Werktreue

Dreiklang

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Hallo liebe Foris,

vielleicht lohnt einmal ein Faden zu dem brisanten Thema "Werktreue".

Ich habe kürzlich gehört, daß Komponisten, die ihre eigenen Partituren spielen, sich über selbige schon mal hinwegsetzen. Dies wurde als Argument dafür genannt, daß man "über" die Partitur selbst auch seine eigenen Ideen setzen darf.

Wie seht ihr das?

Was ist "Werktreue", wo fängt sie an, wo hört sie auf, und: brauchen wir sie...?

Viel Spaß bei der Diskussion wünscht
Dreiklang
 
Hallo Dreiklang,

das ist ein interessantes Thema. Ich sehe es so: das Werk eines Komponisten ist wie ein Kind, das der Komponist in die Welt setzt und das irgendwann seine eigenen Wege geht. Ich halte es folglich für „legitim“ oder „nicht moralisch verwerflich“, wenn man sich bei der Interpretation eines Stückes große Freiheiten lässt oder im Extremfall sogar Änderungen (ich sage ausdrücklich nicht: Korrekturen !!!) vornimmt, entweder, um das Stück abzukürzen, oder, um es etwas leichter spielbar zu machen – oder sogar, um ein neues Stück (z.B. Variationen) daraus zu machen.

Das soll nicht heißen, dass man das grundsätzlich so praktizieren sollte – ich halte es aber eben nicht für „anstößig“. Bei Werken aus früheren Jahrhunderten ist es ohnehin fast unmöglich zu ergründen, wie der Komponist sein Stück gespielt hat. Der Notentext ist in diesem Sinne eine "unvollkommene" Notation. Wir können aber das Beste für uns daraus machen ! :) :)

Gruß Tom
 
Ich sehe es so: das Werk eines Komponisten ist wie ein Kind, das der Komponist in die Welt setzt und das irgendwann seine eigenen Wege geht.

Interessante Analogie. ;)

Ich halte es folglich für „legitim“ oder „nicht moralisch verwerflich“, wenn man sich bei der Interpretation eines Stückes große Freiheiten lässt oder im Extremfall sogar Änderungen (ich sage ausdrücklich nicht: Korrekturen !!!) vornimmt, entweder, um das Stück abzukürzen, oder, um es etwas leichter spielbar zu machen – oder sogar, um ein neues Stück (z.B. Variationen) daraus zu machen.

Änderungen, die man vornimmt, sind insofern problematisch, da man sich ja mit "Profis" anlegt. Große Komponisten "konnten" eben komponieren, hatten also ein hohes Gespür, und auch die Fähigkeit, zu musikalischer Gestaltung und Umsetzung.

Das heißt, man muß aufpassen, daß man nichts "verschlechtbessert".

Variationen allerdings zeichnen sich dadurch aus, daß v.a. eine echte eigene künstlerische Leistung auf Basis einer vorhandenen Grundlage erbracht wird. Sie beschränken sich nicht auf ein paar Korrekturen oder Änderungen einer vorhandenen Partitur.

Bei Werken aus früheren Jahrhunderten ist es ohnehin fast unmöglich zu ergründen, wie der Komponist sein Stück gespielt hat.

Mehr noch: wir können nicht einmal wissen, ob ein Komponist mit einer "abweichenden" Art, seine Komposition zu spielen, nicht vielleicht sogar einverstanden gewesen wäre. Viele Dinge, wie man ein Werk zeichnet beim Spielen, lassen sich in einer Partitur auch nicht wirklich festhalten.

Wir können aber das Beste für uns daraus machen ! :) :)

Das könnten wir, ja ;) mal sehen, wie sich die Diskussion weiter entwickeln wird.

Schönen Gruß
Chris
 
Darüber hatten wir doch schon mal eine Diskussion, wo es um "Interpretation" ging.

Ich bin grundsätzlich der Meinung: Alles was gefällt, ist erlaubt, und in der Musik und Kunst auch (und gerade) das, was nicht gefällt. Sich an Regeln zu halten, gehört in der Musik genau so dazu, wie diese zu brechen.
Und wenn man, wie ich, die meisten Regeln erst gar nicht kennt, um so besser. :D

Werktreue und das Wissen darum kann beschränkend aber auch befreiend sein.
 
