Wer spielt Unterhaltungsmusik/"leichte Muse"/Kitsch

  • Ersteller des Themas Pianist685
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:super::super:Oder anders formuliert: Wenn man Beethoven den Ruf als einer der Größten seines Faches nicht streitig macht, weil er zwischendurch plakative Auftragsarbeiten erledigt hat und man Tschaikowsky nicht an seiner 1812-Ouvertüre misst - wozu soll man sich ohne das Zeug zu einem der Größten des Universums für sogenannte niedrige Arbeiten zu fein sein? Der Regisseur und Schauspieler Jacques Tati pflegte zu sagen, wer sich zu groß für die Erledigung kleiner Aufgaben fühle, sei in Wahrheit für große Aufgaben zu klein. Recht hatte er.

LG von Rheinkultur[/QUOTE]
... und im Übrigen sind die angeblich "kleinen" Aufgaben dann eben doch nicht so klein. Barpianisten jedenfalls haben meine Hochachtung. Einen Abend lang Programm zu machen ohne dabei Wiederholungen am laufenden Band zu produzieren, und das ganze dann noch fehlerfrei und ohne sich in den Vordergrund zu spielen, da kann sich so mancher Konzertpianist eine Scheibe von abschneiden. Play it again, Sam :-D.
 
Barpianisten jedenfalls haben meine Hochachtung. Einen Abend lang Programm zu machen ohne dabei Wiederholungen am laufenden Band zu produzieren, und das ganze dann noch fehlerfrei und ohne sich in den Vordergrund zu spielen, da kann sich so mancher Konzertpianist eine Scheibe von abschneiden.
Die guten Unterhaltungspianisten oder Spezialisten für Piano-Livemusik können die verlangten Qualitäten und Fertigkeiten nur mit einer anspruchsvollen Ausbildung und mit dem erwähnten Blick über den Tellerrand hinaus gewährleisten. Idealerweise handelt es sich um eine Kombination einer "klassischen" pianistischen Ausbildung mit den improvisatorischen Fertigkeiten im Bereich von Jazz und Popularmusik, dazu kommen die Beobachtungsgabe eines Bühnenprofis, Praxis in den Bereichen Showbusiness und Entertainment... - den größten Teil kann man nicht oder nur eingeschränkt im Studium erlernen.

Die wenigsten leben ausschließlich von solchen Engagements - üblich ist die Kombination mit anderen Bereichen wie Musikpädagogik, Kammermusik, Liedbegleitung oder Tätigkeiten im Musiktheaterbereich. Wer sich also als "Barpianist" eine Existenz erschließen will vor dem Hintergrund, in "klassischen" Bereichen gescheitert zu sein, wird auch im Unterhaltungsbereich nicht alt. Entsprechende Ausbildungsnachweise sind zwar nicht zwingend erforderlich - man muss aber einfach gut genug sein. Wer es ist, besitzt in den meisten Fällen allerdings erfahrungsgemäß die entsprechenden Papiere.

LG von Rheinkultur
 
Hier würden doch einige jetzt bestimmt gerne spielen, und Beethoven wäre gar nicht meht interessant ;)

http://www.palazzoversace.ae/en/default.html

CxZimmKUQAACbCD


http://gulfnews.com/life-style/music/quincy-jones-opens-q-s-bar-at-palazzo-versace-dubai-1.1930327

http://www.forbes.com/sites/tmullen/2016/11/14/daniel-gassin-jazz-pianist-plays-dubai/#62395097660f
 
Die formvollendete Geschmacklosigkeit, nur Guantanamo ist schlimmer (auch was die anderen Gäste angeht).
Im 19. Jahrhundert zog es viele Geistesgrößen nach Baden Baden. Ob es da viel geschmackvoller war.
Und ich würde blind wetten, wenn du dort spielen dürftest mit Aufenthalt etc. wäre das alles bestimmt nicht mehr so furchtbar, solange es natürlich nur niemand mitbekommt ;)
 
wenn ich so gut spielen könnte, wie es hier sicherlich Voraussetzung ist und wenn ich ein Engagement zu annehmbaren Bedingungen bekäme, wäre ich mit qualmender Socke unterwegs.
 
Und ich würde blind wetten, wenn du dort spielen dürftest mit Aufenthalt etc. wäre das alles bestimmt nicht mehr so furchtbar, solange es natürlich nur niemand mitbekommt ;)

Ich bin nur ein Amateur, aber wäre ich keiner, würde ich es hier auch mit Beethovens "Für solche Schweine spiele ich nicht" halten. Wer hat denn Lust, die neu- und altreichen Prolls in diesem stillosen Dekadenzbau zu bespaßen?
 
Ich bin nur ein Amateur, aber wäre ich keiner, würde ich es hier auch mit Beethovens "Für solche Schweine spiele ich nicht" halten. Wer hat denn Lust, die neu- und altreichen Prolls in diesem stillosen Dekadenzbau zu bespaßen?
Das hängt vermutlich von der Gage ab und den sonstigen Engagements des Musikers. Nicht jeder kann es sich wie der alte Ludwig leisten, solche Sachen abzulehnen.
 
