Wer spielt Unterhaltungsmusik/"leichte Muse"/Kitsch

  • Ersteller des Themas Pianist685
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mir gefällt "Unterhaltungsmusik" auch. Mein Traum wäre, in einer Bar als Pianist spielen zu können.
Aus langjähriger Erfahrung kann ich berichten, dass man mit solchen Jobs eine Menge Freude haben kann. Gerade für viele, die "vom klassischen Fach" herkommen, allerdings nicht immer unproblematisch, weil "Kopfsache". Du agierst über weite Strecken hinweg nicht als konzertierender Künstler, sondern bist lebendiger Bestandteil des Ambientes, in dem Du musizierst. Erwartet wird die Fähigkeit, sich optimal aufs Umfeld einzustellen: Leute beobachten können, möglichst notenfrei, versiert und unaufdringlich musizieren, positive und entspannte Stimmung transportieren. Kannst Du sicher kommunizieren mit den Gästen, auch mal reden während des Spielens, erkennen, wann man sich zurücknimmt und wann man "aufdrehen" darf? Kannst Du auch ohne Bleifuß auf dem linken Pedal ganz leise und trotzdem artikuliert spielen? Hast Du auf Wünsche und entsprechende Wahrnehmungen auf der Seite der Gäste immer eine passende Antwort zur Hand? Kommst Du auch mit nicht immer angenehmen Typen unter den Gästen zurecht, die Dich mit steigendem Alkoholpegel dumm anquatschen - oder mit Leuten, die Dir in die Tasten greifen oder mit Dir spontan gemeinsam musizieren wollen, beispielsweise mehr oder weniger gekonnt mitsingen? Manchmal hat man einen professionellen Kollegen unter den Gästen oder diverse Stars geben sich die Ehre - solche Momente gehören zu den Gipfelpunkten einer Laufbahn als professioneller Spezialist für Piano-Livemusik. Denn das Bild vom "Barpianisten" im schlecht sitzenden und abgewetzten Anzug, der in irgendwelchen obskuren Kaschemmen mit gefülltem Whiskyglas (zum Leermachen) und Spendenkörbchen (zum Vollmachen) auf dem Klavier unbeachtet herumklimpert, gehört hoffentlich inzwischen der Vergangenheit an.

Gute Leute können ordentliche Gagen nehmen und Trinkgelder kommen auch ohne Cognacschwenker auf dem Klavierdeckel mit drei Scheinchen drin zum Anfüttern der Spendierfreudigkeit automatisch. Wer den oben erwähnten Bedingungen etwas abgewinnen kann und so etwas nicht nur aus Verlegenheit heraus gerne tun würde, dürfte durchaus Chancen auf ein nicht uninteressantes Betätigungsfeld haben. In pianistischer Hinsicht ist eine Kombination aus sehr gutem technisch-musikalischem Handwerk, Spielfreude, Stilsicherheit und Improvisationsstärke gefragt. Anzuwenden sind diese Attribute an einem breitgefächerten Repertoire, das mehrere Stunden abwechslungsreiches und wiederholungsfreies Spiel ermöglicht.

Das klingt nach allerhand Arbeit für Einsteiger? So ist es. Allerdings ist es nicht unmöglich, diese Herausforderungen zu meistern. Also ran ans Instrument und ein interessantes Repertoire für unterschiedliche Altersgruppen draufschaffen.

Er kennt sich mit der Materie aus und hat darüber auch einige Bücher geschrieben (informativ und kurzweilig zu lesen):
https://de.wikipedia.org/wiki/Waldemar_Grab

Frohes Schaffen wünscht
mit LG Rheinkultur
 
Kommst Du auch mit nicht immer angenehmen Typen unter den Gästen zurecht, die Dich mit steigendem Alkoholpegel dumm anquatschen - oder mit Leuten, die Dir in die Tasten greifen oder mit Dir spontan gemeinsam musizieren wollen, beispielsweise mehr oder weniger gekonnt mitsingen?