Sich an Regeln zu halten, gehört in der Musik genau so dazu, wie diese zu brechen.
Und wenn man, wie ich, die meisten Regeln erst gar nicht kennt, um so besser. :D

Man könnte jetzt darüber sinnieren, ob man, bevor man Regeln "bricht", alle Regeln erstmal kennen sollte (?)

Vielleicht genügt es aber, zu wissen, was man tut, und einen "Plan" dabei zu haben. Selbst Improvisieren, und sich dabei dem eigenen Gefühl zu überlassen, kann ja ein solcher "Plan" sein.

Ich bin ebenfalls der Meinung: erlaubt ist, was gefällt. Im schlimmsten Fall gefällt es halt vielen nicht, und höchstens einem selber.

Glaub' aber nicht, Peter, daß rolf, chiarina, und vielleicht andere, diese Meinung teilen werden :cool:;)
 
Ja klar, weil sie nicht mehr die naive Freiheit des Ahnungslosen genießen können. :D
 
Es soll ja tatsächlich Fälle geben, die Werktreue und damit verbundene Freiheiten damit verwechseln, dass sie was nicht können. :floet: "Ui, das spiele ich lieber etwas langsamer, das ist aber schwer.... :shock:...!", "Puh, soooooooooo viele Noten!!! :shock: Es schadet sicher nicht, ein zwei, zwanzig wegzulassen..........!", "Also, das forte hier finde ich gar nicht schön. Muss ich mir über den Sinn Gedanken zu machen. Nö, ist doch nur ein Hobby. Ich spiel's einfach leise :tuba:!!!"

Aber natürlich nicht hier im clavio-Forum!!!

*Grinsesmilies aus*
 
Doch, auch hier. Huhu, meld! :)

Natürlich nehme ich mir bei Unvermögen entsprechende Freiheiten und spiele Stellen z.B. langsamer als ursprünglich gewünscht. Das ist aber keine Verwechslung sondern ein Eingeständnis und ein Kompromiss.
Genau so die musikalische Ausgestaltung. Ich spiele ein Stück so, wie es mir gefällt, wie ich es verstehe. Was bleibt mir auch anderes übrig? Ich kann es doch nur so spielen und meine Blödheit hindert mich daran, überhaupt nach dem Sinn eines Forte zu suchen.
Das bedeutet ja nicht automatisch, dass man nun stur da stehen bleibt. Mit der Beschäftigung wächst auch (manchmal) das Wissen und Verständnis und so spielt man ein Stück nach 5 Jahren (oder nach einer Stunde beim KL) völlig anders.

Aber letztendlich muss ich damit leben, so gut wie niemals ein selbst einfaches Stück so spielen zu können, wie ich es wirklich will oder wie der Komponist es wollte. Diese Professionalität werde ich niemals erlangen. Aber das ist Wurscht! Dafür hau ich ganz geschickt einen Nagel in einen Balken. :)
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
und meine Blödheit hindert mich daran, überhaupt nach dem Sinn eines Forte zu suchen.

Aber lieber Peter, ts, tsssssssssss.....Understatement war schon immer eine Entschuldigung für alles Mögliche! :kuss: :D

Aber ansonsten sehe ich es nicht als Ausdruck mangelnder Werktreue, dass man Kompromisse machen muss oder etwas so gut wie möglich spielen will. Die muss ich auch oft machen.......... . :p Ich glaube, Dreiklang meinte was anderes! :p

Liebe Grüße

chiarina
 
Ich glaube, Dreiklang meinte was anderes! :p

Auf jeden Fall meinte ich nicht: auf Deibel komm' raus und aus Prinzip Partituren verändern. Irgendeine Idee sollte wohl schon dahinter stehen. Diese Idee könnte aber alles mögliche sein. Und sei es nur, nicht dasselbe zu machen, was schon unzählige andere tun oder vorher gemacht haben.

Künstlerische Freiheit :cool:

Bei "Vereinfachungen" sollte man sich nicht fragen, ob der Betreffende das aus technisch motivierten Gründen gemacht hat, sondern das musikalische Ergebnis betrachten: was für Musik kommt dabei 'raus? Ist das interessant, attraktiv, kreativ, oder was auch immer? Muß ein Musikstück immer so ähnlich klingen, wie Pianisten es schon dutzendfach vorgemacht haben?

