Das "Bubbles"-Experiment - Was ist Zeitgenössische Musik wert?

  • Ersteller des Themas River Flowing
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OK, mit dem Hinweis auf die Monumentalästhetik, Riefenstahl etc. der Nazis lässt sich erklären, dass man danach auch nicht mehr 'schön' sein wollte.
Rolf, dann war also bloß die Kommission schlecht, alles klar :-)

Cee
 
@Cee theoretisch können beide (Kommission und Zufallsopus) schlecht sein ;-)

Aber bzgl. Zufall: was würde es bedeuten, wenn Beethoven zufällig ta-ta-ta-taaaa "gefunden" hätte, dann aber mit diesem Zufallsfund was brauchbares konstruierte?

Am Wert der Komposition würde es nichts ändern. Das Wesentliche ist ja wie das Motiv weiterentwickelt und harmonisiert wird, nicht das Motiv selbst. Für sich genommen klingt ta-ta-ta-taaa eher nichtssagend.

Ich denke es würde sogar für Beethoven sprechen, dass er in der Lage war aus einem "Zufallsfund" große Musik zu machen.

Das hat aber nichts mit diesem Kinderstück zutun! Die "Mithilfe" des Komponisten war minimal und beschränkte sich im Wesentlichen darauf die Partitur leserlich zu machen.
Überdies machte er die Musik noch beliebiger als sie ohnehin schon war, um das letzte Bisschen Musikalität, dass die Kinder vielleicht einfließen ließen auszuschalten; z.B. ließ er einige Sätze des Stücks rückwärts abspielen.
 
Und dafür hat der unfähige Dilettant zwei Monate harter Arbeit gebraucht? :007: Du hast schon gelesen, was er dazu geschrieben hat?
Im ersten Video erklingen die unbearbeiteten "Rohversionen" der Stücke. Zumindest meiner Meinung nach hat die Instrumentation den Character der Kinder-Improvisation nicht wesentlich verändert. Einzige Ausnahme ist der 3.Satz, eventuell weil er automatisiert alle Tupel entfernen ließ.

Die Arbeit des Komponisten hier lässt sich jedenfalls nicht mit der motivischen Arbeit, die frühere anerkannte Komponisten (zB Schumann) mit "Zufallsfunden" gemacht haben vergleichen.
 
@Cee theoretisch können beide (Kommission und Zufallsopus) schlecht sein ;-)

Aber bzgl. Zufall: was würde es bedeuten, wenn Beethoven zufällig ta-ta-ta-taaaa "gefunden" hätte, dann aber mit diesem Zufallsfund was brauchbares konstruierte?

Habe mal ich glaube in irgendeiner WDR3-Sendung gehört, dass Beethovens Tatatataaaaa auf dem Gezwitscher irgendeines Vogels basiert. Beethoven hat das ganze dann nur von Dur in Moll geändert und fertig war das Motiv.

Das dritte Fugenthema (oder zumindest die ersten vier Töne davon) aus Bachs Kontrapunktus 19 aus der Kunst der Fuge ist ja nun auch eher zufällig entstanden, ich werfe mal die These in den Raum, die Kunst der Fuge ist trotzdem nicht so schlecht.

Man kann auch aus für sich alleine stehend dämlich anmutenden motivischen Material höchste Kunst machen.
 
Kurz OT
@St. Francois de Paola
Angeblich wurde er durchs Zwitschern der Goldammer zum Anfang der 5. inspiriert. Für mich hat das Zwitschern eh schon einen moll-artigen Charakter...
Aber etwas anderes ist plausibler:
Dass ihm, Beethoven, die Worte: "So pocht das Schicksal an die Tür", von seinem Biograf Anton Schindler abgerungen wurden, oder dass dieser die Worte später "eingefügt" (also selber erdacht) hat.


Wenn meine Quelle fehlerhaft ist, oder Schmarrn enthält, bitte sagen!
 
ich möchte euch ein spannendes Experiment vorstellen, das ich entdeckt habe [...]

