Lieber Jaegermeier,
ich habe stark den Eindruck, dass sich in deinem Beitrag ein bereits aufgestautes Unzufriedensein mit der Attitüde mancher Künstler entlädt, die durch meinen Beitrag Anstoß gefunden hat. Das ist ein manchen Leuten gegenüber berechtigter Einwand. Nur kann ich dir (Gott sei Dank!) bestätigen, dass ich diese Attitüde (Gott sei Dank!) nicht an den Tag lege. Insofern ist auch deine Überschrift "Holt mich hier raus, ich bin ein Künstler" sehr überspitzt - ich habe nirgends geschrieben, dass ich der "Star" von morgen werden möchte! Darüber hinaus scheinst du meine Beiträge in diesem Faden nicht alle gelesen zu haben, sonst würdest du nicht teilweise recht plakativ Dinge behaupten, über die ich schon anderes geschrieben habe.
"Wer nie sein Brot in Tränen aß ..."
oder
"Lehrjahre sind keine Herrenjahre"
Das weiß ich sehr wohl. Im Übrigen (und wirklich nur am Rande bemerkt, da es hier nicht von Interesse ist) habe ich schon ganz andere Lehrjahre hinter mir - Lehrjahre nicht des Studiums, sondern des Lebens, auch wenn ich erst 29 bin. Ich wusste auch in der Tat vorher, dass ich hier kein sprichwörtliches "Studentenleben" haben würde. Das hatte ich teilweise im Erststudium, aber teilweise auch nicht. Ich hatte auch im Erststudium Zeiten, in denen ich viel gearbeitet habe, um mich durchfüttern zu können und es hat mir in der Tat nicht geschadet. Von heute auf morgen musste ich eigenständig sein, eigenständig wirtschaften und leben. Um diese Erfahrung bin ich sogar dankbar (wenn auch nicht für ihre Ursache), denn dadurch habe ich wesentlich mehr gelernt als hätte ich immer nur eitel Sonnenschein erlebt. Dann hätte ich womöglich erst viel später gelernt, was es heißt, dass Geld auch äußerst knapp sein kann und dass "sein eigener Herr" sein nicht nur Freiheit, sondern vor allem eine Menge Verantwortung bedeutet. Das alles kommt mir nun zugute und ich sehe leider Menschen um mich herum, die dies nicht gelernt haben und sich sehr schwer daran tun, dies zu akzeptieren und damit umzugehen.
"...Ich verstehe das Lamento nicht so recht. Wer mit 28 Jahren ein Zweitstudium anfängt, sollte sich im Vorfeld (!) Klarheit verschafft haben über das, was ihn erwartet: Zeitaufwand Studium plus Zeitaufwand für den Lebensunterhalt. ..."
Man kann sowohl in diesem als auch in anderen Fäden hier im Forum lesen, wieviele Gedanken ich mir über das alles "im Vorfeld (!)" gemacht habe! Wenn du davon ausgehst, dass ich das alles blauäugig einfach mal so gemacht habe, dann irrst du gewaltig! Man gibt nicht eben mal 9 Jahre seines Lebens auf, 9 Jahre hochkarätige Ausbildung und Fähigkeiten in Mathematik, um für einen irren Splin den Star spielen zu wollen. Wenn du das glaubst, dann denke einmal bitte einen Schritt weiter. Zum Beispiel wäre der einfachste Weg gewesen, meine Doktorarbeit in Mathe fertig zu schreiben und nicht abzubrechen, um mich innerhalb von 5 Monaten neben zwei Jobs auf eine Aufnahmeprüfung vorzubereiten. Dann würde ich damit in die Industrie gehen und wesentlich mehr Geld verdienen als ich es als Klavierlehrer je tun werde. Dass ich das nicht getan habe, muss also einen wohlüberlegten Grund haben. Wenn dieser Grund so wohlüberlegt ist, werde ich ihn nicht so leichtfertig aufs Spiel setzen, indem ich einfach mal frisch fromm fröhlich frei und völlig naiv an die Sache heran gehe und mir nicht bewusst darüber bin, was da auf mich zukommt. Im Gegenteil, ich habe vorher alles bestens organisiert, mich um alles gekümmert, dass ich hier Arbeit habe, eine Wohnung, dass Arbeit und Studium soweit es nur geht, kombinierbar sind, dass ich mich nach Möglichkeit nicht verschulde usw... Ok, für mein Klavier habe ich nun einen Kredit aufgenommen, aber einen privaten, bei meiner besten Freundin. Das sehe ich aber als kein Problem an.
"...Wenn das mit dem Lebensunterhalt als Pianistin jetzt nicht klappt - wie soll das dann später funktionieren?..."
Moment mal - glaubst du ernsthaft, dass sich jeder Studienanfänger für Klavier sein Studium durch Konzerte finanziert? Das kannst du so nicht gemeint haben, oder?
Außerdem habe ich nirgends geschrieben, dass ich von meinem Geld als Pianistin leben möchte. Ich werde unterrichten und, wenn ich ganz viel Glück habe, nebenbei ein paar Konzerte geben, so wie die allermeisten auch. Gerade weil ich mir im Vorfeld viele Gedanken gemacht habe, anstatt einfach mal à la Star draufloszuspielen, habe ich dafür gesorgt, dass ich in jedem Fall eine Finanzierungsgrundlage gesichert habe, bevor ich hierher ziehe. Was bitte wäre unrealistischer als hierher zu kommen und davon auszugehen, dass ich mich hier schon als Pianistin durchfüttern könnte?
