Mit dem Ausdruck die Physik überlisten?
Himmel auch... kein Klavier kann singen, tuten, wie ein Amboss hämmern oder wie Violine und Sängerin vibrieren - trotzdem kann es ähnliche Klangwirkungen hervorbringen, ergo sind Bezeichnungen wie molto cantabile, molto vibrato, quasi corni, martellato etc. kein Quark
Selbstverständlich lassen sich die Gesetze der Akustik und der angewandten Physik nicht außer Kraft setzen - selbst wenn die Tonerzeugung am Klavier nicht ganz konventionell von der Taste ausgeht und der Spieler (wie seit dem 20. Jahrhundert praktiziert) im Innenleben des Instruments aktiv wird. Dabei ist es gleichgültig, ob man "Inside Playing" manuell oder mit diversen Gegenständen vollzieht (Lachenmann lässt grüßen) oder Präparationsgegenstände im Flügelinneren anbringt (im Sinne der "Sonatas and Interludes" von John Cage) - die physikalischen Rahmenbedingungen bleiben grundsätzlich gleich. Ein Vibrato wäre physikalisch möglich, wenn nach erfolgtem Anschlag des Tones die in Schwingung gebrachte Klaviersaite in ihrem Schwingungsverhalten noch beeinflussbar wäre (dem Clavichord vergleichbar, wo es zwischen niedergedrückter Taste und schwingender Saite noch mittels "Bebung" eine Wechselwirkung geben kann). Bis auf die durch Pedaltritt aufgehobene Dämpfung gibt es beim akustischen Klavier respektive Flügel eingeschränkte Möglichkeiten zur Tongestaltung nach erfolgtem Anschlag. Der Ergänzung halber sei nach den aus dem 19. Jahrhundert erwähnten Beispielen von Liszt und Wagner das Schönberg'sche Opus 11.1 erwähnt: Dort ist ein Crescendieren auf einem bereits angeschlagenen Ton vorgeschrieben - Schönberg war ja von Hause aus Streicher und mit dem Auf- und Abschwellen von Tönen in dieser Hinsicht ständig vertraut, könnte man angesichts dieser physikalisch absurden Vorgabe unterstellen...!;)
Bevor wir auf dem Holzweg noch weitere Strecken zurücklegen, kehren wir lieber zu dem zurück, was der Komponist wirklich gemeint haben könnte. Sowohl die alte Einspielung durch Eduard Steuermann als auch die spätere durch Maurizio Pollini bringen ganz schnell Licht ins Dunkel. Wenn ich auf den auf- und abschwellenden Klavierton in Schönbergs op. 11.1 abziele, haben entsprechend klug mit Spannungsbögen operierende Pianisten in der Tat die Gabe, innerhalb einer Linie so suggestiv auf Folgetöne zuzuspielen, dass niemand mehr auf den Grenzen der Physik heruminsistiert - in Abänderung eines oft zitierten Lichtenberg-Aphorismus könnte man sonst feststellen, dass die/der Betreffende vermutlich weder von Physik noch von Musik Ahnung hat.:D
Erwartet wird offensichtlich ein besonderer Grad der Spielintensität seitens des Pianisten, die mit dem Mittel des intensivierten Ausdrucks durch den Gebrauch des Vibratos beim Spiel von Blas- und vor allem von Streichinstrumenten vergleichbar wäre.
Eine andere Variante, die klanglichen Grenzen des Klaviers im orchestralen Sinne zu erweitern, findet sich in Notentexten von Sigfrid Karg-Elert: Dort lassen viele gestalterische Vorgaben Assoziationen an Registrieranweisungen auf Orgelinstrumenten zu, was angesichts seiner Affinität zum Kunstharmonium keineswegs verwunderlich ist.
Nachdem einige Beiträge das vorgegebene Thema mit humoristischem Einschlag versehen haben, muss ich mich doch etwas wundern. Inzwischen sind viele der Ansicht, einem Pianisten kein Vibratospiel beibringen zu können. Streicher sind da viel besser dran. Kennst Du den: Wie bringt man einem Bratscher das Vibrato-Spielen bei?
Ganz einfach: Eine ganze Note mit Fermate hinschreiben und daneben die Vortragsanweisung "Solo" ergänzen!!!
:geige::D