Schleichen sich Fehler ein, die man nicht mehr oder nur schwer korrigieren kann?
Hierzu mal ein persönliches Beispiel. Ich habe als Jugendlicher mehr schlecht als recht Klavier gelernt (nach begeistertem Anfang setzte schnell Ernüchterung ein: „Hey, das ist ja Arbeit“)
Ich hab irgendwann aufgehört und über 20 Jahre nicht gespielt. Dann habe ich vor zwei Jahren mit 40 wieder angefangen und ganz schnell gemerkt, dass ich
a. nichts mehr kann und
b. ohne Hilfe es auch nie mehr lernen werde.
Ich spielt praktisch nur aus den Fingern. Auf meinen Rücken hättest du eine Münze legen können, die wäre liegen geblieben. Vielleicht gut am Cembalo (las ich mal irgendwo, keine Ahnung, habe nie Cembalo gespielt) aber am Klavier ist es Murks. Wenn du mit starrem Handgelenk rein aus den Fingern spielst, kannst du im Leben keine Läufe oder weiteren Figuren spielen und die dynamische Kontrolle ist auch dahin. Mein Klavierlehrer hat das in der ersten Stunde bemerkt und angefangen, mir Übungen zu geben, um es raus zu kriegen. Monatelang. Ernsthaft: Ich erinnere mich nicht, ob ich als Jugendlicher auch so spielte oder ob ich es mir in den drei oder vier Wochen mit 40 als ich übte ohne Plan und Lehrer angewöhnt habe, aber es hat etliche Monate gedauert, Bewegung in mehr als meine Finger zu bekommen.
Mittlerweile ist es deutlich besser aber ich falle noch immer ab und an in das alte Muster zurück. Das Muskelgedächtnis nimmt ganz unbewusst sehr schnell neue Bewegungsmuster auf und speichert sie ab. Und was einmal im Muskelgedächtnis abgelegt ist, das kann man nicht mehr löschen, man kann es nur noch „überschreiben“ mit einer anderen Bewegung. Aber wo 100 Wiederholungen reichen, um etwas initial reinzuschreiben braucht es gefühlt 500 um das einmal abgelegte (wenn es denn falsch ist) zu ersetzen.
Das ist auch der Grund, warum ich neue Stücke erst ziemlich lange einhändig und langsam übe. Wenn ich eine schwierige Stelle langsam 10 oder 20 mal richtig spiele, dann brennt sie sich mit der Zeit ein. spiele ich sie hingegen 10 oder 20 mal schnell und falsch, dann brennt sich eben auch das ein und dann muss ich sie 50 mal oder öfter richtig spielen, ehe ich langsam anfange, das Falsche zu vergessen und das Richtige zu lernen und dennoch kann es dann beim 51. mal, wenn ich mich nicht sonderlich konzentriere, doch wieder zum Durchbruch des zu anfangs falsch Gelernten kommen.
Wenn Du „Hänschen-klein“ spielen willst und dir die Dynamik egal ist, es dich nicht stört, dass die Töne auf dem Ringfinger und dem Daumen immer so laut kommen oder dass man bei Akkorden die Melodiestimme nicht hört, weil du alle zwei, drei, vier Töne gleich anschlägst, es dir egal ist, dass du keinen auch nur mittelschnellen Lauf mit mehr als fünf Tönen oder gar ein Arpeggio über zwei Oktaven spielen kannst, weil du nicht weißt, wie du Finger, Hand, Handgelenk und Arm gemeinsam koordinierst, dann kommst du ohne Lehrer aus.
Aber dann wirst du dir eine so stümperhafte Technik aneignen, dass du irgendwann - sehr bald - gegen eine Wand laufen wirst, dich nicht mehr verbessern werden kannst obwohl die Stücke noch leicht sind und dann wirst du entweder entnervt aufhören oder dir dann endlich einen Klavierlehrer suchen, der dir dann aber gleich den ersten Dämpfer verpasst, indem er dir, der du dachtest mit großer Vorbildung zu kommen, erstmal erklärt, dass das alles Mist ist und er das erste halbe Jahr nun erstmal mit dir daran arbeiten wird, dass du das alles wieder verlernst und dann richtig neu lernst. Und dann stehen die Chancen gut, dass du aufhörst.
Meine große Befürchtung mit einem Lehrer ist, das man hier zu sehr auf Spielgenauigkeit setzt - der Spaß geht.... oder kann es auch mit Klavierlehrer Spaß machen ? Ist es notwendig um ein gewisses Level zu erreichen?
Spaß ist eine kurze Befriedigung, ein spaßiges kleines Musikstück kann „Spaß machen“ aber viel wichtiger als ständiger Spaß beim Lernen ist die Freude am Ende, wenn man etwas erreicht hat. Vorher steht Arbeit. Die kann Spaß machen, muss sie aber nicht immer. Die Erwartung, dass Klavierspielen von Anfang an und immer primär Spaß machen soll ist fatal.
