Mein asiatischer Klavierstudent

Stilblüte

Super-Moderator
Mod
Dabei seit
21. Jan. 2007
Beiträge
11.563
Reaktionen
17.639
Hallo an alle,

Ich möchte euch von einem meiner Studenten erzählen und fragen, ob jemand Erfahrungen oder Ideen dazu hat (v.a. diejenigen, die junge Erwachsene auf professionellem Niveau unterrichten). Mein Student studiert künstlerisch-pädagogisch Klavier und ist asiatischer Herkunft (genauer möchte ich das wegen Persönlichkeitsrecht nicht eingrenzen). Er hat in seiner Kindheit und jugend die typischen Klischees erfahren: Schwarze Pädagogik im Unterricht (Druck, Beleidigungen, Schlagen, hauptsache Technik, hauptsache Chopin/Liszt/Rachmaninov möglichst schnell etc.). Nach Deutschland kam er, weil das Studium hier kostenlos ist und weil die Komponisten eben auch überwiegend Europäer waren. Nun gibt es mehrere recht schwerwiegende Probleme und ich frage mich, wie ich ihn am besten unterstützen kann.

1) Sein Deutsch ist noch ziemlich schlecht. Er hat zwar auf dem Papier C1-Niveau, aber sein Wortschatz, seine Aussprache und vor allem sein Hörverstehen sind unzureichend. Über Musik sprechen geht kaum, über Musik reflektieren quasi gar nicht, konkrete technische oder musikalische Anweisungen sind schwierig und funktionieren wenn, dann fast nur über zeigen, vor- und nachmachen etc.; zeitgleich hört er leider noch nicht besonders gut, weil er nur auf Technik und Schnellspielen getrimmt ist. Wir arbeiten hin und wieder mit Übersetzungs-App, wenn mir etwas sehr wichtig ist; ansonsten dauert es einfach lang und ist für mich (und für ihn vermutlich auch) sehr anstrengend. Kürzlich habe ich ihm sehr ins Gewissen geredet, dass sein Deutsch schnell besser werden muss, damit er vom Unterricht mehr profitiert und außerdem demnächst in Fachmethodik und Lehrproben überhaupt teilnehmen kann. Es gibt auch schon im Juli eine mündliche Prüfung... Das hat er sehr gut eingesehen und sich bedankt - aber vielleicht hat jemand trotzdem noch kurzfristige Ideen.

2) Er spielt leider sehr klischeehaft schlecht, nämlich vor allem schnell. Damit geht einher, dass er auch extrem ungenau spielt, d.h. liest ungenau und spielt dann falsche Töne (weil er sich verlesen hat), spielt schlampig (Töne fehlen), Dynamik ist schlecht ausbalanciert, er wird schneller, spielt über Klänge hinweg etc. etc. Er hat sich kürzlich sehr bedankt, da ich die erste Lehrerin seines Lebens bin, die geduldig und freundlich ist und ihm zeigt, wie man überhaupt Klavierspielt. Allerdings kann ich natürlich keine Wunder vollbringen und hatte so einen krassen Fall auch noch nicht. Meine Herangehensweise: Mit viel Zeit, Geduld und Mühe die Musik im Detail mit ihm ansehen, lesen, hören, spielen, Details wahrnehmen, ihm klarmachen, dass schnellspielen erst ganz, ganz, ganz viel später wichtig wird und sowieso von selbst kommt, wenn er genauer spielt. Das versteht er auch und es wird auch etwas besser, allerdings fällt er immer wieder in seine alten Fahrwasser zurück. Wie gesagt hört er leider nicht so gut, was es zusätzlich mühsam macht. Wie unterrichtet ihr in einem solchen Fall?