Wo ist des Problem? Im Idealfall ist der Musiker selbst der besoffenste:


View: https://www.youtube.com/watch?v=GUPJLNro2BE


LG
Henry
 
Aus langjähriger Erfahrung kann ich berichten, dass man mit solchen Jobs eine Menge Freude haben kann. Gerade für viele, die "vom klassischen Fach" herkommen, allerdings nicht immer unproblematisch, weil "Kopfsache". Du agierst über weite Strecken hinweg nicht als konzertierender Künstler, sondern bist lebendiger Bestandteil des Ambientes, in dem Du musizierst. Erwartet wird die Fähigkeit, sich optimal aufs Umfeld einzustellen: Leute beobachten können, möglichst notenfrei, versiert und unaufdringlich musizieren, positive und entspannte Stimmung transportieren. Kannst Du sicher kommunizieren mit den Gästen, auch mal reden während des Spielens, erkennen, wann man sich zurücknimmt und wann man "aufdrehen" darf? Kannst Du auch ohne Bleifuß auf dem linken Pedal ganz leise und trotzdem artikuliert spielen? Hast Du auf Wünsche und entsprechende Wahrnehmungen auf der Seite der Gäste immer eine passende Antwort zur Hand? Kommst Du auch mit nicht immer angenehmen Typen unter den Gästen zurecht, die Dich mit steigendem Alkoholpegel dumm anquatschen - oder mit Leuten, die Dir in die Tasten greifen oder mit Dir spontan gemeinsam musizieren wollen, beispielsweise mehr oder weniger gekonnt mitsingen? Manchmal hat man einen professionellen Kollegen unter den Gästen oder diverse Stars geben sich die Ehre - solche Momente gehören zu den Gipfelpunkten einer Laufbahn als professioneller Spezialist für Piano-Livemusik. Denn das Bild vom "Barpianisten" im schlecht sitzenden und abgewetzten Anzug, der in irgendwelchen obskuren Kaschemmen mit gefülltem Whiskyglas (zum Leermachen) und Spendenkörbchen (zum Vollmachen) auf dem Klavier unbeachtet herumklimpert, gehört hoffentlich inzwischen der Vergangenheit an.

Gute Leute können ordentliche Gagen nehmen und Trinkgelder kommen auch ohne Cognacschwenker auf dem Klavierdeckel mit drei Scheinchen drin zum Anfüttern der Spendierfreudigkeit automatisch. Wer den oben erwähnten Bedingungen etwas abgewinnen kann und so etwas nicht nur aus Verlegenheit heraus gerne tun würde, dürfte durchaus Chancen auf ein nicht uninteressantes Betätigungsfeld haben. In pianistischer Hinsicht ist eine Kombination aus sehr gutem technisch-musikalischem Handwerk, Spielfreude, Stilsicherheit und Improvisationsstärke gefragt. Anzuwenden sind diese Attribute an einem breitgefächerten Repertoire, das mehrere Stunden abwechslungsreiches und wiederholungsfreies Spiel ermöglicht.

Das klingt nach allerhand Arbeit für Einsteiger? So ist es. Allerdings ist es nicht unmöglich, diese Herausforderungen zu meistern. Also ran ans Instrument und ein interessantes Repertoire für unterschiedliche Altersgruppen draufschaffen.

Er kennt sich mit der Materie aus und hat darüber auch einige Bücher geschrieben (informativ und kurzweilig zu lesen):
https://de.wikipedia.org/wiki/Waldemar_Grab

Frohes Schaffen wünscht
mit LG Rheinkultur

Vielen Dank für die ausführliche Stellen-Beschreibung. ;-)

Der Traum wird sicherlich einer bleiben, denn erstens bin ich mit meinem derzeitigen Beruf recht zufrieden, manchmal sogar glücklich und zweitens spiele ich erst seit ein paar Jahren Klavier. Bis ich ein halbwegs annehmbarer Bar-Pianist werden könnte, würden wahrscheinlich noch viele viele Jahre vergehen. Bis dahin bin ich andererseits schon tot. Das beißt sich also irgendwie.