Ich bin wahrlich noch nicht gut am Klavier. Aber ich kann mich anhand einiger Aufnahmen mit mir selbst vor einem und vor zwei Jahren vergleichen und ich bin einigermaßen erfreut über die Entwicklung. Mein Klavierbauer, selbst wirklich guter Klavierspieler, war Anfang letzter Woche bei mir zum Stimmen, das letzte Mal war vor 10 Monaten. Wenn er fertig ist will er das Instrument hören und lässt sich was vorspielen. Sein Kommentar: „Wow, Sie waren aber fleißig im letzten Jahr, nen ganz schönen Satz haben Sie gemacht!“
Das ist es, woran ich mich erfreue. Dahinter stehen viele Stunden, die Spaß machten aber auch viele, die das nicht taten.
Dazu gehört auch Geduld beim Erlernen neuer Stücke. Mozarts 4. Klaviersonate (KV282) ist ein mittelschweres Stück. Ein guter Spieler oder gar ein Profi hätte das Stück in einem Tag gelernt und bräuchte wahrscheinlich dann noch ein oder zwei Tage, um sich damit musikalisch auseinander zusetzen und es wirklich Vortragsreif zu bekommen (vermute ich mal, bin ja selber keiner). Ich beschäftige mich mit dem Stück nun seit drei Monaten und bin noch nicht zufrieden.
Ich hätte wenige Tage pro Satz gebraucht, um halbwegs fehlerfrei von Anfang bis Ende durchzuspielen, mit klaren Stufen von p und f und nicht viel dazwischen und einem Takt wie vom Metronom bei einfachen Stellen in einer Geschwindigkeit am unteren Rand dessen, was für das Stück akzeptabel wäre und einem Geschwindigkeitsabfall bei schwierigen Stellen. Mein Klavierlehrer als Jugendlicher hat mir das durchgehen lassen, danach waren wir mit dem Stück fertig und weiter ging es, nächstes Stück erstümpern.
Heute, da ich nicht spiele, weil meine Eltern mir sagen „All das Geld für das Instrument und den Unterricht, nun übe gefälligst,“ sondern weil ich es so will, reicht es mir nicht ansatzweise, mit einem Stück so zu verfahren. Mich hetzt niemand, ich mache das weil ich mich daran erfreue, es am Ende so zu können, dass es mir persönlich gefällt und dass ich mich vor anderen nicht schämen müsste, wenn es denn jemand hören würde. Wenn ich irgendwann in ein paar Wochen sage, dass ich mit dem Stück fertig bin, dann möchte ich es so gut spielen können, wie es für mich derzeit möglich ist und das beinhaltet musikalische Ausgestaltung und vielleicht auch eine gewisse, begrenzte Individualität.
Dass ich als halbfrischer Wiedereinsteiger das Stück nicht so spielen werde, dass ein Klassikfan, der Einspielungen des Stückes von Gulda oder Barenboim kennt, sagt: „Oh, das war jetzt echt großes Kino“, das ist klar und ok. Aber wo wäre denn die Freude am Erreichten, wenn ich mich zwei oder drei Wochen damit beschäftigte und mich am Ende durchstümperte?
Warum diese lange Erklärung (sorry, ich komme ins Plappern): Weil auch hier der Klavierlehrer für mich unabdingbar ist. Wir unterhalten uns über den Pedaleinsatz bei Mozart; darüber, wie man Alberti-Bässe bequem und dynamisch ansprechend rüberbringt; wie man Bögen zu Mozarts Zeiten interpretieren sollte (wo lag in einem Bogen in der Wiener Klassik die Betonung, wie lange hält man die Endnote aus, etc); wie man die Dynamik über Phrasen variiert, obwohl über die gesamte Phrase nur p oder f steht; wie man ein Seufzermotiv spiel (bzw. was überhaupt so ein verdammtes Seufzermotiv ist, ich wusste es vorher nicht) usw. usw. usw.
Ich habe an dieser Sonate von meinem Klavierlehrer nicht nur spieltechnisch sondern vor allem musikalisch sehr viel gelernt. Ebenso wie ich vorher von ihm viel über Barock und die Musik Bachs (wie man z.B. mehrere gleichwertige Stimmen transparent spielt) und Scarlattis lernte und ein bisschen über Romantik, als wir uns die Etuden Burgmüllers (Bögen in seinen Werken sind vollkommen anders zu interpretieren als die Bögen in den Werken Mozarts) vornahmen - Romantik fällt mir bisher deutlich schwerer als Klassik und Barock, daher hier die technisch eher leichten Etuden aber auch daran werden wir arbeiten.
Das Ende dieses endlosen Textes ist dann doch langsam gekommen. Mein Fazit: Vergiss kurzfristigen Spaß. Klavier zu lernen ist ein Prozess, der nie endgültig abgeschlossen sein wird, der aber mit ernsthafter Arbeit in fünf, sechs oder acht Jahren dazu führen wird, dass du mittelschwere Stücke schön spielen können wirst (besser mittelschwere Stücke schön als schwierige bescheiden). Aber wenn du derzeit nur Spaß suchst und die Arbeit scheust, dann hör besser gleich auf. Und ohne gute Anleitung wird es auch nichts. Zumindest nicht langfristig.