„Ich kann gar nicht soviel essen, wie ich kotzen möchte“ (Max Liebermann)
Einen solchen Gesprächsverlauf habe ich zu oft mitgemacht, um nicht
wiederkehrende Muster zu erkennen – die man als Strategien des Mißverstehens
durchnummerieren könnte:
Nr.1:
Warum muss der Musikgeschmack anderer Menschen diskutiert werden?
Nicht der Musikgeschmack anderer Menschen, sondern ein bestimmtes
Musikstück ist Diskussionsgegenstand.
Nr.2:
Diese Musik hat funktionellen Charakter, es ist Filmmusik und unterliegt damit
anderen Qualitätsmerkmalen als absolute Musik.
Eine Zwecklüge – wer das Handwerk beherrscht, gibt sich bei Gebrauchsmusik
für Kino oder Theater soviel Mühe wie bei absoluter Musik für den Konzertsaal.
Gute Film- oder Theatermusik landet irgendwann – ihres ursprünglichen Zwecks
entkleidet – im Konzertsaal, so z.B. Prokofieffs Filmmusik zu „Lieutenant Kijé“,
deren Romanze sogar Hauptbestandteil eines Popsongs geworden ist (Sting, „Russians“).
Nr.3:
Und man kann viel Freude daran haben, wenn man den französisch-schwebenden Klang
treffen will, der übrigens auch Satie charakterisiert.
Hier Satie als Bezugspunkt anzuführen, grenzt an Niedertracht. Satie hat alles mögliche
vorweggenommen, das sich zu Grundlagen späterer Kompositionstechniken entwickelt hat:
Verzicht auf die Funktionstonalität, Reduktion der satztechnischen Mittel, Vermischung der Stilebenen.
Aber Satie war viel zu empfindsam, um nicht zu wissen, daß man der Reduktion
ein Stück Komplexion beimengen muß. Man höre sich seine
vierte Gnossienne (1891)
oder die
"Danses de travers" (1897) an, um den Unterschied zu Tiersen zu erkennen,
dessen lieblos aneinandergereihte Vier-Takt-Phrasen von alledem nix wissen.
Eine Variante: Die Behauptung, Tiersen-Kritiker wüßten mit der Einfachheit
nicht umzugehen. Aber nicht Einfachheit ist das Problem, sondern die Tatsache,
daß Tiersen von ihr – im Gegensatz zu Satie, Cage oder Pärt – überfordert ist.
Nr.4:
Musik spricht Emotionen an und die Musik[,] die zu den positiv gewerteten Emotionen passt,
die mag man.
Musik weckt Emotionen, spricht aber den ganzen Menschen an,
also auch den Verstand.
Nr.5:
Man ist einfach zu schnell dabei, mit der Musik auch den Menschen,
der sie mag, geringzuschätzen.
Das ist - wie gesagt - eine Unterstellung, obendrein ein Trick, um jede Kritik
zu unterbinden. Und selbst wenn da ein Kausalzusammenhang bestünde:
Dann hau ich dem Betreffenden lieber meine Kritik um die Ohren, als ein Zeichen
seiner Kritikwürdigkeit, seiner Mündigkeit - besser als ihm therapeutenhaft etwas
vorzusäuseln und ihn dadurch nicht ernstzunehmen.
So, wie ich Kritik erwarte, statt mir therapeutisches Gesäusel anhören zu müssen.
HG, Gomez
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