Und man kann sich Stücke ja auch durch Veränderungen "erschweren", da spricht nichts dagegen.

Kunst ganz allgemein neigt dazu, sich fortzuentwickeln. Man will etwas neues, etwas anderes, machen, als schon gemacht wurde. Nicht immer dienen solche Entwicklungen der Ästhetik oder der Freude, das ist wohl wahr. Aber trotzdem.

Es gibt kein Gesetz, das verbietet, aus einer Partitur das zu machen, was einem selbst beliebt. Und auch keines, das verbietet, das Ergebnis öffentlich zu stellen...

Ich selbst genieße die


:D Will ich wissen, wie die Partitur, Struktur etc. einer Skrjabin-Sonate ausschaut...? Nein... das könnte mich allenfalls daran hindern, eine Einspielung davon, die mir gefällt, wirklich zu genießen (au wei - jetzt scheppert's, das weiß ich :cool:).
 

Wir spielen eigentlich alle "werkungetreu"...

Denn wir spielen nicht auf den Instrumenten, auf denen die Werke entstanden.

Welch Vermessenheit ..., auf einem dicken Steinway D eine zarte Nocturne zu unternehmen.

Heute erstmals Nocturnes auf originalen Instrumenten "der" Entstehungszeit spielen gedurft. 1829 Pleyel, 1842 Pleyel, 1837 Erard. Chopins und des jungen Liszt Hammerklaviere. Instrumente der Sammlung Edwin Beunk.

Meine Seele ist noch nicht wieder hier. Ich bitte um Nachsicht. Falls das hypertroph, überhitzt, überspannt scheine. Ich habe in nur 20 Minuten, die man mir Einlass gewährte (in den Himmel? Ins Paradies? Dabei waren sie nicht mal richtig gestimmt... ) , ungemein, gemein viel Stoff zum Nachdenken bekommen.
 
Wir spielen eigentlich alle "werkungetreu"...

Und nebenbei: welcher Pianist setzt eine Partitur so konsequent um, daß man sie aufgrund des gehörten Spiels 1:1 korrekt wieder niederschreiben könnte...? Wäre das dann: werktreu...?

Denn wir spielen nicht auf den Instrumenten, auf denen die Werke entstanden. (...)

... was ist die Konsequenz aus all dem? Nur eines: zu versuchen, das, was man macht, möglichst gut in den Dienst der Musik zu stellen.

Das sollte beim Musizieren das Ziel sein.
 
Und nebenbei: welcher Pianist setzt eine Partitur so konsequent um, daß man sie aufgrund des gehörten Spiels 1:1 korrekt wieder niederschreiben könnte...? Wäre das dann: werktreu...?

Es wäre erst mal notengetreu. Werktreu wäre es nur in Ausnahmefällen - nämlich dann, wenn ein Komponist seine Ideen extrem genau im Notentext fixiert. Ravel wäre möglicherweise so ein Kandidat - der hat äußerst penibel alles notiert, was irgendwie zu notieren ist. Wenn man Ravel notengetreu spielt, ist das mit etwas Glück sogar werktreu. Wenn man Bach hingegen notengetreu spielt, ist das in jedem Fall völlig daneben.

LG, Mick
 
Kann ich gut verstehen... Skrjabin hat sich schließlich vom Dreiklang abgewendet.

Du meinst, es könnte interessant sein, sich mit solchen Hintergründen näher zu befassen? Aus diesem Blickwinkel hab' ich es noch nicht betrachtet.

Ich konzentriere mich bei Musik (auch bei komplexer oder wenig "eingängiger" Musik) auf's Hören.

Es wäre erst mal notengetreu. Werktreu wäre es nur in Ausnahmefällen - nämlich dann, wenn ein Komponist seine Ideen extrem genau im Notentext fixiert.

rolf würde vermutlich erwidern: was ein Komponist wollte, hat er in der Partitur festgehalten. Und dem ist Folge zu leisten.

Aber das haben auch große Pianisten nicht immer gemacht.
 
