sollte man in diesem Fall nicht isoliert betrachten, denn es handelt sich (innerhalb dieser Oper) um ein eingearbeitetes "Selbstzitat": um eines der zentralen Leitmotive - und obendrein um ein ganz besonderes, denn der Komponist hatte große Mühe, es sinnvoll zu notieren. Über dieses zentrale Motiv schrieb er während der Komposition an Liszt:
Ich bin gerade an der Stelle, da Brünnhilde Siegmund den Tod verkündet - ja kann man das überhaupt noch komponieren nennen?
(sinngemäß zitiert)
Man mag es, je nach Geschmack, für Kitsch halten oder auch nicht: für Wagner war die Szene, in der eine göttliche Macht einem Sterblichen unwiderruflich mitteilt "deine Zeit ist um, da hilft nix, peng. aus. sag tschüss und komm mit" etwas erschütterndes, schreckliches, fremdartiges - und entsprechend sollte die Musik dazu werden: gespenstisch, erhaben, Grabesstimmung, ein Kondukt, feierlich, tödlich. Als er das Libretto "dichtete", hatte er noch kaum eine Vorstellung davon, was er Jahre und Jahrzehnte später für eine formal und harmonisch innovative Musik dazu/dafür/daraus komponieren wird.
@mick hatte dir schon den Hinweis gegeben:
Wobei die hier inkriminierte Stelle harmonisch noch recht einfach ist; die exaltierte Harmonik in der vierten Szene des zweiten Aufzugs (Todesverkündigung) dieser Oper wirft doch ganz andere Fragen auf...
aber darauf verzichtet, die von dir gefragte Stelle als Zitat, als eingearbeitetes Leitmotiv zu klären. Natürlich hat er recht mit der exaltierten Harmonik, und das schauen wir uns an:
(die Melodie ist auch wieder eines der Leitmotive der Oper und klingt hier erstmals im ersten Akt - ich bin kein Freund der schwülstigen Leitmotiv-Kataloge*; es hat mit Siegmund (der von nun an schlechte Karten hat...) und Sieglinde zu tun; erstaunlicherweise hat sich dieses Motiv aus einen anderen im Rheingold herausgeschält - sie sind offenbar nicht immer eindeutig, sondern wandelbar, die Leitmotive (oder der Richard hat über die Jahrzehnte hin gelegentlich die Übersicht verloren?))
Ganz eindeutig d-moll, wobei das Motiv den Dominantseptnonakkord umspielt
C7-F7-H7-a-H7-a-H7 (und bei H-Dur7 bleibt es, also scheinen wir uns bzw das Siegmund/Sieglinde-Motiv scheint sich in e-Moll zu befinden)
So schön der chromatische Schritt von F7 nach H7 auch ist, er ist nichts "unnormales" oder allzu exaltiertes: dergleichen findet sich gelegentlich in Beethovens Spätwerk, bei Schumann, etwas öfter bei Chopin. F7 und H7 sind "verwandt"/austauschbar, weil wahlweise beide aus demselben quintalterierten Septakkord herausgezogen werden können. z.B. f-a-bc-/be enharmonisch f-a-h-#d - der erste wird zu F7, der zweite zu H7 -
Wir sind hier harmonisch in "normalem" romantischen Gelände, quasi in der Harmonik von Chopins Fantasie & Polonaise-Fantaisie, Wagners Tannhäuser & Lohengrin. Da gibt es einen sehr guten Aufsatz über "Chopin und Wagner" vom Musikwissenschaftler Werner Breig.
