Was Du als historisch informierte Aufführungspraxis erklärst und dann mit einem Notenbeispiel (Anfang der ersten Invention) belegen willst, ist kein erfreulicher Ausweis für die Bemühungen der historisch informierten Aufführungspraxis.
Die Phrasierungsbögen decken sich zumindest mit dem, was ich darüber gelesen habe, von meinem Orgellehrer (der dieser Richtung zugewandt ist) gelehrt bekomme, aber vor allem: wie man es bei anderen Instrumenten genauso hören kann. Insbesondere die Darstellung der Taktschwerpunkte zieht sich, von Ausnahmen abgesehen, wie ein roter Faden durch HIP-Orchester- und Instrumentalaufführungen.
Es steht dir frei, die gleiche Arbeit zu tun wie ich: Deine Meinung über hist. informierte Phrasierungsbögen usw. beim Inventio#1-Anfang einzuzeichnen und selber einzuspielen und alles hier zu posten.
Es würde mich freuen, wäre interessant und sicher aussagekräftiger, als mein Beispiel in Bausch und Bogen zu verdammen, ohne eine Alternative für das Auge und Ohr anzubieten.
Intensität der Artikulation, gegebenenfalls auch verschiedene Artikulationen identischer Themen in polyphonen Sätzen, ist/sind gerade zur Trennung der Stimmen auf dynamikarmen Instrumenten erforderlich (Cembalo, Orgel) denn sonst kann eine mehrstimmige Fuge für den Hörer unübersichtlich werden.
Am Klavier kommt die diesem Instrument eigene große Dynamik hinzu, womit die Unterscheidungsmöglichkeiten im polyphonen Satz deutlich zunehmen.
Klar kommt die Dynamik beim Klavier oder Clavichord gegenüber Cembalo oder Orgel hinzu. Damit ist nicht gesagt, dass man auf die Darstellung der Taktschwerpunkte (was ich als ziemlich wichtig erachte für Barockmusik) per Phrasierung verzichten muß. Man braucht bloß mal irgendeinen barocken Gesangschoral, z.B. 4-stimmig polyphon, aufgeführt in HIP-Manier, anzuhören. Die Phrasierungsbögen auf den Taktschwerpunkten sind allgegenwärtig. Man kann dazu tanzen, schaukeln, hüpfen, die Interpretation der Musik lädt dazu ein!
Von daher besteht überhaupt kein Grund, darauf beim Klavier zu verzichten.
Sänger, Streicher, Bläser haben keine kleingliedrigen Fingersätze... :D Die Artikulation in der Barockmusik kommt nicht von zu kleinen Tasten her!
Die Fingersätze bezogen sich natürlich auf Tasteninstrumente - und da ist es nunmal ein Fakt, dass Fingersätze benutzt wurden, mit denen man nur mehr oder weniger kleingiedrig spielen konnte. Was der Artikulation entgegenkommt, die von den HIP-Praktikern angewendet wird.
Und wie schon geschrieben, die ganz Hartgesottenen nehmen für die "Claviermusick" vor Bach sogar auch noch die historischen Fingersätze (was in meinen Augen masochistische Tendenzen hat), und haben damit überhaupt keine Chance, dieser kleingliedrigen Phrasierung zu entrinnen. :D
Bachs Musik ist nicht mehr und auch nicht weniger floskelhaft als die von Mozart oder Chopin. Bestimmte Formeln waren in verschiedenen Stilen üblich und alltäglich, und selbstredend lassen sich diese zeigen - aber sie haben nie musikalische Gedanken bestimmt. Scheibe wollte das mal Bach nachweisen, scheiterte aber mit diesem Unterfangen.
Und was ist mit dem Bach-Buch von Schweitzer? Geradezu der
zentrale Bereich ist die "Klangrede", und die Darstellung der verschiedenen Floskeln/Motive, wie "Jauchzen", "Schluchzen" und viele mehr, sind überzeugend dargestellt in dem Buch. Fast jedes Stück aus dem Orgelbüchlein zeigt diese Motive. Sehr wohl werden mit diesen Motiven menschliche Emotionen umschrieben und für musikalische Gedanken verwendet! Diese Motive stellen die Basis dieser Stücke dar, die Basis für musikalische Gedanken, und man gut tut darin, sie entsprechend deutlich zu machen mit den Mitteln der Phrasierung, Artikulation, Dynamik. Dieses Buch von Schweitzer, 100 Jahre alt, ist in dieser Hinsicht nach wie vor unbestritten. Was in dem Buch "veraltet" ist, sind z.B. eben die typisch romantisierenden Phrasierungsbögen, wie in meinem Fugenthema dargestellt, und von Schweitzer auch genauso gespielt - genau dieses Fugenthema nahm er auch als Beispiel in seinem Buch. Aber was die Deutung der Floskeln/Motive angeht, gibt es keinen, der die ernsthaft bestreiten will!
Ich habe das bisher mit screenshots als jpg. so gemacht - aber was ich bis jetzt noch nicht schnalle, das ist, wie ich auf dem Bildschirm (z.B. in einem Word.Dok oder pdf) Bögen etc "einzeichnen" könnte. Sowas auf dem Papier machen und dan scannen ist mir zu aufwändig.
Wie schon geschrieben, beim pdf-Dokument einen Screenshot machen (Strg+Druck), in das Programm "Paint" per Paste einfügen, dort kann man auch Bögen usw. einzeichnen, so habe ich das beim Inventio#1-Beispiel auch getan. In meinem Fugenbeispiel hatte ich stattdessen gleich ein professionelles Notensatzprogramm genommen, weil da Artikulations- und Dynamikzeichen drin sind.
@ Chiarina:
1) Bei M. Argerich spürt man auch die Taktschwerpunkte beim Fugenthema. Hatte aber auch früher schon geschrieben, dass dieser Part von ihr schon eher in die HIP-Richtung geht, als z.B. beim anderen von dir vorgestellten Part (nur meine Meinung).
2) Bei deinem Beitrag#104 ist es nicht Schiff, sondern wieder der Argerich-Link. Aber was ich als "HIP" oder nicht empfinde, ist sowieso nur meine persönliche subjektive Meinung, also keine Instanz, die sowas objektiv beurteilen kann oder will...