Ich habe bei Adorno (Kolisch und die neue Interpretation) eine nette Stelle gefunden, die vielleicht etwas zum Nachdenken über das Thema anregen könnte.
Zitat von Adorno:
Der Gedanke des integralen Komponierens, eines Verfahrens, in dem jede Note thematisch, im Zusammenhang des Ganzen zu verantworten ist, wurde von Kolisch auf die musikalische Darstellung übertragen. Man kann von integraler Interpretation reden. Sie setzt sich zur Aufgabe, nicht etwa in bloßem Wohllaut und glattem Ablauf das Werk widerzuspiegeln, sondern dessen Struktur ganz und gar in seiner Erscheinung zu verwirklichen, die „Röntgenphotographie des Werkes“ zu bieten. Das Interpretationsideal geht nicht von der klanglichen Fassade aus, sondern bestimmt diese funktionell, von den vielfach latenten musikalischen Ereignissen her. Die genaueste Analyse des Werkes, die präzise Erfahrung seiner „subkutanen Elemente“ werden verausgesetzt.
Ein Link zu einem kurzen Vortragstext bezüglich Interpretation:
http://www.velbrueck-wissenschaft.de/pdfs/2005_zehentreiter.pdf
Hier noch ein interessanter Artikel - ist gar nicht so leicht im Internet was Substantielles zu diesem Thema zu finden, vielleicht bin ich aber auch nur zu ungeschickt beim Suchen. :rolleyes:
http://www.mgg-online.com/probeartikel/interpretation.pdf
Aus diesem Artikel möchte ich noch eine Stelle zitieren:
So wächst die Verantwortung des Interpreten, wenn er das ›Beste der Musik‹ vermöge der Spontaneität seiner Interpretation dem Hörer dennoch vermitteln möchte. Solches hatte Liszt im Sinn, als er 1856 in der Vorrede zur Symphonischen Dichtung „Ce qu’on entend sur la montagne“ notierte: »Obschon ich bemüht war, durch genaue Anzeichnungen meine Intentionen zu verdeutlichen, so verhehle ich doch nicht, daß Manches, ja sogar das Wesentlichste, sich nicht zu Papier bringen läßt, und nur durch das künstlerische Vermögen, durch sympathisch schwungvolles Reproduzieren, sowohl des Dirigenten als der Aufführenden, zur durchgreifenden Wirkung gelangen kann. Dem Wohlwollen meiner Kunstgenossen sei es daher überlassen, das Meiste und Vorzüglichste an meinen Werken zu vollbringen« ( F. Liszt 1857 ) .
Ich finde, dass das ein ganz schön moderner Ansatz von Liszt war - der Interpret als Vollender eines Werkes, aber vielleicht täusche ich mich ja auch, und das Konzept gibt es bereits seit Urzeiten. Nun, wer meint, des Interpretierens bereits mächtig zu sein, kann sich ja jetzt einmal fragen, ob er/sie würdig ist, „das Meiste und Vorzüglichste“ an Liszts Werken zu vollbringen. :D
Meine kleine Entdeckungsreise ins „Reich der Interpretation“ hat jedenfalls noch viele Fragezeichen bei mir hinterlassen:
Objektive Interpretation, (ich glaube mich zu erinnern, Anklänge hier in Flips Beitrag gelesen zu haben) - das kann es doch gar nicht wirklich geben, oder? Wenn es die gäbe, dann existierte doch längst die einzig wahre Interpretation, neben der andere nicht mehr bestehen könnten. Oder verstehe ich da etwas falsch?
Interpretationen in Werkseditionen - ich denke da zum Beispiel an die Ausgabe der Bachinventionen von Busoni. Wer ist eigentlich die Zielgruppe solcher Ausgaben, allein der Hobbypianist? Man möchte ja meinen, dass der Profi sich bei der Erarbeitung seiner Interpretation an einen Urtext hält.
Urtexte - Ich habe unlängst in einem Interview mit Leslie Howard gelesen, dass die Henle Ausgabe der h-Moll Sonate 6 oder 7 Fehler aufweist - inwiefern sichert sich ein Interpret eigentlich ab, ob die Notenausgaben die er verwendet tatsächlich fehlerfrei sind? Ich dachte eigentlich, dass man mit einer Urtext Edition eines namhaften Verlages auf der sicheren Seite sei.
Orchester - interpretiert eigentlich ein Orchestermusiker? Das geht doch irgendwie gar nicht, da würden sich ja Dirigent und Musiker gegenseitig im Weg stehen. Ist praktische Interpretation somit nur Dirigenten und Solisten bzw. kleinen Ensembles vorbehalten?
Der kognitive Prozess aus Philomelas zweiten Beitrag lässt mir auch keine Ruhe. Für mich ist Kognition nie rein rational - emotionale Erfahrungen gehören für mich dazu, oder beeinflussen die Kognition zumindest erheblich. Scheinbar wird das aber von einigen anders gesehen. Tja bleibt also noch die Frage, ist Interpretation rein rational? Also wenn das so ist, möchte ich glaub‘ ich gar nicht interpretieren, da mach ich das Klavierspielen dann lieber zu einer ohnehin privaten, emotionalen Angelegenheit
Vielleicht hat ja jemand Lust, ein bisserl über diese Aspekte zu diskutieren.
LG, PP (die sich leider noch nicht einmal in der Lage sieht zu spielen, und somit den Begriff üben strapazieren muss, aber davon träumt, irgendwann dem 88zahnigen Biest doch noch so etwas wie schöne Musik zu entlocken.)
Per sogni e per chimere e per castelli in aria l‘anima ho millionaria :)