1. Soweit ich weiß, sieht es mit der Dicke der Sehnen etwas anders aus als mit der Muskelkraft. Ich vermute (!?), dass die (ähnlich wie z.B. bei Leuten, die regelmäßig klettern) durchaus eine längerfristige Veränderung (Verdickung?) erfahren, wenn man regelmäßig spielt, v.a. wenn es technisch anspruchsvoller wird. Oder?
Liebe Blüte,
ja - meine Ergotherapeutin hat jedesmal gestaunt über meine anscheinend sehr straffen Sehnen (Handgelenk ...). Sie hat das sofort gefühlt und wusste da noch gar nichts über meinen Beruf.
2. Ich bin mir sicher, dass Muskelkraft für manche eine Rolle spielt - wenn auch keine, die zwingend notwendig ist! Will sagen: Ich vermute, dass man mit regelmäßiv wenig, bzw. völlig normal ausgebildeten Muskeln alles spielen kann (wie u.a. auch Beispiele von Kindern zeigen). Wenn ich mir allerdings russische, männliche Pianisten ansehe, wird deutlich, dass die ihr Körpergewicht und ihre Muskelkraft durchaus einsetzen. Hm.
Ich denke, vor allem ersteres! Wenn man viele Konzerte gibt, ist außerdem eine gewisse Fitness und eine gute Halte-/Stützmuskulatur der Körpermitte sehr von Vorteil.
Aber ein Krafttraining der Finger ist wirklich vollkommen unnötig. Man braucht für schwierigere Literatur eine Stützkraft - die Finger müssen die Impulse, die sie erhalten bzw. das Gewicht, das auf ihnen punktuell lastet, aushalten können. Diese Stützkraft ergibt sich aber ganz von selbst mit der Weiterentwicklung der technischen Fähigkeiten und steigendem Schwierigkeitsgrad der Stücke. Sie muss nicht extra trainiert werden.
Es geht doch hier letztlich um Schnelligkeit und das Gefühl von vorwiegend Anfängern, die den Gebrauch des 4. und 5. Finger beim Klavierspielen als sehr ungewohnt empfinden.
Bei letzteren muss erst einmal eine Koordinationsfähigkeit und richtige technische Umsetzung erlernt werden.
Bei der Schnelligkeit ist ein Krafttraining unnütz, weil es keine sonderliche Kraft braucht, eine Taste anzuschlagen (Niederdruckschwere um die 50g). Das ist ein großer Unterschied z.B. zum Radsport, bei dem die erbrachte Wattzahl auf die Pedale sehr wohl ein wichtiger Faktor für die Schnelligkeit ist.
Der Laie denkt halt gern, dass man mehr Schnelligkeit mit Krafttraining erreicht. Ihm fehlt es aber in der Regel an Koordinationsfähigkeit und Präzision, die für die nötige Schnelligkeit sorgt. Die kann man an Übungen, Tonleitern und Etüden üben, wenn man möchte.
Bei sehr gleichförmigen Übungen wie Hanon aber kann es zu einem sehr negativen Aspekt kommen, den der Laie oder Schüler häufig nicht berücksichtigt: das Ohr schaltet ab und damit verschlechtern sich technische Fähigkeiten sogar. Nur hört der Schüler das nicht, weil er ja nicht mehr genau hinhört.
Meine Erfahrung ist, dass Wiedereinsteiger, die in ihrer Kindheit viel Hanon etc. gespielt haben, sich ein sehr mechanistisches Spiel angewöhnt haben. Schnelle Läufe sind schnelle Läufe - rattatatatatata... .
Die melodischen Linien, die Intervalle werden nicht gehört, schnelle Sechzehntel werden immer gleich gespielt, Phrasierung, viele unterschiedliche Artikulationen sind ein Fremdwort.
Ein Anfänger muss als erstes etwas über Musik lernen und die Schulung des Gehörs hat oberste Priorität. Wer sehr fortgeschritten Petruschka, Gaspard & Co. spielt, hat meistens viele Etüden von Chopin, Liszt u.a. gespielt. Er hat vielleicht auch die Brahmsübungen geübt, bei denen das Ohr und die Technik eine Einheit bilden.
Sehr oft wie auch hier in diesem Faden findet man die Einstellung, man könne Technik vom Klang trennen. Da braucht man nur die Worte von R. Schumann, A. Goldenweiser und Heinrich Neuhaus zu lesen:
„
Technik ist das Vermögen, das, was man will, so zu tun, wie man es will; das bedeutet Übereinstimmung von künstlerischer Absicht und ihrer Verwirklichung“
(aus „Von der Interpretation, der Technik und der Arbeit“
, Alexander Goldenweiser)
.
"Jede Vervollkommnung der Technik ist also eine Vervollkommnung der Kunst selbst, das heißt, sie hilft, den Inhalt, den ‚verborgenen Sinn‘ zu enthüllen, mit anderen Worten, sie erscheint als Materie, als die wirkliche Inkarnation der Kunst“. Heinrich Neuhaus
(aus „Die Kunst des Klavierspiels“)
"Die Finger müssen machen, was der Kopf will, nicht umgekehrt.“ Robert Schumann
Liebe Grüße
chiarina