Nun könnte man natürlich auch einfach aufgeben, eine Feststellungsprüfung veranlassen etc.. Allerdings fände ich das sehr schade aus mehreren Gründen: Zum einen wäre so ein Scheitern vermutlich in jeder Hinsicht fundamental schlimm für ihn. Außerdem meine ich, hinter der ungünstigen Indoktrinatino von Laut-Schnell-Sport-Wegducken einen sehr interessierten, engagierten, ehrgeizigen und auch musikalischen Menschen aufblitzen zu sehen. Zudem ist er ungewöhnlich freundlich und zugewandt, wie ich es selbst von Einheimischen selten erlebe, und von Asiaten, die gerade erst angekommen sind, in dieser Form noch seltener. Ich kann mir vorstellen, dass nach ein paar Jahren aus ihm tatsächlich ein anständiger Pianist und vielleicht sogar Klavierlehrer wird.

Lange Rede, kurzer Sinn: Wir kommen zurecht, aber vielleicht hat jemand noch zusätzliche Ideen, Erfahrungen, Hinweise... Mit KollegInnen tausche ich mich natürlich auch aus ;-)

Viele Grüße!
Stilblüte
 
Da wird es sicher Antworten und Vorschläge geben. Ob die etwas bringen - da bin ich skeptisch. Sein Background ist nach unseren Maßstäben unterirdisch. Dazu: Deutsch kann er nicht - ist aber unverzichtbar - und ob er überhaupt ein Händchen für Musik hat, weißt Du nicht.

Er ist Dir aber sympatisch. Also bleibt nur a) die Adoption oder b) die Heirat.

CW
 
Hört er wirklich physisch schlecht oder weiß er einfach noch nicht, auf was er beim Hören achten soll?


Ich würde ihm viel vorspielen und dabei kontrastieren. So nach dem Motto: "So spielst Du" (dann sein schlampiges Gehämmer anhand einer Beispielstelle übertrieben nachmachen) und dann "so spielt man es" (dann richtig schön vorspielen). Oder "So übst Du" (Hämmern, Rasen, Schlampen) und "so übt man diese Stellen" (alles übertrieben langsam und genau vormachen). Dabei durchaus Nachdruck zeigen (das kennt er von seiner Kindheit).
Dieses kontrastierende Vormachen funktioniert (bei mir, aus Schülersicht) gut. Es schult auch das Gehör. Und bringt auch mal zum Lachen.
 
@Stilblüte
Eventuell könntest du im Unterricht zunächst auf eine Sprache setzen, die ihr beide einigermaßen beherrscht.
Als erstes fällt mir da Englisch ein ... obwohl ich auch schon echt grausliges "Chinglish" gehört habe.
Zur not eben erstmal mit der Übersetzungsapp ... obwohl der Einsatz einer solchen App den Spracherwerb tatsächlich auch behindern kann.
Eigentlich ist dein Unterricht aber auch nicht der Ort, an dem er seine Sprachkenntnisse aufpolieren soll.

Zum Spracherwerb habe ich die Erfahrung gemacht, dass nichts über das Machen geht.
Menschen, die regelmäßig in Situationen geraten, in denen sie mit ihren aktuellen Sprachkenntnissen nicht weiterkommen, lernen fast unweigerlich, sich auch in einer fremden Sprache einigermaßen zu verständigen. Es ist nicht schlimm, wenn man dafür anfangs den ganzen Körper zu Hilfe nimmt (sprechen mit Händen und Füßen). Und ja, den anfang manchen ganz alltägliche Dinge ... z.B. die Kommunikation mit der Kassenkraft beim einkaufen, Unterhaltungen mit Nachbarn, nach dem Weg fragen.
Zu einer im Unterricht nutzbaren Kommunikation über Musik wird es allerdings eine ganze Weile brauchen ... denn das ist nicht einfach nur "Deutsch".

Dass das ein sehr wichtiger Aspekt für gelingenden Unterricht ist, hast du ihm ja bereits verständlich gemacht (zumindest klang das so).

