Wer sagt wie langsam langsam ist?

Viele der Inventionen sind aber nun mal stilisierte Tanzsätze. Die in c-Moll z.B. eine Allemande. Und bei Mattheson kannst Du nachlesen, dass Allemanden, die nicht im Allabreve notiert sind, langsam zu spielen sind. Natürlich gibt es da eine gewisse Bandbreite - aber wer das Ding im Affenzahn spielt, liegt völlig daneben.

Gruß, Mick

Meines Wissens nach hat Bach selbst aber nie eine solche Beschreibung zu den Inventionen gefügt. Demnach kann jeder selbst entscheiden, wie die Inventionen gespielt werden. Manche klingen dann zwar nicht mehr so gut, aber ich denke, ein guter Pianist macht auch aus langsam gespielten Inventionen was Gutes. Halt dann ganz anders als die schnellen.
 
ich halte mich fast nie an die Tempoangabe, da diese zumindest früher nie von Komponisten notiert wurden. ich finde das lässt auch einen gewissen Spielraum für Interpretation.
zum Beispiel spiele ich für elise auch langsamer als in den meisten YouTube Videos. meine kl meinte auch, dass die meisten es viel zu schnell spielen. sie hat mal eine Aufführung von kissin gesehen, wo er das Stück auch ziemlich langsam gespielt hat, aber ich kann es im inet nirgends finden. naja ich finde als Interpretationssache, sonst ist es doch langweilig alles dasselbe zu hören.
 
Du kannst es bloß nicht schneller und suchst nach Rationalisierungen wie "langsamer ist sowieso besser".

Sehr durchschaubar.
 
Zur Tempofrage bei Bach gibt es eine sehr differenzierte Darstellung:

von Gleich/Sonnleitner: Bach, wie schnell?

Grüße
Axel
 
Du kannst es bloß nicht schneller und suchst nach Rationalisierungen wie "langsamer ist sowieso besser".

Sehr durchschaubar.

Ich kann es schneller, aber klingt dann nur scheiße, ich interpretiere das Stück ganz anders.
Meiner Meinung nach ist ein hohes Tempo bei dem Stück völlig unangebracht, da es gefühlsmäßig dann nicht so rüberkommt als wenn man es langsam spielt.
Ansichtssache !
 
Du kannst es schneller, aber nur scheiße, das heißt, Du kannst ab einem bestimmten Tempo nicht mehr entspannt spielen, so daß sich der gewünschte Ausdruck einstellen kann, sondern Du holperst und hetzt da irgendwie so durch.

Wie gesagt: Nicht Unvermögen rationalisieren, bitte.
 
Die Frage des Tempos in der Musik des 18. Jahrhunderts ist ein heikles Thema, bei dem sich Musiker und Musikwissenschaftler in den 80er Jahren (des letzten Jahrhunderts) regelrecht die Köpfe eingeschlagen haben (geht auch ohne Internet und CLAVIO). Die Hypothese von Taalsma, Wehmeyer, Clemens von Gleich u.a., wonach die schnellen Sätze im halben Tempo (gemessen an heutigen Vorstellungen) und die langsamen Sätze vergleichsweise "zügiger" gespielt wurden, ist ja hoffentlich einigermaßen überholt. Immerhin lassen sich Indizien finden: Es gibt zeitgenössische Angaben zu Aufführungsdauern von Stücken, im Falle Händel existieren Walzen von mechanischen Orgeln, die Rückschlüsse auf die Geschwindigkeit erlauben, es finden sich Tempoangaben bei Quantz, die sich auf den Pulsschlag beziehen (und Quantz nimmt einen verleichsweise schnellen Puls an). Die Literatur zu dem Thema ist mittlerweile uferlos.

Interessant ist auch die Spannbreite der Metronomangaben - angefangen von der Czerny-Ausgabe von Bachs Klavierwerken über die Bartok- und Busoni-Ausgaben usw. Und dann noch vergleichen, was die Interpreten im Laufe der Jahrzehnte so alles anstellen. Man möchte zu dem Schluß kommen: Kein Tempo ist so absurd, daß es nicht jemand probiert hätte - von "gefrorener Zeit" bis "Affenzahn".

