Meine ersten Klavierstücke

Nicht ohne Grund werden die einzelnen Stimmen auch Stimmen genannt. Ließe sich z.B. das hier mit Stimmen nachsingen?
Zunächst hat sich der Begriff "Stimme" mit dem Auftreten der Instrumentalmusik nicht mehr allein auf die Singstimme bezogen, und zum zweiten muss nicht jedes Stück sich für Singstimme eignen, nur weil man es in Einzelstimmen zerlegen kann.
Ob ich das nun "Sopran, Alt, Tenor und Bass" nenne oder eben "Violine, Viola, Violoncello und Kontrabass" (oder andere an den Vier Stimmen orientierte Instrumentenfamilien) macht nur wenig unterschied ... Singstimmen haben meist Text ... und mit dem haben alle Instrumente echte Probleme.

Beim P+F Nr. 20 aus WTK I und der Aufnahme von Andras Schif muss ich dir allerdings recht geben. Der hetzt da einfach nur durch und dadurch ist es schwierig(er) den Stimmen zu folgen.
Bei der Variation von Wim Winters scheint es aber nicht so sehr darum zu gehen, dass man die einzelnen Stimmen nachvollziehen kann (das geht mit etwas Mühe auch bei Schif) ... da scheint es darum zu gehen, jede einzelne Note in ihrem Zusammenspiel mit den gleichzeitig klingenden Tönen nachvollziehen zu können.
Das finde ich nun wieder zu langsam, und auch dadurch gehen Dinge verloren, die gerade zu polyphoner Instrumentalmusik einfach dazugehören.

Ich würde einen Mittelweg empfehlen.

Ich habe auch noch ein zweites Video gesehen, in dem Winters erklärt, wie er zum Tempo seiner Mondscheinsonate gekommen ist.
Da spielt ein Buch eine wichtige Rolle, in dem die Verdoppelung der Metronomangaben in Beethovens Finalsätzen empfohlen wird. Diese Empfehlung gab es und sicherlich hatte das auch einen gewissen Einfluss darauf, wie diese Sätze heute oft gespielt werden.
Aus der Annahme "Alle spielen das in doppelter Geschwindigkeit, weil sich das nunmal so eingebürgert hat" dann aber darauf zu schließen, dass man richtig läge, wenn man das oft gehörte Tempo plump halbiert, finde ich nicht ganz den richtigen Ansatz. Ich sehe da einen unzulässigen Umkehrschluss.

Letztlich muss es aber jeder selbst wissen.
Ich muss mich ja weder an Schif noch an Winters orientieren.
 
Auf dem Cembalo gespielt, kann dann sicher noch nach jeder Note geatmet werden...
Meiner Erfahrung nach ist es bei Cembalo-spielern schlimmer, vermutlich weil sich weniger Menschen für ihr Instrument interessieren, meinen sie bei der Geschwindigkeit nochmal eine Schippe drauflegen und in jedem Takt Triller einsetzen zu müssen…

Hier wäre ein Beispiel, wo für mich die Klavierversion angenehmer klingt als die Orgelversion, trotz Amateurhaftigkeit. (J.C.F. Fischer - Fuge in C Dur)





Zunächst hat sich der Begriff "Stimme" mit dem Auftreten der Instrumentalmusik nicht mehr allein auf die Singstimme bezogen, und zum zweiten muss nicht jedes Stück sich für Singstimme eignen, nur weil man es in Einzelstimmen zerlegen kann.
Ich wollte sagen, dass die Instrumentalstimme aus der menschlichen entstanden ist. Es ist ja kein Zufall, dass die Töne, die für unsere Ohren angenehm klingen, im Bereich der menschlichen Stimmen liegen. Zuerst kam der Gesang und dann hatten Menschen damit begonnen Instrumente zu erfinden, die sich daran anlehnen.
Es gibt durchaus Stücke, die auch mir im höheren Tempo gut gefallen. Trotzdem ist das oben genannte für mich der Ausgangpunkt, an den ich mich versuche zu orientieren, wenn es um Musik geht
 
Dass der Komponist sich diese Melodien nicht in dieser Geschwindigkeit im Kopfe erdacht hat, darauf kommen sie erst gar nicht.
Und ich bin sicher, dass er das sehr wohl konnte und dass er sich beispielsweise eine Gigue nicht erst im Adagio überlegte, bevor er sie improvisierte oder notierte. Über Bachs Improvisationsfähigkeiten gibt es genügend Berichte von Zeitzeugen.

Und was Fugen angeht: Eine Fuge ist quasi ein formales Gefäß, das man in sehr vielfältiger Form füllen kann. Es gibt bei Bach Klavierfugen, die sich an die alte Vokalpolyphonie anlehnen ebenso wie es Fugen gibt, die ganz klar instrumental gedacht sind. Es soll sogar schnelle Tanzsätze von Bach in Fugenform geben, wer hätte das gedacht...
 
