen wundervoll.
Das Wort "rim" ist allerdings doppeldeutig. Es heißt zum einen allgemein "Gehäuse", egal, wie das gebaut wurde. Im engeren Sinne ist der Rim bei Flügeln seither das in einem Stück aus verleimten Furnier-Schichten erstellte, durchlaufende Außenprofil des Flügels, verspannt für einen Tag zum Abbinden der Leimschichten auf dem Rim-Biegeblock.
Heute machen das fast alle Klaveirhersteller so, nur Bösendorfer stellt noch einzelne Instrumente in "constructed rim" her, zB den riesigen Imperial-Flügel mit 2,90m.
Hier das das Bild der dementsprechenden Patent-Anmeldung für die Biege-Vorrichtung.
Ein Mann in New York City, Marc Wienert, nennt vier von diesen Flügeln sein Eigen. Mindenstens einer hat den "conti rim". Eine Tabelle dieser Instrumente steht jetzt bei 44 Stück, die mit Standort und meist mit Seriennummer bekannt sind. Einer ist der Flügel von Richard Wagner in der Villa Wahnfried in Bayreuth. Franz Liszt hatte auch einen, aber der ist abhanden gekommen. Möglicherweise stecken die Teile des allerersten je gebauten Centennial D (Nr. 33.610 vom Dezember 1875) in den ausgebombten Trümmern und Fundamenten der ersten deutschen Fabrik in Hamburg in der Schanzenstraße - wohin er 1876 ausgeliefert worden war. Seither ist sein Verbleib unbekannt.
Es dürfte interessant sein, mal zwei dieser Centennial D im Vergleich direkt nebeneinander zu hören, einen "constructed" und einen "contiguous". Irgendwann wird die Villa Wahnfried wohl fertig renoviert sein. Wagners Flügel ist auch ein "älterer" Bautyp - mit Seriennummer in den 34.900 vom Baujahr 1876. Im Hotel "Riverside Inn" bei Los Angeles steht einer, und einer ist an der Uni Palo Alto, der zweitälteste aller gebauten und ältest noch bekannte Flügel dieser Serie, frisch saniert mit neuem Resonanzboden aus New York.. Na ob das noch gut klingt..?.. . So viele Centennials laufen auch leider nicht frei herum. Die Käuflichen haben meist stolze Preise von 35.000 bis herauf zu 200.000 USD. Naja, wenn sie angeblich die "Stradivaris des Klavierbaus" seien..
In New York stehen momentan zwei zum Verkauf, einer in Texas, einer in Santiago de Chile, einer in Hainburg/Österreich.
Mitunter kommt man ins Nachdenken, dass uU mehr dieser Instrumente zum Verkauf stehen, als gespielt werden..?..