Es ist sicherlich nicht abwegig, daß ein Großteil von Bachs Musik einen tänzerischen Gestus besitzt. Nur - wie schnell wurde früher getanzt? Sind die rasanten Tempi, mit denen etwa Reinhard Goebel seine "Musica antiqua Köln" durch die Suitensätze jagte, dem 18. Jahrhundert angemessen? Oder spiegeln sie eher die sportive Sichtweise des 20. Jahrhunderts wider? Ich stelle mir eher gut genährte Damen und Herren vor, bekleidet in Samt und Brokat - wie flott die sich wohl damals bewegten (vor allem, wenn sie bereits die Podagra plagte ...)?

Ein anderer Aspekt, über den wir heutzutage immer noch viel zu wenig Bescheid wissen, berührt den Bereich der musikalischen Rhetorik - "Musik als Klangrede". Für Bach spielte das Denken in rhetorischen Kategorien wahrscheinlich eine wichtige Rolle.

Und zu guter Letzt: Welches Tempo verträgt der Zuhörer? Langsame Tempi zerreißen sicherlich Sinn- und Spannungsbögen. Aber muß es deshalb direkt in virtuosen Feuerzauber ausarten?

Vielleicht sollte man einfach konstatieren: De temporibus (non) est disputandum.
 
Die Frage des Tempos in der Musik des 18. Jahrhunderts ist ein heikles Thema, bei dem sich Musiker und Musikwissenschaftler in den 80er Jahren (des letzten Jahrhunderts) regelrecht die Köpfe eingeschlagen haben

Stimmt - solche Idioten gibts zuhauf: denen gelingts, Alles und
Jedes zum "heiklen Thema" zu deklarieren, nicht zuletzt eben
durch die Art, wie die mit etwas umgehn.

Allerdings gibt es auch Leute, die sehr intressante Sachen zu sagen
haben ohne jede Notwendigkeit, irgendwem die Birne einzudellen.


Vielleicht sollte man einfach konstatieren: De temporibus (non) est disputandum.

Kommt halt drauf an, wer mit wem diskutiert -
 

Mal andersherum gefragt:

Wenn die Metronomangaben oftmals ex post von Herausgebern hinzugefügt wurden, ist dann wenigstens davon auszugehen, dass die Tempoangaben (wie "Andante", "Presto furioso" oder im Fall von Mignon "langsam, zart") den Ausdruckswillen des Komponisten widerspiegeln? Stammen DIE in der Regel vom Komponisten oder sind sie auch der Willkür von Verlegern unterworfen?
 
Wenn es eine Urtextausgabe ist, stammt die Tempoangabe vom Komponisten.

Wenn keine Urtextausgabe, weiß man es nicht - man muß es recherchieren.

Die Willkür üben übrigens nicht die "Verleger" aus, sondern die von ihnen engagierten Schlaumeier (irgendwelche wichtigtuenden Pianisten), die glauben, dem Käufer des Notenheftes zu "helfen", indem sie möglichst haarkleine Anweisungen hinzufügen, die ihm sagen, wie das Stück ihrer (natürlich einzig richtigen) Ansicht nach zu spielen sei.

Anschließend schreiben dann Klavierlehrerin und Schülerin noch 1000 Fingersätze und Ausrufezeichen und Brillensymbole und Sätze wie "nicht zu schnell!" oder "leiser!" in die Noten, damit ein musikalisches Spiel des Stücks und ein Verständnis desselben auch garantiert verhindert werden.
 
:D Merci! :D
 

Ohne jetzt den Artikel detailliert lesen zu können, fiel mir beim Überfliegen dieser Abschnitt auf.

Ein ziemlich starker Hinweis darauf, was zumindest zu Bachs Zeit als gewöhnliches bis rascheres Tempo angesehen wurde.

Gruss
40er

Den Anhang Tempo Bach.pdf betrachten
 
Ohne jetzt den Artikel detailliert lesen zu können, fiel mir beim Überfliegen dieser Abschnitt auf.

Wenn Du ne ruhige Minute hast, führs Dir mal zu Gemüte -
es lohnt sich (find ich zumindest).


Ein ziemlich starker Hinweis darauf, was zumindest zu Bachs Zeit als gewöhnliches bis rascheres Tempo angesehen wurde.