Der Drang, ohne Rücksicht auf Verluste, schnell(er) zu spielen, ist eine ziemlich harte Nuss. Gerade wenn das über Jahre hinweg konditioniert wurde.
Da kann man nur immer wieder sagen "laaaangsaaaameeeer" (eine art Gegenkonditionierung aufbauen).
Es gibt sogar ein Stück von Chopin, mit dem man daran arbeiten könnte (e-Moll Präludium ... das wirkt lächerlich, wenn man es zu schnell spielt).
Eventuell könntest du auch mit mentalen Bildern arbeiten. Obiges Präludium ist ein Trauermarsch ... und da bietet sich das Bild einer andächtigen Trauerprozession an. Es gibt eine ganze Menge Stücke, die einem "langsam" beibringen können (weil sie schnell einfach scheiße klingen ... sogar, wenn sie ansonsten korrekt gespielt werden).

Die wichtigste Tugend für so einen Fall hast du meiner Meinung nach ... Geduld ... denn vor allem wird das Zeit brauchen.

Ich hoffe, dass ich nicht nur Sachen geschrieben habe, die du selbst weißt.

@chopinfan:
Das kontrastierende Vormachen funktioniert aber auch nur bei Menschen, die Kritik abkönnen, vor allem, wenn man dabei überzeichnet.
Aufnahmen von seinen Übungen wären auch eine Möglichkeit ... "verdammt ... klinge ich wirklich so?" hat schon so manchen kuriert.
 
Zuletzt bearbeitet:
Er spielt leider sehr klischeehaft schlecht, nämlich vor allem schnell. Damit geht einher, dass er auch extrem ungenau spielt, d.h. liest ungenau und spielt dann falsche Töne (weil er sich verlesen hat), spielt schlampig (Töne fehlen), Dynamik ist schlecht ausbalanciert, er wird schneller, spielt über Klänge hinweg etc. etc. Er hat sich kürzlich sehr bedankt, da ich die erste Lehrerin seines Lebens bin, die geduldig und freundlich ist und ihm zeigt, wie man überhaupt Klavierspielt.
Unter diesen Voraussetzungen kann man die Aufnahmeprüfung an einer Musikhochschule bestehen?
 
Das kontrastierende Vormachen funktioniert aber auch nur bei Menschen, die Kritik abkönnen, vor allem, wenn man dabei überzeichnet.
Stimmt! Und Humor ist wichtig. Das Wichtigste aber ist eine tragfähige, wertschätzende Beziehung zwischen Student und Lehrer, die hier aber vorzuliegen scheint.

Mich haben solche Aha-Erlebnisse durch das Kontrastieren sehr geprägt. Stärker als jede verbale Predigt.
Oder wenn ich mitten im Spiel unterbrochen wurde "jetzt ist es wieder passiert, schau mal, was Du da gerade machst" (+übertrieben vorgemacht). Das prägt sich in einem sehr positiven Sinne ein.
 
Warum wird so jemand überhaupt an einer Hochschule genommen?

Und Du bist nicht für die Rettung irgendwelcher verkorksten Schüler zuständig, egal ob sie aus Salzgitter oder Seoul kommen.

Deswegen sind doch all diese eigentlich zu schlechten Studenten an Hochschulen, WEIL die Lehrpersonen den Blödsinn mitmachen, und zwar WEIL sie a) weiter die Kohle verdienen wollen und/oder b) als Gutmenschen gesehen werden wollen.

Dieser Circulus Vitiosus muss durchbrochen werden.
 
Dass er unsere Sprache schlecht kann, spricht für schlechtes Hören im Sinne von: Nicht Hinhören.
Ein Unterricht ohne Sprache, sondern alleine mit Musiksprache wäre m.E. für ihn genau das, was er braucht. Er muss sich selbst zum Hören erziehen, dann wird die kopf- und herzlose Raserei ein Ende haben.