Die beiden Notenbeispiele leiten über zur "Todverkündung", die übrigens zweiteilig geformt ist. Wie anfangs gesagt: jetzt muss das fremdartige, tödliche,
ganz andere kommen. Und das tut es:
d-#e-a => Cis7 - danach e-##d-h => #D7
Aus dem mehrmals wiederholten und zuletzt augmentierten romantischen Siegmund/Sieglinde-Motiv, das wieder mit dem a einsetzen müsste, kommt das sehr langsame neue andere Motiv a---#g-h---- Da hören wir natürlich bei der einen Ganzton höher einsetzenden Wiederholung den ersten gedehnten Ton als Vorhalt dieses "fragenden" Motivs, das auf einem Dominantseptakkord "offen" endet (erst Cis7 dann Dis7)
Das neue und fremdartig andere dieser Trauermusik:
- wir hören gänzlich ohne vorherigen Zusammenhang d-#e-a als Moll-Dreiklang (d-Moll), aber es ist keiner, es ist ein doppelter Vorhalt zu Cis7 (warum ohne Zusammenhang? die vorangegangene Festigung von e-Moll als Tonika lässt keinen d-Moll Klang und auch keinen Cis-Dur Klang erwarten)
- wir "lernen" den Klang eines Moll-Dreiklangs als lastenden, schrecklichen, gespenstischen Vorhalt zu empfinden, der obendrein nicht aufgelöst wird sondern in einen Septimakkord ausläuft, der aber wie eine Auflösung klanglich-melodisch wirkt: Saperlot! Was als reiner Dreiklang wahrnehmbar/hörbar ist, wird zur Vorhaltdissonanz, die Dissonanz (Durdreiklang mit kleiner Septime) wird zur (scheinbaren) Konsonanz/Auflösung
- ...ein Dominantseptakkord als Auflösung einer dissonanten Akkordprogression? Aber das ist doch erst im Tristan so ---- offenbar nicht. Die Tristanharmonik taucht erstmals in dieser Szene, in diesem Motivzusammenhang auf, und das beinahe "wörtlich":
die letzten drei Akkorde: "Tristanakkord" - quintalterierte Doppeldominante - Dominantseptakkord (als Auflösung)
also hier "Tristanakkord" - "DD7b5" - "D7"
im Tristan "Tristanakkord" - "DD7b5" - "D7b5" - "D7"**
(es ist unnötig, an dieser Stelle auf die vielen Deutungen der Tristanakkorde hinzuweisen oder gar eine Diskussion darüber zu beginnen: ich habe der Einfachheit halber diese hier verwendet, weil sich damit am ehesten nachvollziehbar Todverkündung-Tristanakkord zeigen lässt)
Und in den letzten beiden Notenbeispielen sind wir nicht mehr in der "normalen" romantischen Chopin-Wagner-Harmonik, sondern - woanders. Das zu notieren war für Wagner nicht einfach. Der "Trick" hier ist, dass ein scheinbarer Dreiklang zu einer harmonisch vieldeutigen Weichenstellung wird; ab hier wird es bei Wagner und seinen "Harmonik-Nachfolgern" immer mehr vagierende vieldeutige Akkorde (so von Hindemith bezeichnet) geben.
Zu beachten ist auch die motivische Vorgehensweise: das Vorhaltmotiv a-#g-h wird in der schönen Melodie des letzten Notenbeispiels #c-#f-#g-a-#g-h-#a-cis zweimal eingeflochten (a-#g-h und h-#a-#c)
ABER es wäre irrtümlich, wenn man allein die Harmonik dieser Stelle für ihre Wirkung verantwortlich macht. Später, nach dem Tristan (der nach der Walküre komponiert ist) wurde Wagner gelegentlich mit dissonanten Akkordfortschreitungen "geplagt", z.B. von von Bülow - Wagner erklärte Bülow recht brüsk, dass solche Verfahrensweisen ohne motivierenden Kontext sinnlos, ja ungekonnt sind... im Tristan ist es die permanente Sehnsucht, in der Walküre die Sphäre des Todes, die mit derartiger exaltierter Harmonik unterlegt und als "anders" wahrnehmbar gemacht werden.
Tatsächlich hier: ohne den inhaltlichen (außermusikalischen) Zusammenhang (siehe oben salopp formuliert) - diese harmonisch fremdartige Trauermusik klingt nicht nach Heines martialischen Valkyren
"Unten Schlacht. Doch oben schossen
Durch die Luft auf Wolkenrossen
Drei Valkyren, und es klang
Schilderklirrend ihr Gesang: (...)"
Was hier hinzukommt und dem Klavierauszug nicht zu entnehmen ist: der fahle Klang - @mick kann die Orchestrierung der Todverkündung besser als ich beschreiben.
@Demian sofern dir diese umfangreiche Oper gefällt, hör sie dir an (die Aufnahme mit Boulez - "Jahrhundetring" - ist exzellent)
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* da gibt es zum Ring und zum Tristan allerhand kurioses wie "Angstmotiv" "Wälsungenliebemotiv" "Schwertmotiv" und und und und........
** im Tristan: beim allerersten mal D7 = E-Dur7 (also A/a als Tonika)
hier D7 = Fis-Dur7 (also müsste es nach H/h als Tonika gehen)