Den Faden verfolge ich nun still schon seit einiger Zeit und finde, dass doch noch einige Aspekte wichtig wären. Es folgt ein Beitrag für Geduldige.
@Frankie, Du beschreibst ja ein ganz alltägliches Problem des Übens, nämlich dass man eine neue Schwierigkeitsstufe eines technischen Aspekts erklimmen möchte und es aber nicht schafft. In Deinem Fall geht es um chromatische Tonleitern als isoliertes Problem, bzw. irgendwann auch um schnell gespielte chromatische Tonleitern.
Das ist für mich immer der Moment, zu fragen:
„Stimmt die geübte Bewegungsabfolge wirklich, oder gibt es in den zugrunde liegenden Elementarbewegungen noch ungelöste Probleme/ Fehler/Hemmnisse etc.?“
Wenn sich bei Sechzehnteln auf bpm = 96 eine Geschwindigkeitsschranke zeigt, kannst Du also versuchen, die Ursache zu finden (die wir Dir hier ohne Dich zu sehen und zu hören ja nicht benennen können, die musst Du selber finden).
Man kann über eine lange Zeit ein technisches Problem (hier: eine Skala) völlig falsch üben, daher bringt der oft gehörte Rat „üb‘ einfach immer schön fleißig weiter“ manchmal
gar nichts, wenn nicht klar ist, welche Komponente nicht stimmt bzw. hemmend wirkt.
Folgende Komponenten fallen mir zum Skalenspiel ein:
1. Das frei schwebende, völlig entspannte Handgelenk:
Schwebt dein Handgelenk frei oder gibst Du vielleicht auf jede Sechzehntel (man neigt wirklich dazu in langsamem Tempo!) einen Unterarmdruck/Unterarmimpuls? Zum Verständnis: Unterarmimpulse sind für einen satten Klang im mäßigen Tempo wichtig. Sechzehntel ( = also vier Töne) auf 120 bis 176 bpm sind aber natürlicherweise nicht mit einzelnen Unterarmschlägen spielbar (Schwelle individuell!!). Wenn Du die also im langsamen Tempo so einübst, wirst Du nie schneller werden, da die Unterarmimpulse die Geschwindigkeitssteigerung hemmen.
(Kleine Übungen mit geschlossenen Augen zum frei schwebenden Handgelenk:
a) die Fingerspitzen berühren leicht die Tasten, das Handgelenk schwebt in Neutralposition, Du lässt Deine Hände nach rechts und links gleiten und spürst die rhythmisch Deine Finger kitzelnden Rillen der Klaviatur. Die Bewegung Deiner Arme muss geschmeidig, frei und leicht in der Empfindung sein. Wie das Schlittschuhfahren oder Schwimmen oder Fliegen etc..
b) lege die Finger der rechten Hand leicht auf die Tasten und unterstütze das rechte Handgelenk mit Deiner linken Hand, die rechte Hand ruht also auf der linken. So losgelöst unterstützt sollte Dein Handgelenk sich bei Läufen anfühlen.)
Zwischenbemerkung: für fortgeschrittene Pianisten sind solche Übungen pillepalle und werden in der Regel in früher Kindheit erlernt. Ich kann mich aber durchaus noch daran erinnern (weil bei mir alles erst später erlernt wurde), wie schwierig die konsequente Umsetzung dieses Grundprinzips für mich war und auch heute bei schwereren Passagen noch immer ist.
2. Der freie Fall des Fingers ODER der schnelle Fingeranschlag (greifen, fallen, ziehen, von der Taste, höher als die Taste, herrje, so viele Möglichkeiten!): Enthält ja natürlicherweise die Komponenten Anschlag, kürzeres oder längeres Halten und Loslassen. Der Anschlag ist nun sehr unterschiedlich, je nachdem, welchen Klangeffekt Du brauchst. Das ist wirklich Gegenstand vieler, vieler Klavierstunden und Übungsstunden, auch in einem Amateurleben. Aber, was ich auch sehr wichtig finde und mir selber
Jahreee nicht klar war: die schnelle Entspannung, also das blitzschnelle Loslassen der Taste nach dem Fingerfall. Das Gehirn muss verstehen, dass man Tasten nicht nur blitzschnell anschlagen muss, sondern danach sofort blitzschnell loslassen muss; das Loslassen der Taste ist ein passiver Vorgang, es muss sich anfühlen wie eine schnelle, als wohlig, als befreiend empfundene Entspannung der Muskeln. Dadurch wird der Finger durch das Eigengewicht der Taste passiv nach oben gedrückt, und das blitzschnell. Gerade wenn man mit, sagen wir „viel Gefühl“, „immer legato“ übt (was auch musikalisch notwendig ist!), neigen manche Spieler dazu, eine Art „Loslasshemmung“ der Finger zu haben. Man klebt an den Tasten, der Klang wird kloßig und vor allem: Du wirst nicht schneller, da Du im wahrsten Sinne des Wortes nicht vorankommst.
(Dazu gibt es auch einfache Übungen, falls gewünscht, kann ich sie aufschreiben.)
3. Die schnelle Versetzung der Hand in die nächste greifbare Position:
Also z. B. bei Skalen das Spielen der Gruppe 1 - 2 - 3: wenn der 2. Finger spielt, bereits den Daumenuntersatz vollziehen, wenn der Daumen spielt, müssen die Finger 2 -3 -4 blitzschnell und auf dem kürzesten Weg in die nächst höhere/tiefere Position gelangen (Übersatz der Finger). Im Cortot gibt es dazu ein anschauliches Schema, das sehr sinnvoll ist und das Prinzip im Notenbild gut darstellt. Bei der chromatischen Tonleiter muss ja immer der Daumen sofort nach dem Anschlag in die nächste Position, ebenso der 3. Finger gleich nach dem Anschlag in die nächst höhere/tiefere Position.
