Kuck mal, eigentlich ist die Sache ganz einfach:
Wenn man aus einem Fakebook ein Jazzstück vom Leadsheet spielt, dann steht da meinetwegen: Dm7 G7 Cmaj.7 . Oder A9 D7(#9#5) Gm .
Ein "Notenbeachter" würde sich sagen: OK, ich beachte mal ganz genau, was da steht; beim 1. Akkord soll ich also irgendwie die Töne D-F-A-C verwenden, beim 2. G-H-D-F usw.
Ergebnis ist: Es klingt scheiße, wie ein Anfänger halt, weil er nicht weiß, was in den (Profi-) Kreisen mit den Akkordsymbolen gemeint ist und welche Freiheiten oder Einschränkungen es gibt.
Ein "Bescheidwisser" hingegen liest dagegen da heraus: OK, irgendwie ne II-V-I nach C, wobei ich Optionstöne natürlich je nach Art des Stückes und Stilrichtung dazumixe.
D.h. er könnte beispielsweise de facto spielen: Dm7/9 G7#9#5 Cmaj7(add6) oder so. Oder im 2. Beispiel läßt er beim G7(#9#5) die #9 und #5 weg und spielt stattdessen die b9.
Dies ist dann keinesfalls "falsch", sondern die Symbole sind einfach vom kenntnisreichen Spieler zu ergänzende / modifizierende Kürzel, so daß die Richtung klar ist. Wer das nicht weiß, wird nicht lernen, flüssig, musikalisch und stilsicher mit dieser Art von Notation umgehen zu können.
Auch bei den klassischen Komponisten ist so eine "ihr wißt Bescheid, so die Richtung, ne?"-Notationsweise absolut üblich! Auch dort ist es also sehr ratsam, nicht "Notenbeachter", sondern "Bescheidwisser" zu werden / zu sein.
Insbesondere bei Pedalangaben, Tempoangaben, Verzierungen (!) ist dies der Fall.
Wir dürfen nicht vergessen, daß bis weit ins 19. Jahrhundert der improvisierende Musiker / Komponist der Normalfall war und so manche Praxis, auch in der Art des Unterrichts, mehr derjenigen guter heutiger Jazzmusiker und -Lehrer ähnelte.
Das macht natürlich eine historische Forschung darüber, was denn damals so üblich war und was typischerweise mit irgendwelchen Aufzeichnungen ungefähr gemeint war (aber auch von den Komponisten spontan abgewandelt wurde!), keinesfalls obsolet, ich würde sagen, im Gegenteil.
Nur muß man sich in vielen Fällen von der Vorstellung verabschieden, man könne dafür die "eine richtige" Auflösung finden, die dann für "Notenbeachter" umsetzbar wäre.
LG,
Hasenbein