Was sagt ihr am Anfang des Unterrichts?

Stilblüte

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Hallo an alle,

Ich habe öfter über eine bestimmte Frage nachgedacht und auch mit Kollegen diskutiert, nun möchte ich sie einmal hier stellen. Sie richtet sich (vor allem, aber nicht nur) an alle Klavierlehrer, die anspruchsvolles Repertoire unterrichten. Nämlich: Was sagt ihr nach dem Vorspielen eines Stückes zuerst, wie findet ihr den Weg ins Unterrichten? Ich halte das für eine sehr schwierig zu beantwortende Frage, denn sie scheint vor allem mit der gesammelten Erfahrung zusammenzuhängen, und es scheint relativ intuitiv zu geschehen. Während meines Studiums war ich immer beeindruckt davon, wie mir meine Lehrerin mit wenigen Worten und Sätzen eine sehr einleuchtende und umfassende Rückmeldung geben konnte, die dann perfekt in den Beginn der Arbeit am Stück führte. Natürlich kann man bestimmte Dinge planen, die man sagen könnte, z.B.:
  • Was ist gut gelungen und warum / wodurch / inwiefern
  • Was sind die dringlichsten Mängel - insofern es die gibt. Je höher das Spielniveau, desto weniger gibt es herausragende Mängel.
  • Wie ist der generelle Eindruck des Übestadiums
  • Fällt etwas Besonder(e)s auf, z.B. in Klang, Interpretation, Bewegung, Haltung o.ä.
  • Auf Form und Struktur eingehen, vom Anfang zum Ende oder vom Großen zum Kleinen, oder sonstige Besonderheiten des Stückes
  • Gespräch und Fragen an den Spieler, z.B. welche Gedanken er sich gemacht hat, wie sieht er bestimmte Dinge etc.
  • Falls man das Stück sehr gut kennt, etwas zum Hintergrund erzählen, oder zur Kompositionsweise, Stilistik, Epoche etc.
  • Einfach vorne anfangen
Ob das sinnvoll und stimmig ist, ist aber nicht so leicht zu beantworten, denn es ergibt sich aus der Situation. Besonders wichtig finde ich diese Frage dann, wenn man jemanden zum ersten Mal trifft und nicht regelmäßig unterrichtet, also wenig Zeit hat. Z.B. im Meisterkurs, bei der Studienvorstellung, bei Einzelstunden und so weiter. Wie machen das @Alter Tastendrücker @rolf @satiata oder @chiarina , was denken @mick oder @kitium darüber? Ich bin gespannt auf eure Ideen, Erfahrungen und Meinungen.

Viele Grüße
Anne
 
Erfahrungen eines Schülerlein:
Wenn der Vortrag nicht allzu katastrophal gewesen ist, erkundigt sich meine Lehrerin meist als erstes, wie mein eigener Eindruck war und wie ich mich beim Spielen gefühlt habe. Das führt dann vom Allgemeinen zu einzelnen Stellen und damit verbunden zu der Frage, worum es mir geht, warum ich dies und jenes mache, es in Dynamik und Artikulation auch anders gestalte als notiert etc. Also zunächst soll ich meine Interpretation „begründen“. Daraus entwickelt sich durchaus die Überlegung, daß ich Lösungen nur deshalb wähle, weil sie bequem sind - und nicht, weil sie musikalisch plausibel sind. Und so landen wir ganz schnell bei technischen Fragen und Strategien, wie man diese Probleme löst. Anstelle der Beethoven-Sonate beschäftigen wir uns dann erst einmal mit Clementis „Gradus“, durchaus auch mit Czerny oder oder den Übungen von Brahms, Cortot und Dohnanyi.

