na bon, da es mittlerweile um so urmusikalische und texttreue Themen wie "Sozialkompetenz" geht, werden ein paar sachlich harsche Worte nicht viel Schaden anrichten:
Diesmal eine Version von Johannes Brahms "Guten Abend, gute Nacht" für meinen "Kinderliedergarten".
da steckt schon der erste krasse Missgriff (man könnte auch Lüge sagen) drin: was man in #1 zu hören aushalten muss (5min lang...) ist nicht von Johannes Brahms; der hatte auch keine "Versionen" davon hinterlassen, sondern einfach ein hübsches Kunstlied in einer Sammlung von 5 Liedern (den genauen Titel hatte ich schon genannt)
Ich selbst finde die "Gegenstimme" übrigens schön. Die Stimme hat mit dem Original natürlich nichts zu tun, aber meine Absicht war auch nicht, das Original zu "kopieren" sondern in meiner Weise neu zu interpretieren. Ich finde die "Gegenstimme" gibt dem Stück etwas Melancholisches.
es finden sich immer Leute, die dies oder das schön finden: angesichts der derzeitigen Weltbevölkerung ist es statistisch durchaus wahrscheinlich, dass sich eine gar nicht mal geringe Anzahl von Leuten findet, die in frische Hundehaufen zu treten für schön hält - mit anderen Worten: ob irgendwem irgendwas gefällt, ist eine völlig irrelevante Mitteilung.
Sehr richtig ist, dass die erwähnte "Gegenstimme" (realisiert als kitschig weinende Elektrogeigen) nichts mit dem Original, welches übrigens nur zwei Strophen hat und zwischen zwei bis zweieinhalb Minuten dauert, zu tun hat. Völlig richtig ist aber auch, was
@Gomez de Riquet dazu gesagt hat: dass sie (nicht nur in Sachen Stimmführung, sondern auch harmonisch) unlogisch und regelrecht falsch ist.
im einzelnen:
a) spielt man die Harmonien und dazu deine "Gegenstimme", dann ist man entsetzt: das elektroViolingeheule ist keine Melodie, auch keine eigenständige Stimme, sondern ein wahlloses zuammenpacken lahmer langsamer Töne, die irgendwie zu den Akkorden/Harmonien passen sollen...
b) hinzu kommt ein gräßlicher harmonischer Fehler, der vom völligen musikalischen Unverständnis seines Urheber zeugt:
es ist komplett amusisch und sinnwidrig, im 4. Takt (Taktbeginn, "Nacht") eine Halbtonreibung einzubauen:
die ersten 4 Takte bringen absichtlich nichts anderes als die Dreiklangtöne der Tonika, umso wirkungsvoller ist dann im 5. Takt die Durchgansnote f in der Singstimme und die Vorhalte zum Dominantseptakkord im 6. Takt - dieser harmonische Spannungsaufbau wird plump zerstört, wenn grundlos im 4. Takt eine Halbtonreibung (deine Eletroviolinen) hineinjault. Man probiere, es ist kinderleicht, die ersten vier Takte Klavierbegleitung am Klavier (spaßeshalber Pedal alle 4 Takte) und klatsche irgendein d hinein
...dabei ist schon klar, woher das kommt: die große Septime als kitschiger Effekt taucht in zahlreichen Fimmusik- und Musicalsachen auf (ist also nichtmal eine originelle Eingebung des Brahmsverhunzers, sondern recht verständnislos abgekupfert)
...und so richtig schön peinlich ist, dass man an diesem Lied hätte lernen können, wie man harmonische Reibungen einsetzen kann, denn es ist voll davon - aber das hätte vorausgesetzt, dass man erstmal hätte begreifen sollen, an was man da Hand anlegt: schon die gänzlich verbockte (Gründe siehe oben) "Gegenstimme"
beweist, dass der Herr für-Kinder-niedlich-süß-Arrangeur die Vorlage schlichtweg nicht kapiert hat.
Und es kommt noch schlimmer: dass da im Original ein Orgelpunkt vom ersten bis zum letzten Takt vorliegt, und das nicht grundlos (die Gründe zu erklären wäre gegen Matth. 7, 6), übersehen wir mal freundlich (wegen der Sozialkompetenz
), sondern schauen uns - oben Noten gucken - an, ob und was für einen Rhythmus das Original hat: aha, Dreivierteltakt, kein wiegender 6/8tel Takt, dazu lauter Synkopen in der Begleitung ---- was macht der Verhunzer? Dämliche Dreiklangbrechungen in seiner Klavierbegleitung in aufsteigenden Achteln... Patsch, plumps, weg ist die schwebende Rhythmik des Brahms´schen Lieds (alle Synkopen fehlen, natürlich auch alle Vorhalte).
aber meine Absicht war auch nicht, das Original zu "kopieren" sondern in meiner Weise neu zu interpretieren.
Irrtum! Eklatanter Irrtum! Du "interpretierst" das Original nicht, sondern du übernimmst lediglich die originale Melodie und kleidest diese dann in ein ungekonntes musikalisches Vogelscheuchenkostüm.
Das hat mit interpretieren rein gar nichts zu tun.
Übrigens: um das Lied zu interpretieren, gibt es nur zwei Möglichkeiten:
a) als musikalische Interpretation müsstest du das Original spielen und zugleich singen
b) als schriftliche Interpretation müsstest du eine deutende Analyse vorlegen (so ´n bissel mehr als im Tante Wiki Artikel, siehe dort)
Und merke dir, schreib´s ins Poesiealbum: Originalnoten spielen ist kein "kopieren" und auch kein "1:1 abspielen", Originalnoten radikal verändern ist kein "Interpretieren"
und zu guterletzt der Grund für den lange noch nicht harsch genug formulierten Verriss:
Ich wollte damit vielmehr zum Ausdruck bringen, dass ich eben einen anderen Stil als Brahms habe und es daher auch nicht 1:1 nachspielen würde.
gucke an: da macht einer auf "ich und Brahms, wir kreativen Kunstbrüder"... Du willst dich mit deiner widerwärtigen yeah-jetzt-melk-ich-fürsorgliche-Muttis-Wiegenliedverschandelung auf eine Stufe mit solchen wie Brahms stellen?
Fazit: im viktorianischen England gab es in Bergwerken Kinderarbeit - hätten die Viktorianer damals die geknechteten Bälger mit der in #1 vorgestellten mühevollen Meisterleistung zusätzlich beschallt, wären die Insulaner binnen einer Generation ausgestorben