1. Singen! Er soll Bach spielen, gerne Fugen und die einzelnen Stimmen singen, während er spielt. Wenn er damit noch überfordert ist, dann soll er die einzelnen Stimmen spielen und mitsingen.
Wenn das gut läuft, kann er erst einen Part singen, und ihn dann spielen. Oft hat das Singen einen ungemein musikalischen Effekt auf das Spiel, ohne, dass man erklären muss.

2. Leichte Stücke! Bei denen kann man einfach musikalische Sachverhalte klären, das Ohr schulen.
Vom Notenblatt auswendig lernen und direkt spielen ist auch sehr schön.

3. Choreographie! Die kann man gut nur vormachen und muss überhaupt nichts mit dem Mund reden.
4. Langsam spielen! Bei Schnellspiel: Gnadenloses Abbrechen.

Was ich Deinem Post entnehme, ist, dass er im Moment sehr oberflächlich ist, vielleicht ein ewig gedrillter, der nur geübt hat, damit er keine Haue bekommt. Er muss lernen zu üben, um der Musik auf die Spur zu kommen.
Insgesamt eine spannende Herausforderung. Aber er wird das schaffen, weil Du an ihn glaubst! :-)
 
Warum wird so jemand überhaupt an einer Hochschule genommen?

Und Du bist nicht für die Rettung irgendwelcher verkorksten Schüler zuständig, egal ob sie aus Salzgitter oder Seoul kommen.

Deswegen sind doch all diese eigentlich zu schlechten Studenten an Hochschulen, WEIL die Lehrpersonen den Blödsinn mitmachen, und zwar WEIL sie a) weiter die Kohle verdienen wollen und/oder b) als Gutmenschen gesehen werden wollen.

Dieser Circulus Vitiosus muss durchbrochen werden.
Mit der ersten Frage hast Du Recht.
Aber wenn ich einen verkorksten Schüler bekomme, will ich ihn immer retten. Und oft geht das auch. Es ist wunderbar, wenn man manche Pflanzen sieht und erfahren darf, wie sie plötzlich blühen.
Es ist erstaunlich, aber wirklich gar nicht soo selten.
 
Nur laienhafte Ideen: Was wäre mit:

- ihn Aufnahmen nur in halben Tempo hören lassen

- mit Metronom auf halbes Tempo bremsen und mehrere Wochen nicht drüber raus lassen

- mit langsamen Aufnahmen mitspielen lassen, nur langsame Werke spielen lassen

- Gruppenunterricht mit andern Studenten die die selbe Sprache sprechen?

- Viele vierhändige Werke spielen lassen mit Studenten die sein Spiel kontrastieren?

- alles Legato spielen ohne Pedal, dann kann man auch nix mehr oberflächlich klopfen oder rasen.

- Phrasen/Motive aus verschiedenen bekannten Aufnahmen möglichst 1:1 kopieren und aufnehmen als Hausaufgabe, damit der die Unterschiede auch zuhause beginnt selbst zu erforschen
 
Zuletzt bearbeitet:

Mit dem Versuch des "Rettens" irgendwelcher Ungeeigneter oder Uninteressierter verballern sooo viele Lehrkräfte an Musikschulen und Hochschulen aus gutmenschlichen Motiven einen Großteil ihrer Energie, die dann den guten und fördernswerten SuS nicht zur Verfügung steht.

Ich bin auch nicht für die Rückkehr zur schwarzen Pädagogik von früher, und ich bin auch der Meinung, dass es nicht wenige Fälle gibt, wo man durch Lösen von Blockaden und Zeigen zweckmäßiger Vorgehens- und Denkweisen Schüler erstaunlich voranbringen kann, aber es gerät im Unterrichtswesen einiges immer mehr in eine unangemessene Schieflage.
 
Mir bleibt es schleierhaft, warum der "Gutmensch" verunglimpft wird.

Der Begriff ist zu Recht zum Unwort des Jahres 2015 gewählt worden.

