Das hat nichts zu bedeuten. Henle hat vor einigen Monaten einfach nur die Zwischenstufen (" - ") zwischen den Ziffern abgeschafft.
Schade. Der Prof., der die Stufen bei Henle einordnet, hatte sich offenbar viele Gedanken um die Feinabstufungen gemacht. Eine reine 9-Punkte Skala ist für eine seriöse Einordnung auch etwas unscharf.
Immerhin wurde die Pathétique völlig zu Recht von 7-8 auf 7 runtergewertet und die Waldsteinsonate im Vergleich zu manchem nachvollziehbar auf 9 aufgewertet.
Für die Hammerklaviersonate, Gaspard de la nuit,die h-Moll Sonatevon Liszt und einigen weiteren Stücken wäre bestimmt eine 10 nicht ganz unangebracht - dann könnte man allerdings auch wieder darüber diskutieren, ob diverse Etüden oder Islamey und ähnliches Zeugs eine 10 kriegen müssten, oder vielleicht auch die Goldberg-Variationen oder Schubert D960...
Gewollt klingt nur leider immer "gewollt".
Die wirklich authentische eigene "Handschrift" kommt da mehr von innen, und ist indirektes Resultat von ganz anderem Wollen.
Ich glaube, hier haben wir wieder den unterschied zwischen vordergründiger extrinsischer Motivation und der intrinsischen Motivation, als Künstler aus dem Stück das zu machen, was man darin sieht oder hört.
Da ist eben auch der Einfluss aus dem Popbereich zu spüren. Da gibt es einen gewissen Respektverlust vor dem Werk zum Zwecke der vom Publikum geforderten Effekthascherei, die vermeintlich gefühlvolles Spiel mit Überladenheit vorgaukelt.
Die oberste Stufe der Selbstinszenierer wären z.B. Andre Rieu oder David Garret, die eigentlich reine Popmusik machen, vom Publikum aber weniger wegen ihrer klassischen Ausbildung und dem durchaus vorhandenen Talent für Weltklassekünstler gehalten werden.
Der eine macht halt Schunkel- und Klatschmusik für Omas und der andere bekannte Melodien mit Virtuosität für Leute, die teils auch ohne Rollator 100m gehen können.
Dabei gibt es durchaus teils regelrechte Vergewaltigungen von z.B. Chopins E-Dur-Etüde.
Die nächste Stufe wären dann Leute wie Cameron Carpenter, die vom wirklichen Klassikhörer im Gegensatz zu den beiden erstgenannten schon eher wahrgenommen werden. Er ist sicherlich sehr versiert und gut ausgebildet, spielt mehr oder weniger ausnahmslos seriöse Musik in Form von schwachsinnigen Transkriptionen von bekannten Stücken oder verhunzten Interpretationen von Heiligtümern von Bach à la BWV 582.
Da wählt er dann scheußliche Instrumente, unsinnige Tempi, unsägliche Agogik und seltsame Verzierungen.
Da kommt einem immer wieder das Zitat von Robert Schumann in den Sinn:
"Betrachte es als etwas Abscheuliches, in Stücken guter Tonsetzer etwas zu ändern, wegzulassen, oder gar neumodische Verzierungen anzubringen. Dies ist die größte Schmach, die du der Kunst anthust."
Unterstrichen wird das Ganze durch seine Gestik und die Bekleidung im Stile zwischen Punk und Christopher Street Day (das soll keine Aussage gegen homosexuelle Personen sein, sondern nur die Unangebrachtheit zum Anlass unterstreichen).
Die wiederum nächste Stufe wäre dann z.B. ein Lang Lang. Das meiste ist schon ernst zu nehmen, teils auch recht gut (z.B. seine Interpretation der Abegg-Variationen), teils eher mäßig.
Trotzdem Bedient er die Dieter Bohlen - geschädigten Zuhörer, die nach übertrieben überladener Emotionalität gieren, was er durch übertriebene, künstliche Mimik und Gestik bedient.
Auch verunstaltet er das ein oder andere Werk im Cameron-Carpenter Stil durch seltsame Rhythmen etc.
Eine spezielle Kategorie sind schon genannte Leute wie z.B. Glenn Gould. Teils nervt er mit seinen ekelhaften Attitüden wie dem Gesumme, seiner unsinnigen Appassionatainterpretation inklusive der schwachsinnigen Äußerungen dazu, trotzdem zeigt aber teils eine Klasse, die über Lang Lang hinaus geht und durchaus Weltklasse zu nennen ist.
Ob es reine Inszenierung zu Marketingzwecken oder Überzeugung ist, wenn er Stücke total stilentfremdet spielt oder in schwachsinnigem Tempi, ist eine Frage, die lange diskutiert werden kann.
Eine weitere Kategorie wären wieder Leute, die schon relativ brav, aber teils doch z.B. Mozart etwas zu romantisch spielen, quasi eine Softversion von der Lang-Langschen Überladenheit.
Die wertvollste Kategorie sind dann Leute wie beispielhaft Friedrich Gulda (bei dem zweifelsfrei auch einiges nicht richtig geschaltet war im Kopf). Wenn der irgendetwas Abgedrehtes machen wollte, hat der dafür aber keine Mozartsonate verunstaltet, sondern ist lieber nackt mit einer Tröte rumgetanzt. Die großen Werke hat aber aber so interpretiert, wie sie konzipiert sind und am besten Wirken, einfach nur großartig.
Auch Alfred Brendel, Sokolov, teils auch Leute wie Yulianna Avdeeva (je nachdem, um was es geht) passen in die Kategorie.
Zusammengefasst, der wahre Musiker hat irgendwelche Spirenzchen zur Inszenierung von Pseudoindividualität nicht nötig.
Sollte auch für den Normalsterblichen das Credo sein, auch wenn sie Schubertsonate trotzdem nicht so gut wie von Brendel klingen wird.