Also klimpere ich einfach vor mich hin, freue mich über jeden noch so kleinen Fortschritt, den ich mache und kehre immer wieder gerne ins Trader Vic´s zurück, was quasi jahrelang meine "Hausbar" gewesen ist. Dort gibts zwar keinen Pianisten, aber coole Drinks, die einen Pianisten (und sonstiges) vergessen lassen. ;-):drink:

LG thinman
 
Das ist ja das Problem: dass jedermann meint, dass seine kleine Meinung, so unfundiert sie auch sei, als gleichberechtigt oder relevant anerkannt werden möge, weil alles andere ja voll gemein, elitistisch oder was weiß ich ist

:super: EBENDIES gilt auch für ALLE anderen Bereiche/Phänomene, wo jeder meint mitreden zu können/müssen: Kochen, Politik, Hundeerziehung, Impfungen, Schulsystem, Psychologie usw.


Bei einem Empfang wurde ich vor einiger Zeit von einem sehr würdigen sehr alten Herrn angesprochen:
"Ich habe gehört, Sie kultivieren eine Leidenschaft für das Klavierspiel?"
"Allerdings!"
"Mit welchen Komponisten beschäftigen Sie sich denn?"
"Chopin und Mozart."
"Ach, so ein Kitsch?" (mitleidiges Lächeln) "Ich hätte jetzt erwartet, Beethoven, Appassionata, Bach, Goldbergvariationen..."
"Ich halte Chopin und Mozart absolut nicht für Kitsch..."
(Gönnerhaft:) "Na, dann üben Sie mal weiter, damit Sie auch mal was Richtiges auf die Tasten bringen können."
:bomb::teufel:
 
:super: EBENDIES gilt auch für ALLE anderen Bereiche/Phänomene, wo jeder meint mitreden zu können/müssen: Kochen, Politik, Hundeerziehung, Impfungen, Schulsystem, Psychologie usw.



Bei einem Empfang wurde ich vor einiger Zeit von einem sehr würdigen sehr alten Herrn angesprochen:
"Ich habe gehört, Sie kultivieren eine Leidenschaft für das Klavierspiel?"
"Allerdings!"
"Mit welchen Komponisten beschäftigen Sie sich denn?"
"Chopin und Mozart."
"Ach, so ein Kitsch?" (mitleidiges Lächeln) "Ich hätte jetzt erwartet, Beethoven, Appassionata, Bach, Goldbergvariationen..."
"Ich halte Chopin und Mozart absolut nicht für Kitsch..."
(Gönnerhaft:) "Na, dann üben Sie mal weiter, damit Sie auch mal was Richtiges auf die Tasten bringen können."
:bomb::teufel:
Ja, des einen Kitsch ist bekanntlich des anderen hohe Schule :-). Ich hätte dem betreffenden Herrn ja mal den Weg zum Klavier gewiesen, damit er ad hoc demonstriert, was er denn z.B. für Kitsch hält. Meistens sind solche Snobs nämlich nicht in der Lage, den "Kitsch" vernünftig selber zu spielen.
 
:super: EBENDIES gilt auch für ALLE anderen Bereiche/Phänomene, wo jeder meint mitreden zu können/müssen: Kochen, Politik, Hundeerziehung, Impfungen, Schulsystem, Psychologie usw.

In der Tat. Man sollte eine Behauptung immer begründen können, sonst ist sie nichts wert. Zum Beispiel "Ich halte Chopin für Kitsch, weil..." Dann könnte man sehen, ob die Argumente stichhaltig sind.

Ich habe im Anfangspost erläutert, warum ich "Love Story" für Kitsch halte. Bei Chopin und Mozart gelingt mir das nicht.
 
Unterhalten kann man sich bei Musik jeder Epoche, solange sie ohne Schroffheiten auskommt und dezent gespielt wird - von Händel bis Ligeti, von Johann Strauss bis aktuellem Pop. Der Barpianist fühlt sich einsam dabei (so ging es mir beim Weihnachtsbrunch im Schloss Hopferau) und blendet die desinteressierte Umgebung aus.