4. Die Handgelenksbewegung beim Versetzen der Hand:
Ist bei Skalen (und möglichst auch bei Arpeggien)
nicht rotierend. Also auf keinen Fall beim Anschlag des Daumens nach unten, oben oder zur Seite mit dem Hgl ausweichen. Du kommst zur Übung a) zurück: die Finger spielen einzeln frei, sie fallen wie kleine Murmeln auf die Tastatur, das Handgelenk bringt sie nur passiv an den richtigen Platz.
5. Geschwindigkeit entsteht im Kopf:
Temposteigerungen muss man sich vorstellen können, sowohl als Bewegungsabfolge als auch als Klangresultat. Mir hilft es immer, mir Gruppen an Noten
in schneller Abfolge vorzustellen. Zunächst 4 Sechzehntel, dann 8 Sechzehntel, dann einen ganzen Takt etc.. Aber mache immer in einer weiteren Übung auch die dazwischen liegende, überlappende Kombination.
Hier eine Übung, veranschaulicht in Buchstaben (4 Buchstaben = 4 Sechzehntel):
4 Viertel-Takt, der umfasst die Musik cdef gahc ecea gfed für die rechte Hand,
mit dem Fingersatz rechte Hand 1231 2341 2125 4321:
- Mache Dir im Geist einen langsamen 4-Viertel-Takt (probiere es kurz mit dem Metronom aus, z. B. 54 bpm) als Grundlage.
- Spiele nun: „1“ = 4 Sechzehntel exakt im Rhythmus, „2“ = blitzartige, wohlige Entspannung von Finger und Handgelenk, „3“ und „4“ = bewusstes Vorstellen der nächsten vier Sechzehntel als Bewegungsfolge und Klang.
- Spiele nun folgende Reihen:
- 1231 – Entspannung – Vorstellung – Vorstellung
- 2341 – Entspannung – Vorstellung – Vorstellung
- 2125 ebenso
- 4321 ebenso.
4. Dann die dazwischen liegende Kombination, unter Beibehaltung der musikalischen Akzente:
- 12 (quasi als Rest)
- 3123 – Entspannung – Vorstellung – Vorstellung
- 4121 ebenso
- 2543 ebenso
- 21 (quasi als Rest)
Warum dieses Vorgehen? Einige Kombinationen, in der Regel die ohne Daumenuntersatz, gehen sehr leicht, andere sehr schwer. Gerade
die muss aber Dein Hirn kapieren und genau
das braucht so viel Zeit. Dein Hirn wird nach einigen Tagen danach verlangen, es schneller spielen zu dürfen. Diese Entwicklung muss aber im Hirn ihren Ursprung haben, nicht im Metronom oder in den Fingern.
Zusammenfassend:
- Wenn Deine Geschwindigkeitsgrenze bei Sechzehnteln auf 96 bpm liegt, vermute ich einfach mal, das bestimmte Aspekte dieser Elementarbewegungen nicht automatisiert sind, bzw. dafür kein Bewusstsein herrscht, weil einfach nicht gelehrt. Es wird doch im Unterricht so Vieles nicht gelehrt und meine Liste ist sicher auch nicht vollständig.
- Es gibt, wie
@rolf es auch treffend beschrieben hat, keine Abkürzung und kein Wundermittel, es zu verbessern. Es ist ein langsamer Prozess, es Deinem Gehirn schrittweise beizubringen. Du kannst es nicht erzwingen, sondern immer weiter geduldig daran üben.
Ich, aber das ist jetzt meine ganz persönliche Meinung, halte bei solcherlei isolierten technischen Problemen nichts von „massiertem Üben“, also lange an einem Tag daran üben, bis man echt nicht mehr kann. Denn eine neue Stufe der Technik erreicht man in Wochen und Monaten! Ich übe so etwas (
wenn ich es denn täte, nunja) z. B. 20 min lang, das aber dann jeden Tag über einen längeren Zeitraum (Wochen). Denn die Veränderungen im Gehirn brauchen einfach ihre Zeit. 90 min am Tag nur Chromatik ist ab
Minute x einfach zwecklos, da geht in die Birne nichts mehr rein (meine Erfahrung). Eher sinnvoll, wenn Du gerne eine Stunde Technik üben willst, dann mit Stoppuhr: 20 min Chromatik, 20 min eine Dur-Tonleiter, 20 min parallele moll-Tonleiter. Stoppuhr einfach, damit Du Dich nicht festbeißt. Das Bewegungsprinzip ist doch bei allen das gleiche und das parallele Üben mehrerer Skalen erhöht Deine geistige Flexibilität. Du übst ja nicht nur Chromatik, Du übst die schnelle Abfolge von schnellem Anschlag, schnellem Entspannen, schnellem Fortschreiten, schneller Vorstellung etc.., und dieses Grundprinzip ist bei allen Passagen gleich, auch wenn natürlich die Anforderungen bei Arpeggien etc. deutlich höher sind. Das meinst Du doch sicher,
@rolf: wer keine Tonleitern schnell spielen kann, der kann schnelle Arpeggien erst recht nicht.
@Marlene: Chapeau für dieses strukturierte Vorgehen! Da bist Du mir weit, weit voraus!
Eure
HERZTON, die immer gerne beschreibt, womit sie täglich zu kämpfen hat