Im 19. Jahrhundert zog es viele Geistesgrößen nach Baden Baden. Ob es da viel geschmackvoller war.
Und ich würde blind wetten, wenn du dort spielen dürftest mit Aufenthalt etc. wäre das alles bestimmt nicht mehr so furchtbar, solange es natürlich nur niemand mitbekommt ;)
So ganz dolle wäre es zumindest im besten Haus am Platze dort nicht, da steht nämlich nur ein Klavier in der Bar, und das Ambiente ist verbesserungsfähig.
Bei der Gelegenheit, ein Aspekt, der hier noch nicht zur Sprache kam, sind die Gäste in einer Piano-Bar. Mein beeindruckendstes Klaviererlebnis hatte ich in einer Hotelbar in Südfrankreich, als der sich sonst wacker durch sein Programm spielende Pianist Pause machte, und ein Gast sich an den Flügel setzte. Er spielte Evita an, und begann dann, das Thema zu variieren, wie ich es noch nicht gehört hatte, legte wirklich alles hinein und spielte sich buchstäblich die Seele aus dem Leib. Das Ambiente tat ein übriges dazu, nicht aber Alkohol, so dass auch meine Begleiter übereinstimmend sagten, sie würden diesen Abend niemals vergessen.
Mir spukt seitdem die damalige Improvisation durch den Kopf, das zu können wäre mein Ziel, nichts anderes.
 
Die guten Unterhaltungspianisten oder Spezialisten für Piano-Livemusik können die verlangten Qualitäten und Fertigkeiten nur mit einer anspruchsvollen Ausbildung und mit dem erwähnten Blick über den Tellerrand hinaus gewährleisten. Idealerweise handelt es sich um eine Kombination einer "klassischen" pianistischen Ausbildung mit den improvisatorischen Fertigkeiten im Bereich von Jazz und Popularmusik

Leider bin ich noch nicht oft in den Genuss von "Pianisten im Gastronomiebereich" gekommen (vielleicht weil die Zustande, die im obigen Video persifliert werden, eher an der Tagesordnung sind?). Die wenigen, die zu erleben ich den Genuss hatte, legten eine extrem gute Performance hin - in etwa so, wie Du es beschreibst.

Mit dem Ergebnis, dass ich (und andere) dann verstumme und nur noch dem Pianisten zuhöre. :schweigen:

"Zu gut" sollte der Pianist also vielleicht doch nicht sein... ;-)
 

Die guten Unterhaltungspianisten oder Spezialisten für Piano-Livemusik können die verlangten Qualitäten und Fertigkeiten nur mit einer anspruchsvollen Ausbildung und mit dem erwähnten Blick über den Tellerrand hinaus gewährleisten. Idealerweise handelt es sich um eine Kombination einer "klassischen" pianistischen Ausbildung mit den improvisatorischen Fertigkeiten im Bereich von Jazz und Popularmusik, dazu kommen die Beobachtungsgabe eines Bühnenprofis, Praxis in den Bereichen Showbusiness und Entertainment... - den größten Teil kann man nicht oder nur eingeschränkt im Studium erlernen.

Wo werden denn heutzutage noch Unterhaltungspianisten gebraucht? In München jedenfalls nicht, da drängeln sich Jazzer, Klassiker und Unterhaltungsmusiker darum mal im Mariandl ins Programm zu kommen, um dann vielleicht (wenns hochkommt) einmal im Monat den Abend für 50 € zu spielen - das ist da ein Gebeiße unter den Musikern was schon nimmer feierlich ist.

LG
Henry
 
Leider bin ich noch nicht oft in den Genuss von "Pianisten im Gastronomiebereich" gekommen (vielleicht weil die Zustande, die im obigen Video persifliert werden, eher an der Tagesordnung sind?). Die wenigen, die zu erleben ich den Genuss hatte, legten eine extrem gute Performance hin - in etwa so, wie Du es beschreibst.
Das hat mit einem Missverhältnis zwischen Erwartung und Realität seitens des Akteurs am Instrument zu tun: Man hat sich in einer langjährigen Ausbildung ein beachtliches Können angeeignet, das offensichtlich nicht gewürdigt wird. Ein hoher Geräuschpegel im Hintergrund signalisiert dem Künstler, dass er nicht beachtet wird. Das ist aber gerade das Spezifische an dieser Tätigkeit: Er soll nicht konzertieren, sondern eine bestimmte Atmosphäre schaffen, in der sich der im Mittelpunkt stehende Gast wohlfühlt. Wer großen Wert auf Publikumsreaktionen und aktive Resonanz legt und unter dem Ausbleiben einen Leidensdruck verspürt, wird sich seinerseits als Akteur nicht wohlfühlen und sich lieber künstlerische Aufgaben suchen, bei denen seine Vorträge die angestrebte Akzeptanz finden (also mehr konzertieren). Meine Empfehlung wäre die Frage an einen selbst: Kannst Du Dir auch bei hoher Hintergrundlautstärke vorstellen, dass Dich die Leute wahrnehmen, auch ohne dies ausdrücklich zu zeigen? Wenn Dir eine für Dich positive Antwort einfällt, wirst Du solche Jobs nicht als die im Video karikierte Quälerei erleben. Ein Parallelbeispiel können diejenigen Personen schildern, die in der Werbebranche arbeiten. Wenn im Fernsehen das Programm für Werbung unterbrochen wird, ist es Zeit für den Zuschauer, aufs Klo oder Bier holen zu gehen. Und doch bleiben Slogans, Bilder, Marken und die entsprechenden Protagonisten den Leuten im Hinterkopf (beispielsweise Veronas Grammatikfehler). "Barmusik" befindet sich in einem ähnlichen Spannungsfeld - noch deutlicher wird das bei funktionaler Musik im Fahrstuhl oder in der Warteschleife beim Telefonieren: Jeder lächelt darüber oder schimpft darauf - aber vermeintlich Totgesagte leben länger... .

