Ich fange neue Stücke langsam,aber zuerst mal mit beiden Händen an zu üben um ein Gefühl für die Bewegungen, Fingersätze usw. zu bekommen.
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Mein KL meint aber, ich darf ausschließlich nur einzeln und muß auch sofort mit richtiger Klangsuche anfangen zu üben, wobei das Tempo so gewählt sein muß, dass auch die Notenwerte 100% korrekt gespielt werden.
Was ich seither auch leider gerne gemacht habe ist, vor allem wenn es mir nicht so gut ging, ein neues Stück vom Blatt langsam zu spielen, wobei ich mich gefreut habe, wenn es wie von selbst immer besser wurde. Irgendwann wurde dann aus diesem Stück ein "Arbeitsstück", bei dem ich glaubte, wieder auf alles zu achten. Meint KL meint, dies sei ganz schlecht, ich dürfe das nicht machen. Wenn es mir mal schlecht ginge, solle ich micht durch die intensive Arbeit am Stück ablenken und nicht durch das Schwelgen in Noten.
Lieber Klavierfan,
fangen wir mal mit dem letzten Teil deines Beitrags an. :p
Wenn es dir schlecht geht, möchtest du also gern "in Noten schwelgen", wenn ich dich richtig verstehe. Das tut dir gut und du möchtest dann nicht intensiv an einem Stück arbeiten. Richtig?
Das kann ich sehr gut verstehen! Da könntest du das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden und spielen, was dir unter die Nase kommt. Vom Blatt, langsam oder schnell, quer durch die Literatur (auch Opern und Sinfonien kann man als Klavierauszug nehmen). Das bildet sehr, macht Spaß und du lernst neben einem guten prima-vista-Spiel viel Literatur kennen!
Ich würde zu diesem Zweck allerdings keine Stücke nehmen, die du wirklich erarbeiten möchtest! Da könnte so eine Herangehensweise manches Schlechte oder Ungünstige in Klangvorstellung und Bewegung etablieren.
Es kommt also immer auf die eigene Zielsetzung an. Habe ich als Ziel, ein Stück musikalisch so weit wie möglich zu erfassen und wiederzugeben, sollte ich auch so üben. Dabei sollte mir bewusst sein, dass alles, was ich mit dem Stück anstelle, "Üben" ist. Eine schlechte Klangvorstellung gewöhnt man sich hinterher kaum mehr ab und spielt man klanglich schlecht, so spielt man technisch falsch, denn dann macht man die falschen Bewegungen. Daher gefällt mir sehr, dass dein KL meint, gleich mit "der richtigen Klangsuche" zu üben. Es ist ein Fehlschluss, glaubt man, man könne erst mal die Noten erarbeiten und hinterher am musikalischen Ausdruck feilen.
Am Anfang einfach mal probieren, das Stück vom Blatt spielen, kann sinnvoll sein, denn so versucht man, sich einen Überblick zu verschaffen. Allerdings kann man das auch, ohne zu spielen - man schaut sich dann nur den Notentext an und versucht, sich den Klang vorzustellen, Entwicklungen zu entdecken .... .
Beginnt man dann zu üben, so ist das Üben wie eine wunderbare Entdeckungsreise, bei der ich die einzelnen Facetten wahrnehmen lerne. Das bedeutet, dass ich zum Beispiel alle
Stimmen in ihren Linien kennen lerne, höre und gestalte - ich rede lieber nicht von "einzeln" üben, vor allem nicht bei Fortgeschrittenen, sondern von "stimmenweise" spielen, was nicht dasselbe ist (es kann auch in einer Hand zwei oder mehr Stimmen geben etc.). Wie lange ich das mache, hängt von meinem Können ab. Bin ich musikalisch und technisch schon so weit, dass ich Phrasierung, Kontext, Klang und Entwicklung einer Stimme sofort innerlich hören kann beim Blick auf den Notentext, muss ich kaum mehr stimmenweise üben. :p
Wir Normalsterblichen tun gut daran, alles so lange zu üben, bis wir es können und sich eine gewisse Automatisierung eingestellt hat. Wenn ich also eine Basstimme übe, dann sollte ich sie so lange spielen, bis ich die Phrase verinnerlicht habe und klanglich so gut wie möglich umsetze. Erst dann kommt der nächste Schritt. Gleichzeitig ist es aber so, dass gerade bei Fortgeschrittenen nicht alle Stellen im Stück die gleiche Schwierigkeit haben oder ähnlich komplex sind in ihrem Aufbau. Das bedeutet, dass ich verschiedene Stellen verschieden übe, je nach Bedarf und Zielsetzung. Bei einer Stelle übe ich noch stimmenweise, bei einer anderen bereits zwei Stimmen zusammen, bei der nächsten alles u.v.a.m. ......................... . Diese flexible Art des Übens bedarf aber eines feinen Ohres, denn man muss dazu immer wissen, was man denn nun genau erreichen will. Zur Kontrolle ist daher wichtig, immer mal wieder stimmenweise zu üben (auch bei schon gut gekonnten Stellen), um zu überprüfen, ob die eigene Klangvorstellung noch stimmt, ob man also wirklich noch die horizontalen Linien hört oder ob nicht schwuppdiwupp die manuelle Bewältigung die Regentschaft übernommen hat und man z.B. Mittelstimmen nur deshalb zu laut spielt, weil sie schwerer sind.
Wenn ich ehrlich bin, lieber klavierfan, glaube ich also, dass dein KL absolut Recht hat. Ich würde nur nicht "einzeln", sondern "stimmenweise" sagen und ich würde versuchen, deine verschiedenen Bedürfnisse (am Stück arbeiten, vom Blatt spielen....) wie oben beschrieben unter einen Hut zu bekommen. Üben sollte nicht starr sein, jedes Üben kann individuell anders aussehen. Ist aber das Ziel das einer lebendigen Interpretation, so sollte man sich eben sehr intensiv mit dem Stück und seinen musikalischen Inhalten beschäftigen und es quasi "durchhören".
Du scheinst eher nicht der Typ zu sein, der bisher so geübt hat (wenn doch, nehme ich alles zurück und behaupte das Gegenteil!!!
*lach*)und mein persönlicher Eindruck ist, dass du dir die Worte deines KL sehr zu Herzen nehmen solltest. Die wenigsten bringen die Disziplin auf, wirklich so zu üben, daher sage ich Ähnliches durchaus auch zu meinen Schülern. :D Gaaanz selten natürlich!!!! ............................
Es lohnt sich sehr, denn am Ende wächst du in deinem Ausdruck und in deiner musikalischen Gestaltung über dich hinaus. Die Qualität deiner Interpretation hängt sehr mit deiner Herangehensweise an das Stück zusammen.
Viel Erfolg und viel Freude dabei!
chiarina