Ich denke, dass diese Stellungnahme meinerseits genügt und werde mich nicht
auf einen unendlichen Schlagabtausch haarspalterischer Nuancendeutungen meiner Aussagen einlassen -
Eine salvatorische Klausel, um Kritik an der eigenen Gedankenlosigkeit ins Leere laufen
zu lassen. Es geht nicht um "haarspalterische Nuancendeutungen" Rittnerscher Aussagen,
sondern um den Nachweis ihrer gedanklichen Unzulänglichkeit.
Wenn ich sage, dass Berg die Reihentechnik nutzt und ihr gleichzeitig entflieht,
dann meine ich damit werkspezifisch Bergs Nähe zur Dur-Moll-Tonalität, die es bei ihm häufig gibt
(z. B. im Violinkonzert etc.) [,] und damit die Sehnsucht nach einer früheren Klanglichkeit [...]
Eine reine Frage der Logik - wie weiter oben bereits ausgeführt:
Ab dem "Kammerkonzert" (1925) nutzt Berg die Reihentechnik. Alle von ihm
genutzten Reihen, nicht nur die des Violinkonzerts, stehen der Dur-/Moll-Tonalität nahe.
Die Tonalitätsnähe dieser Reihen impliziert keine Flucht vor dem Reihengebrauch.
Im Gegenteil: Erst durch konsequenten Gebrauch dieser tonalitätsnahen Reihen
wird es Berg möglich, wieder ungestört in der erweiterten Tonalität zu komponieren.
Andere Komponisten, wie zum Beispiel Anton Webern, erzielen durch eine andere Art
der Reihenbildung das Gegenteil, nämlich eine durchsystematisierte Atonalität.
Vielleicht sollte sich Herr Rittner weniger Gedanken darum machen,
Nachhilfe in Partituranalyse zu geben [...]
- vielmehr Partituren genauer studieren, ehe er darüber spricht.
Man sollte wissen, dass Berg gerade anfänglich sehr mit der Reihentechnik gekämpft hat,
wie sich aus etlichen seiner Briefe entnehmen lässt. In seiner Lyrischen Suite sind dann
z. B. auch nur drei Sätze in 12-Ton-Technik verfasst, nicht das gesamte Werk.
Man sollte wissen, daß Berg prinzipiell um die Materie gerungen und seinen Werken
ab dem "Wozzeck" keine Opusnummern mehr gegeben hat, weil es ihm peinlich gewesen ist,
kompositorisch nur so langsam voranzukommen. Mit der Zwölftönigkeit hatte er nicht mehr Mühe
als mit dem ungebundenen Material der freien Atonalität - weil er so skrupulös komponiert hat.
Darüber hinaus gibt es in Adornos Tagebüchern wunderbare Aufzeichnungen
von Gesprächen mit seinem Kompositionslehrer Berg, wo die "unoffiziellen" Äußerungen
beider gerade zur Dodekaphonie und ihren selbstgesetzten Zwängen sehr aufschlussreich sind.
Für Adorno ist das ein Musterbeispiel der "Dialektik der Aufklärung": die "aufgeklärte"
rationale totale Materialbeherrschung schlägt um ins Beherrschtwerden durchs Material und die Verfahrensweisen.
Adornos erstmalig im Briefwechsel mit Krenek geäußerter Zweifel an der Reihentechnik
(zu einem Zeitpunkt, als Krenek in seiner Oper "Karl V." gerade anfing, ein Werk
konsequent aus einer einzigen Zwölftonreihe zu entwickeln) war Berg nicht bekannt.
Berg war zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben.
Ich wüßte gerne, auf welche "wunderbaren Aufzeichnungen" sich Herr Rittner bezieht,
aus denen er ungenau bis gar nicht zitiert, um gleichwohl Bezug darauf zu nehmen.
Adorno hat später von der Überwindung der Reihentechnik bei gleichzeitiger Rettung
der durch sie herbeigeführten Errungenschaften geträumt - das ist richtig.
Als Nachweis, daß Herr Rittner einmal etwas von der "Dialektik der Aufklärung" gehört hat,
ist sein Kurzreferat eine feine Sache - für ihn selbst. Zur Frage der angemessenen Interpretation
von Bergs op.1 (auf historischen Instrumenten) steht das alles in keiner Beziehung.
Schlußendlich: Als Musikschriftsteller hat sich Herr Brendel keine Verdienste erworben.
Ohne die Reputation als Pianist hätte er für sein feuilletonistisches Geschwätz
keinen Verlag gefunden - sowenig wie für seine Aphorismen- bzw. Gedichtbände.
Gruß, Gomez
.