"...Ich habe in meinem Bekanntenkreis etliche, die aus welchen Gründen auch immer sich über den dritten Bildungsweg ihren Hochschulzugang erkämpfen mussten. Das alles zusätzlich zu Vollzeitberuf, Verantwortung und Familie. Warum glauben eigentlich Künstler immer, die Gesellschaft müsse sie auf Rosen betten?..."
Zum letzten Satz: Das habe ich nicht verlangt. Ich will nicht, dass mich irgendwer auf Rosen bettet (außer vielleicht einmal mein Partner, wenn ich einen Heiratsantrag bekomme :)) - das ist mir selbst im sprichwörtlichen Sinne schon zu unnatürlich. Ein Mensch, selbst wenn er es soweit bringt, dass er weltbekannt ist, ist und bleibt ein Mensch wie jeder andere. Der ganze Starkult ist mir zuwider und ich finde ihn höchst bedenklich - das habe ich an anderer Stelle schon einmal geschrieben. Ich hätte mir in meiner Situation lediglich gewünscht, dass irgendwo Unterstützung für Zweitstudien zu finden sei, wenn man nachweisen kann, dass man eine ganz gute Studentin ist.
Zum Rest: Ich habe Hochachtung (!!) vor allen Leuten, die ihre Ausbildung auf den zweiten oder dritten Bildungsweg vollbringen! Kleiner dazu passender Nebengedanke: Unter anderem verdiene ich hier übrigens mein Geld mit Mathematikunterricht an einer Schule, an der die Leute auf dem 2.Bildungsweg Abitur machen können. Ein besonderer Aspekt bei der Arbeit dort ist somit, dass ich dort auf Leute treffe, denen es so geht wie mir. Sie haben auch manchmal so viel gleichzeitig an der Backe mit Schule und Arbeit, dass sie auch manchmal kein Licht mehr im Tunnel sehen. Dann kann ich vorne als Lehrer stehen und sagen: Schaut, ich schaffe das auch, dann schafft ihr das auch! Ich verstehe sie und ihre Doppelbelastung somit, aber gleichzeitig kann ich sie dazu antreiben durchzuhalten, da ich es ja selbst tue. Das empfinden meine Schüler auch wirklich als Motivation.
"Es gibt schon genügend "Transfer-Empfänger", die keine Gegenleistung erbracht haben bzw. erbringen wollen. Im übrigen: Kurse in Selbstverwirklichung bezahlt die Krankenkasse."
Ich weise es strikt von mir, ein Empfänger dieser Gesellschaft zu sein, der keine Gegenleistung erbringt! Seit ich 18 bin und als ich noch in der Schule war, habe ich bereits für diese Gesellschaft gearbeitet, auch in meinem ersten Studium habe ich gearbeitet, am Theater, als Übungsgruppenleiterin an der Universität, danach am Forschungsinstitut, dann als Lehrerin. Außerdem war ich in der Hochschulpolitik engagiert und nun arbeite ich übrigens neben der Schule auch noch mit Kindern, die Schädel-Hirn-Trauma hatten, eine sicherlich schwierige Arbeit und Aufgabe. Da könnte ich es mir auch leichter machen und einfach irgendwelche Nachhilfeschüler nehmen. Im Übrigen zahle ich brav all meine Steuern. Und mein Studium zahlt nicht die Krankenkasse, sondern ich selbst.
"In diesem Sinne: Nicht jammern! Augen zu und durch! Es gibt genügend Menschen, denen es weiß Gott schlechter geht."
Letzteres weiß ich und ich weiß, dass ich hier auf hohem Niveau klage, auch das habe ich schon geschrieben. Ich bin sehr dankbar dafür, diese Möglichkeit noch zu haben. Genauso bin ich ein Mensch, der über seinen Tellerrand hinwegschaut und mich sobald ich es finanziell und zeitlich einrichten kann, auch für unsere Gesellschaft und andere Menschen einsetzen möchte. Ich beobachte und begrüße unter anderem auch an unserer Hochschule, dass hier die Menschen zu gesellschaftsfähigen Musikern ausgebildet werden sollen und keine perfekten Übemaschinen sein sollen. Das gibt mir höchste Sicherheit, mit Köln den richtigen Weg gefunden zu haben. Ich möchte auch versuchen, mit meiner Musik und mit meinem Leben ganz allgemein auch etwas für jeden einzelnen zu tun, jeden einzelnen dort zu berühren, wo er sein eigenes Leben lebenswerter gestalten kann. Im Kleinen tue ich das bereits - zum Beispiel wenn ich meinen jüngeren Kommilitonen einmal bei etwas helfe, was sie in ihrem ersten Jahr des eigenständigen Lebens noch überfordert. Oder wenn ich Kommilitonen wie gerade in den Semesterferien passiert, bei Harmonielehre helfe, dass sie wieder mitkommen Anfang des Semesters oder einer Freundin, die Klavier Nebenfach hat, Tipps zu ihrem Stück gebe usw. Vor allem aber tue ich es in der Arbeit mit meinen Förderschülern, die teilweise auch aus schwierigen Verhältnissen kommen und denen ich versuche, weitaus mehr als nur Schulstoff zu vermitteln.
Augen zu und durch - ja, das tue ich ja brav. Ich schaffe das schon, weil ich mein Ziel vor Augen habe und immer wieder aufs Neue spüre, warum ich diesen Weg gegangen bin.
Liebe Grüße,
Partita