Wie relativ jede Tempowahl ist, stellt sich spätestens dann heraus, wenn man mal die schon jahrzehntelang anhaltende Diskussion um Ravels "Bolero" an sich heranlässt:
aktives-hoeren.de • Thema anzeigen - Die Magie gebürtlichen Lebens: Ravels Bolero
Die Vorgabe wäre eigentlich die einfachste, die überhaupt denkbar ist: Ein repetitiv gehaltenes Gefüge mit wechselnden Klangfarben, das sich über eine Viertelstunde hinweg kontinuierlich steigernd aufbauen soll - und dann gibt es so viele unterschiedliche Interpretationsansätze und Tempodefinitionen wie es Interpretationen gibt. Wie groß wäre dann erst der Klärungsbedarf, wenn sich Anspannung und Entspannung innerhalb eines Stücks abwechseln? Ich wage einerseits die Prognose, dass es vermutlich nur Einzelfälle gibt - andererseits unterstelle ich, dass das Vergleichen eines langsameren Tempoempfindens früherer Zeiten mit schnelleren Tempi im 21. Jahrhundert nicht nur hypothetisch ist, sondern auch zu künstlerisch fragwürdigen Resultaten führt. Dazu gehörte die Forderung nach dem "metrischen" Lesen von Metronomzahlen, um daraufhin Stücke im halben Tempo zu musizieren (
Grete Wehmeyer: Bücher). Spätestens dann, wenn Musik mit Atemführung (Vokalwerke, Bläserliteratur) und/oder Bewegung gekoppelt wird, ergeben sich vielfältige Probleme: Da Geigenbögen irgendwann zu Ende sind und Tänzer nicht in der Luft beim Schweben stehenbleiben können, müssten Phrasierungen neu organisiert und Choreographien anders konzipiert werden. Spieler von Tasteninstrumenten haben andere Probleme, beispielsweise die begrenzte Schwingungszeit von Saiten.
Was noch gar nicht zur Sprache gekommen ist: Auch die räumlich-akustischen Bedingungen am Aufführungsort sind zu beachten, da z.B. lange Nachhallzeiten bei schnellen Tonfolgen und/oder schnellen harmonischen Wechselvorgängen ein intransparentes Klangbild zur Folge haben können. Fazit: Standardlösungen, Patentrezepte und allgemeingültige Ansätze gibt es nicht, und das ist auch so in Ordnung.
LG von Rheinkultur