-

Unwort des Jahres​

Durch die Sprachkritische Aktion Unwort des Jahres in Deutschland erhielt das Wort 2011 den zweiten und 2015 den ersten Platz als Unwort des Jahres.[30] Dies begründete die Jury 2011 folgendermaßen:

„Mit dem Ausdruck Gutmensch wird insbesondere in Internet-Foren das ethische Ideal des ‚guten Menschen‘ in hämischer Weise aufgegriffen, um Andersdenkende pauschal und ohne Ansehung ihrer Argumente zu diffamieren und als naiv abzuqualifizieren. Ähnlich wie der meist ebenfalls in diffamierender Absicht gebrauchte Ausdruck Wutbürger widerspricht der abwertend verwendete Ausdruck Gutmensch Grundprinzipien der Demokratie, zu denen die notwendige Orientierung politischen Handelns an ethischen Prinzipien und das Ideal der Aushandlung gemeinsamer gesellschaftlicher Wertorientierungen in rationaler Diskussion gehören. Der Ausdruck wird zwar schon seit 20 Jahren in der hier gerügten Weise benutzt. Im Jahr 2011 ist er aber in unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Kontexten einflussreich geworden und hat somit sein Diffamierungspotential als „Kampfbegriff gegen Andersdenkende“ verstärkt entfaltet.“[31]
Im Jahr 2015 lautete die Begründung, dass im Zusammenhang mit dem Flüchtlingsthema insbesondere auch diejenigen beschimpft würden, die sich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe oder gegen flüchtlingsfeindliche Angriffe in der Bundesrepublik Deutschland einsetzen.[32][33] Die Wahl war beeinflusst durch das Flüchtlingsthema 2015.[34] „Gutmensch“ wurde gewählt, weil der Begriff Hilfsbereitschaft pauschal als naiv, dumm und weltfremd diffamiere.[35] Die Kritik richte sich nicht nur gegen Rechtspopulisten, sondern auch gegen Journalisten der Leitmedien, die das Wort „Gutmensch“ gebrauchen würden.[36][37]

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Gutmensch#Unwort_des_Jahres
 
Mir bleibt es schleierhaft, warum der "Gutmensch" verunglimpft wird.

Der Begriff ist zu Recht zum Unwort des Jahres 2015 gewählt worden.

-

Unwort des Jahres​

Durch die Sprachkritische Aktion Unwort des Jahres in Deutschland erhielt das Wort 2011 den zweiten und 2015 den ersten Platz als Unwort des Jahres.[30] Dies begründete die Jury 2011 folgendermaßen:


Im Jahr 2015 lautete die Begründung, dass im Zusammenhang mit dem Flüchtlingsthema insbesondere auch diejenigen beschimpft würden, die sich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe oder gegen flüchtlingsfeindliche Angriffe in der Bundesrepublik Deutschland einsetzen.[32][33] Die Wahl war beeinflusst durch das Flüchtlingsthema 2015.[34] „Gutmensch“ wurde gewählt, weil der Begriff Hilfsbereitschaft pauschal als naiv, dumm und weltfremd diffamiere.[35] Die Kritik richte sich nicht nur gegen Rechtspopulisten, sondern auch gegen Journalisten der Leitmedien, die das Wort „Gutmensch“ gebrauchen würden.[36][37]

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Gutmensch#Unwort_des_Jahres
Ich meine den Begriff in dem Sinne, dass das ein Mensch ist, der auf Deubel komm raus möglichst immer von den anderen als moralisch gut oder gar altruistisch gesehen werden will und daher alles vermeidet, wodurch er es sich mit manchen verscherzen könnte.

Gerade in den heutigen Zeiten steht ja jeder in der Gesellschaft im Grunde unter dem Druck, so ein Gutmensch zu sein, da er befürchtet, sonst ausgegrenzt zu werden.

