G
Gomez de Riquet
Guest
Guten Morgen!
Ehe der Tiersen-Fanclub hier vor Begeisterung überschnappt -
über das Opus magnum "Comptine" und über Freds Analyse -,
möchte ich die Freude noch mal ein wenig trüben.
Obwohl ich meinem Gehör ganz gut vertrauen kann,
schien es mir zweckdienlich, in die Noten zu schauen,
und das habe ich jetzt getan.
Tempoangabe: Viertel = 100, keine Vortragsbezeichnung, ein #, 4/4-Takt.
Nach vier Takten Vorspiel, das die Harmoniefolge e-Moll, G-Dur, h-Moll, D-Dur präsentiert,
ist die Komposition in der linken Hand eigentlich schon beendet.
Diese Viertaktgruppe wird das ganze Stück hindurch unverändert wiederholt,
insgesamt zwölfmal. An der Akkordprogression fällt nicht das Fehlen jeglicher
harmonischen Spannung unangenehm auf - zweimal Mollakkord mit nachfolgender Dur-Parallele -,
sondern eine Setzweise, die Zweistimmigkeit anstrebt, aber nicht zu realisieren weiß:
Das Ostinato in der Oberstimme verdoppelt den Baßton jeder ersten und dritten Zählzeit.
Es entsteht dadurch ein eigenartig hohler Klang, eben der Klangeindruck
von parallelen Oktaven, die akustisch die Tonfolge e-d-d-d hervortreten lassen.
Die rechte Hand reiht dazu Viertaktgruppen aneinander:
zunächst ein kleines Thema, das Beste - oder besser gesagt -
Charakteristischste an diesem Stück, leicht neobarock angehaucht.
Es folgt ein synkopierter Abschnitt, der die Musik gegenüber der Ostinato-
Gleichförmigkeit zumindest rhythmisch verlebendigt. Dasselbe gilt auch
für das sich anschließende Fortspinnungsmotiv in Sechzehnteln.
Auffällig ist aber sowohl in dem Synkopen-Abschnitt wie beim Sechzehntel-Ostinato,
daß die bescheidene rhythmische Widerborstigkeit kein Äquivalent
im Melodischen und Harmonischen hat: Melodisch hat sich Tiersen
mit seinem ersten Viertakter bereits völlig verausgabt - mehr dürfen
wir von ihm nicht erwarten. Harmonisch verdoppeln die Spielfiguren
in der rechten Hand einfach nur die Akkordprogressionen der linken Hand.
Das ist der Hauptgrund, warum die "Comptine" so trostlos klingt.
Um diesen Effekt zu verstärken, wiederholt Tiersen seine Vierton-Blöcke
noch einmal komplett, in derselben Reihenfolge, wortgetreu -
nur in der rechten Hand eine Oktave höher gesetzt. Nach zweimaligem
Durchlauf Thema - Synkopen - Sechzehntelfiguren schließt das Stück
mit einem e-Moll-Akkord.
Es ist ein beliebter Trick der hier versammelten "Comptine"-Liebhaber,
ihren Widersachern zu unterstellen, daß sie mit der Einfachheit in der Musik
nicht zurechtkämen. Aber nicht die Einfachheit der "Comptine" ist anstößig,
sondern Tiersens Unvermögen, mit ihr zurechtzukommen.
Man vergleiche den Beginn von Ravels "Pavane pour une infante défunte"
mit Tiersens Opus, um den großen Unterschied zu erkennen,
oder auch das mittlere der drei "Mouvements perpétuels" von Francis Poulenc -
zwei Stücke, denen die "Comptine" in der Idee der Reduktion
und im Stimmungsgehalt nahezukommen versucht. Es hilft dann auch nicht,
das Stück verbal aufzupolieren, wie Fred dies mit dem Rekurs
auf Jazz-Harmonik und mit Ausflügen in die Musikgeschichte versucht.
Ferner bedienen sich Tiersen-Fans gerne einer an der political correctness
geschulten Argumentationsstrategie, die Kritik gleichsam tabuisieren möchte -
aus Rücksicht auf die potentiell verletzbaren Gefühle von "Comptine"-Liebhabern.
Was ist das für eine meschuggene Idee? Auf die Gefühle eines
von dieser Musik Gepeinigten nehmt ihr doch auch keine Rücksicht!
Das arme Hascherl, das diese Musik liebt, und der böse Kritikaster,
dem sie Übelkeit verursacht - sie müssen es miteinander aushalten.