Hi all,

ich halte den Begriff "Werktreue" für Unfug. Ein Werk ist doch kein Nibelunge ! :D:D

Folgendes:

Nicht einmal einem Komponisten eines Werkes kann es gelingen, dieses Werk, nehmen wir ruhig irgendein Klavierwerk, zwei Mal auf exkt dieselbe Weise zu spielen, also ohne den geringsten Unterschied beim zweiten Mal zum ersten Mal, z.B.

Selbst dann nicht, wenn er noch so genau irgendwelche Anweisungen notiert.

Also gilt: Nimmt man die Interpretationen vieler Pianisten zusammen, die z.B. ein Klavierwerk eines Komponisten gespielt haben, dann sieht man, wie viele verschiedene Auffassungen es von ein und demselben Werk gibt.

Erneut erwähne ich hier allein die Tempogestaltung der Hammerklaviersonate seitens ca. 30 - 40 namhafter Pianisten - und jede dieser Gestaltungen sieht anders aus, allein schon vom Tempo.

Also "Werktreue" - das ist wieder mal so ein "Kunstbegriff", besser: "künstlicher Begriff", bei dem es bereits in den ersten Denkanfängen seiner Erschaffer gewaltig hapert.

LG, Olli !
 
rolf würde vermutlich erwidern: was ein Komponist wollte, hat er in der Partitur festgehalten. Und dem ist Folge zu leisten.

Aha. Und Du denkst, dass rolf Bach ohne Artikulation, ohne Dynamik, ohne Manieren spielt, weil Bach diese Dinge in der Partitur meistens nicht festgehalten hat? Ich glaube das nicht. Auch bei Chopin steht in den Noten eher nicht, wo und wie dort rubato zu spielen ist. Ich glaube trotzdem nicht, dass rolf spielt wie ein Metronom. Und bei Liszt steht z.B. nur sehr selten eine Pedalangabe. Heißt das, dass man alles andere ohne Pedal spielt?

LG, Mick
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
"Werktreue" ist ein interpretatorischer Parameter, der erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wirklich bedeutsam wurde. Zuvor ist man doch recht willkürlich mit Kompositionen der Kollegen umgegangen - nach dem Motto: eine schöne Idee, aber hübscher klänge es doch anders ...

Werktreue speist sich zum einen aus dem Respekt vor der Kreativität und dem Genie des Komponisten. Mir schient aber Werktreue auch umso höher im Kurs zu stehen, als die Fähigkeit der Interpreten zu improvisieren oder gar zu komponieren nachgelassen hat. Boshaft gesprochen: Da dem Interpreten nichts Eigenes einfällt, bleibt ihm nur, sich sklavisch an den Notentext zu halten.

Wie sah es früher aus? Schon bei der Wahl der Instrumente herrschte viel größere Freiheit: Wenn die Geige in Trümmern lag, mußte halt die Flöte herhalten, und wenn der Sänger heiser war, tat's für die Arie auch eine Gambe.

Den Komponisten war es wohl meistens egal. Wichtig war, daß die Werke überhaupt aufgeführt wurden. Daß Händel einer Sängerin drohte, sie aus dem Fenster zu werfen, wenn sie seine Arien nicht so singe, wie er sie komponiert habe, ist wohl eher die Ausnahme (wenn nicht gar eine Anekdote, erfunden im geniesüchtigen 19. Jahrhundert).

Johann Sebastian Bach warf man vor, daß er alle Verzierungen minutiös notiere und damit dem Ausführenden jede Freiheit raube. Tempora mutantur! (Die Zeiten ändern sich.)
 
Ich glaube trotzdem nicht, dass rolf spielt wie ein Metronom.

Ich auch nicht, da bin ich sicher.

Und bei Liszt steht z.B. nur sehr selten eine Pedalangabe. Heißt das, das man alles andere ohne Pedal spielt?

Gute Pedalisierung halte ich persönlich für sehr wichtig. Aber was ist, wenn stacc. notiert ist, und man mittels Pedalhauch legato umsetzt? Oder, wenn Ped. dasteht, man das aber beim Spielen wegläßt? Das sind dann wohl die Bereiche, die die Frage berühren: wo fängt "Werktreue" an, und wo hört sie auf...?
 

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