Der Beitrag trieft nur so vor Ressentiment. Das sei einem Feind "moderner atonaler Kunstmusik" gegönnt, der mit dem Gebrauch von Begriffen wie "Pranks" seine eigene Lebenswelt wunderbar charakterisiert. Inhaltlich ergibt sich nichts Neues: Wer Neue Musik zu lieben weiß und zu verstehen gelernt hat, wird sich von dem Comitas-Experiment nicht erschüttern lassen, und wer Neue Musik prinzipiell als Unfug empfindet, wird sich in seinen Vorurteilen bestätigt fühlen.

Bleibt die Korrektur von ein paar Falschaussagen:
Ich habe mich ernsthaft mit den Kompositionsmethoden der "großen" Modernen Komponisten wie Boulez und Xenakis auseinandergesetzt, kam aber zum Entschluss: Egal wie "strukturiert" diese Kompositionen am Papier zu sein scheinen, für die Hörer sind sie irrelevant, da diese Strukturen schlichtweg nicht hörbar sind.
Strukturen dürfen für den Hörer gerne irrelevant sein. Relevant sind sie für den Komponisten: als Inspirationsanreiz, als Bauprinzip, als künstlerisch zu bewältigendes Problem. Dem Hörer erschließt sich weder die Konstruktion einer Josquin-Motette noch das am goldenen Schnitt orientierte Formverständnis bei Bartók. Trotzdem kann er die Musik lieben.
Und wenn man sagt, dass die Musik nicht gut ist, wird einem vorgeworfen, dass man zu unmusikalisch sei, um die Strukturen herauszuhören, oder dass man konservativ und intolerant gegenüber Innovation ist.
Wie gesagt: Niemand erwartet von einem Hörer (ohne Partitur und ohne Bedürfnis, sich der Musik auch analytisch zu nähern), daß er Strukturen heraushört. "Konservativ und intolerant gegenüber Innovation" ist eine idiotische Formulierung, vielleicht Politikern im Wahlkampf zuzutrauen, aber keinem ernsthaften Kenner und Liebhaber der (Neuen) Musik.
Ich finde, dass solche Pranks öfter stattfinden sollten, damit klar wird, dass die Avantgarde-Mentalität der Kunstmusik großen Schaden anrichtet, und die Entwicklung von neuer Musik, die tatsächlich von Musikalischem Verständnis zeugt, behindert.
Die Mentalität richtet der Kunstmusik Schaden an? Auf jeden Fall zerrüttet sie das Sprechvermögen des Pranksters. Und wenn sich die "neue Musik mit tatsächlich musikalischem Verständnis" von der alten Avantgardemusik (das ist die mit dem musikalischen Unverständnis) behindern läßt, hat sie auch nix Besseres verdient.
 

Strukturen dürfen für den Hörer gerne irrelevant sein. Relevant sind sie für den Komponisten: als Inspirationsanreiz, als Bauprinzip, als künstlerisch zu bewältigendes Problem.

Ich bin sicher kein Freund der (komplett) atonalen Kunstmusik, keineswegs aber abstreite, dass es aber künstlerisch wertvolle, komplett oder teilweise atonale Kunstmusik gibt.

Der Satz gilt aber nicht alleine für atonale oder teilweise atonale oder sonst irgendwie ungewohnt klingende Musik.
Man könnte beispielweise über die Zahlensymbolik bei Bach ganz ähnlich diskutieren. Ich würde fast behaupten, von der Seikilossteele bis zur zeitgenössischen Improvisation wird vom einfachen Hörer bis zum Professor neben richtigen Dingen auch Unfug reininterpretiert.
 
Strukturen dürfen für den Hörer gerne irrelevant sein. Relevant sind sie für den Komponisten: als Inspirationsanreiz, als Bauprinzip, als künstlerisch zu bewältigendes Problem. Dem Hörer erschließt sich weder die Konstruktion einer Josquin-Motette noch das am goldenen Schnitt orientierte Formverständnis bei Bartók.
Es gibt in diesem Zusammenhang die sehr interessante Geschichte, die Peter Stadien über seine 'Klavierstunden' bei A. Webern vor der Aufführung der Variationen op. 27 erzählte. Webern sprach nur über die Musik und Ausdruck und wehrte Nachfragen nach der Struktur eher ab!
 