Beispiel: Sagt ein Hochschuldozent, dass er findet, dass Leute, die nicht bestimmte Standards erfüllen, rausgeschmissen gehören, läuft er Gefahr, als unempathischer alter weißer Mann dargestellt zu werden, der doch bloß zu unfähig, faul oder rassistisch sei, vernünftig individuell auf Schüler mit Problemen einzugehen. Also hält er tendenziell meist die Klappe und macht brav mit - als sozusagen un-überzeugter Gutmensch, der von den überzeugten Gutmenschen auf Linie gehalten wird.

Bedenkt bitte immer: In Asien wäre das, was hier diesbezüglich läuft, undenkbar - entweder der Schüler bringt klare Leistung, oder tschüssikowski. Man sollte sich nicht einbilden, der sich hier eingebürgert habende Modus sei der sozusagen natürliche, den die Moral, Mitmenschlichkeit und Pädagogik gebiete.
 
Ich lese hier mit einigem Interesse mit, sage aber zuallererst, dass ich aufgrund fehlender Erfahrung nichts nützliches beizutragen versuchen kann. Das interessiert mich, betrifft mich sogar, weil ich oft (bzw. immer öfter) gefragt werde, Meisterkurse zu geben, und ich in manchem Schüler, der dabei anzutreffen ist, die gegenwärtige Beschreibung verblüffend genau wiedererkenne. Viele derer haben vor, ihre musikalische Laufbahnen an weltweit renommierten Musikinstitutionen fortzusetzen und (was mich als Außenstehenden ja auch wundert) werden tatsächlich aufgenommen. Sollte denen zu helfen sein, möchte ich es ja wohlwollend wissen, und vor allem wie.
 
Das ist eine äußerst problematische Situation, weil es nach meiner Erfahrung völlig unabsehbar ist, was am Ende rauskommt!
Mit etwa 60% Wahrscheinlichkeit wird er Dir weiterhin äußerst höflich ins Gesicht lügen, wie sehr er sich freut endlich Musik lernen zu können und dann 1. weiterüben wie bisher und 2. hinter Deinem Rücken einen anderen Unterricht (be-)suchen, der seinen Gewohnheiten näher ist, und wenn möglich dorthin wechseln.
Mindestens 5 weitere Prozent kriegen eine fokale Dystonie oder sonst was und sind weg vom Fenster.
Mit etwa 30% Wahrscheinlichkeit wird er für die Dauer des Studiums Deine Anregungen aufnehmen und möglicherweise recht ordentliche Prüfungen mit den von Dir gewählten Programmen spielen. Wenn Du ihn dann ein Jahr später wieder triffst, wird er mit großer Erleichterung leider wieder in das alte Fahrwasser zurückgekehrt sein.
Insoweit gebe ich @hasenbein vollkommen recht, so jemand hat in einem Kpa eigentlich nichts zu suchen. Zumal der KpA meist sowieso nur 'gewählt' wurde, weil man in den APs zu den künstlerischen Studiengängen gescheitert ist.

Die verbleibenden 5% - es können auch einige mehr sein - haben mich in dieser Situation bisher stets dazu verleitet, sehr viel Energie, Wissen und Erfahrung in solche Studierende zu investieren. Nicht wegen meines 'Gutmenschentums', sondern wegen der Musik!
Jeder, der heute die Botschaft "schnell, laut und schlampig (oder schnell, laut und perfekt) ist nicht alles, da gibt es noch etwas dahinter' weiterträgt ist ein Gewinn.
 
Zuletzt bearbeitet:
Obiges Präludium ist ein Trauermarsch ...
Nein, das ist es ganz sicher nicht.

mit Metronom auf halbes Tempo bremsen und mehrere Wochen nicht drüber raus lassen
Ich unterrichte zwar nicht und kann deshalb kaum hilfreiche Tipps geben - schon gar keine, die @Stilblüte nicht ohnehin kennt. Aber meine Erfahrung aus Meisterkursen ist, dass für solche Delinquenten kaum etwas schädlicher ist als ein Metronom. Denn das verleitet dazu, sich selbst noch weniger zuzuhören.
 

Zurück
Top Bottom