Schlechte Schüler: woran liegt das eigentlich genau?

Vor 20 Jahren hätte ich Ähnliches geschrieben.

Heute bin ich aber sportlich und weiß daher: Die Hardware, um ein sportlicher Schüler zu sein, war bei mir vorhanden - somit war es sehr wohl möglich, dass jemand aus mir jemanden hätte machen können, der Lust auf Bewegung bekommt und gute Leistungen erbringt!
Ich war/bin immer gut im Sport. Sehr gute Auge-Hand-Koordination, gute Schnellkraft, schlank. Aber das hat beim Geräteturnen nichts genutzt. Nein, man kann aus einem Ackergaul kein Rennpferd machen, aber einen sehr guten Ackergaul ;-)
 
Das Beispiel Sport ist ein sehr passendes. Auch ich war keine Sportskanone im Unterricht. Ich fürchtete mich vor Bock und Kasten ...Dann hatte ich ein Jahr lang eine ungarische Lehrerin, die es verstand, streng zu sein, die Leistungen zu fordern, die wir im Stande waren, zu bringen und uns dabei zu unterstützen. Wenn sie mir Hilfestellung gab, konnte ich meine Angst überwinden und Dinge schaffen, die ich vorher und hinterher nie wieder geschafft habe.
Soll heißen: ich bin Bewegungslegastheniker, also eher nicht so begabt in den Dingen, aber mit passender Zuwendung kam ich an Fähigkeiten, die mir sonst verschlossen blieben.
Und genau so verhält es sich auch im Instrumentalunterricht.
Nehmen wir den Gesang: Manche Kinder brummen, haben eine Tonvorstellung, können aber ihren Stimmapparat nicht dazu bringen, diese Vorstellung in Schwingung zu versetzen. Diesen Kindern kann sich der Schulmusiklehrer nicht widmen, also läßt er sie in Ruhe, sie lernen nicht, wie sie den Kontakt zu ihrer Stimme herstellen können.
Jahre später werden sie immer noch den Mund halten, wenn es an´s Singen geht.
 
Ungarische strenge Lehrerin... genau dieses Klischee geistert mir beim Lesen dieses Fadens die ganze Zeit im Hinterkopf..,

Was machen denn die berühmten osteuropäischen Lehrkräfte eigentlich, wenn sie immer so herausragende Schüler erzeugen?

Charisma per ungarischem oder slawischem Akzent, gepaart mit unerbittlicher Verbindlichkeit bei klaren Ansagen (im verweichlichten Westen als "streng" verpönt)?

Der ganze Methoden-Chichi letztlich völlig pillepalle...?

Ist es echt nur die Auslese?

Strenge Ungarin unterrichtet 100 Schüler, davon werden zehn herausragend und 90 steigen früh aus.

Weichherziger Deutscher unterrichtet 100 Schneeflocken, davon gefriert eine zu einer herausragenden Künstlerin, vierzig werden ganz gute Klavierlehrerinnen und die restlichen 59 schneien doch lieber auf den Ponyhof. So besser, für Kultur und Volkswirtschaft?

(Es wird sich ja schon immer um die berühmte "Russische Schule" herumgeredet, nicht nur in Klassischer Musik.)

It's somewhat of a rant, I know. Aber man könnte da mal Licht ins kommunistische Dunkel bringen.
 
Das ist wirklich interessant! Diese Lehrerin war wirklich streng, aber sie hatte Herz. In meiner Schulzeit war es tatsächlich so, dass die strengen, aber gerechten Lehrer von allen geschätzt wurden.
Ich habe häufiger osteuropäische Studenten und bei denen merke ich eine extrem hohe Wertschätzung des Unterrichts.
Die Arbeit mit ihnen ist wunderbar! Wenn ein Schüler zunächst mal den Lehrer schätzt, dann ist das eine gute Basis.
Ich erlebe heute oft, dass Mütter im Beisein ihrer Kinder von der Inkompetenz ihrer Schullehrer reden. Damit behindern sie, dass die Kinder zunächst den Lehrer schätzen dürfen. Das führt dazu, dass die Kinder nicht mehr aufpassen, im Unterricht nicht mehr gut mitkommen und zack! Der Lehrer ist doof, der mag mich nicht...
Schade
 
Strenge Ungarin unterrichtet 100 Schüler, davon werden zehn herausragend und 90 steigen früh aus.

