Bach Inventio1

Es handelt sich um H. Rilling, und den Anfang der Matthäuspassion. Egal ob beim Orchesterpart zu Beginn oder vor allem auch gerade beim Chor, hört man die Taktschwerpunkte dermaßen prägnant, dass man WIRKLICH dazu tanzen kann (neudeutsch: "es groovt wie Sau"). :D
Wer auch nur die ersten paar Takte des Choreinsatzes hört, weiß was ich meine. Da werden "gnadenlos" die Taktschwerpunkte gesungen, und diese Art zieht sich durch die Matthäuspassion wie ein rotes Band.
Alte romantisierende Aufnahmen machen sowas nicht in dieser Art, dort wird gesungen mit Legatobögen a la Straube oder Busoni, sprich - mit Vorliebe in die Taktschwerpunkte hinein.
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Quintessenz: Es gibt verschiedene Arten von "cantabel". Welche meinte wohl Bach? Die, welche Straube und Busoni draus gemacht haben, oder die, welche historisch informierte Aufführungen bemühen?

Also: die Darstellung von Taktschwerpunkten im Hochbarock ist meiner Meinung nach was sehr Zentrales (viel wichtiger als in anderen Musikepochen, so empfinde ich es jedenfalls) und damit auch erstaunlich unabhängig, auf welchem Instrument es dargeboten wird.
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Um nun auf die Inventio#1 zurückzukommen, habe ich mir mal die Mühe gemacht, und entsprechend der Erkenntnisse der historisch informierten Aufführungspraxis Artikulationsbögen eingezeichnet, sowohl größere für die Taktschwerpunkte, als auch kleingliedrigere, und daneben mögliche Dynamikanweisungen. Das ist natürlich alles höchst subjektives Empfinden, eben lediglich meine Meinung, gewonnen aus Beobachtungen der heutigen Aufführungspraxis von anderen Instrumenten/Gesang bzgl. Bach. Ich hatte bei meiner Einspielung in diesem Faden versucht, wenigstens ansatzweise es auch so zu spielen.


Lieber Mindenblues,

ich verstehe natürlich, was du meinst. Man kann sich auch mal im Vergleich eine Aufnahme von Karl Richter ( 1971) bei YT anhören, die sehr romantisch, seeehr langsam mit seehr viel legato gespielt wird :p.

Ich meine aber, dass der größte Unterschied im transparenteren Gesamtklang und in der Artikulation an sich zu finden ist. Ich habe selbst ja damals auch bei romantischen Aufführungen mitgesungen und da waren Taktschwerpunkte, das glaubst du gar nicht. Wuchtig, schwer, massiv. :p Die Hörbarkeit und das Fühlen dieser Schwerpunkte muss also nicht unbedingt ein Unterscheidungsmerkmal sein, eher die feinere Artikulation und der Gesamtklang ( Besetzung, Dynamik, Transparenz...).

Ich glaube, wir sind uns da alle einig, dass Bach a la Mahler nicht schön ist.

Was nun Kantabilität angeht, möchte ich gern eine Arie auch aus der Matthäus-Pssion posten, von Philippe Herreweghe, einem, wie du natürlich weißt, Meister der historischen Aufführungspraxis:

http://www.youtube.com/watch?v=5Yoio3S3zVw

Ich finde die Aufnahme wunderschön - die sehr fein artikulierenden Streicher etc. und darüber in einem kantablen legato die Sopranstimme.

So etwas kann man eben, wie schon gesagt, auch wunderbar auf einem Klavier realisieren durch die Möglichkeiten der verschiedenen Dynamik... .

Es kommt bei der Art der Artikulation und der Realisierung von Taktschwerpunkten also immer auf die Art des Stückes an.

Sieht man die Invention hier eher als Tanz, kann deine Artikulation passen ( vielen Dank auch für deine Mühe!!!). Es kann allerdings sehr unruhig wirken und somit die Kantabilität, die für mich vorrangig, aber auf jeden Fall vorhanden ist, zerstören. Mir gefallen diese vielen kleinen Bögen eben nicht, z.B. auch in Takt 3, wo meiner Meinung nach diese wunderbare lange Linie in der rechten Hand beginnt, die durch eine feine Artikulation der linken Hand so gestützt werden kann, dass nicht alles im legato-Brei versinkt. Ähnlich wie beim obig geposteten Klangbeispiel. So würden auch die Taktschwerpunkte nicht verloren gehen.

Aber Artikulationen gibt es viele - sie richten sich nach der eigenen Vorstellung vom Klang und Charakter des Stücks und sind natürlich auch vom eigenen Geschmack abhängig. Nur was die Zugehörigkeit der Themen und Motive betrifft, bin ich nach wie vor der Meinung, dass die ersten 16tel und das folgende g1 auf der dritten Taktzeit des ersten Taktes zusammen gehören (= erste Hälfte des Themas) und das Thema mit dem d2 auf der ersten Taktzeit des zweiten Taktes endet. Wie man das dann artikuliert, ist eine andere Frage.

Liebe Grüße

chiarina
 
Eine sehr schöne Aufnahme, sehr lebendig. Allerdings vermisst man die von Dir bevorzugte starke "groovenden" Betonung der Taktschwerpunkte u.a. in jenen Bestandteilen, welche der der Gattung Aria zugehören ;)

Erstmal zeigt das Eingangsstück, dass diese stark "groovende" Betonung der Taktschwerpunkte sich nicht nur auf Instrumentalmusik bezieht, sondern auch auf Vokalmusik (in dem Fall Chor), und auch durchgezogen wird, wenn die Melodie sich über Grenzen von Taktschwerpunkten hinausbewegt. Es ist eben nur so, dass TROTZDEM die Taktschwerpunkte beibehalten werden, obwohl die Melodie weitergeht.

Weiterhin ist es auch nicht so, dass die Solostimme jeder Arie immer starke Akzente auf Taktschwerpunkte setzen muß, das wäre auch übertrieben! Wo es eine Regel gibt, gibt es auch Ausnahmen. Ich hatte ja schon in einem früheren Beitrag von Ausnahmen geschrieben - z.B. in der Sopran/Alt-Arie der Kantate "Wer nur den lieben Gott lässt walten". Dieses Stück ist insofern interessant, dass Bach hier viele Melodiebögen eingezeichnet hat, die klar in Taktschwerpunkte hineingehen, und weiterhin interessant, weil Bach diese Arie praktisch ohne Änderung in ein Orgelstück (Schübler-Choral) umgeschrieben hat. Wo man also auch beim Orgelspiel vor der Wahl steht, diese Arienvorlage zu verwenden.

Das ist eine gewagte These... könnte zum zappen oder hopping zwischen mal so mal so cantabel führen ;)

Ich hoffe doch, dass man sich als Interpret für eine Form entscheidet.;)

Es ist ein Unterschied, gerade für die Darstellung, welche Gattung jeweils verwendet wird: selbstredend artikuliert man bewegliche Tanzcharaktere anders als cantable Arien. Man kann nicht pauschal eine einzige Ausführungsanweisung auf sehr unterschiedliche Gattungen innerhalb der Barockmusik anwenden.

Selbstredend ist hier gar nix, befürchte ich: sonst gäbe es nicht unterschiedliche Varianten von Interpretationen ein und desselben Stückes, die sich z.T. eben fundamental unterscheiden. Und wenn man sich die "Interpretationsanweisungen" der Herren Straube oder Busoni ansieht, zieht sich die Anweisung, die Melodiebögen in Taktschwerpunkte hineinzuführen, wie ein roter Faden durch fast alle Fugen und viele Inventionen. Man findet es z.B. ausführlich noch im Bach-Buch von A. Schweitzer 1905 beschrieben, und selbst 30 Jahre später hält er sich auch in seinen Einspielungen daran (wo in anderen Publikationen die Front der "romantisierenden" Darstellung schon zu bröckeln anfängt (siehe z.B. Hermann Keller).

Und hier wollte ich ein Achtungszeichen setzen, dass diese Interpretationsanweisungen keinesfalls selbstverständlich sind und schon gar nicht dem gegenwärtigen Stand der Erkenntnisse historisch informierter Aufführungspraxis entsprechen.

die großen Bögen über der r.H. machen mir Sorge: denn sie widersprechen der thematischen Entwicklung (stell Dir vor, irgendjemand würde nun diese als Phrasierungs- bzw. "romantisierende" Melodiebögen auffassen)
die kleinen Bögen bringen eine Menge Unruhe, je schneller man spielt allerdings auf einer Orgel kann ich mir das sehr schön vorstellen; am Klavier wirkt das zu hektisch auf mich) - warum fasst Du die drei aufsteigenden Sechzehntel zusammen? Wäre da nicht konsequenter, das erste portato anzuweisen und beiden folgenden einen Mini-Bogen zu geben?

