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chiarina
Guest
Es handelt sich um H. Rilling, und den Anfang der Matthäuspassion. Egal ob beim Orchesterpart zu Beginn oder vor allem auch gerade beim Chor, hört man die Taktschwerpunkte dermaßen prägnant, dass man WIRKLICH dazu tanzen kann (neudeutsch: "es groovt wie Sau"). :D
Wer auch nur die ersten paar Takte des Choreinsatzes hört, weiß was ich meine. Da werden "gnadenlos" die Taktschwerpunkte gesungen, und diese Art zieht sich durch die Matthäuspassion wie ein rotes Band.
Alte romantisierende Aufnahmen machen sowas nicht in dieser Art, dort wird gesungen mit Legatobögen a la Straube oder Busoni, sprich - mit Vorliebe in die Taktschwerpunkte hinein.
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Quintessenz: Es gibt verschiedene Arten von "cantabel". Welche meinte wohl Bach? Die, welche Straube und Busoni draus gemacht haben, oder die, welche historisch informierte Aufführungen bemühen?
Also: die Darstellung von Taktschwerpunkten im Hochbarock ist meiner Meinung nach was sehr Zentrales (viel wichtiger als in anderen Musikepochen, so empfinde ich es jedenfalls) und damit auch erstaunlich unabhängig, auf welchem Instrument es dargeboten wird.
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Um nun auf die Inventio#1 zurückzukommen, habe ich mir mal die Mühe gemacht, und entsprechend der Erkenntnisse der historisch informierten Aufführungspraxis Artikulationsbögen eingezeichnet, sowohl größere für die Taktschwerpunkte, als auch kleingliedrigere, und daneben mögliche Dynamikanweisungen. Das ist natürlich alles höchst subjektives Empfinden, eben lediglich meine Meinung, gewonnen aus Beobachtungen der heutigen Aufführungspraxis von anderen Instrumenten/Gesang bzgl. Bach. Ich hatte bei meiner Einspielung in diesem Faden versucht, wenigstens ansatzweise es auch so zu spielen.
Lieber Mindenblues,
ich verstehe natürlich, was du meinst. Man kann sich auch mal im Vergleich eine Aufnahme von Karl Richter ( 1971) bei YT anhören, die sehr romantisch, seeehr langsam mit seehr viel legato gespielt wird :p.
Ich meine aber, dass der größte Unterschied im transparenteren Gesamtklang und in der Artikulation an sich zu finden ist. Ich habe selbst ja damals auch bei romantischen Aufführungen mitgesungen und da waren Taktschwerpunkte, das glaubst du gar nicht. Wuchtig, schwer, massiv. :p Die Hörbarkeit und das Fühlen dieser Schwerpunkte muss also nicht unbedingt ein Unterscheidungsmerkmal sein, eher die feinere Artikulation und der Gesamtklang ( Besetzung, Dynamik, Transparenz...).
Ich glaube, wir sind uns da alle einig, dass Bach a la Mahler nicht schön ist.
Was nun Kantabilität angeht, möchte ich gern eine Arie auch aus der Matthäus-Pssion posten, von Philippe Herreweghe, einem, wie du natürlich weißt, Meister der historischen Aufführungspraxis:
http://www.youtube.com/watch?v=5Yoio3S3zVw
Ich finde die Aufnahme wunderschön - die sehr fein artikulierenden Streicher etc. und darüber in einem kantablen legato die Sopranstimme.
So etwas kann man eben, wie schon gesagt, auch wunderbar auf einem Klavier realisieren durch die Möglichkeiten der verschiedenen Dynamik... .
Es kommt bei der Art der Artikulation und der Realisierung von Taktschwerpunkten also immer auf die Art des Stückes an.
Sieht man die Invention hier eher als Tanz, kann deine Artikulation passen ( vielen Dank auch für deine Mühe!!!). Es kann allerdings sehr unruhig wirken und somit die Kantabilität, die für mich vorrangig, aber auf jeden Fall vorhanden ist, zerstören. Mir gefallen diese vielen kleinen Bögen eben nicht, z.B. auch in Takt 3, wo meiner Meinung nach diese wunderbare lange Linie in der rechten Hand beginnt, die durch eine feine Artikulation der linken Hand so gestützt werden kann, dass nicht alles im legato-Brei versinkt. Ähnlich wie beim obig geposteten Klangbeispiel. So würden auch die Taktschwerpunkte nicht verloren gehen.
Aber Artikulationen gibt es viele - sie richten sich nach der eigenen Vorstellung vom Klang und Charakter des Stücks und sind natürlich auch vom eigenen Geschmack abhängig. Nur was die Zugehörigkeit der Themen und Motive betrifft, bin ich nach wie vor der Meinung, dass die ersten 16tel und das folgende g1 auf der dritten Taktzeit des ersten Taktes zusammen gehören (= erste Hälfte des Themas) und das Thema mit dem d2 auf der ersten Taktzeit des zweiten Taktes endet. Wie man das dann artikuliert, ist eine andere Frage.
Liebe Grüße
chiarina