Spaß beiseite: ich möchte wirklich gerne wissen, wie man auf den Gedanken kommt, 1908 entstandene Klavierwerke wie Bergs Sonate oder Ravels Gaspard müssten partout auf einem 100-120jährigen Instrument gespielt werden -- ich kann mich zur Not damit arrangieren, dass man Mozart, Haydn, frühen Beethoven alternativ auf Hammerflügeln spielt - aber bzgl. frühem 20. Jh. sehe ich keinerlei notwendigen Grund für eine alte-Instrumente-Manie, denn zu dieser Zeit waren die besten Flügel schon so wie die heutigen. Und sie mussten auch so sein, damit sie die virtuose Literatur ohne zu bersten überstehen können - umgekehrt hatten Skrjabin, Berg, Ravel, Rachmaninov, Debussy, Prokovev usw. gewiß nicht für untaugliche Instrumente komponiert!
ich sags mal deutlich: Gaspard oder Petrouchka auf einem "historischen Instrument" ist Mumpitz - da gibts nichts in Sachen "Originalklang" etc zu entdecken: die Instrumente ab spätestens 1880 entsprechen unseren heutigen (jedenfalls die, auf denen man solche Sachen spielen konnte und kann - und es stehen noch genug davon herum, die beliebtesten werden gerne für Aufnahmen verwendet)
Generell bin ich von gleicher Grundauffassung: seit ca. 1880 sind die „vordersten“, damals ausentwickelten Instrumente schon auf dem heutigem Stand der Klavierbautechnik. (Damals, 1880, zählten hierzu allerdings noch nicht die noch geradseitigen Erards, nicht die damals noch wienerisch ausgestatteten Bösendorfer, aber die Instrumente von Bechstein und Steinway zum Beispiel).
Diese damals bereits modernen Instrumente lassen sich zunächst mal technisch in ihren Eigenschaften von modernen nicht unterscheiden.
Es gibt aber dennoch Unterschiede zB zwischen einem Steinway von 2005 und einem von 1905: zum einen die etwas fortgeschrittenere Technik der Klaviatur. Leicht andere Hebelverhältnisse.
Mir hier wichtig ist aber etwas anderes: Das Alter und partial die Herkunft des Holzes. Insbesondere das des Resonanzbodens. Und DAS könnte eine Rolle spielen zum Klang. Leider fehlen mir persönlich sowohl die feinsten Ohren zu einer Analyse als auch eine umfassende Auskundschaftung, viele neuere und ältere Konzertflügel gespielt zu haben. Somit weise ich mal nur „theoretisch“ auf diesen Unterschied des Holzes hin.
Dann gibt’s noch was – die Restaurierwut in manchen Ecken der Klavierwelt. Mir wurde mal eine grandiose Ikone, der zweite jemals gefertigte „Centennial“-Flügel, erste D-Serie von 1875 angeboten – mit dem US-typisch stolz kundgegebenen, „wertstellenden“ Merkmal, der Flügel habe einen nagelneu bei Steinway in New York eingebauten Resonanzboden bekommen.. GENAU aus diesem Grund habe ich das dann nicht mehr weiter verfolgt. Denn „so ein“ Steinway ist dann wirklich in nichts mehr (bzgl. Klang) anders oder besser als ein moderner D-Flügel. Allenfalls in Dingen der Mechanik zB - denkbar uU schlechter. Hätte der Flügel hingegen noch den Boden aus „White Spruce“ (aus den Appalachen, bis ca. 1920 eingebaut, nicht das seitherige „Sitka Spruce“ aus Alaska), dann wäre er zu „historischen“ Aufnahmen eher geeignet, möglicherweise: WENN man diese Unterschiede heraushören kann, und oder WENN sie musikalisch eine Rolle spielen.