Die großen Bögen brauchen dir keine Sorge machen: sie zeigen nur den "Grooverhythmus" an. Die thematische Entwicklung kann sehr gut additiv durch entsprechende Dynamikentwicklung dargestellt werden (ganz analog wie es z.B. in der Chormusik Eingangschor Matthäuspassion gemacht wurde). Z.B. durch die Crescendozeichen, die ich in die Noten gemacht haben und auf dem Taktschwerpunkt landen (und nicht etwa davor).

Sehr gute Frage bzgl. der Gruppierung der Sechzehntel in meinem Beispiel vom Anfang der Inventio#1!
Und hier die Antwort:
Die HIP-Praxis geht von "Pattern" aus innerhalb einer Taktgruppe:
1) Handelt es sich um Tonschritte in eine Richtung, wird gerne zusammengezogen. Wenn man mein Beispiel anschaut, sieht man konsequent diese 3-Gruppe nur dort innerhalb einer Viertelnote, wo Tonschritte in einer Richtung sind. Ausnahme: die 8-tel Noten 3. Takt linke Hand: dort hat Bach 4 8-tel Noten zusammengeschrieben. Ich fasse dass so auf, dass er diese Noten auch als Einheit sehen wollte, und nicht als 2 Viertelnotenpärchen.
2) Handelt es sich um Sprünge, wird stärker artikuliert. Daher die Portato-Zeichen an den entsprechenden Stellen, wo innerhalb einer 16tel- oder einer 8-tel-Notengruppe gesprungen wird. Das macht auch gleichzeitig das Ende des Melodieverlaufs deutlich, z.B. des Themas auf dem 1. 16tel der rechten Hand im 2. Takt.
3) Handelt es sich um Wechselschritte/Wechselnoten (z.B. 1.Takt rH f1-e1, f1-d1, oder 1.Takt lH f-d, e-c), bieten sich diese 2-er-Grüppchen an.

Diese Gruppierung macht nur dann Unruhe, wenn die Artikulation nicht dezent, sondern plautzig gemacht wird, und macht vor allem Unruhe, wenn sie UNGLEICHMÄSSIG erfolgt. Wenn es jedoch gleichmäßig und durchaus lebhaft gespielt wird, stellt sich durch die stärkere Betonung der beiden Taktschwerpunkte pro Takt eine Art "Alla Breve"-Gefühl beim 4/4-Takt ein, ziemlich beschwingt.

Weiterhin - wenn diese Art der Darstellung auf der Orgel gefällt, ohne dass das Gefühl der Unruhe aufkommt, warum soll es dann nicht auch auf dem Klavier möglich sein, ohne das Unruhe aufkommt? Ist vielleicht auch eine Frage der Eingewöhnung in ungewohnte Interpretationen.

Und übrigens - es hat keiner behauptet, dass diese Art der Interpretation einfach ist, im Gegenteil - es ist eine Herausforderung!

Aber eine andere Frage: wie würdest Du z.B. mit Klammern, um Missverständnisse bzgl. Bogensetzung zu vermeiden, die thematischen Verhältnisse in der Invention darstellen?

In erster Näherung so, wie die Crescendo-Zeichen in meiner Darstellung sind. Vielleicht sogar lieber z.B. 1. Takt rH beim c2 ein neues Crescendo-Zeichen ansetzen, denn an dieser Stelle hat die linke Hand das Thema, und ich empfinde es als schöner, wenn das Thema stärker hervorgehoben wird, egal welche Stimme es gerade hat (beide Stimmen möglichst gleichberechtigt, oft hört man die rechte Hand immer raus, egal ob die linke gerade das Thema hat!).

@ Chiarina:
Die gepostete Arie von der Herreweghe-Aufführung kann doch auch ganz klar die historische Aufführungspraxis nicht verleugnen: Das Orchester stellt klar die Taktschwerpunkte heraus, und natürlich macht der Sopran keine starken Zäsuren an den Taktschwerpunkten, ABER: jedoch sind diese auch hier zu spüren.

Das Prinzip der Taktschwerpunktdarstellung gemäß HIP ist beim Gesang, allgemein gesprochen, ganz klar: innerhalb eines Taktschwerpunktes wird der Melodiebogen durch eine Crescendogabel und danach eine Decrescendogabel dargestellt, fängt leise an und hört leise auf. Je nachdem, ob die Melodie über Taktschwerpunkte hinausgeht, wird das in stärkerer oder kleinerem Ausmaß gemacht. Dies ist die Regel, Ausnahmen gibt es natürlich.

Noch was anderes:
Rolf hat hier und auch in einem anderen Faden, wenn auch vielleicht nicht ganz ernst gemeint, im Zusammenhang der polarisierten Darstellung "romantisierend" <-> HIP die Worte "richtig" und "falsch" benutzt, so als wollte irgendjemand hier eine Wertung in dieser Richtung vornehmen.

Meine Meinung ist, dass jeder selber für sich entscheiden kann, und es bei diesem Thema und bei Interpretation im allgemeinen sowieso kein richtig oder falsch gibt.

Meine Absicht war, mal einen Denkanstoß zu geben, was sich in der Welt der Interpretation von Bach außerhalb des Klaviers, bei anderen Instrumenten, bei Orchestermusik, bei Vokalwerken, praktisch überall, gerade für ein schleichender Sinneswandel einstellt oder eingestellt hat. Und meiner Meinung Ausdruck verleihen, dass dieser Schuß bei den Klavierspielern noch nicht so recht angekommen zu sein scheint...
 
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Wenn man sich die "Interpretationsanweisungen" der Herren Straube oder Busoni ansieht, zieht sich die Anweisung, die Melodiebögen in Taktschwerpunkte hineinzuführen, wie ein roter Faden durch fast alle Fugen und viele Inventionen. Man findet es z.B. ausführlich noch im Bach-Buch von A. Schweitzer 1905 beschrieben, und selbst 30 Jahre später hält er sich auch in seinen Einspielungen daran (wo in anderen Publikationen die Front der "romantisierenden" Darstellung schon zu bröckeln anfängt (siehe z.B. Hermann Keller).

Und hier wollte ich ein Achtungszeichen setzen, dass diese Interpretationsanweisungen keinesfalls selbstverständlich sind und schon gar nicht dem gegenwärtigen Stand der Erkenntnisse historisch informierter Aufführungspraxis entsprechen.
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Diese Gruppierung macht nur dann Unruhe, wenn die Artikulation nicht dezent, sondern plautzig gemacht wird, und macht vor allem Unruhe, wenn sie UNGLEICHMÄSSIG erfolgt. Wenn es jedoch gleichmäßig und durchaus lebhaft gespielt wird, stellt sich durch die stärkere Betonung der beiden Taktschwerpunkte pro Takt eine Art "Alla Breve"-Gefühl beim 4/4-Takt ein, ziemlich beschwingt.

Weiterhin - wenn diese Art der Darstellung auf der Orgel gefällt, ohne dass das Gefühl der Unruhe aufkommt, warum soll es dann nicht auch auf dem Klavier möglich sein, ohne das Unruhe aufkommt? Ist vielleicht auch eine Frage der Eingewöhnung in ungewohnte Interpretationen.

Und übrigens - es hat keiner behauptet, dass diese Art der Interpretation einfach ist, im Gegenteil - es ist eine Herausforderung!

@ Chiarina:
Die gepostete Arie von der Herreweghe-Aufführung kann doch auch ganz klar die historische Aufführungspraxis nicht verleugnen: Das Orchester stellt klar die Taktschwerpunkte heraus, und natürlich macht der Sopran keine starken Zäsuren an den Taktschwerpunkten, ABER: jedoch sind diese auch hier zu spüren.
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Meine Absicht war, mal einen Denkanstoß zu geben, was sich in der Welt der Interpretation von Bach außerhalb des Klaviers, bei anderen Instrumenten, bei Orchestermusik, bei Vokalwerken, praktisch überall, gerade für ein schleichender Sinneswandel einstellt oder eingestellt hat. Und meiner Meinung Ausdruck verleihen, dass dieser Schuß bei den Klavierspielern noch nicht so recht angekommen zu sein scheint...


Lieber Mindenblues,

ich kann mir ja vorstellen, dass es für dich vielleicht schon allmählich anstrengend wird :p - danke, dass du trotzdem dabei bleibst!!!

Ich habe einfach ein großes Problem mit deinem letzten oben zitierten Abschnitt, denn meiner Meinung nach, wie schon mal erwähnt, wird keineswegs mehr romantisierend Bach gespielt. Im Gegenteil! Als Beispiel nur mal zwei Einspielungen von Argerich:

http://www.youtube.com/watch?v=Yb2Pr--GNDc&feature=related

http://www.youtube.com/watch?v=sqp2_LaYoSU&feature=related


Eine solche Sicht auf Bach ist völlig normal! Halt sehr, sehr gut gespielt :p ! Nur was soll daran romantisierend sein?? Sicher wird man auch noch sehr extravagante Aufnahmen in andere Richtungen finden, aber stilistisch wird so wie in diesen Aufnahmen Bach in der Regel an Musikhochschulen gelehrt. Wenig Pedal, mit "Groove", wenn man dieses Wort benutzen will, transparent, klar artikuliert.

