Ist das nicht generell so, dass es absolute Zeit- und Geldverschwendung ist in der Klavierstunde etwas zu üben was man so auch alleine üben könnte?
Liebe Chrissi,
es kommt darauf an. Im Grunde hast du es genau richtig formuliert: es ist Zeitverschwendung, mit dem Schüler etwas zu üben, was er zu Hause allein machen kann! Im Umkehrschluss übt man also immer dann mit dem Schüler im Unterricht, wenn er dies nicht allein zu Hause machen kann. Das zu unterscheiden ist Aufgabe des Lehrers.
Es ist z.B. (ich kann keineswegs alles aufzählen) sinnvoll, mit dem Schüler zu üben
a) bei Anfängern, die erst mal lernen müssen, wie man übt
b) bei Schülern, die gern wichtige Übeschritte auslassen :p ---> du glaubst nicht, wie
oft das passiert, selbst bei fortgeschrittenen Schülern. Der Lehrer zeigt im Unterricht, wie durch eine bestimmte Herangehensweise eine große klangliche Verbesserung erzeugt wird. Diese Herangehensweise soll der Schüler zu Hause etablieren, was aber leider des Öfteren ein Wunschtraum ist. Gründe bei Erwachsenen können sein, dass sie wenig Zeit zum Üben (z.B. nur am Wochenende) haben und da auch vorwärts kommen wollen ("Strecke machen" :D ) oder dass sie innere Widerstände haben (klatschen/singen, geduldig sein, ist nicht sehr beliebt), Gründe bei Kindern können sein, dass sie noch nicht so strukturiert üben, ungern wiederholen etc..
Die Aufgabe des Lehrers ist dann, immer wieder zu zeigen, dass die geforderte Herangehensweise die einzig richtige (es gibt auch ab und an andere Möglichkeiten, aber oft auch nicht) und auch die schnellste (!) ist - dies immer in Zusammenarbeit mit dem Schüler. Durch das Üben im Unterricht gewöhnt sich der Schüler mehr und mehr an solches Üben, seine Klangvorstellung wird geschult und er kann dann immer mehr zu Hause auch so üben. Das Ganze erfordert nicht selten eine gewisse Penetranz seiten des Lehrers :p , dem die klangliche Differenzierung so wichtig ist und gleichzeitig die Fähigkeit, dem Schüler dies so zu vermitteln, dass er allmählich versteht, mitarbeitet und selbständig wird. Der Schüler lernt (und das ist nicht einfach!), dass ihm nichts anderes übrig bleibt, so zu üben, wenn er bei dem Lehrer bleiben will, denn der Lehrer hört sofort, ob der Schüler entsprechend geübt hat und wenn nicht, muss man halt alles nochmal von vorne machen. Diese unangenehme Situation mitzumachen ist der Schüler nur dann bereit, wenn er (immer wieder) merkt, dass es sich wirklich lohnt, so zu üben, weil er dann viel besser und lebendiger Klavier spielt. Ein Lehrer leistet also viel Überzeugungsarbeit - er könnte natürlich auch sagen, wenn du nicht so übst, kannst du gehen. Ich setze mehr auf das erste. Es ist auch so, dass der Schüler manchmal nicht abschätzen kann, wie das klangliche Ergebnis später ist, wenn man zunächst uneffektiv übt. Viele, besonders Schüler, die in ihrer Kindheit schon Klavierunterricht hatten, denken, dass erst die Noten gespielt werden und dann am musikalischen Ausdruck gefeilt wird. Das ist falsch und es braucht einige Zeit, bis neue Übestrukturen geschaffen werden.
c) es ist sinnvoll, neue musikalische und technische Inhalte neuer Stücke vorzubereiten. Ein Aspekt dabei bezieht sich darauf, dass die Strukturen der Stücke erkannt werden und dementsprechend geübt wird. Ein Beispiel:
ich beziehe mich auf "Cadiz" S. 20 der "Suite Espagnole" von Albeniz
http://erato.uvt.nl/files/imglnks/usimg/e/e7/IMSLP15822-Albeniz_-_Suite_Espanola__piano_.pdf
Schaut man sich das Stück ab T. 5 an, sieht man
Nun denkt man vermutlich 'nun ja, übe ich halt einzeln'. Will man aber eine wirklich differenzierte Klangstruktur erarbeiten, die auch das richtige Timing der rhythmischen Elemente berücksichtigt, sollte man von Anfang an anders üben:
- erst mal die Melodie ohne Oktave mit freiem Fingersatz, dann mit dem notwendigen Fingersatz, dann mit Oktaven, alles mit schöner Phrasierung etc.
- nur die Basslinie (also nur |des - As|des - As|es .....). Von Anfang an wird überlegt, wie diese Linie klingen soll.
- Basslinie + Melodie (evtl. erst ohne Oktaven)
- Basslinie + neue Stimme (as' - as' auf 2+ und 3+): es ist nämlich so, dass die linke Hand hier einstimmig aussieht, aber nicht einstimmig ist. Die Flamenco-ähnliche Begleitung links besteht aus mehreren Instrumenten/Stimmen wie der Flamenco selbst ja auch mehrstimmig ist. Diese neue Stimme hier könnten z.B. Hände darstellen (es wird ja auch beim Flamenco geklatscht und gestampft). Diese beiden Stimmen kann man erst auf zwei Hände verteilen, um Sprünge zu vermeiden und sich erstmal auf das richtige Timing zu konzentrieren. Dann übt man das in einer Hand (eventuell Sprünge vorher gesondert üben).
- dann die beiden Stimmen + Melodie
- dann Basslinie + 16tel-Triole mit der nächsten Achtel: diese Figur spielt klar die Gitarre und so muss sie auch klingen. Dazu muss man die richtige Bewegung machen.
- alle möglichen Kombinationen ........................
Ob der Schüler bereits so fortgeschritten ist, dass er dies alles allein erkennt und zu Hause umsetzen kann, muss der Lehrer entscheiden. Hat der Schüler so etwas noch nicht gespielt, kann es gut sein, dass er da praktische Anleitung braucht. Das ist auch deshalb gut, weil er dann erkennt, wie spannend, entdeckungsreich und befriedigend so ein Üben sein kann. Wer bis hierhin gelesen hat, bekommt vielleicht einen Schreck und denkt 'um Himmels Willen, wie übeintensiv und wie anstrengend'. :p Deshalb bereite ich das lieber mit dem Schüler in der Stunde vor: so merkt er, dass es viel weniger anstrengend ist, sich auf wenige musikalische Elemente zu konzentrieren und das für das klangliche Ergebnis wunderbar ist.
So ein Üben schult also die Klangvorstellung jeder einzelne Stimme und ihres Zusammenklangs. Das zahlt sich total aus (!), benötigt aber Geduld und eine vorherige Anleitung durch den Lehrer, es sei denn, der Schüler ist schon sehr fortgeschritten und selbständig.
Liebe Grüße - ich hoffe, es ist jetzt klarer geworden!
chiarina