Die Frage ist, ob ein Pianist ein Stück - egal welchen Genres - gerne spielt.
Tut er es nur fürs ihm kulturell fremde Publikum, ist das Prostitution.
Und aus dieser Sicht Kitsch.

Grüße
Manfred
 
Bei einem Empfang wurde ich vor einiger Zeit von einem sehr würdigen sehr alten Herrn angesprochen:
"Ich habe gehört, Sie kultivieren eine Leidenschaft für das Klavierspiel?"
"Allerdings!"
"Mit welchen Komponisten beschäftigen Sie sich denn?"
"Chopin und Mozart."
"Ach, so ein Kitsch?" (mitleidiges Lächeln) "Ich hätte jetzt erwartet, Beethoven, Appassionata, Bach, Goldbergvariationen..."
"Ich halte Chopin und Mozart absolut nicht für Kitsch..."
(Gönnerhaft:) "Na, dann üben Sie mal weiter, damit Sie auch mal was Richtiges auf die Tasten bringen können."
:bomb::teufel:

Ein paar gesellschaftliche Etagen tiefer wäre der Dialog wohl in etwa wie folgt abgelaufen:

"Ich habe gehört, du kannst Klavier spielen?"
"Allerdings!"
"Was für Musik spielst du?"
"Chopin und Mozart."
"Wirklich? Sowas altes und ödes? Kannst du auch dieses Lied aus der Amelie?"
"Ich halte Chopin und Mozart absolut nicht für langweilig..."
"Na, wenn es dir Spaß macht"

Nimmt sich nicht allzu viel. ;-)
 

Ein paar gesellschaftliche Etagen tiefer wäre der Dialog wohl in etwa wie folgt abgelaufen:

"Ich habe gehört, du kannst Klavier spielen?"
"Allerdings!"
"Was für Musik spielst du?"
"Chopin und Mozart."
"Wirklich? Sowas altes und ödes? Kannst du auch dieses Lied aus der Amelie?"
"Ich halte Chopin und Mozart absolut nicht für langweilig..."
"Na, wenn es dir Spaß macht"

Nimmt sich nicht allzu viel. ;-)
Mag sein, klingt aber nicht halb so blasiert und hochnäßig wie die Originalkonverstation.
Mich deucht, da musste einer seine an sich empfunden Defizite zum Zwecke der eigenen Glorifizierung noch schnell weiterreichen um sich für diesen Abend deutlich nobler zu fühlen?? Bewiesen hat er auf seinem selbstgezimmerten Sockel nur, dass er mit Missgunst besser lebt als Gleichwertigkeit.
Die untere Übersetzung der Unterhaltung klingt für mich aus der Langeweile entsprungen, kein anders Thema für Konversation gefunden zu haben.
In jedem Fall kann Barratt froh sein, der Unterhaltung mit diesem Spross der Menschenliebe entronnen zu sein.
 
Ich hätte dem betreffenden Herrn ja mal den Weg zum Klavier gewiesen, damit er ad hoc demonstriert, was er denn z.B. für Kitsch hält. Meistens sind solche Snobs nämlich nicht in der Lage, den "Kitsch" vernünftig selber zu spielen.

Ja, genau das hätte ich auch getan. Man sieht dann schon, ob man es mit Kompetenz oder Großmäulertum zu tun hat.
 
In jedem Fall kann Barratt froh sein, der Unterhaltung mit diesem Spross der Menschenliebe entronnen zu sein.

:lol: Logo dass ich - so liebenswürdig und ehrfürchtig, wie es gegenüber dem hohen Alter und den Verdiensten des würdigen Herrn angemessen war - mit der Frage nach der eigenen musikalischen Kompetenz "konterte".

Es wurde aber nicht besser. Mir wurde mit einem würdevollen Lächeln beschieden, er spiele Violine in einer kleinen Kammermusik-Formation. "Aber nur Bach ... und Beethoven". Dann wanderte er mit seinem Champagnerglas weiter zum nächsten Smalltalk.

