Paul Heuser "Das Clavierspiel der Bachzeit - eine aufführungspraktisches Handbuch nach den Quellen" (1999, 2. Auflage 2004, 179 S., Schott-Verlag)
...................................................
Will damit nur ausdrücken, dass mein Vorschlag der Akzentuierung und Phrasenbildung des Anfangs der Inventio#1, wie im Bild meines Beitrags #78 dargestellt ist, mit diesem Buch vollumfänglich untermauert wird (anhand ähnlicher Beispiele).
Lieber Mindenblues,
ich hatte dieses Buch hier im Faden schon mal als Tipp erwähnt, weil ich es auch selbst habe.
Aber wirklich lustig ist, dass ich eine andere Sicht auf die von dir geposteten Buchzitate habe. :p
Du hast natürlich völlig recht, dass Taktschwerpunkte etc. wichtig sind. Was Heuser über das Metrum, Akzentuierungen ff. beschreibt, ist zweifellos richtig.
Nur sehe ich das Kapitel "Metrum" in seinem Kontext.
Erstens schreibt er auch in diesem Kapitel über die verschiedenen Akzente des Barock:
Zitat:
"Nach der
Encyclopädie gibt es folgende Akzente:
- den a
llgemeinen Accent;
- den
grammatikalischen oder taktischen Accent...mit dem Wechsel der guten und schlechten Takttheile; Taktzeiten und Taktglieder;
- den
rhythmischen Accent, der für musikalische Sinneinheiten sowie für die Abgrenzung von Gliedern, Einschnitten, Abschnitten, Perioden etc. steht."
Nur der grammatikalische Akzent steht also für die von dir genannten Betonungen.
Auch bei den folgenden Autoren Sulzer, Mattheson, Türk gibt es unterschiedliche Akzente, wobei viele sich auch nach anderen musikalischen Parametern als den Taktschwerpunkten richten:
Zitat:
"Nach Türk müssen
verschiedene einzelne Töne .... mit Nachdruck vorgetragen werden.... . Hierzu gehören:
a) vorzüglich diejenigen Intervalle, die sich zum Basse etc. selbst wie Dissonanzen verhalten
b) oder durch welche (vermittelst einer Bindung) dissonierende Intervalle vorbereitet werden
c) ferner die syncopirten Noten
d) die Intervalle, welche nicht zur diatonischen Tonleiter desjenigen Tones gehören, worin man
e) die Töne, die sich durch ihre Länge, Höhe oder Tiefe etc. merklich auszeichnen
f) die Intervalle, welche durch die zum Grunde liegende Harmonie wichtig werden u.s.w."
Des Weiteren befindet sich das Kapitel "Metrum" erst auf Seite 104 und wird während der folgenden 28 Seiten in allen Einzelheiten abgehandelt.
Vorher beschäftigt sich Heuser neben einer Einleitung und Informationen zu Instrumenten, Stimmungen, Spielweisen etc. fast 50 Seiten über die musikalische Rhethorik ( Cantabilität, musikalische Gliederung, Artikulation, Bogenartikulation, Affect, Emphase, Discretion u.a.m.).
Sie nennt er also an erster Stelle, erst danach folgt das Metrum!!! Warum?
Meine Vermutung ist, dass auch hier die mir sehr erstrebenswerte Auffassung vorliegt, sich zu allererst mit dem musikalischen Material zu befassen. Mit Melodik, den entsprechenden Intervallen, mit Harmonik, musikalischer Gliederung etc. etc..
Hat man all dies getan, kommt die Beschäftigung mit dem Metrum dazu - bei erfahrenen Spielern wird dies auch gleichzeitig erfolgen.
Setzt man das Metrum an die erste Stelle, besteht für mich die riesengroße Gefahr eines mechanischen Spielens, einer immergleichen Artikulation unabhängig vom musikalischen Gehalt. M.E. kann man unmöglich verschiedene Intervalle zu verschiedenen Harmonien in verschiedener Lautstärke in verschiedenen Tempi ( etwas grob formuliert) immer gleich spielen, nur weil sie gerade auf der "1" eines Taktes sind. Wenn das auch für Heuser das auschlaggebende Kriterium wäre, hätte das Kapitel "Metrum" m.M.n. im Buch an erster Stelle gestanden und vielleicht sogar den allermeisten Raum eingenommen.
Der Puls, das Metrum ist zweifelsohne sehr wichtig, Mindenblues - da sind wir uns völlig einig! Ich finde aber, man muss erstmal den Puls
innerlich empfinden ( vermutlich daher auch das frühere Schlagen mit der Notenrolle etc.)!
Dann hat man den Puls und kann diesen mit allen anderen musikalischen Parametern verbinden und kommt so zu einer Interpretation, die alles andere als mechanisch ist. Wie ich dann den Puls umsetze, bestimmt also die musikalische Aussage vom Stück.
Im Fall der Invention nun empfinde ich den Puls als absolut wichtig, aber eben eher als "innerlich", auch eher als "leicht". Es ist doch interessant, dass die "1" des ersten Taktes, als einem wichtigen "Taktschwerpunkt", eine Pause ist. Die, wie ich schon geschrieben habe, ein wichtiger Impuls für die nachfolgenden 16tel darstellt. Wenn man diese Pause nicht als Taktschwerpunkt und federnden Anstoß empfindet, kann m.E. die Interpretation nicht gelingen. Für mich ist es aber auch ein Zeichen, dass alle "1en" denen das Thema folgt, ähnlich gedacht werden müssen. Schwere Einsen gibt es in diesem Stück kaum. Sie würden den Fluss zum Stillstand bringen.
Des Weiteren bringt er einen Triller auf der "4" des ersten Taktes. Damit hebt er diese Taktzeit ein wenig hervor. Dann auf der "1" des zweiten Taktes einen richtigen Takt
schwerpunkt zu setzen, finde ich kontraproduktiv.
Ich finde das Stück am Schönsten, wenn ich die Taktschwerpunkte innerlich (als Begleitmuster?) empfinde und darüber die zwei Stimmen kantabel im Dialog spiele.
Auch die Harmonik unterstützt m.E. diese Ansicht.
Liebe Grüße
chiarina