Die Arie aus der Matthäus-Passion hatte ich nur gepostet, weil ich zeigen wollte, dass es Kantabilität und sogar dichtes legato auch im Barock gibt.

Gerade wo hier auch einige mitlesen ( hoffentlich noch :p ), geht es mir darum, dass man die Taktschwerpunkte, die natürlich wichtig sind, mit allem anderen verbindet, was dort sonst noch musikalisch passiert. Über die Harmonik und ihre Auswirkungen auf Phrasen und Zusammenhänge haben wir z.B. noch gar nicht geredet. Nicht dass jemand auf die Idee kommt und jetzt einfach nur starke Betonungen auf der 1. und 3. Taktzeit macht - das kann sehr schematisch und starr wirken.

Insofern denke ich schon, dass deine Form der Artikulation in subtiler Form eine Möglichkeit der Interpretation der Invention wäre. Ich würde es allerdings anders machen. Nur, um es wirklich noch mal klar zu stellen: ich habe nicht das Geringste gegen HIP. Im Gegenteil! :)

Liebe Grüße

chiarina
 
Ich habe einfach ein großes Problem mit deinem letzten oben zitierten Abschnitt, denn meiner Meinung nach, wie schon mal erwähnt, wird keineswegs mehr romantisierend Bach gespielt. Im Gegenteil! Als Beispiel nur mal zwei Einspielungen von Argerich:

Ja, klar, sehr gut gespielt, und keineswegs romantisierend. Nur deshalb ist es noch lange nicht "HIP". Der Dreh- und Angelpunkt ist für mich dieses typische groovige Gefühl, was sich durch - zugegebenermaßen nicht alle, aber die meisten - Stücke zieht, eben durch den starken Bezug auf Taktschwerpunkte. Im 2. Link, Part2 der c-moll-Partita, geht es ETWAS in die Richtung.
Also, kurz und bündig formuliert: non-legato-Spielweise, klar und transparent, ohne Pedal, ist noch lange nicht lupenrein "HIP", weder bei Argerich und bei G. Gould schon gar nicht (aber es geht natürlich schon in diese Richtung). Was mir insbesondere fehlt, ist die klare Richtung der Artikulation - auch die Artikulation der "Klangpattern", wie schon in meiner letzten Nachricht bzgl. Artikulation der unterschiedlichen Gruppen bei der Inventio#1 geschrieben.

Gerade wo hier auch einige mitlesen ( hoffentlich noch :p ), geht es mir darum, dass man die Taktschwerpunkte, die natürlich wichtig sind, mit allem anderen verbindet, was dort sonst noch musikalisch passiert. Über die Harmonik und ihre Auswirkungen auf Phrasen und Zusammenhänge haben wir z.B. noch gar nicht geredet. Nicht dass jemand auf die Idee kommt und jetzt einfach nur starke Betonungen auf der 1. und 3. Taktzeit macht - das kann sehr schematisch und starr wirken.

Ja, man könnte z.B. die Artikulation auf die Taktschwerpunkte verbinden mit Darstellung der Phrasen und Zusammenhänge durch entsprechende Dynamikdarstellung - z.B. Betonung auf 1. 16tel im 2.Takt der Inventio#1, um den Höhepunkt des Themas darzustellen. Aus meiner Sicht kein Grund, deshalb auf die Artikulation der Taktschwerpunkte zu verzichten. Aber Geschmacksache natürlich...

Nur, um es wirklich noch mal klar zu stellen: ich habe nicht das Geringste gegen HIP. Im Gegenteil! :)

Also mir geht es ja auch so, dass ich als Kind Ende der 60er/Anfang 70-er Jahre Schallplattenmusik von Händel und Bach in geballter romantischer Klangwucht hochdosiert eingeflößt bekam.
Normalerweise prägt einen die Musik der Kindheit. Aber ich gestehe, dass mich der "HIP"-Virus in den letzten Jahren (durch Mitsingen im Chor und Aufführungen mit z.B. Hannoversche Hofkapelle und anderen HIP-Musikern) gepackt hat. Ich spiele heute Bach auf dem Klavier anders als noch vor 3 Jahren wegen dieses Einflusses, und je länger ich mich damit beschäftige, umso mehr leuchtet mir diese Musizierweise für Barockmusik ein - auch auf dem Klavier.

Obwohl es eine Orgelschule ist, werden viele Basisdinge der "HIP"-Praxis in dem Buch von Jon Laukvik "Orgelschule zur historischen Aufführungspraxis" erklärt, ich habe es und kann es empfehlen (auch wegen interessanter Übepraktiken). Teil 1 bezieht sich auf Barock und Wiener Klassik, kostet allerdings stolze 72€.
 
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Meine Absicht war, mal einen Denkanstoß zu geben, was sich in der Welt der Interpretation von Bach außerhalb des Klaviers, bei anderen Instrumenten, bei Orchestermusik, bei Vokalwerken, praktisch überall, gerade für ein schleichender Sinneswandel einstellt oder eingestellt hat. Und meiner Meinung Ausdruck verleihen, dass dieser Schuß bei den Klavierspielern noch nicht so recht angekommen zu sein scheint...

Eine geschickte Formulierung, denn nur durch eine kleine Prokovation kann man stumme Mitleser zum Schreiben bringen! :)

Ich glaube, im Bereich der Klaviermusik auf modernen Instrumenten ist dieses Thema nicht etwa noch nicht angekommen, sondern schon durchdiskutiert -- was nicht heißt, dass es wirkungslos verpufft ist, sondern dass gewisse Einsichten unkontrovers übernommen sind (allem voran das Streben nach größtmöglicher Durchsichtigkeit des polyphonen Gewebes), während bei anderen Dingen (z.B. Artikulation) eben dem individuellen Empfinden freier Lauf gelassen wird -- man kann halt ein und dieselbe Notengruppe unterschiedlich auffassen, z.B. eher tänzerisch, eher kantabel, usw.

Deshalb sind mir Regeln wie die unten zitierten zu schematisch. Ich glaube nicht, dass die Musik "besser" zum Klingen gebracht wird, wenn Artikulation, Dynamik oder andere Interpretationsaspekte durch Regelsysteme bestimmt sind. Damit wird das ganze doch uniform (Vielfalt an möglichen Interpretationen geht verloren), vorhersehbar, im schlimmsten Fall sogar steif, unspontan und akademisch.

Aber klar, es gibt auch andere Meinungen. Badura-Skoda kritisiert in seinem Buch (S. 92f) auch die "falsche" Artikulation von Glenn Gould. Ich hör's mir trotzdem gerne an.... :p

Die HIP-Praxis geht von "Pattern" aus innerhalb einer Taktgruppe:
1) Handelt es sich um Tonschritte in eine Richtung, wird gerne zusammengezogen. Wenn man mein Beispiel anschaut, sieht man konsequent diese 3-Gruppe nur dort innerhalb einer Viertelnote, wo Tonschritte in einer Richtung sind. Ausnahme: die 8-tel Noten 3. Takt linke Hand: dort hat Bach 4 8-tel Noten zusammengeschrieben. Ich fasse dass so auf, dass er diese Noten auch als Einheit sehen wollte, und nicht als 2 Viertelnotenpärchen.
2) Handelt es sich um Sprünge, wird stärker artikuliert. Daher die Portato-Zeichen an den entsprechenden Stellen, wo innerhalb einer 16tel- oder einer 8-tel-Notengruppe gesprungen wird. Das macht auch gleichzeitig das Ende des Melodieverlaufs deutlich, z.B. des Themas auf dem 1. 16tel der rechten Hand im 2. Takt.
3) Handelt es sich um Wechselschritte/Wechselnoten (z.B. 1.Takt rH f1-e1, f1-d1, oder 1.Takt lH f-d, e-c), bieten sich diese 2-er-Grüppchen an.


Das Prinzip der Taktschwerpunktdarstellung gemäß HIP ist beim Gesang, allgemein gesprochen, ganz klar: innerhalb eines Taktschwerpunktes wird der Melodiebogen durch eine Crescendogabel und danach eine Decrescendogabel dargestellt, fängt leise an und hört leise auf. Je nachdem, ob die Melodie über Taktschwerpunkte hinausgeht, wird das in stärkerer oder kleinerem Ausmaß gemacht. Dies ist die Regel, Ausnahmen gibt es natürlich.
 
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Eine geschickte Formulierung, denn nur durch eine kleine Prokovation kann man stumme Mitleser zum Schreiben bringen! :)

Ich glaube, im Bereich der Klaviermusik auf modernen Instrumenten ist dieses Thema nicht etwa noch nicht angekommen, sondern schon durchdiskutiert -- was nicht heißt, dass es wirkungslos verpufft ist, sondern dass gewisse Einsichten unkontrovers übernommen sind (allem voran das Streben nach größtmöglicher Durchsichtigkeit des polyphonen Gewebes), während bei anderen Dingen (z.B. Artikulation) eben dem individuellen Empfinden freier Lauf gelassen wird -- man kann halt ein und dieselbe Notengruppe unterschiedlich auffassen, z.B. eher tänzerisch, eher kantabel, usw.