LG von Rheinkultur
 
Wo werden denn heutzutage noch Unterhaltungspianisten gebraucht? In München jedenfalls nicht, da drängeln sich Jazzer, Klassiker und Unterhaltungsmusiker darum mal im Mariandl ins Programm zu kommen, um dann vielleicht (wenns hochkommt) einmal im Monat den Abend für 50 € zu spielen - das ist da ein Gebeiße unter den Musikern was schon nimmer feierlich ist.
Das hat aber nicht mit fehlendem Bedarf, sondern eher mit gewaltigem Konkurrenzdruck zu tun. In großstädtischer Umgebung gibt es traditionell die meisten Jobs, also drängt alles in die Großstadt und viele sind auch bereit, mit den Preisen in sittenwidrige Billigdienstleister-Kategorien herunter zu gehen, um nicht das Engagement an jemanden zu verlieren, der für noch weniger Gage spielt. Ich erlebe aber auch sehr häufig, dass viele Auftraggeber durchaus bereit sind, guten Dienstleistern angemessene Preise zu zahlen - man bekommt nun mal eine qualitativ hochwertige Dienstleistung, mit der man beim Kunden einen sehr positiven Eindruck hinterlässt, und die kostet eben den Preis X. Peng, aus. Ich gebe aber zu, dass man dazu ein gewisses Durchsetzungsvermögen, Verhandlungsgeschick und einen längeren Atem benötigt. In anderen Bereichen verhält es sich doch genauso. Aus Mitleid wird nun mal keiner engagiert und die Nichtkünstler unter den Auftraggebern sind nun mal aus anderem Holz geschnitzt als die künstlerisch tätigen Auftragnehmer. Es überlege sich also der sich anbietende Künstler, was seine Dienstleistung so wertvoll macht, dass man ihn engagieren möchte. Ich versichere, dass der Preis längst nicht das einzige Selektionskriterium ist. Nur Mut also.

LG von Rheinkultur
 
Das hängt vermutlich von der Gage ab und den sonstigen Engagements des Musikers. Nicht jeder kann es sich wie der alte Ludwig leisten, solche Sachen abzulehnen.
Zu Zeiten des alten Ludwigs war übrigens die heutige Praxis des Konzertierens keineswegs der Regelfall: Auf dem Podium erhalten die Akteure uneingeschränkte Aufmerksamkeit eines mucksmäuschenstillen Publikums, das sich nur am Ende eines Stückes durch Applaus bemerkbar machen darf. Das Speisen und die Unterhaltung bei den Musikvorträgen war absolut üblich - erst mit der Gepflogenheit, ein zunehmend "bürgerliches" Publikum durch kulturelle Arbeitsproben belehren und "erziehen" zu wollen, sollte sich das nachhaltig ändern. In dieser Zeit setzte sich eine allmähliche Teilung in "ernste" und "unterhaltende" Literatur innerhalb der jeweiligen Musikgattungen durch. Einfacher gearbeitete "Gebrauchsmusiken" entstanden bereits in früheren Jahrhunderten, konnten sich aber im musikgeschichtlich relevanten Sinne nicht behaupten, da sie dazu auch gar nicht bestimmt waren. Das suggeriert manchem den trügerischen Eindruck, früher sei künstlerisch wertvollere Musik geschaffen worden als heute, was falsch ist. Diese eingängigen Gebrauchsmusiken für und mit Klavier gibt es schon lange: Im frühen 19. Jahrhundert gab es Leichtgewichtiges wie Ländler und Deutsche Tänze, im späteren 19. Jahrhundert entstanden Unmengen von Salonmusik, im 20. Jahrhundert folgten Peter Kreuder und seine Tanz-Rhythmiker & Co., noch später musizierte Rischahr Klamottenmann und im 21. Jahrhundert sind wir bei TEY & Co. angekommen. Die Stilistik ändert sich, die Funktion bleibt in etwa die gleiche.

LG von Rheinkultur
 

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