Je öfter du Auftrittst umso weniger nervös wirst du beim nächsten mal.
Du meinst sicher das Richtige: viel auftreten und Erfahrung sammeln, ist die beste Medizin. :D
Allerdings wird man (meistens) nicht weniger nervös, wenn man oft auftritt, aber man lernt, mit dem Lampenfieber immer besser umzugehen. Man lernt, dass man entgegen aller Erwartungen nicht stirbt und ein Fehler gar nicht so schlimm ist, wie man vorher denkt. :D
Und das gibt Selbstsicherheit und verhilft dazu, keine Angst vor der Angst zu haben!
Wenn man erlebt, dass trotz schweißnasser Hände, trotz heftig schlagenden Pulses bis zum Hals, trotz zitternder Finger es möglich ist, schnelle Passagen zu spielen oder überhaupt zu spielen, wird man allmählich ruhiger.
Daher bin ich absolut gegen Beta-Blocker. Einzige Ausnahme: Probespiele u.ä. für Berufsmusiker, die existenziell sind.
Ich will unbedingt ich selbst sein beim Konzert, mit allem, was dazu gehört. Chiarina con tutto sozusagen.

Mit Haut und Haar, mit Fehlern, mit Lampenfieber, mit allen Emotionen. Das bin dann wenigstens ich und keine Hochglanzchiarina, die auf null Fehler gebürstet ist.
Ich verstehe natürlich deine Überlegungen, lieber KrautundRueben! Angenehm ist Lampenfieber nicht, sogar sehr unangenehm. Man hat das Gefühl, dass man nie und nimmer etwas auf die Reihe kriegen wird und hat Angst zu versagen. Ich für meinen Teil versuche immer, dieses Gefühl anzunehmen und zu sagen: "Tja, genau so ist es jetzt! Dann mal tief durchatmen und sich auf das konzentrieren, was alle im Saal verbindet: die Musik!"
Daneben hilft:
1. viel vorspielen und sei es nur einem Freund oder dem Hund
2. sich oft aufnehmen
3. tief in den Bauch atmen (s. auch
http://www.dr-mueck.de/HM_Angst/HM_Angst_wegatmen.htm oder
http://www.psychosomatik.at/uploads/file/Atmung+und+Stress_pdf.pdf)
4. auf einen stabilen Sitz achten und dabei ganz besonders auf den Kontakt der Füße mit dem Boden (vor allem des linken Fußes, da der rechte oft das Pedal bedient), sich bewusst frei machen und evtl. etwas zurücklehnen
5. sich regelmäßig/täglich die Auftrittssituation beim Beginn des Übens vorstellen und einen Kaltstart machen, d.h. ohne Einspielen das ganze Stück durchspielen, erst danach mit dem eigentlichen Üben beginnen
6. sich gut vorbereiten, d.h. das Stück gut können, alle Stimmen kennen und - das Wichtigste - an allen Phrasenanfängen locker im Tempo einsteigen können. Diese Sicherheitsstellen, so nenne ich sie, sind quasi das Netz, das einen Zirkusartisten und dann auch dich bei einem Fehler auffängt. Es ist wichtig, dass man weiß und übt, dass ein Fehler nicht das Aus bedeutet, sondern man trotzdem immer weiter kommt. Das muss man üben und Stilblüte hat sehr schöne Übetipps in ihren Übeexperimenten gegeben, die man sich zu Herzen nehmen sollte (rückwärts Sicherheitsstellen durchgehen etc.etc.).
7. evtl. autogenes Training oder andere Entspannungstechniken erlernen
8. beim Vorspielen der Musik zuhören und sich auf die Klänge konzentrieren
9. bei einem Fehler NIE zurückspringen und versuchen, die Stelle richtig zu spielen!, einfach munter weiter spielen, evtl. in die nächste Sicherheitsstelle springen
10. eine bestimmte mentale Einstellung, für mich das Allerwichtigste
Zu Punkt 10 muss ich ausholen:
"Eine falsche Note zu spielen ist unwichtig, aber ohne Leidenschaft zu spielen, ist unverzeihlich!", schrieb Beethoven.
Fehler interessieren meistens nur den Spieler selbst, aber nicht das Publikum. Das Publikum möchte berührt werden, es möchte Musik im wahrsten Sinn des Wortes erleben! Selbst wenn mal sehr große Fehler passieren, sind sie doch oft nur ein Bruchteil des Stückes, mal abgesehen davon, dass das Publikum Fehler oft nicht bemerkt, denn es kennt das Stück nicht wie du (Fachleute ausgenommen). :)
Das Publikum ist also gekommen, um musikalisch berührt zu werden, es kommt vorwiegend wegen der Musik. Und du spielst, weil du Musik liebst und zu deinem Hobby gemacht hast. Die Musik steht also im Mittelpunkt und ist das alles verbindende Element. Nicht du! Nicht deine Leistung!
Wenn ich spiele, habe ich den Wunsch nach Gemeinschaft und Berührung. Ich spiele niemals VOR einem Publikum, sondern ich empfinde eine Einheit von Raum, Instrument, Publikum, mir selbst und dem Klang der Musik. Du bist nicht allein, lieber KrautundRueben, sondern es gibt viele Mitakteure!
Der Raum und das Instrument sind Mitakteure, der Klang, der aus meinem Kopf und meinen Armen, Händen, Fingern in die Tasten strömt, strömt aus dem Instrument in den Raum bis in die hinterste Ecke, zu den Ohren der Zuhörer, löst in ihnen etwas aus und kehrt zu meinen Ohren zurück. Ein Kreislauf. Wenn man dieser Musik zuhört als Spieler, sich von ihr einfach tragen lässt, dann wird es besser und das Lampenfieber wird konstruktiv genutzt.
Es gibt noch sehr viel mehr zu dem Thema zu erzählen. Aber ich meine, dass man lieber daran arbeiten sollte, als den vermeintlich einfachen Weg des beta-Blockers zu nehmen.
Liebe Grüße
chiarina