Bei unserem nächsten Zusammentreffen (solche Leute haben ja ein höllisch gutes Gedächtnis) identifizierte er mich sogleich als "unsere Chopin-Liebhaberin".
"Ist es mir gelungen, Sie für Bach und Beethoven zu begeistern?"
Woraufhin ich ihm dann graziös und hoffentlich entwaffnend beschied:
"Nein, das ist mir zu schwer. :zunge:Ich bin immer noch bei Chopin und Mozart."
schmoll.gif


Schawoll. Es lebe die leichte Muse. :lol:
 
:lol: Logo dass ich - so liebenswürdig und ehrfürchtig, wie es gegenüber dem hohen Alter und den Verdiensten des würdigen Herrn angemessen war - mit der Frage nach der eigenen musikalischen Kompetenz "konterte".

Es wurde aber nicht besser. Mir wurde mit einem würdevollen Lächeln beschieden, er spiele Violine in einer kleinen Kammermusik-Formation. "Aber nur Bach ... und Beethoven". Dann wanderte er mit seinem Champagnerglas weiter zum nächsten Smalltalk.

Bei unserem nächsten Zusammentreffen (solche Leute haben ja ein höllisch gutes Gedächtnis) identifizierte er mich sogleich als "unsere Chopin-Liebhaberin".
"Ist es mir gelungen, Sie für Bach und Beethoven zu begeistern?"
Woraufhin ich ihm dann graziös und hoffentlich entwaffnend beschied:
"Nein, das ist mir zu schwer. :zunge:Ich bin immer noch bei Chopin und Mozart."
schmoll.gif


Schawoll. Es lebe die leichte Muse. :lol:
Touché :-D.
 
Um die Ausgangsfrage des Threadstellers zu beantworten: natürlich spiele ich Unterhaltungsmusik. Man muss ja leben.. und miternähren.
Rheinkultur hat dazu schon Richtiges und Wichtiges gesagt.
Ich habe darüber bereits gearbeitet und stelle daher den folgenden Beitrag vor. Den ironischen Grundton konnte ich mir nicht verkneifen, aber die zugrundeliegenden Kernaussagen halte ich für richtig.

"
Um Barklavier-Musik vortragen zu können, muss der sich als Barpianist anbietende Pianist nicht nur ein umfangreiches Repertoire beherrschen, sondern muss sich auch der aktuellen Stimmung seiner Umgebung bewusst sein und die Klaviermusik entsprechend anpassen. Zu den Genres, die der Pianist beherrschen muss, zählen nicht nur Jazz und Swing, sondern auch Evergreens und Filmmusik.

Bei Jazzmusik ist natürlich von einer eher traditionellen Stilistik auszugehen; Bebop oder gar Free Jazz leeren das Lokal und erzürnen den Geschäftsführer. Was aber leider häufig zu hören ist und scheußlich klingt: Swing- und Jazztitel werden ausnahmslos ohne Gefühl für Timing und Rhythmus in einem einheitlichen Rubato- Geseiere dargeboten. Weil ja offenbar Barmusik so sein muss. Nein, muss sie nicht!!


Was dabei entscheidend ist: die Klaviermusik des Barpianisten muss den Ohren der Gäste schmeicheln, sie sozusagen unbewusst zum Bleiben, Plaudern, ggf. Essen und Trinken animieren, ohne sich jedoch in den Vordergrund zu drängen. Sie muss für die Gäste der Lokalität ein Hintergrund wie eine dezent gemusterte Tapete sein; der Barpianist kann durchaus persönliche Finessen in sein Spiel einbauen, die den Kenner vielleicht entzücken, aber nie demonstrativ wirken nach dem Motto "Seht mal was ich kann".

Es ist zwar bei einem Konzert für den Musiker schön, bei einem gelungenen Vortrag mit ungeteilter Aufmerksamkeit und Beifall belohnt zu werden, im Fall von Hintergrundmusik, um die es hier geht, wäre das in der Regel der falsche Effekt. Es ist immer gut, den richtigen Lautstärkepegel zu finden, nicht zu viel und nicht zu wenig. Gut ist es, wenn das Klavier oder der Flügel an einer Stelle steht, wo der Barpianist noch gut zu hören ist, ohne dass er forcieren muss, um noch entlegene Ecken im Raum erreichen zu können.