Hallo Gomez de Riquet,
Strukturen dürfen für den Hörer gerne irrelevant sein. Relevant sind sie für den Komponisten: als Inspirationsanreiz, als Bauprinzip, als künstlerisch zu bewältigendes Problem. Dem Hörer erschließt sich weder die Konstruktion einer Josquin-Motette noch das am goldenen Schnitt orientierte Formverständnis bei Bartók. Trotzdem kann er die Musik lieben.
Man kann debattieren, ob bei älterer Musik sämtliche Facetten ihrer Konstruktion wahrnehmbar sind, ich denke aber, dass meist der Großteil der Struktur für den Hörer wahrnehmbar ist.

Ich kenne Josquin nicht sonderlich gut, trotzdem merke ich schon beim ersten Hören einer Motette jede Menge Struktur: Diatonische Modi, eine bewusst Terzen-/Dreiklangsbasierte Harmonik, eine vorwiegend auf Sekundschritten basierende Melodik, Imitationen zwischen den Stimmen, Wiederverwendung melodischer Motive, Kadenzen bei denen die Musik auf dem Grundton zu Ruhe kommt, etc...

Jetzt mag es dahinter auch noch Strukturen geben, die selbst bei näherem Hinhören nicht wahrnehmbar sind und lediglich der Inspiration des Komponisten dienen. Das ist in Ordnung, denn neben diesen unhörbaren Strukturen gibt es ja noch viele hörbare (die oben Genannten), wodurch die Musik auf den Hörer trotzdem strukturiert wirkt.

Ich finde es geht darum, wo man den Fokus setzt. Ich denke bei älterer Musik liegt der Fokus eben meist auf hörbaren Strukturen. Bei Neuer Musik habe ich den Eindruck, dass die unhörbaren Strukturen oft überwiegen.
Wenn der Großteil der Struktur jedoch nicht wahrnehmbar ist, so handelt es sich - aus Sicht des Hörers - um unstrukturierte Musik: Eben Beliebigkeit.
 
Zum Thema Strukturen muss ich @Gomez de Riquet widersprechen bzw. seine Aussagen relativieren: Strukturen sind für die Komponisten tonaler oder auch modaler Musik notwendiges Mittel, schlicht Handwerk gewesen, um bestimmte Wirkungen zu erzielen (natürlich auch, um künstlerisch mit dem Gegebenen umzugehen). Selbst Bach, der wie kein anderer die Strukturebene in den Vordergrund stellte, ging es um Emotionen (bzw. Affekte), und damit um die Wirkungen seiner Musik.

Im radikalen Serialismus trat jedoch die Wirkungsebene weit hinter der Ebene der Struktur zurück: Die Strukturen wurden zum Selbstzweck, weitgehend entkoppelt vom emotionalen Ausdruck.

Das bedeutet keineswegs eine Wertung.
 
Wobei der "radikale Serialismus" immer eine absolute Randerscheinung, eigentlich nur ein Experimentierfeld gewesen ist. Das ist rein von der Menge der da hinein gehörenden Werke her viel zu unbedeutend, um überhaupt eine Angriffsfläche zu bieten. Der Zorn der Neue-Musik-Verächter richtet sich doch nicht gegen den Serialismus, sondern gegen fast jede Musik, die die Dissonanz voll umfänglich emanzipiert hat.
 
Der Zorn der Neue-Musik-Verächter richtet sich doch nicht gegen den Serialismus, sondern gegen fast jede Musik, die die Dissonanz voll umfänglich emanzipiert hat.

Allerdings wird auch gerne der Zorn z.B. gegen Serialismus auch gerne so aufgefasst, als würde man alles von Liszts Spätwerk bishin zu Stockhausen und co. verachten.
 
Hallo, @River Flowing ,
hallo, @Demian ,

wegen der inhaltlichen Überschneidungen in Euren Beiträgen adressiere ich meine Antwort an Euch gemeinsam.