Auf S.12 findest Du dann:

II. Modifications of the tempo ordinario

We must now introduce two further rules:

7. As the normal number of subdivisions of a beat is exceeded,
the pulse rate is retarded.
8. Conversely, if the normal number of subdivisions of the beat
is not used, the pulse rate is accelerated.​


Das jeweilige "Zeitmaß" ist also abhängig davon, was in
dieser Zeit geschieht.


gruß

stephan
 
Es ist eben ein Unterschied, was der Komponist (eingebettet in seiner Zeit) als langsam empfand und wie man es heute auffasst (vom individuellen Spieler mal ganz abgesehen, aber auf den kommt es natürlich hauptsächlich an).

Als Beispiel wurde Schumanns Mignon genannt aus dem Album für die Jugend. Bei diesem Stück ist keine Tempoangabe von Schumann da. Aber es gibt andere Stücke aus demselben Album, z.B. Nr. 34 "Thema", mit "Langsam. Mit inniger Empfindung" bezeichnet, hier gibt es eine Tempoangabe , 84 für ein Achtel. Anmerkung: ich bin mir nicht vollkommen sicher, ob diese Angabe von Schumann selber stammt, oder vom Herausgeber. Habe hierzu keine Recherchen angestellt - vielleicht kann das jemand verifizieren (wäre selber auch dran interessiert).
Wenn du also wissen willst, was Schumann unter langsam verstand, kannst du andere Stücke anspielen, wie dieses angegebene, in dem vorgegebenem Tempo, und für dich entscheiden, ob du das auch so empfindest.

Was die Diskussion um Tempoangaben im Barock angeht, muß man - finde ich - auch differenzieren: Die Ausführungen von Quantz u.a. beziehen sich auf die allgemeine Praxis, wohingegen z.B. der Nekrolog Angaben zu Bachs persönlicher Spielweise anführt, und zwar aus Primärquellen gespeist: er nahm die Tempi gemeiniglich sehr lebhaft und war überaus sicher im Takt. Was das auch immer heißen mag.

Bzgl. Mignon und die Spielweise Mitte des 19.Jahrhunderts: Ich habe das Gefühl, dass da eher das allgemeine Tempo höher war als heute. Das Gefühl ist gespeist von den Tempoangaben von Schumann z.B. Kinderszenen (ja, ich kenne die Diskussion der Authentizität), oder auch von den Tempoangaben von Chopin. Und weiterhin gespeist vom Spielgefühl damaliger Klaviere (sehr leichtgängig und geringerer Tastenniedergang, zumindest was ich gespielt hatte). Weiterhin hatten die Klaviere geringeres Sustain wegen der viel niedrigeren Saitenspannung, was das Aushalten langer Töne problematischer macht. Und zu guter Letzt zeigen die frühesten Schallplattenaufnahmen (welche eben näher am 19.Jhd. dran sind) auch eher schnelleres Tempo, siehe alte Cortot-Aufnahmen.

Just my few cents
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Es ist eben ein Unterschied, was der Komponist (eingebettet in seiner Zeit) als langsam empfand und wie man es heute auffasst (vom individuellen Spieler mal ganz abgesehen, aber auf den kommt es natürlich hauptsächlich an).

Als Beispiel wurde Schumanns Mignon genannt aus dem Album für die Jugend. Bei diesem Stück ist keine Tempoangabe von Schumann da. Aber es gibt andere Stücke aus demselben Album, z.B. Nr. 34 "Thema", mit "Langsam. Mit inniger Empfindung" bezeichnet, hier gibt es eine Tempoangabe , 84 für ein Achtel. Anmerkung: ich bin mir nicht vollkommen sicher, ob diese Angabe von Schumann selber stammt, oder vom Herausgeber. Habe hierzu keine Recherchen angestellt - vielleicht kann das jemand verifizieren (wäre selber auch dran interessiert).
Wenn du also wissen willst, was Schumann unter langsam verstand, kannst du andere Stücke anspielen, wie dieses angegebene, in dem vorgegebenem Tempo, und für dich entscheiden, ob du das auch so empfindest.
Just my few cents

Hab den Henle Urtext daheim. Nr. 34 ist tatsächlich mit 84 Achtel angegeben! Es steht dort ebenfalls "Langsam". Wenn Urtext sollte es von Schumann sein.

Danke für Deine Beobachtung!!! Demnach wäre nach Schumann die Tempoangabe Langsam mit MM 42/Viertel zu verstehen.

Gruss
40er
 

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