Wichtig ist es auch, den Begriff "Barpianist" genau zu definieren, damit keine Missverständnisse aufkommen: selbstverständlich nimmt der Pianist sein Honorar gerne in bar entgegen; das ist in der Regel am angenehmsten, weil er nie Bedenken haben muss, sein Geld im Nachhinein auch zu bekommen; bei Vertragspartnern, die sich und ihre Verlässlichkeit kennen, ist natürlich jede andere Form der Bezahlung ebenso willkommen.

Für die fortgeschrittenen Nachtstunden, wenn womöglich die üblichen Verdächtigen ihren Alkoholpegel bis zum Anschlag gesteigert haben, ist es sinnvoll, volkstümliche Dinge im Repertoire zu haben, wie zum Beispiel "Whisky in the jar" oder "What shall we do with a drunken sailor". Gerne werden dann auch Gesangsbeiträge des Pianisten in Anspruch genommen, wenn er dann in die beseelten Gesänge einstimmt. Wenn schließlich die betreffenden Gäste sich niedergelegt haben, weil sie weder stehen noch singen können, darf der Barpianist aufhören.

Wichtig:der Barpianist trinkt während seines Jobs niemals Alkohol; entsprechende Angebote sind strikt auszuschlagen und in Richtung Milch oder Apfelsaftschorle umzulenken.

Wenn Geschäftsleute oder Manager im vom Barpianisten bespielten Lokal ihre Deals einfädeln oder abschließen, ist es sinnvoll, das Stück "Money" von Pink Floyd im Repertoire zu haben; dabei sollte nicht versehentlich die Zeile "Money is a crime" zu laut mitgesungen werden.

Wenn arabische Vertreter von Ölstaaten sich in einer Münchner, Frankfurter oder Berliner Hotellobby treffen, sollte man eine Interpretation des Hits "Alluh snackbar" in Erwägung ziehen (das in diesem Zusammenhang gelegentlich zu hörende "Alluh akhbar" stellt eine grobe Verzerrung des Originals dar und sollte niemals toleriert werden).

Wie man sieht, ist Flexibilität oberstes Gebot für den professionellen Barpianisten. Sein Künstlertum steht dem der besten Vertreter anderer Genres nicht nach."
 
Ein paar gesellschaftliche Etagen tiefer wäre der Dialog wohl in etwa wie folgt abgelaufen:

"Ich habe gehört, du kannst Klavier spielen?"
"Allerdings!"
"Was für Musik spielst du?"
"Chopin und Mozart."
"Wirklich? Sowas altes und ödes? Kannst du auch dieses Lied aus der Amelie?"
"Ich halte Chopin und Mozart absolut nicht für langweilig..."
"Na, wenn es dir Spaß macht"

Nimmt sich nicht allzu viel. ;-)
Solche Gespräche hatte wohl jeder mal. Mein persönliches Highlight war:
"Ach, du spielst Klavier? Was spielst du denn da so?" "Chopin momentan." "Ah so. Na ja ich persönlich steh' ja nicht so auf den 80er Jahre Kram."
Nach verblüffter Rückfrage meinerseits stellte sich heraus, daß die Person sich auf den damaligen Hit "I like Chopin" von Gazebo bezog....
 
