Warum es vielleicht so anstrengend ist, "Neue Musik" zu hören (damit meine ich nicht nur unsere Neue Musik, sondern die zu jeweiligen Zeit neue Musik, also z.B. für Goethe den Mendelssohn):
Der Mensch denkt gerne in Kategorien und Schubladen, das ist ganz natürlich und erstmal nichts Schlechtes, sonst würde unser Hirn ja Amok laufen. Alles, was wir wahrnehmen wird erstmal mit dem verglichen, was wir schon kennen und dann in eine dieser Schubladen in unserem Oberstübchen einsortiert. Auch in der Musik. Wir sind jahrhundertelang die dur-moll-tonale Musik gewohnt (und: selbst die modale Musik ist Leuten, die nur dur-moll-tonale Musik kennen, erstmal etwas fremd, wenn auch nicht so fremd wie atonale Musik, weil es sich doch immerhin noch auf eine Art recht ähnlich ist), also versuchen wir alles mit diesen Kategorien im Kopf zu hören. Hört man nun aber was ganz anderes, dann muss man die dazugehörigen Kategorien erst bilden - quasi die Strukturen anlegen bzw. verstehen und diese verinnerlichen. Das geht eben mal so nebenbei, dazu muss man witzigerweise nicht mal viel dazu tun oder viel rumanalysieren meiner Ansicht nach, da sich gute Musik schon von ganz alleine vermittelt und genug Struktur bestitzt, die sich unterbewusst unserem Hirn auch vermittelt.
Ich weiß z.B. selbst noch, als ich zum ersten Mal den 1. (oder schlimmer noch: den 4.) Satz von Ligetis Klavierkonzert gehört habe - da habe ich erstmal dumm davor gesessen und konnte es nicht einordnen, selbst obwohl ich schon andere Stücke von ihm kannte und mochte. Jetzt kann ich das kaum glauben, da ich mittlerweile all diese Schubladen in meinem Kopf habe und diesen 1. Satz ab der ersten Note voll Freude mitsinge
Jetzt könnte ich herumhüpfen und im Dreieck springen, weil ich die unglaubliche Lebensfreude in dem Satz so stark empfinde oder im 4. Satz den Humor - da muss ich im Konzert immer aufpassen, dass ich nicht lachen muss :D
Natürlich ist es jedem belassen, ob er Zeit und Lust hat, sich einzuhören.
Das ist aber eine Sache der Menschen und nicht der Musik und kann auch nicht deren Kunstgehalt schmälern... Ganz im Gegenteil: Alle Komponisten, die heute als DIE Komponisten gelten, haben sich zu ihrer Zeit Neues gewagt, das ihrem Umfeld schwer gefallen ist zu hören. Ein Bach hat z.B. eine Stelle nicht bekommen, als er sich mit einer Kantate beworben hat und man hat ihm den Vogel gezeigt, ob er sie eigentlich noch alle hätte. Oder wie schockierend muss sowas wie Beethovens op.111 gewesen sein, das alles andere als eine klassische Sonate darstellt!
Vielleicht hat es Neue Musik heute auf eine Art schwerer als früher - früher musste man ins Konzert gehen, um Musik zu hören und da hat man dann also das gehört, was eben kam, ob man wollte oder nicht ;) Heute kann man einfach Musik aus seinem Schrank oder aus YT nehmen und anmachen und sich auch jeder neuer Entwicklung verschließen.
Liebe Grüße,
Partita