Gruß, Gomez
-
Ehe der Tiersen-Fanclub hier vor Begeisterung überschnappt -
über das Opus magnum "Comptine" und über Freds Analyse -,
möchte ich die Freude noch mal ein wenig trüben.
Obwohl ich meinem Gehör ganz gut vertrauen kann,
schien es mir zweckdienlich, in die Noten zu schauen,
und das habe ich jetzt getan.
Tempoangabe: Viertel = 100, keine Vortragsbezeichnung, ein #, 4/4-Takt.
Nach vier Takten Vorspiel, das die Harmoniefolge e-Moll, G-Dur, h-Moll, D-Dur präsentiert,
ist die Komposition in der linken Hand eigentlich schon beendet.
Diese Viertaktgruppe wird das ganze Stück hindurch unverändert wiederholt,
insgesamt zwölfmal. An der Akkordprogression fällt nicht das Fehlen jeglicher
harmonischen Spannung unangenehm auf - zweimal Mollakkord mit nachfolgender Dur-Parallele -,
sondern eine Setzweise, die Zweistimmigkeit anstrebt, aber nicht zu realisieren weiß:
Das Ostinato in der Oberstimme verdoppelt den Baßton jeder ersten und dritten Zählzeit.
Es entsteht dadurch ein eigenartig hohler Klang, eben der Klangeindruck
von parallelen Oktaven, die akustisch die Tonfolge e-d-d-d hervortreten lassen.
Die rechte Hand reiht dazu Viertaktgruppen aneinander:
zunächst ein kleines Thema, das Beste - oder besser gesagt -
Charakteristischste an diesem Stück, leicht neobarock angehaucht.
Es folgt ein synkopierter Abschnitt, der die Musik gegenüber der Ostinato-
Gleichförmigkeit zumindest rhythmisch verlebendigt. Dasselbe gilt auch
für das sich anschließende Fortspinnungsmotiv in Sechzehnteln.
Auffällig ist aber sowohl in dem Synkopen-Abschnitt wie beim Sechzehntel-Ostinato,
daß die bescheidene rhythmische Widerborstigkeit kein Äquivalent
im Melodischen und Harmonischen hat: Melodisch hat sich Tiersen
mit seinem ersten Viertakter bereits völlig verausgabt - mehr dürfen
wir von ihm nicht erwarten. Harmonisch verdoppeln die Spielfiguren
in der rechten Hand einfach nur die Akkordprogressionen der linken Hand.
Das ist der Hauptgrund, warum die "Comptine" so trostlos klingt.
Um diesen Effekt zu verstärken, wiederholt Tiersen seine Vierton-Blöcke
noch einmal komplett, in derselben Reihenfolge, wortgetreu -
nur in der rechten Hand eine Oktave höher gesetzt. Nach zweimaligem
Durchlauf Thema - Synkopen - Sechzehntelfiguren schließt das Stück
mit einem e-Moll-Akkord.
Es ist ein beliebter Trick der hier versammelten "Comptine"-Liebhaber,
ihren Widersachern zu unterstellen, daß sie mit der Einfachheit in der Musik
nicht zurechtkämen. Aber nicht die Einfachheit der "Comptine" ist anstößig,
sondern Tiersens Unvermögen, mit ihr zurechtzukommen.
Man vergleiche den Beginn von Ravels "Pavane pour une infante défunte"
mit Tiersens Opus, um den großen Unterschied zu erkennen,
oder auch das mittlere der drei "Mouvements perpétuels" von Francis Poulenc -
zwei Stücke, denen die "Comptine" in der Idee der Reduktion
und im Stimmungsgehalt nahezukommen versucht. Es hilft dann auch nicht,
das Stück verbal aufzupolieren, wie Fred dies mit dem Rekurs
auf Jazz-Harmonik und mit Ausflügen in die Musikgeschichte versucht.
Ferner bedienen sich Tiersen-Fans gerne einer an der political correctness
geschulten Argumentationsstrategie, die Kritik gleichsam tabuisieren möchte -
aus Rücksicht auf die potentiell verletzbaren Gefühle von "Comptine"-Liebhabern.
Was ist das für eine meschuggene Idee? Auf die Gefühle eines
von dieser Musik Gepeinigten nehmt ihr doch auch keine Rücksicht!
Das arme Hascherl, das diese Musik liebt, und der böse Kritikaster,
dem sie Übelkeit verursacht - sie müssen es miteinander aushalten.
Gruß, Gomez
-
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