Liebe Leute,
da ich dringend ins Bett muss, nur eine kurze Antwort, verzeiht, wenn nicht alles bis ins Detail ausgeführt ist...
Zitat von hasenbein:
Es geht also nicht darum, ob jemand virtuos, fehlerfrei oder auch mit großer Sachkenntnis spielen kann. Das können in der Tat sehr viele, und Kremer müßte schon extrem vernagelt sein, um das nicht wahrzunehmen.
Zitat von stilblüte:
Der Mann hat ja so Recht, alles versinkt im Kommerz, die klassikgesättigte Welt wird überrollt von tonleiternübenden Chinesen und technikunterbelichteten Deutschen, die alle auf korrupten Wettbewerben die sauberste Lisztetüde und hinreißendste Beethovensonate spielen wollen, um danach zehn Konzerte zu spielen und eine CD zu produzieren, die eh keiner kauft. Wo bleibt bei dieser Hetze Zeit für Kunst, Inspiration, Authentizität, Kreativität und ähnliche Fremdworte?
Ja, ja, ja und ja! Genau das ist ein ganz wesentlicher Punkt! Auf der einen Seite ist es schön, welch eine technische Perfektion erreicht wird, u.a. durch Druck auf die aktuellen Musiker nicht nur untereinander, sondern auch durch die zahlreichen retouchierten und aus 30 Aufnahmen zusammengemischten CD-Aufnahmen, die dem Publikum eben jene Perfektion als Normalität vermitteln. Stücke, die vor 10 Jahren noch als unspielbar galten, sind heute gang und gäbe bei der Aufnahmeprüfung für Bachelor. Klar, war auch dies schon immer so - die Liszt-Etüden, die h-moll-Sonate uvm., nichts, was einen heute abschrecken darf, dann ist man ohnehin schon zu schlecht. Also wird das ganz klar erwartet. Und man bekommt geliefert. Technisch astrein, hauptsache, man hat den Text sicher drauf und kann ihn spielen. Musikalisch aber selten inspirierend und inspiriert gespielt.
Weitere Gedanken dazu:
Schon an der Hochschule überlegt man sich als Student, bevor man eine Prüfung spielt schon, wieviel man wagen kann. Oft spielt man auf Sicherheit, da man auf den ersten Blick erstmal an "Stück klappt oder Stück klappt nicht fehlerfrei" gemessen wird. Die Kunst, das inspirierte Spiel, das Zuhörer berührt und mit in die Musik zieht, kommt erst danach. Da man immer schwerere Stücke spielen muss und diejenigen, die bis vor kurzem noch unspielbar waren, heute Standard sind, muss das jeder bringen, sobald das einer bringt.
Auch, was die Interpretationen angeht: Man wagt selten etwas. Man lebt ungefährlicher, wenn man Mainstream spielt. Ist leider so. Hat man einen inspirierten Moment und macht womöglich einmal ein Ritardando eine Spur zu lange, muss man fürchten, Stiluntreue und unrhythmisches Spiel angekreidet zu kriegen. Da muss man schon aufpassen. Ich spreche hierbei von Hochschulen, Prüfungen, Wettbewerben etc. Wer Mainstream und technisch sauber spielt, kommt weiter. Wer inspiriert spielt, das Stück durch sich hindurch gehen lässt und dann etwas nach außen zaubert, aber ein paar hörbare Fehler spielt, der fliegt raus. Ist leider meist so. An oberster Stelle steht technische Perfektion, danach die Musik. Gerade heute abend war Klassenabend unserer Klasse - da hat eine ganz wunderbare Waldszenen von Schumann gespielt, wunderbar musikalisch und herrlich gestaltet - damit würde sie aber keinen Blumentopf gewinnen auf einem Wettbewerb, das wäre zu einfach, zu wenig effektvoll. Man hat sie nicht mal für die künstlerische Ausbildung genommen. Dem gegenüber haben wir ein Chopin Scherzo gehört, welches weitaus mehr her macht technisch, es war fehlerfrei gespielt, aber hat mich nicht annähernd so berührt, wie die wunderbar gespielten Waldszenen. Aber diese Studentin hat es in die künstlerische Ausbildung geschafft. Nicht das einzige Beispiel...
Eine Bekannte von mir war letztens im Konzert - ihr Kommentar: War alles perfekt - hat mich aber nicht berührt.