Zudem: es ist ein eminenter Unterschied, ob ein Resonanzboden nagelneu ist, ob er „gut eingespielt“ ist nach 5 oder 10 Jahren, ob er 50 Jahre alt oder gar mehr als 100.. Es macht auch einen dicken Unterschied, ob ein Flügel nur zur Deko und zum Angeben in der Ecke eines „reichen“ Wohnzimmers herumsteht - oder ob er täglich herangenommen wird für „good vibrations“. Lange stehengebliebene Instrumente sind oft erstmal regelrecht „TOT“. Sie können und müssen zum Leben erweckt werden durch häufiges Spiel:
Holz ist ein lebendiger Werkstoff. Er altert. Zunächst wohlig. Man merkt dann: das Instrumenr ist „gut eingespielt“. Dann aber mit den Jahren zunehmend auch mit Problemen, verschärft bei schlecher Materialwahl, billiger und/oder unkundiger Herstellung. (Es gibt „neue“ Soundboards aus den USA aus Billigproduktion, schlechtes Material, ganz anders verarbeitet, primiv zusammengehauen. So mancher Steinway wird damit leider übelst verpfuscht. Aber unter der Anpreisung: „...das Instrument hat einen neuen Resoboden!“)
Hatte allerdings Debussy (trotz Verfügbarkeit moderner Instrumente) zu seiner Zeit noch auf einem uU älteren, schon damals "nicht mehr topmodernen“ Geradsaiter-Erard konzertiert, dann gäbe es uU auch einen guten Grund, seine Werke „originalgetreu“, eben auch auf älteren Instrumenten aufzuführen, die diese Eigenschaft „Geradsaiter“ und deren andere Klangcharakteristik ebenso aufweisen.
Es kommt also drauf an – ein Kompositionsdatum allein, zB 1905, vernetzt mit der zeitgleichen Verfügbarkeit modernster damaliger Instrumente, heißt noch nicht zwingend, dass der Komponist „seine“ Musik nur und ausschließlich auf diesen damalig modernsten Instrumenten zur Aufführung brachte..
Insofern hat auch Destenay da möglicherweise einen Punkt. Dass es korrekter sein könnte (oder schön, wenn auch nicht zwingend), sich zur Aufführung bestimmter Musik einer Epoche eines dennoch damals schon leicht „überholt gewesenen“ Klaviers zu bedienen.
Man bemerke: wieviele Cembalo-Werke von Bach weren heute mit der größten Selbstverständlichkeit auf einem Flügel gespielt, das A mit 442 Hz gestimmt, statt mit 390 oder 350...
Viele Klaviere aus verschiedenen Epochen, und alle spielbereit auf Konzertpianisten-Niveau - Luxus pur. Einen Broadwood, Pleyel oder Erard von 1840-1860 hätte ich zwar gern – aber muss nicht.. Schon mal gar nicht in evtl. rottem Zustand, denn sowas zu restaurieren kann der helle Wahnsinn werden. Und nicht für die Musik Debussys. Wenn, dann für die Musik Chopins. Meine individuale Präferenz. Ich persönlich würde mich freuen, in meinem Leben vielleicht einige Male solche Hammerflügel noch spielen zu dürfen - aber ein „modernes“ Instrument (ab der 1880er Zeit) gäbe ich dafür gewiss nicht her.
Das ist nämlich das andere: wir reden hier nicht über "entweder-oder", über DAS EINE richtige Klavier, sondern darüber, dass der, der wirklich differenziert die richtigen zeitgenössischen Instrumente zur richtigen zeitgenössischen Musik (und mit dem richtigen Pianisten) zusammenbringen will, ganz schnell bei dem Umstand ist, drei, vier, fünf oder noch mehr Flügel zu brauchen.
Nicht jeder aber hat die Millionen oder den Platz dafür. Wenn einer hingegen nur EINEN Flügel beherbergen kann, dann ist er mit einem von der Konstruktion her modernen Instrument UND mit einem gut eingespielten Soundboard schon auf dem richtigen Pfad der Tugend.