Ich bestehe gar nicht auf einer erschöpfenden Klärung meiner Kernaussage
(es sei denn, Du tust es). Denn ich weiß gar nicht, ob es so besonders wichtig ist.
Nimm Dir bitte die Zeit, die Du für andere Dinge brauchst.
Ich möchte nun wirklich der letzte sein, der sie Dir stiehlt!
Lieber Dreiklang,
es ist schade, daß Du ausweichst. Ich suche keine Konfrontation,
sondern ein klärendes Gespräch.
Natürlich kann man die Zeit besser nutzen, als über Tiersen zu palavern.
Aber seine Musik ist ein Massenphänomen, und der Gedankenaustausch
darüber ist lehrreich, selbst wenn er von Mißverständnissen begleitet wird.
Dann ist es lehrreich, sich über diese Mißverständnisse auszutauschen.
Ich versuch's noch mal ganz von vorne. "Comptine d'un autre éte" ist ein Popsong;
zwar ohne Text, aber mit allen sonstigen Ingredienzien: durchgehender Beat,
hervorgerufen durch das gleichförmige Bewegungsmuster in der linken Hand,
eine konstant beibehaltene, sich über vier Takte erstreckende Harmoniefolge (--> Riff),
dazu in der rechten Hand eine relativ prägnant formulierte Eingangsfloskel,
die allerdings durch Variantenbildung und Wiederholung totgeritten wird,
um dann in - nun ja - Tongebilde überzugehen, die einzig und allein
das Harmonieschema der linken Hand verdoppeln.
Ob Tiersen besser komponieren kann, ist schwer zu sagen. Seine in dem zur Zeit
lieferbaren Sammelband gedruckten Klavierwerke rangieren alle auf demselben Niveau:
musikalische Allerweltsfloskeln, lieblos zusammengeschustert. Hier setzt das erste
Mißverständnis ein: Nicht das einfache Material oder die satztechnische Reduktion
sind anstößig, sondern Tiersens unbeholfener und liebloser Umgang damit.
Denn mit einfachstem Material und satztechnischer Reduktion kann man ansprechende Musik
schreiben, wie Satie beweist:
Gnossienne Nr.4 (1891) oder
"Danses de travers" (1897).
Aus jüngerer Zeit zwei Beispiele von John Cage:
"In a landscape" und
"Dream" (beide 1948 ).
Der Unterschied: Bei Satie und Cage gibt es immer ein widerborstiges Element, kleine Irritationen
im rhythmischen oder harmonischen Bereich (bei "In a landscape" zum Beispiel der Ton h),
die die Wachsamkeit des Hörers erzwingen und verhindern, daß man sich von der Musik
einlullen lassen kann. Genau dies fehlt der "Comptine". Bei Tiersens Musik muß der Hörer
nicht mitdenken, im Gegenteil, er kann sich wunderbar einlullen lassen,
was den großen Erfolg der "Comptine" erklären dürfte.
Nun kann man sagen: Es ist das gute Recht eines Menschen, beim Hören von Musik
oder beim Klavierspielen ein bischen zu regredieren. Aber dann soll er sich zur Regression
bekennen. Jetzt kommt nämlich das zweite Mißverständnis: Die "TEY-Party"
möchte den anspruchslosen Piano-Pop als anspruchsvolle Musik aufgewertet wissen.
Gegen diese Anmaßung regt sich der Widerspruch, nicht gegen Tiersen selbst.
Und nun erklärst Du, das "musikalisch Dumme" (Hanns Eisler) soll nicht benannt,
der Niveauunterschied tabuisiert werden, damit niemandes Gefühle verletzt werden.
Im Lebensalltag pflege ich die Hör- und Musiziergewohnheiten anderer Menschen
nicht zu kommentieren. Aber in einem der Klaviermusik gewidmeten Forum
darf auf man die Frage einer 18 Jahre alten, d.h. volljährigen und mündigen Frau
doch wohl etwas anders antworten, als sich die Fragestellerin vorgestellt hat,
zumal sie daraus ja auch ein wenig lernen könnte.
Davon abgesehen wurde ihre Frage beantwortet - zum Beispiel mit den
oben genannten Titeln.
Herzliche Grüße,
Gomez
.