Wir müssen begrifflich genauer werden, eh wir aneinander vorbeireden. Zur Etymologie und zur tieferen Bedeutung wird @Ambros_Langleb mehr sagen können als ich, dessen Rest-Lateinkenntnisse sich auf Folgendes beschränken: structura = Aufbau, Bauart, Mauerwerk. Das erlaubt mir eine elegante Überleitung zum musikalischen Strukturbegriff, und da müssen wir Form-, Motiv- und Intervallstruktur auseinanderhalten. Es ist auch bei genauestem Hören unwahrscheinlich, daß sich die Formproportionen einer Renaissance-Motette oder in den Werken Bartóks unmittelbar erschließen. Solche Formproportionen hatten etwas mit der Architektur des Uraufführungsraumes zu tun oder im weiteren Sinne mit der Schöpfungsordnung und dem an ihren Verursacher adressierten Lob. Für Bartók war der goldene Schnitt als Formprinzip ein Ersatz für den Wegfall der Strukturierung durch Tonartfolgen, Modulationspläne etc.

Die Hörbarkeit von Intervallstrukturen zum Zwecke der (raschen) Wiedererkennbarkeit eines Motivs, einer Melodie und deren Verarbeitung (was auch bedeutet: Änderung der Intervallstruktur) war zu gewissen Zeiten natürlich erwünscht, vor allem bei einem oberflächenphänomen-verliebten Publikum, aber für Komponisten nicht verpflichtend: Man denke an Liszt und die netten Rückmeldungen, die er anläßlich seiner h-Moll-Sonate zu hören bekam. Auch vormoderne Komponisten haben sich eher für die von Melodien, Motiven und Motivabspaltungen strukturierten Formverläufe interessiert, also für die Entwicklungslogik und nicht für das Medley-artige Präsentieren nachsingbarer Ohrwürmer.
Ich denke bei älterer Musik liegt der Fokus eben meist auf hörbaren Strukturen. Bei Neuer Musik habe ich den Eindruck, dass die unhörbaren Strukturen oft überwiegen.
Hörbar ist alles - innerhalb der physikalischen Grenzen. Was Du meinst, ist die Nachvollziehbarkeit des zu Hörenden. Was letztere betrifft, kann ich nur wiederholen: Kein Komponist erwartet vom Publikum, die Entwicklungslogik einer Komposition (oder beim Reihungsprinzip ihr Fehlen) unmittelbar nachzuvollziehen. Es gibt auch Musik, die den Hörer durch zu große Ereignisdichte planmäßig überfordert (Berg, Ives, Nancarrow). Da soll der Hörer erstmal nichts als seine Überforderung nachvollziehen.
Wenn der Großteil der Struktur jedoch nicht wahrnehmbar ist, so handelt es sich - aus Sicht des Hörers - um unstrukturierte Musik: Eben Beliebigkeit.
Nur wenn der Hörer sich einer Musik mit Vorurteilen oder ihr unangemessenen Maßstäben nähert. Man geht doch auch nicht ins französische Restaurant und beschwert sich dort über das Fehlen von Celtic Rock, Dart-Wurfscheiben und Guinness-Bier.
Selbst Bach, der wie kein anderer die Strukturebene in den Vordergrund stellte, ging es um Emotionen (bzw. Affekte), und damit um die Wirkungen seiner Musik.
Ich habe den Eindruck, bei Bach stand das Soli Deo Gloria im Vordergrund. An zweiter Stelle standen innermusikalische Probleme, deren Lösung ihn interessiert hat (er hätte es sich sonst einfacher machen können), an dritter Stelle - in seiner geistlichen Musik - der Verkündigungscharakter, und da spielt natürlich die Nacherlebbarkeit von Affekten eine große Rolle.
Im radikalen Serialismus trat jedoch die Wirkungsebene weit hinter der Ebene der Struktur zurück: Die Strukturen wurden zum Selbstzweck, weitgehend entkoppelt vom emotionalen Ausdruck.
Kein Wunder, Komponisten wie Goeyvaerts und Boulez waren ausgesprochen ausdrucksfeindlich, und das heißt: Ihre privaten Emotionen hatten in der Musik nichts zu suchen. Musik als unmittelbare Gefühlskundgabe (wie in der Romantik) war ihnen suspekt. Deshalb ist ihre Musik aber nicht unsinnig.
 
Zuletzt bearbeitet:
@Gomez de Riquet
Sehr erhellend auf den Punkt gebracht.
Zu deinem letzten Satz: Genau das meinte auch ich mit dem Hinweis, dass mit meinen Aussagen keine Wertung verbunden ist.
 

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