Bei Komponisten oder Stücken, die mir fremd sind - oder mit denen ich fremdle -, besteht ein Teil meiner „Hausaufgaben“ aus einem „Kurzreferat“ über Person, Epoche, Stück. Dann macht meine Lehrerin mich auf Querbezüge aufmerksam, d.h. ich bekomme von ihr ganz viel Musik zu hören - aus allen möglichen Gattungen und Epochen. Das sind immer die „bequemsten“ Phasen des Unterrichts.

Nein, das Ganze paßt nicht in einen 45-Minuten-Unterricht, eher braucht es das Drei- bis Vierfache an Zeit. Den Luxus leiste ich mir! - Genauso kann es aber auch passieren, daß ich nach 30 Minuten herauskomplimentiert werde, weil ihr die Zeit zu schade ist für „betreutes Üben“. Shit happens! In den folgenden Tagen/ Wochen hat mein großer Schweinehund sehr schlechte Karten …
 
Alle Impulse von Lehrerseite müssen einem didaktischen Ziel dienen. Entscheidend für die Beantwortung deiner Frage ist deshalb das Kriterium: Was soll der Unterricht in dieser Unterrichtseinheit bewirken, und was soll dabei mit dem Schüler geschehen? Das kann bei ausreichender Reife auch mit dem Schüler gemeinsam herausgefunden werden.
Darüber hinaus geht es im Unterricht natürlich auch darum, als Lehrer mit dem Schüler ins Gespräch zu kommen und dabei dessen eigene Beobachtungsgabe und Selbstreflexion zu nutzen. Da bieten sich Fragen an wie z.B.:

"Wie ist es dir seit der letzten Unterrichtsstunde am Klavier ergangen?" (Diese Frage ist sehr offen und eignet sich deshalb eigentlich immer für den Einstieg, allerdings eher im regelmäßigen Unterricht als im Meisterkurs.)
"Womit bist du im Hinblick auf ... schon zufrieden?"
"Welche Methode hat dich in dieser Hinsicht ans Ziel gebracht?"
"Womit bist du noch nicht zufrieden?"
"Welche Gründe dafür erkennst du?"

Bei Meisterkursen finde ich auch einen kurzen Vortrag von Lehrerseite sinnvoll, in dem er allgemeine Aspekte der Epoche, zum Stil oder zum Komponisten nennt, die zu kennen für die Weiterarbeit förderlich ist, und die möglicherweise direkte Anknüpfungspunkte für die musikalische Arbeit bieten. Ein Beispiel wäre die Erklärung des dialektische Prinzips, das einer Beethoven-Sonate zugrunde liegt und die daraus resultierenden Konsequenzen für den musikalischen Umgang mit der motivisch-thematischen Arbeit in der speziellen Sonate.

Voraussetzung für eine solche Herangehensweise ist allerdings ein Unterricht, der die Selbstständigkeit des Schülers ins Zentrum stellt. Ich habe auch schon Meisterkurse gesehen, z.B. von der Geigen-Koryphäe Thomas Brandis, der alles, wirklich alles nur vorgegeben hat (z.B.: "In Takt 49 bis 52 mehr crescendo"), und die Schüler haben nur brav seine Anweisungen ausgeführt.
 
Ja, die Selbständigkeit des Schülers ist das A und O!

Um Himmels willen nicht erstmal Lehrervortrag, was alles gut oder schlecht war und was alles wie anders muss.

Sondern der Schüler muss lernen, sich richtig zu hören, sich richtig zu beurteilen und Wege aus Spielproblemen heraus zu finden. Sonst kann auch sowieso gar kein sinnvolles Üben stattfinden!

Daher wird die zweckmäßige Kommunikationsweise mit dem Schüler eine schwerpunktmäßig fragende sein (oder zu Aussagen auffordernde). Aber natürlich gehören auch direkte Feststellungen und Handlungsanweisungen des KL mit hinein; es ist zu zeitaufwendig und nervt den Schüler auch, wenn partout alles im Dialog erarbeitet wird.
 