Deshalb sind mir Regeln wie die unten zitierten zu schematisch. Ich glaube nicht, dass die Musik "besser" zum Klingen gebracht wird, wenn Artikulation, Dynamik oder andere Interpretationsaspekte durch Regelsysteme bestimmt sind. Damit wird das ganze doch uniform (Vielfalt an möglichen Interpretationen geht verloren), vorhersehbar, im schlimmsten Fall sogar steif, unspontan und akademisch.

Aber klar, es gibt auch andere Meinungen. Badura-Skoda kritisiert in seinem Buch (S. 92f) auch die "falsche" Artikulation von Glenn Gould. Ich hör's mir trotzdem gerne an.... :p


Danke, pianovirus!!! Du sprichst mir aus der Seele! Wieviel Zeit ich schon allein mit dem Hören der Intervallstruktur verbracht habe, nach der sich u.a. auch oft die Artikulation richtet.... .

Liebe Grüße

chiarina
 
Ich glaube, im Bereich der Klaviermusik auf modernen Instrumenten ist dieses Thema nicht etwa noch nicht angekommen, sondern schon durchdiskutiert -- was nicht heißt, dass es wirkungslos verpufft ist, sondern dass gewisse Einsichten unkontrovers übernommen sind (allem voran das Streben nach größtmöglicher Durchsichtigkeit des polyphonen Gewebes), während bei anderen Dingen (z.B. Artikulation) eben dem individuellen Empfinden freier Lauf gelassen wird -- man kann halt ein und dieselbe Notengruppe unterschiedlich auffassen, z.B. eher tänzerisch, eher kantabel, usw.

Natürlich kann man unterschiedliche Auffassungen haben - es fällt schwer, da zu widersprechen. :)
Nur fällt es auf (geht das wirklich nur mir so?), dass eben gerade dieser durchgängige Impuls der Taktschwerpunkte, die man in so vielen HIP-Aufführungen spürt, bei Klavierdarstellungen ziemlich verwässert.

Daher die nächste provokante Frage: Kennt denn jemand eine Klavieraufnahme eines Bach-Werkes, bei welchem dieser groovende durchgängige Impuls der Taktschwerpunkte genauso stark spürbar ist wie z.B. beim vorgestellten Matthäuspassionsanfang? Oder der vorgestellten Orgel-g-moll-Fuge? Nur eine einzige Klavieraufnahme, die dergestalt groovt?

Mir ist da nämlich nix bekannt, von daher fällt es mir schwer zu glauben, dass dieser Aspekt bzgl. Taktschwerpunktdarstellung bei der Pianistenzunft wirklich angekommen ist. Weil ich die entsprechenden Resultate vermisse.

Und: tänzerisch und kantabel schließen sich nicht gegenseitig aus, finde ich! Siehe Chor vom vorgestellten Matthäuspassionsanfang!

Deshalb sind mir Regeln wie die unten zitierten zu schematisch. Ich glaube nicht, dass die Musik "besser" zum Klingen gebracht wird, wenn Artikulation, Dynamik oder andere Interpretationsaspekte durch Regelsysteme bestimmt sind. Damit wird das ganze doch uniform (Vielfalt an möglichen Interpretationen geht verloren), vorhersehbar, im schlimmsten Fall sogar steif, unspontan und akademisch.

Ja, Zustimmung. Es sind eben mögliche Anwendungsmuster, und steif ist so ziemlich das allerletzte, wie diese Musik daherkommen sollte meiner Meinung nach! Stattdessen sehr viel schwungvoller, als ich es oft höre...

Vielen Dank für den Link zu Badura-Skoda! Ich werde es mir auf jeden Fall reinziehen - sauge solcherart Informationen auf wie ein Schwamm.
Die Artikulation von G. Gould - das ist das, was ich an anderer Stelle hier gegenüber Rolf als "beliebig" bezeichnet hatte - so sehr ich diesen Meister der Ton- und Artikulationsmöglichkeiten schätze, so wenig gefällt mir oft, wie und an welchen Stellen er diese Möglichkeiten einsetzt.
 
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Erstmal zeigt das Eingangsstück, dass diese stark "groovende" Betonung der Taktschwerpunkte sich nicht nur auf Instrumentalmusik bezieht, sondern auch auf Vokalmusik (in dem Fall Chor), und auch durchgezogen wird, wenn die Melodie sich über Grenzen von Taktschwerpunkten hinausbewegt. Es ist eben nur so, dass TROTZDEM die Taktschwerpunkte beibehalten werden, obwohl die Melodie weitergeht.
Ich bin entschieden dagegen, die hist. inf. Aufführungspraxis pauschal auf das Betonen von Taktschwerpunkten zu reduzieren! Wäre das nämlich alles, was sie zu bieten hat, bräuchte man sich ihretwegen keine Gedanken machen...
Und ich wiederhole meine Empfehlung, barocke Arien auch hist. inf. interpretiert anzuhören: ganz so grundlos erkläre ich nicht, dass es bzgl. der Darstellung gattungsspezifische Unterschiede gibt.

Weiterhin ist es auch nicht so, dass die Solostimme jeder Arie immer starke Akzente auf Taktschwerpunkte setzen muß, das wäre auch übertrieben! Wo es eine Regel gibt, gibt es auch Ausnahmen.
Was willst Du damit sagen? Dass die Ausnahme von der Regel darin besteht, dass in ariosem Kontext der Taktschwerpunkt von der Melodiestimme ausnahmsweise mal nicht betont wird? Falls Du das meinen solltest: das ist Unsinn. Denn eine Regel wie "ausnahmslos immer Tatkschwerpunkte akzentuieren" gibt es nicht.
Schau: wenn eine thematisch gebotene Phrasierung in eine Zählzeit hineinführt, dann wird das Phrasenende eben nicht musikalisch widersinnig betont. Das ist auch in sämtlichen barocken Arien und ariosen Kontexten der Fall. Rhythmische Prägnanz, sowohl in schnellen als auch in langsamen Sätzen entsteht nicht einzig durch Betonung oder vorher absetzen.

Ich hatte ja schon in einem früheren Beitrag von Ausnahmen geschrieben - z.B. in der Sopran/Alt-Arie der Kantate "Wer nur den lieben Gott lässt walten". Dieses Stück ist insofern interessant, dass Bach hier viele Melodiebögen eingezeichnet hat, die klar in Taktschwerpunkte hineingehen, und weiterhin interessant, weil Bach diese Arie praktisch ohne Änderung in ein Orgelstück (Schübler-Choral) umgeschrieben hat. Wo man also auch beim Orgelspiel vor der Wahl steht, diese Arienvorlage zu verwenden.
Und auch hier bedeutet das nicht, dass die Melodie zwingend am Phrasenende betont. Falls Du das nicht glauben möchtest, empfehle ich Dir C. Mareks Standardbuch: dort werden die der Literatur/Poetik entnommenen Versfüße erklärt und mit ihnen das Betonen bzw. nicht-Betonen in Phrasen. Das hat auch was mit Rhythmik zu tun (überhaupt wirst Du dort interessantes zur Phrasierung in Bachs Claviermusick finden).

Selbstredend ist hier gar nix, befürchte ich: sonst gäbe es nicht unterschiedliche Varianten von Interpretationen ein und desselben Stückes, die sich z.T. eben fundamental unterscheiden.
Es mag Dich grämen, was aber irrelevant ist: selbstredend gibt es Unterschiede für die Darstellung zwischen motorisch-bewegter und arios-cantabler Musik. Dass freilich allerlei verschieden interpretiert oder dargeboten wird, ist eine alltägliche Beobachtung, die allerdings nichts über Rhythmik, Melodik, Struktur aussagt sondern lediglich demonstriert, dass nicht alles total gleich ausgeführt wird.

Und wenn man sich die "Interpretationsanweisungen" der Herren Straube oder Busoni ansieht, zieht sich die Anweisung, die Melodiebögen in Taktschwerpunkte hineinzuführen, wie ein roter Faden durch fast alle Fugen und viele Inventionen.
erstens bedeutet das noch keine Betonung (darüber entscheidet die Phrasierung, welche wiederum an die rhythmischen Regeln der Versfüße angelehnt ist - daktylisch, trochäisch usw usf), zweitens vertraue ich notfalls den Phrasierungshinweisen von Herrn Busoni eher als denen von Herrn Mindenblues ;)

Noch was anderes:
Rolf hat hier und auch in einem anderen Faden, wenn auch vielleicht nicht ganz ernst gemeint, im Zusammenhang der polarisierten Darstellung "romantisierend" <-> HIP die Worte "richtig" und "falsch" benutzt, so als wollte irgendjemand hier eine Wertung in dieser Richtung vornehmen.
ah ja - sag: schreibst Du aus christlicher Nächstenliebe "die Herren Straube und Busoni" sowie speziell bzgl. Busoni "romantisierend"? Ist das von Dir womöglich ganz doll positiv gemeint??.........