Weichherziger Deutscher unterrichtet 100 Schneeflocken, davon gefriert eine zu einer herausragenden Künstlerin, vierzig werden ganz gute Klavierlehrerinnen und die restlichen 59 schneien doch lieber auf den Ponyhof.
Du schilderst hier Extreme, die es natürlich auch gibt. Für manch einen ist der strenge Lehrertyp sicherlich genau richtig. Für manche auch der Softie. Für die große Mehrheit der Schüler ist der beste Lehrer nicht unbedingt streng, aber anspruchsvoll, nicht weichherzig, aber im richtigen Moment verständnisvoll - also jemand, der gleichzeitig klare Ziele für seinen Unterricht hat, und sich dabei gut auf die individuellen Bedürfnisse seiner Schüler einstellen kann, um diese Ziele zu erreichen. Unterricht ist kollaboratives Arbeiten. Immer. Gilt für beide Seiten.
 
Nehmen wir den Gesang: Manche Kinder brummen, haben eine Tonvorstellung, können aber ihren Stimmapparat nicht dazu bringen, diese Vorstellung in Schwingung zu versetzen. Diesen Kindern kann sich der Schulmusiklehrer nicht widmen, also läßt er sie in Ruhe, sie lernen nicht, wie sie den Kontakt zu ihrer Stimme herstellen können.
Jahre später werden sie immer noch den Mund halten, wenn es an´s Singen geht.
Diese Beobachtung bestätige ich als vielbeschäftigter Chorleiter gerne. Letztgenannter Satz begegnet einem ständig bei der Neumitglieder-Werbung seitens der Vereine. Bereits in der Schulzeit wurde man als hoffnungslos unmusikalisch abqualifiziert - was schlimmer sein dürfte, ist das vermittelte Negativbild über das Singen schlechthin. Könnte man die Einstellung beschreiben mit "gut singen ist toll, ich kann es nur einfach selber nicht", würden entsprechende für den Einstieg geeignete Angebote etwaige Negativsubstanz durch positiv besetzte Inhalte entkräften. Das gelingt in vielen meiner Chöre immer wieder, so dass die Nachwuchssituation mancherorts gar nicht so dramatisch ist. Mitunter gibt es verfestigte Negativklischees, wonach Singen doof oder beispielsweise ausgesprochen unmännlich ist, da richtige Kerle lieber Fußball spielen. Wer im Chor singt, ist vermutlich so ein tuntiges und zumindest leicht angeschwultes Weichei - und das kann man sich als Mann nun mal nicht leisten. Es sei denn, man steht auf Metal und Hardrock. Solche Glaubenssätze sind viel schwerer oder gar nicht durch positive Substanz zu entkräften.

Das Beispiel Sport ist ein sehr passendes. Auch ich war keine Sportskanone im Unterricht. Ich fürchtete mich vor Bock und Kasten
Ging mir genauso. Ich hatte null Bock auf den Bock. Und das Turnen am Reck/War echt ein Dreck. Oder die angloamerikanische Variante: Das Turnen am Rack/War echt ein Fuck! Wie sagte unser Sportlehrer damals: "Also Leute, wir fangen dann mal mit Bodenturnen an, da ist die Kastrationsangst unserer Jungs nicht so groß"...!

Satiremodus auf niedrig umgeschaltet: im Sportunterricht war die Situation nicht viel anders. Die Ambitionierteren und Begabteren gingen in ihrer Freizeit in "richtige" Sportvereine und die konstitutionell Benachteiligten oder Desinteressierten wussten, dass trotz bester und ehrlicher Bemühungen eben nicht mehr als die bewährte Gnaden-Vier auf dem Zeugnispapier drin sein würde. Wäre es denn nicht sinnvoller, bei angehenden lebenslangen Bewegungsverweigerern ein etwas weniger ungünstiges Verhältnis zu körperlicher Betätigung, Bewegung und Fitness auf den Weg zu bringen? Als Umkehrung des Lebensmottos: Lieber an Herzverfettung sterben als die zweihundert Meter zum Zigarettenautomaten an der nächsten Straßenecke zu Fuß zurück zu legen?

LG von Rheinkultur
 
Ist es echt nur die Auslese?

Strenge Ungarin unterrichtet 100 Schüler, davon werden zehn herausragend und 90 steigen früh aus.

Zumindest beim Ballett (Waganowa) ist es die Auslese. Allerdings bevor es überhaupt Unterricht gibt. Ist doch sonst Verschwendung.

Es würde mich wundern, wenn bei Instrumentalunterricht diese Verschwendung nicht vermieden wird.
 
Eine Auslese vor dem Beginn des Unterrichts sieht nur eine Momentaufnahme und ignoriert das wichtigste Potenzial des Schülers: seine Entwicklungsmöglichkeiten. Das ist Verschwendung.
 