Umgekehrt habe ich CD-Aufnahmen von früher, wo teilweise richtig hörbar falsche Noten drauf sind, die Aufnahmen packen mich aber um Welten mehr als eine "geleckte" Aufnahme von heute, gerade weil der Pianist auf der älteren CD sich getraut hat, die musikalische Energie durchzuziehen und diese als oberstes Gebot gesetzt hat, das vermittelt sich und das hört man, und dieser musikalischen Energie opfert er dann lieber einmal eine Note als umgekehrt.
Ähnliche Kategorie: Einmal war ich im Konzert und habe Sokolov eine Zugabe spielen hören, die mir unbekannt war, aber in der er sich sehr oft
hörbar verspielt hat (da waren Läufe nach oben in der rH und er hat fast nie den Zielton getroffen). Aber trotzdem war die ganze Philharmonie hin und weg von dieser Interpretation, weil sich trotz in diesem Fall sogar schon grenzwertig vieler falscher Noten sowas von die musikalische Energie übertragen hat...
Diejenigen, die Weltkarriere machen wollen, müssen beides haben, sagte mal meine Prof. und sie hat da glaube ich sehr recht damit. Fakt ist aber, dass das "unglaublich hohe Niveau" vor allem erstmal ein technisches ist.
Außerdem habe ich grade in einem anderen Konzert wieder erlebt, WIE unfassbar berührend es sein kann, wenn es sich dann doch mal jemand wagt, evtl auf Kosten von Mainstream ein inspiriertes Spiel im Moment zuzulassen. Es war ein wunderbares Konzert, total berührend. Ich muss zugeben, es war eine Professorin unserer Hochschule und ich muss ebenfalls zugeben, dass wir Studenten uns teilweise gefragt haben, ob wir uns das hätten wagen dürfen, soviel Freiheit zu nehmen, hätten wir so in der Prüfung gespielt. Zweifelsohne war es eine wundervolle Interpretation. Aber sie hat Punkte enthalten, bei denen wir uns nicht sicher waren, ob wir sie hätten ebenfalls bringen dürfen, obwohl es jedem klar war an dem Abend, dass genau diese Sachen es waren, die das Ganze so einmalig gemacht haben.
Die Absurdität von hauptsache immer schwerer, schneller, höher wird auch schon bewusst, wenn man sich mal überlegt, dass auf der einen Seite eben sowas Gang und Gäbe ist, dass Stücke, die bis vor kurzem unspielbar waren, heute in der Aufnahmeprüfung für Bachelor locker verlangt werden. Aber dann auf der anderen Seite ist irgendwo im Hinterstübchen dann doch jeder total vorsichtig, wenn es z.b. an eine Mozartsonate geht - da kann man sich nämlich nicht verstecken, die muss musikalisch genauso sauber sein wie technisch. Da gibt es anscheinend unter Musikern dann doch noch das Bewusstsein, dass "Schwierigkeit" sich auch und vor allem auch auf Musikalität bezieht und wahres Können sich auch gerade an sowas zeigt.
Gerade heute sagte meine Professorin noch: Unmusikalische Leute, die nicht so stark empfinden, haben viel weniger technische Probleme, gerade weil sie die musikalische Spannung nicht fühlen, sondern sich einfach um die richtigen Noten kümmern können. Musikalische Leute haben oft irgendwo die musikalische Spannung als Verspannung sitzen, anstatt sie direkt von innen nach außen über's Instrument zu leiten. Das muss man erst lernen und wenn man das kann, dann ist man wirklich frei und kann wirklich gestalten.
Zitat von stilblüte:
Die Leute haben sich schon immer über den Status und die Position der klassischen Musik beschwert, und noch nie war es eine Musik der Massen bzw. ein Metier, in dem es für "den allgemeinen Musiker" Zeit und Raum für obengenannte Fremdworte gab.
Das stimmt sicherlich. Aber aufgrund der zunehmenden "Medialisierung" und Technologisierung unserer Welt, u.a. auch mit der Möglichkeit, aus 30 Aufnahmen eine fast perfekte zusammenzumischen, wird das immer schlimmer. Wenn dann noch das Denken um Schönheit, Alter, Vermarktbarkeit etc. hinzukommt...
Es scheint mir schon immer wichtiger zu werden zur richtigen Zeit am richtigen Ort die richtigen Leute zu treffen und das richtige zu sagen und zu tun...
Liebe Grüße,
Partita
PS: Ich habe jetzt doch mehr geschrieben... Da ich nun totmüde bin, kann ich nicht alles nochmal durchlesen, bevor ich es poste - ich hoffe, ich habe nicht allzu großen Stuss geschrieben. Jedenfalls waren es meine Gedanken zu dem Thema, wenn auch vielleicht nicht in optimaler Form hintereinander ausgeführt und ohne roten Faden...