Meine Meinung ist, dass jeder selber für sich entscheiden kann, und es bei diesem Thema und bei Interpretation im allgemeinen sowieso kein richtig oder falsch gibt.
Es gibt durchaus richtig und falsch ;) wer die erste Invention zum Trauermarsch oder Adagio oder Presto volando verbiegen will, der mag vielleicht wortreich erklären, was er da tut - richtig isses aber nicht

Meine Absicht war, mal einen Denkanstoß zu geben, was sich in der Welt der Interpretation von Bach außerhalb des Klaviers, bei anderen Instrumenten, bei Orchestermusik, bei Vokalwerken, praktisch überall, gerade für ein schleichender Sinneswandel einstellt oder eingestellt hat. Und meiner Meinung Ausdruck verleihen, dass dieser Schuß bei den Klavierspielern noch nicht so recht angekommen zu sein scheint...
Maurizio Pollini, Vitaly Margulis, Alexis Weissenberg, Anatoli Ugorski - es lassen sich noch weitere Klavierspieler dieser Größenordnung aufzählen! Und es ist schlichtweg falsch, zu behaupten, die würden als sich Bachinterpreten nicht um die Bemühungen und Teilergebnisse der Forschung zur barocken Aufführungspraxis kümmern. Wenn Du etwas nicht kennst, wie z.B. die exzellenten Bacheinspielungen von Margulis oder seinen Text zu Kreuzsymbolik in bachs Klaviermusik, dann solltest Du mit einer solchen Meinung etwas vorsichtiger sein.
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aber noch was ganz anders neben all den vereinfachenden und pauschalisierenden Meinungen zur hist. inf. Aufführungspraxis: ich vermisse bei aller nachlesbaren und wortreichen Argumentiererei etwas ganz wesentliches für das Spielen der ersten Invention - die Klanggestaltung.
Wie sieht es aus mit dem dynamischen Verhältnis zwischen erster und zweiter Stimme? Ja überhaupt die Dynamik und die Tonstärke? Wie ist es um das Tempo bestellt? Wie sollte man auf den harmonischen Entwicklungsgang reagieren? Wie sollte man die hübschen Binnenschlüsse auffassen (evtl. leicht parodistisch)?

...antwortet man auf solche Fragen, wenn man groovend in einem Viervierteltakt einen pseudo-alla-breve andeutet?... grooven affektgeladene langsame Barocksätze??
 
Ich bin entschieden dagegen, die hist. inf. Aufführungspraxis pauschal auf das Betonen von Taktschwerpunkten zu reduzieren!

Gegen so eine Pauschalierung bin ich auch, es handelt sich zwar um was sehr wichtiges, aber nicht das Einzige!
Aber um präziser zu werden: es geht hier um die hist. inf. Aufführungspraxis insbesondere von Bach, nicht um die Zeit davor und auch nicht um die hist. inf. Aufführungspraxis der Wiener Klassik usw. Zwischen all dem liegen ja Welten!

Und ich wiederhole meine Empfehlung, barocke Arien auch hist. inf. interpretiert anzuhören: ganz so grundlos erkläre ich nicht, dass es bzgl. der Darstellung gattungsspezifische Unterschiede gibt.

Und ich wiederhole meine Empfehlung, nicht nur barocke Arien, sondern Aufnahmen anderer Instrumente und Orchester- und Chorwerke anzuhören, die Bach hist. informiert spielen (unabhängig davon, ob auf historischen oder zeitgenössischen Instrumenten dargeboten), um weitergehende Anregungen für die eigene Interpretation auf dem Klavier zu holen, die z.B. über das einfache non-legato-Spiel hinausgehen.

Und auch hier bedeutet das nicht, dass die Melodie zwingend am Phrasenende betont.

Natürlich nicht, das behauptet ebenfalls keiner! Du hast doch selber das Beispiel des Matthäuspassionsanfangs gehört. Die Phrasierung des Gesangs ist dort ganz typisch, wie schonmal erklärt, in überwiegender Mehrzahl dergestalt: Crescendo-Gabel vom Phrasenanfang, Decrescendo-Gabel zum Phrasenende. Wenn man von einer "Standard"-Betonung sprechen mag, wäre da schon eher die Phrasenmitte betont statt das Phrasenende.

Es mag Dich grämen, was aber irrelevant ist: selbstredend gibt es Unterschiede für die Darstellung zwischen motorisch-bewegter und arios-cantabler Musik.

Es hat ebenfalls keiner behauptet, dass eine Arie genauso dargestellt werden muß wie ein Rezitativ oder ein Choral. Allerdings werde ich nicht müde, darzulegen, dass sehr wohl auch bei Bach-Arien in HIP-Manier oftmals die Taktschwerpunkte gut zu spüren sind. Z.B. durch entsprechende Phrasierung der Begleitung der Solostimme, wenn nicht gar die Solostimme selbst dazu beiträgt.

erstens bedeutet das noch keine Betonung (darüber entscheidet die Phrasierung, welche wiederum an die rhythmischen Regeln der Versfüße angelehnt ist - daktylisch, trochäisch usw usf), zweitens vertraue ich notfalls den Phrasierungshinweisen von Herrn Busoni eher als denen von Herrn Mindenblues ;)

Es kann und soll ja gerne jeder selber für sich entscheiden, ob er/sie den Interpretationsanweisungen a la Busoni oder Straube folgen möchte. Es gibt Klangbeispiele zu Hauf, die mehr oder weniger 1:1 diese Anweisungen umsetzen. Allerdings muß man zumindest bei der Orgel schon auf ziemlich alte Aufnahmen zurückgreifen. Man kann sie eigentlich als obsolet betrachten, heute spielt keiner mehr Bach auf der Orgel nach diesen Anweisungen.

Meine Anregung ist lediglich, auch für Klavier genau zu überlegen, ob man den Interpretationsanweisungen Busonis blind folgen möchte, denn es handelt sich quasi um das Pendant des Notenbildes von den Orgelnoten von Straube (gerade eben auch das sehr häufige Hineinbinden in Taktschwerpunkte hinein, angefangen von prominenten Fugenthemen usw.)

ah ja - sag: schreibst Du aus christlicher Nächstenliebe "die Herren Straube und Busoni" sowie speziell bzgl. Busoni "romantisierend"? Ist das von Dir womöglich ganz doll positiv gemeint??.........

Nein, für mich sind ganz klar die Interpretationsanweisungen von Busoni und Straube bzgl. Bach Zeitzeugnisse aus romantisch verklärter Darstellungsweise. Dadurch versteige ich mich nicht zu Behauptungen, was richtig oder was falsch sei. Sondern zeige nur, was ANDERS ist gegenüber der Interpretationsweise der hist. informierten Aufführungspraxis.

Maurizio Pollini, Vitaly Margulis, Alexis Weissenberg, Anatoli Ugorski - es lassen sich noch weitere Klavierspieler dieser Größenordnung aufzählen! Und es ist schlichtweg falsch, zu behaupten, die würden als sich Bachinterpreten nicht um die Bemühungen und Teilergebnisse der Forschung zur barocken Aufführungspraxis kümmern.

Ich habe nur geschrieben, was ich bisher an Darstellungen bedeutender Bachinterpreten mehr oder weniger vermisse, mit Verlaub! Und ich gestehe gerne ein, dass ich nicht alle kenne.

aber noch was ganz anders neben all den vereinfachenden und pauschalisierenden Meinungen zur hist. inf. Aufführungspraxis: ich vermisse bei aller nachlesbaren und wortreichen Argumentiererei etwas ganz wesentliches für das Spielen der ersten Invention - die Klanggestaltung.
Wie sieht es aus mit dem dynamischen Verhältnis zwischen erster und zweiter Stimme? Ja überhaupt die Dynamik und die Tonstärke?

In meinem Beispiel der ersten 3 Takte sind sehr wohl dynamische Anweisungen zur Klanggestaltung. Zum wechselseitigen Hervorheben des Themas zwischen erster und zweiter Stimme habe ich mich ebenfalls ausgelassen.

Wie ist es um das Tempo bestellt? Wie sollte man auf den harmonischen Entwicklungsgang reagieren? Wie sollte man die hübschen Binnenschlüsse auffassen (evtl. leicht parodistisch)?
...antwortet man auf solche Fragen, wenn man groovend in einem Viervierteltakt einen pseudo-alla-breve andeutet?

Meine Meinung: Ja! Durchaus kann man die Inventio#1 groovend pseudo-alla-breve spielen, und GLEICHZEITIG der Melodieentwicklung dynamisch sehr differenziert Rechnung tragen. Es ist allerdings eine pianistische Herausforderung, statt mehr oder weniger undifferenziertem non-legato-Spiel die vorgeschlagene Artikulation durchzuziehen und gleichzeitig Augenmerk auf die Klanggestaltung zu legen.