Auch wenn es kein Klavier ist, so bilde ich an Simulatoren aus, die der Realität so ähnlich sind, dass du spätestens nach 5 Minuten vergessen hast, im Simulator zu sitzen. ... und nach jeder Übung gibt es passende Feedback Gespräche. Hier ein wenig die Theorie - mit entsprechender Übung klingt das dann trotzdem nicht "steif", sondern wie ein Gespräch.

Feedback beginnt eigentlich mit einem Briefing vor der Stunde. Was ist das heutige Ziel? Achten wir auf bestimmte Dinge besonders ... Also eine Messbarkeit des Erfolges an "handfesten Kriterien" festlegen.

=> Unterricht

Und dann kommt das Feedback.
- Es beginnt mit "Set the Trainee at ease." (also Spannung raus, damit das Gesagte auch ankommen kann ...)
- Es folgt die Grobeinschätzung (1 Satz - nimmt die Spannung auf das Ergebnis, die sonst das Zuhören verhindern kann).
- Es folgt die Abfrage wie der Übende sich selbst einschätzt (gibt dir auch einen Hebel, wie du Kritik unterbringst).
- Die positiven Dinge
- Die negativen Dinge
- Was ist zu tun, um besser zu werden? (Achtung: Niemals "Versprechungen machen" - kannst du das, wirst du XYZ)
- Zusammenfassung
- Zeit für Rückfragen des Schülers

Gruß
Martin
 
Es gab mal einen weltberühmten Jazzpianisten, der auch Workshops gegeben hat. An dreien davon habe ich auch teilgenommen.

Er hat uns auf einem davon erklärt, dass er, wenn ein Teilnehmer oder Schüler gespielt hat, immer erstmal positive Dinge anmerkt und erst zum Schluss zur Kritik kommt.

Bei einem nächsten Workshop machte dann ein Teilnehmer mit, von dem wir anderen wussten, dass der eigentlich gar nicht spielen kann - aber gut, gegen Gebühr konnte jeder mitmachen.

Und dieser Teilnehmer spielte dann auch - erwartungsgemäß sehr schlecht. Wir waren sehr gespannt, was der Dozent sagen würde, und giggelten schon vor uns hin.

Nachdem der Teilnehmer endlich zu Ende gespielt hatte, guckte der berühmte Pianist ihn erstmal eine Weile wortlos an und meinte schließlich: "Nice clothes!"
 
Er hat uns auf einem davon erklärt, dass er, wenn ein Teilnehmer oder Schüler gespielt hat, immer erstmal positive Dinge anmerkt und erst zum Schluss zur Kritik kommt.

Der Teil ist wissenschaftlich erwiesen. Es geht weniger um das Lob an sich, sondern es ist der Türöffner für die Kritik.

Deshalb auch in unserer Checkliste das „Set at Ease“ als Einstieg. Im Stress Zustand kommt selbst die beste Hilfe nicht an.

Gruß
Martin
 
Ich frage am Anfang des Unterrichts gerne, wie Die vergangene Zeit musikalisch denn so gewesen ist. Damit hat mein Gegenüber die Möglichkeit, das gesammte Setting eben zu beleuchten und auch eine Selbsteinschätzung der getanen Arbeit vorzunehmen.
Wenn dann Stücke gespielt werden, dann finde ich in der Regel immer etwas, das sich verbessert hat und wenn es nur das ist, dass das Schülerlein sich gemerkt hat, was wir in der letzten Sitzung besprochen und geklärt hatten. Mir ist auch der positive Einstieg in die Arbeit sehr wichtig.
Dann kann ich gnadenlos an den Defiziten arbeiten und habe jemanden an meiner Seite sitzen, der gerne mitmacht. Und das finde ich entscheidend!
Wenn man jemanden zu Beginn der Sitzung durch vernichtende Urteile in die Defensive schickt, dann kann man ihn auch gleich nach Hause schicken, denn ein gemeinsames Basteln und Forschen ist dann nicht möglich.
 

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