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Ich möchte gern meinen Umgang mit Frust u.ä. von Schülern anhand einer gestrigen Unterrichtsstunde darstellen:
Eine erwachsene Schülerin, seit 2 Jahren bei mir, vorher Unterricht bei anderen Lehrern, wollte zur Einstimmung auf die Weihnachtszeit gern eine etwas jazzige Bearbeitung eines amerikanischen Weihnachtsliedes spielen, die sie früher schon einmal gespielt hatte.
Sie hat in den zwei Jahren eine sehr schöne Entwicklung gemacht, vor allem in der klanglichen Differenzierung. Sie weiß, wie man an Stücke herangeht und hat in der Vorbereitung zu Hause u.a. die Melodie allein gespielt, die im Gesamten in der rechten Hand (und links) mit Akkorden begleitet wird. Ziel war also, die Melodie klanglich und dynamisch von den begleitenden Akkorden abzusetzen und dazu erst einmal die Melodie separat zu spielen.
Was ihr sonst bei Chopin Nocturnes u.a. gelang, fiel ihr hier schwer. Sie spielte wie zu alten Zeiten, die Melodie sang nicht, sie fand für sich keine Phrasierung, die ihr gefiel. Wir haben daran intensiv gearbeitet, wobei mir auffiel, dass ich tatsächlich wenig "Kritik" im wörtlichen Sinne übe, sondern es vor allem um Verbesserung und Ausprobieren geht. Sie hat gesungen, ich habe vorgespielt, ich habe auf ihrem Arm gespielt, was viel gebracht hat, wir haben über ihre Klangvorstellung geredet, ich habe Metaphern benutzt (groß machen, in den Raum bis in die hinterste Ecke spielen), wir haben Bewegungen perfektioniert, eine Fingerkuppenmassage gemacht zur Intensivierung der Sensibilität u.v.a.. Und es klang schließlich super.
Wir haben allerdings lange Zeit gebraucht und das war ihr sehr bewusst. Am Schluss der Stunde verhielt sie sich ganz anders als sonst, sprach kaum und strahlte viel Frust aus. Während sie einpackte, fragte ich sie: "Du siehst echt frustriert aus?" Und da sagte sie, das wäre sie auch. Sie fühlte sich wie ein Anfänger, es wäre ganz schrecklich, total anfängerhaft etc..
Ich habe ihr zugehört, sie konnte erzählen, wie es ihr geht und hat Verständnis bekommen. Gleichzeitig habe ich ihr erklärt, woran es liegt, dass sie sich so fühlt. Nämlich daran, dass sie dieses Stück schon früher mal gespielt hat und dass damit automatisch die alten Verhaltensweisen, die alte Klangvorstellung wiederkamen. Und dass es deshalb so schwierig war, dies zu verändern - bei einem neuen Stück schleppt man keine Altlasten mit sich herum. Das hat sie erleichtert, denn sie verstand nicht, warum sie sich in dieser Stunde so schwer getan hatte.
Dieses Gespräch hat etwa 2-3 Minuten gedauert. Das war wertvoll investierte Zeit. Sie war immer noch frustriert, aber sie hat die Frustration mit mir geteilt und eine Erklärung bekommen. Das ließ sie ganz anders aus der Stunde gehen, als wenn sie die Frustration allein mit sich hätte ausmachen müssen. Außerdem werde ich in der nächsten Stunde fragen, wie denn die Woche war und die Frustration noch einmal ansprechen.
Das alles kostet sehr wenig Zeit und hat einen großen Effekt. Mit Psychologie hat das nichts zu tun, auch nicht mit Heiteitei. Das gehört vielmehr zur Aufgabe eines Pädagogen. Die Stunde war sehr herausfordernd für sie. Der Lehrer ändert daran nichts, weil er von der Wichtigkeit der Herausforderung überzeugt ist. Er steht aber dem Schüler bei, sie zu bewältigen.
Liebe Grüße
chiarina
Eine erwachsene Schülerin, seit 2 Jahren bei mir, vorher Unterricht bei anderen Lehrern, wollte zur Einstimmung auf die Weihnachtszeit gern eine etwas jazzige Bearbeitung eines amerikanischen Weihnachtsliedes spielen, die sie früher schon einmal gespielt hatte.
Sie hat in den zwei Jahren eine sehr schöne Entwicklung gemacht, vor allem in der klanglichen Differenzierung. Sie weiß, wie man an Stücke herangeht und hat in der Vorbereitung zu Hause u.a. die Melodie allein gespielt, die im Gesamten in der rechten Hand (und links) mit Akkorden begleitet wird. Ziel war also, die Melodie klanglich und dynamisch von den begleitenden Akkorden abzusetzen und dazu erst einmal die Melodie separat zu spielen.
Was ihr sonst bei Chopin Nocturnes u.a. gelang, fiel ihr hier schwer. Sie spielte wie zu alten Zeiten, die Melodie sang nicht, sie fand für sich keine Phrasierung, die ihr gefiel. Wir haben daran intensiv gearbeitet, wobei mir auffiel, dass ich tatsächlich wenig "Kritik" im wörtlichen Sinne übe, sondern es vor allem um Verbesserung und Ausprobieren geht. Sie hat gesungen, ich habe vorgespielt, ich habe auf ihrem Arm gespielt, was viel gebracht hat, wir haben über ihre Klangvorstellung geredet, ich habe Metaphern benutzt (groß machen, in den Raum bis in die hinterste Ecke spielen), wir haben Bewegungen perfektioniert, eine Fingerkuppenmassage gemacht zur Intensivierung der Sensibilität u.v.a.. Und es klang schließlich super.
Wir haben allerdings lange Zeit gebraucht und das war ihr sehr bewusst. Am Schluss der Stunde verhielt sie sich ganz anders als sonst, sprach kaum und strahlte viel Frust aus. Während sie einpackte, fragte ich sie: "Du siehst echt frustriert aus?" Und da sagte sie, das wäre sie auch. Sie fühlte sich wie ein Anfänger, es wäre ganz schrecklich, total anfängerhaft etc..
Ich habe ihr zugehört, sie konnte erzählen, wie es ihr geht und hat Verständnis bekommen. Gleichzeitig habe ich ihr erklärt, woran es liegt, dass sie sich so fühlt. Nämlich daran, dass sie dieses Stück schon früher mal gespielt hat und dass damit automatisch die alten Verhaltensweisen, die alte Klangvorstellung wiederkamen. Und dass es deshalb so schwierig war, dies zu verändern - bei einem neuen Stück schleppt man keine Altlasten mit sich herum. Das hat sie erleichtert, denn sie verstand nicht, warum sie sich in dieser Stunde so schwer getan hatte.
Dieses Gespräch hat etwa 2-3 Minuten gedauert. Das war wertvoll investierte Zeit. Sie war immer noch frustriert, aber sie hat die Frustration mit mir geteilt und eine Erklärung bekommen. Das ließ sie ganz anders aus der Stunde gehen, als wenn sie die Frustration allein mit sich hätte ausmachen müssen. Außerdem werde ich in der nächsten Stunde fragen, wie denn die Woche war und die Frustration noch einmal ansprechen.
Das alles kostet sehr wenig Zeit und hat einen großen Effekt. Mit Psychologie hat das nichts zu tun, auch nicht mit Heiteitei. Das gehört vielmehr zur Aufgabe eines Pädagogen. Die Stunde war sehr herausfordernd für sie. Der Lehrer ändert daran nichts, weil er von der Wichtigkeit der Herausforderung überzeugt ist. Er steht aber dem Schüler bei, sie zu bewältigen.
Liebe Grüße
chiarina