Der Augenmerk meiner Darstellung der ersten 3 Takte der Inventio#1 war, eine "HIP-konforme" Alternative zu den wirklich typisch romantisierenden Melodiebögen von Busoni aufzuzeigen. Das Augenmerk war nicht, sämtliche Möglichkeiten der Klanggestaltung darzustellen.
 
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Aber um präziser zu werden: es geht hier um die hist. inf. Aufführungspraxis insbesondere von Bach, nicht um die Zeit davor und auch nicht um die hist. inf. Aufführungspraxis der Wiener Klassik usw. Zwischen all dem liegen ja Welten!
Nein, es geht hier nicht um ein Thema, welches Dein Steckenpferd zu sein scheint ;) sondern es geht hier um die erste Invention: https://www.clavio.de/forum/188950-post1.html

aber dennoch, wiewohl off-topic-Gefahr:
Nein, für mich sind ganz klar die Interpretationsanweisungen von Busoni und Straube bzgl. Bach Zeitzeugnisse aus romantisch verklärter Darstellungsweise. (...) Alternative zu den wirklich typisch romantisierenden Melodiebögen von Busoni aufzuzeigen.
Ich komme da leider nicht mit, weil ich nach wie vor nicht weiß, was Du mit "romantisch verklärt" und "romantisierend" meinst.

Karl Straube 1873-1950
Zitat von Wiki:
Straube wandte sich zunehmend von dem vorherrschenden spätromantischen Stil ab und suchte wieder das barocke Klang-Ideal, womit er die Orgelbewegung in Deutschland stark beeinflusste.
Ferrucio Busoni 1866-1924 (wer der war, sollte bekannt sein)
...wer von wem was übernommen hat, müsste man en detail nachschauen - ich bin aber zuversichtlich, dass die Bachherausgabe (Klavierwerke) von Busoni etwas früher ist... Und selbst wenn Busoni von Straube was übernommen hätte, dann verblüffenderweise von einem, der in seiner Weise gegen den spätromantischen Interpretationsstil war ;)

Dadurch versteige ich mich nicht zu Behauptungen, was richtig oder was falsch sei. Sondern zeige nur, was ANDERS ist gegenüber der Interpretationsweise der hist. informierten Aufführungspraxis.
Dass Du, sowie Du Busoni im Zusammenhang mit Bach nennst, keine negativen Konnotationen verwendest und auf Wertungen verzichtest, ist mir neu - ob das eine wirklich gute Idee ist, sei dahin gestellt... Immerhin zeigen Busonis Zusätze (Bögen, Artikulationszeichen etc.) in seiner Ausgabe der Inventionen eindeutige musikalische Zusammenhänge (Themen, Thementeile usw.), und darin sind die schlichtweg richtig. Bevor Du schimpfst: ich lese diese in der genannten Weise, also als die Darstellung musikalischer Zusammenhänge - als zu befolgende Anweisungen zur Phrasierung und Artikulation verwende ich sie nicht.

Ich habe nur geschrieben, was ich bisher an Darstellungen bedeutender Bachinterpreten mehr oder weniger vermisse, mit Verlaub! Und ich gestehe gerne ein, dass ich nicht alle kenne.
Dann solltest Du es tunlichst vermeiden, solche Urteile zu äußern, wie dass sich hist. inf. Aufführungspraxis kaum bei den Bachinterpreten herumsprechen würde - dazu genügt nämlich Dein lediglich partieller Eindruck nicht.
Des weiteren: wer von den Bachinterpreten die von Dir bevorzugte Spielweise nicht übernimmt, der bezeugt damit nicht notwendig, dass er sie nicht kennt - man kann sie am Klavier nämlich auch ganz oder in Teilen ablehnen.

In meinem Beispiel der ersten 3 Takte sind sehr wohl dynamische Anweisungen zur Klanggestaltung. Zum wechselseitigen Hervorheben des Themas zwischen erster und zweiter Stimme habe ich mich ebenfalls ausgelassen.(...) Das Augenmerk war nicht, sämtliche Möglichkeiten der Klanggestaltung darzustellen.
Und die sind erstens sehr schematisch, zweitens überladen sie das schlichte Linienspiel der beiden Imitationsstimmen, drittens ignorieren sie melodisch-thematische Zusammenhänge (z.B. das jeweilige sture crescendo zu jedem Taktanfang).
Selbst die einfache erste Invention, die keine pianistische Herausforderung darstellt, ist keine starr schematische Musik - überhaupt finden sich abgesehen von manchen zum Überdruß wiederholten harmonischen Floskeln in Bachs Klaviermusik keine langweilenden und permanent aneinandergereihten Schematismen. Dafür ist gerade die übersichtliche erste Invention mit ihrem dreigliedrigen Aufbau mit Minicoda ein Musterbeispiel.
Die F-Dur Invention, ein keck motorisches, spielfreudiges, witziges Stück, eignet sich übigens hervorragend für die von Dir beschriebene Spielweise, ebenfalls die letzte der dreistimmigen (h-Moll) - wie Du siehst, ich lehne gar nicht alles ab :)

Meine Meinung: Ja! Durchaus kann man die Inventio#1 groovend pseudo-alla-breve spielen, und GLEICHZEITIG der Melodieentwicklung dynamisch sehr differenziert Rechnung tragen.
Zuvor gilt zu prüfen, wie die rhythmische (versanaloge) Struktur der Themen ist, nicht dass man gegen den musikalischen Sinn betont ;)
 
Rolf, ich glaube, die Argumente sind soweit ausgetauscht. Ich würde mir wünschen, dass der eine oder andere Lust darauf bekommt, die Impulse der HIP-Bewegung, die von anderen Instrumenten und Orchesterwerksaufführungen ausgehen, stärker auf das Klavier zu übertragen als es gegenwärtig der Fall ist. Die Chancen sind groß - finde ich - dass es zu einer ebenso guten Resonanz führt, wie wir sie gegenwärtig bei anderen Instrumenten/Orchesterstücken erleben.

Höchstens noch die Anmerkung zu Straube/Busoni: Keiner bestreitet, dass auch Straube eine Entwicklung durchgemacht hat. Jedoch sowohl die Bach-Orgelausgabe vom frühen Straube, die ich antiquarisch erwarb, als auch die Ausgabe der Bach-Inventionen von Busoni tragen meiner Meinung nach eindeutig romantisierende Züge, sie finden sich genau in dieser Weise dargestellt auch auf alten Tonzeugnissen wieder. Dass Melodiebögendarstellungen lediglich als Darstellung musikalischer Zusammenhänge, nicht jedoch als deren Umsetzung bzgl. Phrasierung gesehen werden (wie Rolf es schrieb), geht an der Realität vorbei, wie man an alten Tonzeugnissen sieht, die eben genau diese Melodiebögen durch entsprechende Phrasierung darstellen.

Weiterhin spüre ich eine ziemliche Ablehnung von Klavierspielern, Bach "HIP-konformer" zu interpretieren. Ich kann es nicht verstehen, weil ich es gerade spannend finde, sehr unterschiedliche Klavierspielweisen je nach Komponist/Zeitepoche an den Tag zu legen. Und weil ich sehe, welchen Drive und Groove z.B. Bachwerke bekommen können (wozu mehr gehört als nur non-legato statt legato zu spielen), wenn sie auf dem Klavier adäquat umgesetzt werden. Ich wage die Prognose, dass sich hier was ändern wird bzgl. Bach-Interpretation auf dem Klavier. Mehr möchte ich dazu hier nicht schreiben.
 
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Rolf, ich glaube, die Argumente sind soweit ausgetauscht. Ich würde mir wünschen, dass der eine oder andere Lust darauf bekommt, die Impulse der HIP-Bewegung, die von anderen Instrumenten und Orchesterwerksaufführungen ausgehen, stärker auf das Klavier zu übertragen als es gegenwärtig der Fall ist. Die Chancen sind groß - finde ich - dass es zu einer ebenso guten Resonanz führt, wie wir sie gegenwärtig bei anderen Instrumenten/Orchesterstücken erleben.

Höchstens noch die Anmerkung zu Straube/Busoni: Keiner bestreitet, dass auch Straube eine Entwicklung durchgemacht hat. Jedoch sowohl die Bach-Orgelausgabe vom frühen Straube, die ich antiquarisch erwarb, als auch die Ausgabe der Bach-Inventionen von Busoni tragen meiner Meinung nach eindeutig romantisierende Züge, sie finden sich genau in dieser Weise dargestellt auch auf alten Tonzeugnissen wieder. Dass Melodiebögendarstellungen lediglich als Darstellung musikalischer Zusammenhänge, nicht jedoch als deren Umsetzung bzgl. Phrasierung gesehen werden (wie Rolf es schrieb), geht an der Realität vorbei, wie man an alten Tonzeugnissen sieht, die eben genau diese Melodiebögen durch entsprechende Phrasierung darstellen.

