A propos der Unterscheidung zwischen Improvisation und kunstvoll gearbeiteter Komposition überlege man sich die Entwicklung des "Präludiums" als Gattung: Aufgeschriebene Improvisation - jedoch nicht weniger kunstvoll. Wenn man es genau nimmt, ist das ganze C-Dur Präludium nichts anderes als eine aufgeschriebene Improvisation, die zudem noch verhältnismäßig einfach ist im Vergleich zu manch anderem Präludium.
Wir hatten Gounouds Melodie übrigens auch als Bsp. im Improvisationsseminar, als Anregung dazu, was man tun kann. Das bedeutet zum einen nicht, dass sie deswegen schlecht ist, da einfach genug, um als Beispiel zum Nachahmen zu gelten (das Präludium an sich ist ebenfalls einfach genug, um als solches Beispiel zu dienen), zum anderen bedeutet es nicht, dass man es wirklich ebenso gut nachmachen kann.
Als ich von "Kunsthandwerk" sprach, meinte ich die anspruchsvolle Komposition im Allgemeinen. Sicher ist für mich Gounods Melodie nicht der Gipfel der anspruchsvollen Komposition, darum ging es mir gar nicht. Trotzdem setzt sie ästhetische Prinzipien um, von denen es nicht jedem gegeben ist, diese so umzusetzen. Ich wünsche einfach nur allen, dass sie dieses Kunsthandwerk schätzen lernen - in all seinen Ausprägungen, Stilrichtungen, Extremen.
Ich achte jede Musik, die hervorgebracht wurde, selbst diejenige, die ich nicht mag - genauso wie ich ein hässliches kleines Plastikteil nicht zerstören würde, nur weil ich es nicht hübsch finde. Ich habe Respekt vor der Sache an sich. Es wurde immerhin hergestellt, um zu existieren. In dem Moment, wo es auch nur einer einzigen Person gefällt - und sei es dem Hersteller selbst - hat es schon einen Sinn erfüllt.
Wenn man das weiter denkt, besteht natürlich die Frage, ob etwas überhaupt einen Sinn erfüllen muss, um existieren zu dürfen. Nicht einmal das würde ich fordern.
Insofern mögen Yiruma, Thiersen usw. gespielt und geliebt werden, von mir aus gerne - ich allerdings liebe das Kunsthandwerk Komposition, welches sich auch in ganz kleinen Dingen zeigt und würde als Klavierlehrer allen Leuten, die Thiersen und co spielen wollen darüber hinaus auch immer Stücke des Kunsthandwerks zeigen.
Liebe Grüße,
Partita