Zuerst kam der Gesang und dann hatten Menschen damit begonnen Instrumente zu erfinden, die sich daran anlehnen.
Und dann haben die Menschen bemerkt, dass ihre Instrumente mehr können, als die menschliche Stimme (das war vor weit über 500 Jahren).
Ohne dieses "über den Ursprung Hinausgehen" wären Mozart, Beethoven und Chopin (nur ein paar Beispiele) nicht zu erklären.
Tatsächlich hat sich sogar die Singstimme an die instrumentalen Möglichkeiten der Instrumente anzupassen versucht. Die Nachtkönigin singt bei Mozart (Zauberflöte) einige Melodien, die man so doch eher bei einer Flöte oder Violine vermutet, als bei einer Singstimme. Schöne Musik ... aber das, was die Stimme da macht ist eben alles andere als natürlich ... für eine menschliche Singstimme.
 
Zuletzt bearbeitet:
Und ich bin sicher, dass er das sehr wohl konnte und dass er sich beispielsweise eine Gigue nicht erst im Adagio überlegte, bevor er sie improvisierte oder notierte. Über Bachs Improvisationsfähigkeiten gibt es genügend Berichte von Zeitzeugen.
Ob er das konnte, kann ich nicht beurteilen, das habe ich auch nirgendwo behauptet.

In den Berichten über ihn heißt es, dass man kaum oder gar keine Bewegung in seinen Händen beim Spielen beobachten konnte.
Und C.P.E. Bach kritisierte in ‚Versuch über die wahre Kunst das Clavier zu spielen‘ sowohl die Schnelligkeit, als auch die Langsamkeit von Spielern seiner Zeit, die zwar das Ohr aber nicht das Herz überraschen/ ergreifen.
Es steht, dass ein Klavierspieler über viele Stunden in entspannter Lage fähig sein muss, etwas vorzutragen, wozu er auch die Improvisation, Transposition usw. dazuzählte. (Fall mein Gedächtnis mich nicht täuscht.)

Passt das zu den heutigen, schnellen und verschwitzen Klavierspielern?

Es soll sogar schnelle Tanzsätze von Bach in Fugenform geben, wer hätte das gedacht...
Da müssen sie damals ja ganz wilde Techno-Moves gehabt haben, um bei den heute gespielten Fugen mithalten zu können
 
Es ist
In den Berichten über ihn heißt es, dass man kaum oder gar keine Bewegung in seinen Händen beim Spielen beobachten konnte.
Das spricht für eine sehr gute und ökonomische Technik. Wobei ein moderner Konzertflügel eine ganz andere Spieltechnik erfordert als ein Cembalo oder gar Clavichord. Körperlich anstrengend muss das dennoch nicht sein - jedenfalls nicht bei Bach, Mozart und Beethoven. Physisch herausfordernd wird erst die große Konzertliteratur der Romantik - Liszts Tannhäuser-Paraphrase wird kaum jemand zweimal nacheinander aufführen wollen. Aber sowas wie die Monscheinsonate kann man auch im hohen Tempo 10 mal nacheinander spielen, ohne physisch zu ermüden.

Da müssen sie damals ja ganz wilde Techno-Moves gehabt haben, um bei den heute gespielten Fugen mithalten zu können

Nö. Schnelle Noten bedeuten ja nicht zwangsweise auch schnelle Tanzbewegungen, ganz besonders nicht in ternären Sätzen.
 
Ich glaube es bringt nicht viel über dieses Thema hier zu diskutieren. Letztlich hat jeder sein eigenen Geschmack, den er für richtig hält. Mir gefallen ältere Aufnahmen besser als moderne, wobei die Qualität und Mühe der Netherlands Bach Society nicht abzustreiten ist.
Aber die Spielgeschwindigkeit hat allein in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen. Hier wären einige Beispiele von Albert Schweitzer, der in seiner Bach Biografie bereits sagte, dass vor allem die Dur-Stücke zu schnell gespielt werden.

17 Minuten für die Passacaglia und Fuge in C Moll.
Irgendwann hatte ich mal auch eine Choraufnahme aus dem zweiten Weltkrieg gehört und die Radiosprecherin betonte, dass die Musik auf uns etwas ungewöhnlich wirken mag, da damals sogar langsamer gesungen wurde!

Naja ich wollte hier kein Fass aufmachen, das Thema ist für mich eher zweitrangig. Das Talsma Video habe ich nur hochgeladen, da ich in Zukunft eventuell einige Bachstücke aufnehmen möchte.
 
Anekdotisch: Im frühen 20. Jahrhundert hat die Matthäu-Passion 6 Stunden gedauert.

Orchestereinleitung: 5 Minuten

Chöre: Koo-ooo-ooo-hooooooomt'Ii-hier-Töööööööö.... // Seeeeeeeeeeeheeet

Nr.1 also: 20 Minuten

:008:
 

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