Weiterhin spüre ich eine ziemliche Ablehnung von Klavierspielern, Bach "HIP-konformer" zu interpretieren. Ich kann es nicht verstehen, weil ich es gerade spannend finde, sehr unterschiedliche Klavierspielweisen je nach Komponist/Zeitepoche an den Tag zu legen. Und weil ich sehe, welchen Drive und Groove z.B. Bachwerke bekommen können (wozu mehr gehört als nur non-legato statt legato zu spielen), wenn sie auf dem Klavier adäquat umgesetzt werden. Ich wage die Prognose, dass sich hier was ändern wird bzgl. Bach-Interpretation auf dem Klavier. Mehr möchte ich dazu hier nicht schreiben.



Lieber Mindenblues,

ich finde den Austausch hier wirklich interessant. Da ich leider keine Spezialistin für HIP bin, diese Aufführungspraxis aber schätze ( wir haben ihr auch viel zu verdanken) kann ich dabei nur lernen und ich bin durchaus offen für andere Sichtweisen. HIP begeistert dich offensichtlich sehr und daher kommt es ja auch zu dieser Diskussion.

Ich glaube aber, dass viele Pianisten, gerade auch die, die für ihr Bach-Spiel berühmt geworden sind, sich sehr intensiv mit der Barockzeit und damaliger Aufführungspraxis, die ja auch immer nur auf Vermutungen bzw. auf Indizien beruhender Beweisführung beruht :p, beschäftigt haben und beschäftigen. Und die Frage ist dann, wieso sie denn zu anderen Ergebnissen kommen. Ich glaube nicht, dass man da von Willkür sprechen kann, denn heutzutage steht Werktreue u.ä. hoch im Kurs.

Meines Wissens ergab sich ursprünglich die Artikulation in der Barockzeit aus der Sprache ( erst in der Barockzeit selbst wurde ja reine Instrumentalmusik komponiert). Je nachdem wie die Silben und Wörter im Kontext zum Rhythmus und Metrum komponiert waren, ergaben sich Bögen und unterschiedlich lange Notenwerte. So wurde das Wort durch die Artikulation musikalisch umgesetzt.

In der Instrumentalmusik fanden sich diese rhethorischen und sprachlichen Mittel wieder. Natürlich muss man dann auch aus der Artikulation derselben lernen und sie gegebenfalls übernehmen. Nur geht die Instrumentalmusik ja auch darüber hinaus und hat jede Menge Neues geschaffen. Die Frage, die ich mangels Wissen auch nicht wirklich beantworten kann, ist dann, ob ähnliche Artikulationen in Vokalwerken wirklich 1:1 in sehr neuen Formen wie der Klaviermusik übernommen werden können.

Ich glaube schon, dass es möglich ist, diese kleinformatigeren Artikulationen im Hinblick auf die sehr unterschiedlichen Charaktere von Werken anzupassen, so dass Phrasierung, Harmonik etc. trotzdem in ihren Linien, Wendungen und Strukturen dargestellt werden können. Also auch deine vorgeschlagene Artikularion musikalisch sinnvoll umzusetzen. Ich glaube aber auch, dass es da Grenzen gibt und dass die Artikulation von Vokalwerken, die sich im wesentlichen aus der Sprache ergibt, bei der Klaviermusik ebenfalls an diese stößt. Ich glaube auch, dass Artikulationen von Orgelmusik anders sein muss als bei Klaviermusik, weil der Klang der Instrumente in den jeweilig anders klingenden Räumlichkeiten ( hallige Kirchen, Konzertsaal - sehr unterschiedliche Akkustik) sehr verschieden ist.

Aber es lohnt sich auf jeden Fall, darüber nachzudenken.

Was ich noch gerne machen würde, ist, ein Notenbeispiel vom Anfang der Fuge der c-moll-Toccata hier reinzustellen, da du gesagt hättest, das wäre nicht HIP. Leider bin ich immer noch so blöd, nicht zu kapieren, wie man das macht. Kann mir vielleicht freundlicherweise jemand erklären, wie man Teile ( Takte) aus imslp hier reinstellt??? Dann könnte man sich mal über die Artikulation austauschen.

Liebe Grüße

chiarina
 
Liebe chiarina,

ich glaube, dass sich die kleinformatige Artikulation auch durch die damals gängige Fingersetzung fast zwangsweise ergab:
Vor einiger Zeit spielte ich mit dem Gedanken, mir einen Clavichordbausatz zuzulegen und mir ein Clavichord zu basteln. Daher bin ich nach Hamburg-Wansbek gefahren und habe beim Händler Nachbauten nach Originalmaßen ausprobiert. Ich bin fast vom Hocker gefallen: die Tasten sind DERMASSEN kurz, dass die weißen Tasten vielleicht nur 20mm länger sind als die schwarzen. Dadurch kriegt man kaum die Daumen auf die Tasten, man muß sie vor den Tasten herunterhängen lassen! Das erklärt für mich besser als jedes Buch es kann, warum man in der Vorbachzeit solche blöden Fingersätze gebrauchte, die natürlich besser für kleingliedrigere Artikulation geeignet sind.

Nun wissen wir von Bach, dass er den Daumen gebrauchte, und das zu dieser Zeit sich auch die Tastendimensionen zunehmend "daumenfreundlicher" gestaltet haben. Mein Punkt ist nur, dass die Kleingliedrigkeit der Artikulation damals auch "historisch gewachsen" ist aufgrund der Fingersätze. Und das die Musikkompostionen und -Interpretationen nicht völlig losgelöst von diesen historischen Fingersätzen gesehen werden sollten (Hardcore-"HIP"er nehmen bewußt diese historischen Fingersätze - für mich würde sowas zu weit gehen...).

Weiterhin, die Musik von Bach ist so aufgebaut, dass man von einer Aneinanderreihung von "Floskeln", die sich für Artikulation anbieten, sprechen kann (finde ich). Schweitzer hat ja in seinem Bach-Buch die verschiedenen Floskeln/Motive, wie "Seufzer-Motive", "Jauchzer-Motive", eindrucksvoll ausgeführt. Diese Motive sind in der Regel kleingliedrige Angelegenheiten und damit als "Artikulationsgruppe" geeignet.

Bzgl. Notenbeispiel reinstellen:
Du kannst z.B. einen Screenshot vom PDF-Dokument machen, dass per Paint auf die Größe als jpg-Datei herunterschrauben und dann als Dateianhang hier hochladen, über den Button "Anhänge verwalten".
Um Bilder direkt zu sehen, müssen die wohl auf irgendeinem Server liegen. Für solche Zwecke habe ich mir eine eigene Homepage gegönnt, was den Vorteil hat, das man selber Herr/Frau der Daten bleibt, die dort liegen - und man keine dusseligen Werbebanner wegklicken muß o.ä.
 
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Liebe chiarina,

ich glaube, dass sich die kleinformatige Artikulation auch durch die damals gängige Fingersetzung fast zwangsweise ergab:
Vor einiger Zeit spielte ich mit dem Gedanken, mir einen Clavichordbausatz zuzulegen und mir ein Clavichord zu basteln. Daher bin ich nach Hamburg-Wansbek gefahren und habe beim Händler Nachbauten nach Originalmaßen ausprobiert. Ich bin fast vom Hocker gefallen: die Tasten sind DERMASSEN kurz, dass die weißen Tasten vielleicht nur 20mm länger sind als die schwarzen. Dadurch kriegt man kaum die Daumen auf die Tasten, man muß sie herunterhängen lassen! Das erklärt für mich besser als jedes Buch es kann, warum man in der Vorbachzeit solche blöden Fingersätze gebrauchte, die natürlich besser für kleingliedrigere Artikulation geeignet sind.

Nun wissen wir von Bach, dass er den Daumen gebrauchte, und das zu dieser Zeit sich auch die Tastendimensionen zunehmend "daumenfreundlicher" gestaltet haben. Mein Punkt ist nur, dass die Kleingliedrigkeit der Artikulation damals auch "historisch gewachsen" ist aufgrund der Fingersätze.

Weiterhin, die Musik von Bach ist so aufgebaut, dass man von einer Aneinanderreihung von "Floskeln", die sich für Artikulation anbieten, sprechen kann. Schweitzer hat ja in seinem Bach-Buch die verschiedenen Floskeln, wie "Seufzer-Motive", "Freuden-Motive", eindrucksvoll ausgeführt. Diese Motive sind in der Regel kleingliedrige Angelegenheiten und damit als "Artikulationsgruppe" geeignet.


Da stimme ich dir absolut zu. Ich habe auch schon mal auf so einem Clavichord gespielt....:p. Die Frage ist natürlich, inwieweit man die größeren Möglichkeiten auf dem heutigen Flügel ausreizen kann und darf. Was die Artikulationsgruppen betrifft, so kennt die heute natürlich jeder Pianist. Wie sie und ob sie dann verwendet werden, hängt von verschiedenen Faktoren ab.