Was dabei entscheidend ist: die Klaviermusik des Barpianisten muss den Ohren der Gäste schmeicheln, sie sozusagen unbewusst zum Bleiben, Plaudern, ggf. Essen und Trinken animieren, ohne sich jedoch in den Vordergrund zu drängen.
Diese Aussage kann man wie die übrigen Ausführungen problemlos unterschreiben. Der Auftraggeber behandelt Piano-Livemusik übrigens als ein Instrument des Bereichs Verkaufsförderung, der Maßnahmen zur Außenwerbung ergänzt. Letztgenanntes animiert potenzielle Kunden dazu, das Restaurant aufzusuchen und dort zu konsumieren. Erstgenanntes soll die Kunden zum längeren Aufenthalt und zu ausgiebigerem Konsum bewegen, da sich wohlfühlende Gäste durchaus mehr bestellen oder etwas Teureres ordern. Mit Genugtuung darf man es zur Kenntnis nehmen, dass Besucher ihre Zufriedenheit gelegentlich zum Ausdruck bringen und der Geschäftsführer das auch schon mal mitbekommt. In anderen Bereichen des Geschäftslebens spricht man von "Soft Skills", die jeder Skeptiker erkennen sollte, der vorschnell davon ausgeht, am Abend sowieso nicht mehr in der Kasse zu haben, egal ob da einer klimpert oder nicht. Einfühlungsvermögen benötigt ein professionell tätiger Musiker auch, indem er seinen Geschäftspartner als kaufmännisch denkend akzeptiert, der für "hehre Kunst" nicht viel übrig hat, aber diese als Wirtschaftsfaktor sehr wohl schätzt: Es kommen und bleiben Kunden, die es sonst nicht gäbe.

Noch etwas: Man ziehe in Betracht, dass viele Menschen mehr mitbekommen als man glaubt. Wer die Musik trotz hohem Geräuschpegel genießen möchte, setzt sich eben näher ans Instrument - wer kein Interesse hat, hält sich fern. Einerseits nehme man sich also nicht zu wichtig als Musiker, andererseits versuche man das Engagement in jedem Falle mit Sorgfalt und kreativer Substanz auf hohem künstlerischem Qualitätsniveau zu absolvieren: Die Leute nehmen einen nämlich auch dann wahr, wenn man es nicht erwartet. Man agiere immer so konzentriert, wie man es auch bei einem Konzert täte, bei dem alle zuhören. Deshalb ist es bei "ernster" wie auch bei "leichter" Musik ratsam, mit persönlicher Wert- und Geringschätzung vorsichtig zu sein: Momente, bei denen es nicht so sehr auf Professionalität ankommt, gibt es beim Profi einfach nicht, weil sie seiner Einstellung widersprechen. Vielmehr nehme man sich vor, selbst als seicht und musikalisch gehaltlos eingeschätzte Sachen so vorzutragen, dass man einem den Könner und Meister seines Fachs auch dann noch abnimmt. Einmal hatte ich DJ Ötzi als Gast neben dem Flügel sitzen und als er sich verabschiedete, machte ich aus seinem "Anton aus Tirol" eine fetzige Ragtime-Nummer. Ein Stammgast sprach mich daraufhin an, er könne jedesmal nur staunen, ich könne "selbst aus Sch***dreck noch ein Kunstwerk zaubern". Wer das Spiel von Sachen mit geringem künstlerischem Nährwert nicht kategorisch ablehnen kann oder will, versuche mal, aus Sch***e Kunst zu machen. Möglicherweise wird das zwar nicht gelingen, da man aus einem Nichts kein Etwas machen kann. Dann liegt es aber nicht am Interpreten. Oder anders formuliert: Wenn man Beethoven den Ruf als einer der Größten seines Faches nicht streitig macht, weil er zwischendurch plakative Auftragsarbeiten erledigt hat und man Tschaikowsky nicht an seiner 1812-Ouvertüre misst - wozu soll man sich ohne das Zeug zu einem der Größten des Universums für sogenannte niedrige Arbeiten zu fein sein? Der Regisseur und Schauspieler Jacques Tati pflegte zu sagen, wer sich zu groß für die Erledigung kleiner Aufgaben fühle, sei in Wahrheit für große Aufgaben zu klein. Recht hatte er.

LG von Rheinkultur
 
Zuletzt bearbeitet:
Mein persönliches Highlight war:
"Ach, du spielst Klavier? Was spielst du denn da so?" "Chopin momentan." "Ah so. Na ja ich persönlich steh' ja nicht so auf den 80er Jahre Kram."
Nach verblüffter Rückfrage meinerseits stellte sich heraus, daß die Person sich auf den damaligen Hit "I like Chopin" von Gazebo bezog....

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