Es kommt wohl auch darauf an, was das Ziel des Unterrichts sein soll: elitäres Ausbilden von professionellen Nachwuchsspitzenkräften oder bestmögliche Förderung/Entwickung individueller Potentiale. Die Maßstäbe des einen auf das andere zu übertragen dürfte wenig sinnvoll sein.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Eine Auslese vor dem Beginn des Unterrichts sieht nur eine Momentaufnahme und ignoriert das wichtigste Potenzial des Schülers: seine Entwicklungsmöglichkeiten. Das ist Verschwendung.

Glaub mir, den natürlichen Turnout kann man durch Training kaum vergrößern. Man braucht aber nunmal 180°. Was soll der Frust, Kinder durchzuschleifen (in einer professionellen Ausbildung, wohlgemerkt), die nunmal körperlich limitiert sind?

Kann ja beim Klavier anders sein, beim klassischen akademischen Tanz nicht.
 

Klavierlehrer mit vielen "erfolgreichen" Schülern können sich üblicherweise ihre Eleven aussuchen. Und wen wählt man? Jemanden aus einschlägig musikalischem Elternhaus mit vernünftigem Instrument. Dass Kevin aus der Hochhaussiedlung mit Keyboard genommen wird, ist so gut wie ausgeschlossen, es sei denn, bei der üblichen Überprüfung des musikalischen Gehöres zeigte sich eine echte Hochbegabung.
 
Dass Kevin aus der Hochhaussiedlung mit Keyboard genommen wird, ist so gut wie ausgeschlossen, es sei denn, bei der üblichen Überprüfung des musikalischen Gehöres zeigte sich eine echte Hochbegabung.
Der Kevin aus der Hochhaussiedlung wird vermutlich gar nicht auf die Idee kommen, beim erfolgreichen Klavierlehrer vorzusprechen. Er kennt ihn schlicht nicht.

Wenn ein Kind gerne Klavier lernen möchte und die Eltern das auch möglich machen wollen und können, dann wird das Kind an einer Musikschule angemeldet.
 
Ein Musiker, der in der Sowjetunion aufgewachsen war und dort auch studiert hatte, erzählte mir, dass sehr viel Wert auf Gehörbildung (Solfeggio) gelegt wurde
Jawohl. Allerdings war das (wöchentlich 2x45min) sowie Musikgeschichte (1x45Min), Duo-Spiel (1x45Min) etc. nicht die Aufgabe von Instrumentallehrern, die nämlich 2x45Min in der Woche allein ihrem Fach widmen konnten.
 
Und unser Kind hat einmal die Woche 30 Minuten Unterricht… (mehr habe ich nicht zugeteilt bekommen, sind auf der Suche)
 
Jawohl. Allerdings war das (wöchentlich 2x45min) sowie Musikgeschichte (1x45Min), Duo-Spiel (1x45Min) etc. nicht die Aufgabe von Instrumentallehrern, die nämlich 2x45Min in der Woche allein ihrem Fach widmen konnten.
Ja, und schon allein deshalb MUSSTEN die Ergebnisse des dortigen Unterrichts dem hiesigen überlegen sein - schlicht weil mehr Unterricht erteilt wurde. Wenn dann noch eine bessere Methodik hinzukommt (v.a. auch gehör-orientierter bzw. audiomotorischer), wird der Vorsprung sehr deutlich.

Sein Kind für 30 Minuten die Woche zu irgendeiner netten Tante zu schicken, die mit den Kiddies Heideidei macht (möglichst noch mit mehreren gleichzeitig...), ist reine Geldverschwendung und führt auch sowohl bei Eltern als auch den Schülern zu einer vollkommen falschen Sichtweise, was Musikmachen, Instrumentspielen und Üben ist und vor allem auch sein könnte.

Lustig eigentlich: In den sozialistischen Ländern des Ostblocks hatte die Musikausbildung hohes Niveau - hier und heute hingegen wird die Musikausbildung durch letztlich sozialistische Ideen von "Priorität der Breitenbildung" zerstört.
 
Nö, das Problem ist, dass an Bildung als erstes gespart wird. Durfte während meiner Schulzeit mitbekommen, wie alles an Zusatzangeboten gestrichen wurde.
Und komplett privat wird so eine Ausbildung mit Gehörbildung und allem etwas teuer. Das dürfte das Budget der meisten Familien sprengen.
 
Die allermeisten können Klavierunterricht locker bezahlen - sie entscheiden sich lediglich, ihre Prioritäten anders zu setzen und ihr Geld für andere Dinge und Tätigkeiten auszugeben, die ihnen wichtiger erscheinen.
 
Wöchentlich 4 mal 45 Minuten, sollte auf ca 400€ im Monat kommen. Bei zwei Kindern sind das dann 800€. Die meisten Eltern werden das wahrscheinlich finanziell nicht hinbekommen
 

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