Vielen Dank für den Hinweis bzgl. Screenshot. Mal sehen, ob ich es irgendwann hinkriege...... . :p

Liebe Grüße

chiarina
 
Vielen Dank für den Hinweis bzgl. Screenshot. Mal sehen, ob ich es irgendwann hinkriege...... . :p

Liebe Grüße

chiarina

Hallo chiarina,

ein Bild kann auch einfach als Anhang zu einem Beitrag angefügt werden, das geht über die Büronadel oben in der ersten Zeile des Antworten-Kästchens.
Dann muss das Bild nicht extern irgendwo gehostet sein.

Wenn das mit dem Ausschnitt machen etc. ein Problem ist dann mache ich das gerne für dich, da brauche ich nur den link zu dem, was du einstellen möchtest und die Taktangaben.

Viele Grüße,
manha
 
Was ich noch gerne machen würde, ist, ein Notenbeispiel vom Anfang der Fuge der c-moll-Toccata hier reinzustellen, da du gesagt hättest, das wäre nicht HIP.

Habe es mal als Dateianhang hier angehängt (falls es die Stelle ist, die du meinst).

Man könnte diese Datei verwenden, auf den eigenen Rechner laden, Melodiebögen mit Paint o.ä. reinmalen und wieder hochladen.
 

Anhänge

  • Fugenanfang_c_moll_Toccata.jpg
    Fugenanfang_c_moll_Toccata.jpg
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Hallo chiarina,

ein Bild kann auch einfach als Anhang zu einem Beitrag angefügt werden, das geht über die Büronadel oben in der ersten Zeile des Antworten-Kästchens.
Dann muss das Bild nicht extern irgendwo gehostet sein.

Wenn das mit dem Ausschnitt machen etc. ein Problem ist dann mache ich das gerne für dich, da brauche ich nur den link zu dem, was du einstellen möchtest und die Taktangaben.

Viele Grüße,
manha


Oh, Manha, du bist ein Schatz!!! Der link ist folgender:

http://216.129.110.22/files/imglnks/usimg/7/7e/IMSLP66388-PMLP08022-Toccatas_BWV_910-916.pdf

Dort die zweite Toccata (3b's) von Takt 33 bis T. 38 einschließlich (ungefähr, kann auch mehr sein). Bloß wie macht man das??? :confused: Ich kann da noch nicht mal was kopieren per Mausklick!

Liebe Grüße und tausend Dank!!!

chiarina
 
Schade, chiarina, ich dachte, ich bin auch ein Schatz - oder ist es nicht die Stelle, die du meinst, die ich als Bild schon hochgeladen habe?

Du könntest dieses Bild auf deinen Rechner laden, Phrasierungsbögen usw. einzeichnen, wieder hochladen.
 
Rolf, ich glaube, die Argumente sind soweit ausgetauscht.
Nein, das sind sie nicht - und genau genommen fanden sich kaum Argumente. Was Du als historisch informierte Aufführungspraxis erklärst und dann mit einem Notenbeispiel (Anfang der ersten Invention) belegen willst, ist kein erfreulicher Ausweis für die Bemühungen der historisch informierten Aufführungspraxis. Notfalls ließe sich dort über die kleinen Artikulationsbögen reden, wobei ebenso c-d-e f-d-e-c (fett gleich angebunden, nicht fett stacc/non leg.), was rhythmisch für Belebung sorgt und einen starren Schematismus der Hervorhebung von Zählzeiten und ihren Halbierungen vermeidet. Aber schlicht inakzeptabel ist Dein durchgehendes Crescendo für das komplette Sechzehntelthema zusammen mit den nachfolgenden Achteln! Bei aller Gutwilligkeit: das hat die histor. inf. Auff. nicht verdient, und ich kann nur jedem dringend abraten, die erste Invention in dieser Weise zu spielen.
Intensität der Artikulation, gegebenenfalls auch verschiedene Artikulationen identischer Themen in polyphonen Sätzen, ist/sind gerade zur Trennung der Stimmen auf dynamikarmen Instrumenten erforderlich (Cembalo, Orgel) denn sonst kann eine mehrstimmige Fuge für den Hörer unübersichtlich werden.
Am Klavier kommt die diesem Instrument eigene große Dynamik hinzu, womit die Unterscheidungsmöglichkeiten im polyphonen Satz deutlich zunehmen.

ich glaube, dass sich die kleinformatige Artikulation auch durch die damals gängige Fingersetzung fast zwangsweise ergab:
Vor einiger Zeit spielte ich mit dem Gedanken, mir einen Clavichordbausatz zuzulegen und mir ein Clavichord zu basteln. Daher bin ich nach Hamburg-Wansbek gefahren und habe beim Händler Nachbauten nach Originalmaßen ausprobiert. Ich bin fast vom Hocker gefallen: die Tasten sind DERMASSEN kurz, dass die weißen Tasten vielleicht nur 20mm länger sind als die schwarzen. Dadurch kriegt man kaum die Daumen auf die Tasten, man muß sie vor den Tasten herunterhängen lassen! Das erklärt für mich besser als jedes Buch es kann, warum man in der Vorbachzeit solche blöden Fingersätze gebrauchte, die natürlich besser für kleingliedrigere Artikulation geeignet sind.

Nun wissen wir von Bach, dass er den Daumen gebrauchte, und das zu dieser Zeit sich auch die Tastendimensionen zunehmend "daumenfreundlicher" gestaltet haben. Mein Punkt ist nur, dass die Kleingliedrigkeit der Artikulation damals auch "historisch gewachsen" ist aufgrund der Fingersätze. Und das die Musikkompostionen und -Interpretationen nicht völlig losgelöst von diesen historischen Fingersätzen gesehen werden sollten.
Sänger, Streicher, Bläser haben keine kleingliedrigen Fingersätze... :D Die Artikulation in der Barockmusik kommt nicht von zu kleinen Tasten her!

Weiterhin, die Musik von Bach ist so aufgebaut, dass man von einer Aneinanderreihung von "Floskeln", die sich für Artikulation anbieten, sprechen kann.
mache dich, meine Herz, rein... ...überleg Dir das noch mal ;)
Bachs Musik ist nicht mehr und auch nicht weniger floskelhaft als die von Mozart oder Chopin. Bestimmte Formeln waren in verschiedenen Stilen üblich und alltäglich, und selbstredend lassen sich diese zeigen - aber sie haben nie musikalische Gedanken bestimmt. Scheibe wollte das mal Bach nachweisen, scheiterte aber mit diesem Unterfangen.

Bzgl. Notenbeispiel reinstellen:
Du kannst z.B. einen Screenshot vom PDF-Dokument machen, dass per Paint auf die Größe als jpg-Datei herunterschrauben und dann als Dateianhang hier hochladen, über den Button "Anhänge verwalten".
Um Bilder direkt zu sehen, müssen die wohl auf irgendeinem Server liegen. Für solche Zwecke habe ich mir eine eigene Homepage gegönnt, was den Vorteil hat, das man selber Herr/Frau der Daten bleibt, die dort liegen - und man keine dusseligen Werbebanner wegklicken muß o.ä.
Ich habe das bisher mit screenshots als jpg. so gemacht - aber was ich bis jetzt noch nicht schnalle, das ist, wie ich auf dem Bildschirm (z.B. in einem Word.Dok oder pdf) Bögen etc "einzeichnen" könnte. Sowas auf dem Papier machen und dan scannen ist mir zu aufwändig.
 
Schade, chiarina, ich dachte, ich bin auch ein Schatz - oder ist es nicht die Stelle, die du meinst, die ich als Bild schon hochgeladen habe?

Du könntest dieses Bild auf deinen Rechner laden, Phrasierungsbögen usw. einzeichnen, wieder hochladen.


Ach du Schande, ich habe nicht gesehen, dass du es ja schon so nett gemacht hattest! Vielen Dank, natürlich bist du auch ein Schatz!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! :kuss: :kuss: :D

Wenn's um Technik geht, fühle ich manchmal wie eine kreischende, hilflose Henne, die verzweifelt im Heuhaufen nach ihren Eiern sucht. :D

Ich weiß leider noch nicht mal, wie ich dieses Ding auf den Rechner kriege. Da ist nur open office drauf - vielleicht liegt es daran?? Peinlich, peinlich....!

Auf jeden Fall geht es mir darum, dass ich das ziemlich so artikulieren würde, wie es auch Martha Argerich im vorliegenden Fall macht:

http://www.youtube.com/watch?v=sqp2_LaYoSU&feature=related


Du hattest, als ich dieses Beispiel schon einmal postete, angemerkt, dass HIP eine andere Artikulation vorsehen würde. Ich kann mir zwar schon denken, welche, z.B. eine Bindung von es1-c1 auf der nächsten ersten Taktzeit und auch vermutlich eine Bindung vorher auf der dritten Taktzeit zu den 16teln, aber ich würde es gern genauer wissen.

Liebe Grüße

chiarina
 

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