Schlechte Schüler: woran liegt das eigentlich genau?

Alle hatten Deutsch als Muttersprache, und da die soziale Kontrolle stärker war, gab es wesentlich weniger Kinder aus Proll-Familien.

Und alle waren Ossis und Kinder von Arbeitern oder Bauern.
Gab's in der DDR Werbefuzzis, Mode-Bloggerinnen oder Social-Media-Manager?
Die dürfen sich in der BRD ja auch alle vermehren und ihren Nachwuchs in die Schule schicken ;-)
 
Blabla...:007:
@schmickus: leider war leistungsbereitschaftsmäßig nix homogen. Alles wurde von Anfang bis Ende durchgeschleppt.
Die Guten hatten Patenschaften und mussten den "Dummen" Nachhilfe geben, die dann am Schuljahresende für die Verbesserung von 5 auf 4 (oder so) eine Auszeichnung bekamen. :009:
 
ich erinnere mich, dass du das große Pech hattest, so aufgewachsen zu sein und diese Erfahrung gemacht zu haben.

Jein. Rheinland-Pfalz gehörte zu meiner Zeit noch zu den schulpolitischen "Goldenen 3" mit BaWü und BY. Das frühere Gymnasium war okay (drei Leistungskurse), eine starke Sek I- und FOS-Landschaft. Das war mal.

Wer es nicht packt, fährt hier nach Hessen rüber.

:021: Ist Hessen immer noch Auffangbecken?

Das stolze und schöne Wiesbaden ächzte traditionell unter den Mainzer und rheinhessischen Schulpendlern. Von Zeit zu Zeit wurde dort die Forderung erhoben, RLP solle für seine Schulpendler entlang der langen gemeinsamen Grenze zu Hessen gefälligst extra bezahlen.

Wie es heute aussieht, nach Jahrzehnten Rot, Rot-grün, Rot-gelb und "Ampel" und dementsprechenden Experimenten in RLP, entzieht sich meiner Kenntnis. :schweigen:

Meine in BY aufgewachsene Nichte hatte eine (bayerische!) Empfehlung für die (bayerische!) Realschule, als just zum Schuljahrs- und Stufenwechsel ein Umzug nach MZ anstand. Wer die Bildungspolitik einzelner Länder nicht aufmerksam aufm Kieker hat, denkt sich ja nix dabei, wenn er "Realschule plus" liest. :004: Klingt irgendwie nach "Realschule mit Zusatzoptionen". :021: Das war ein böses Erwachen! Es gibt in RLP keine handelsüblichen Realschulen mehr, sondern letztere wurden mit den Hauptschulen (und damit auch den Hauptschülern) zusammengelegt. Begründung: "Hauptschule" habe den Ruf der "Restschule" (was weitgehend der Realität entsprach) und sei in sich eine Diskriminierung. Also schaffe man die Hauptschule ab und lege sie mit den Realschulen zusammen. Kein Scherz und offiziell nachzulesen. Der rheinland-pfälzische Euphemismus "Realschule plus" bedeutet Realschule plus Hauptschule. Wer es irgendwie packt, rettet sich also auf die Integrierte Gesamtschule.

Warum regt sich eigentlich niemand über die Ungerechtigkeit auf, dass ein in Bremen oder Berlin erworbenes Abitur deutlich weniger wert ist als ein bayerisches? :konfus:

Alle hatten Deutsch als Muttersprache, und da die soziale Kontrolle stärker war, gab es wesentlich weniger Kinder aus Proll-Familien.

Eben. Sooo sehr unterschied sich die Gesellschaftsstruktur im westlichen Deutschland noch nicht von den östlichen Bundesländern.
Dass es "alles zu kaufen" gab, bedeutet nicht, dass die Normalverdiener sich "alles kaufen konnten", weil die durchschnittlichen Einkommen in Relation zu den damaligen Preisen sehr niedrig waren.

Das Einkommen und die Kaufkraft werden überschätzt. Es ist der Spirit. Ob es egal ist, wenn man sich "asozial" und bildungsverweigernd verhält, oder ob es verpönt ist. Soviel ich weiß, wurde in der DDR die gesellschaftliche Verweigerungshaltung nicht mit Laissez-faire begegnet.


Wo waren wir vor diesem historischen Exkurs stehengeblieben? Ach ja, beim "Lernen"-Lernen.
Lerntechniken können nur dann erlernt werden, wenn es zum Erreichen des Klassenziels nicht reicht, im Unterricht aufmerksam zuzuhören.
 
Warum regt sich eigentlich niemand über die Ungerechtigkeit auf, dass ein in Bremen oder Berlin erworbenes Abitur deutlich weniger wert ist als ein bayerisches?
Die Frage macht überhaupt keinen Sinn, weil sie eine absurde Behauptung enthält. Genau so könnte man fragen: Warum geht jeder gerne zum Zahnarzt?
Wo waren wir vor diesem historischen Exkurs stehengeblieben?
Bei Deinem berechtigten Hinweis, dass das Schulniveau sinkt, verbunden mit der zweifelhaften Begründung, dass das am möglichst langen gemeinsamen Lernen liegt. Ich würde es genau gegenteilig begründen.
 
Jein. Rheinland-Pfalz gehörte zu meiner Zeit noch zu den schulpolitischen "Goldenen 3" mit BaWü und BY. Das frühere Gymnasium war okay (drei Leistungskurse), eine starke Sek I- und FOS-Landschaft. Das war mal.

Stimmt und deshalb erhielten wir Abiturienten aus den Bundesländern Bayern, BW und RLP einen Bonus auf unseren Abischnitt, damit wir bei der Bewerbung auf NC-Fächer nicht benachteiligt waren.
Zur Verdeutlichung des Unterschiedes eine wahre Begebenheit aus meiner Klasse, über die wir uns damals köstlich amüsiert hatten: Das Halbjahreszeugnis eines Klassenkameraden führte in der achten Klasse drei Fünfen auf und er drohte sitzenzubleiben. Sicherheitshalber wechselte er daher zum zweiten Schuljahr auf ein Gymnasium in der hessischen Nachbarstadt, das damals für seine gute Förderung ihrer Schüler bekannt war. @Barratt wird ahnen, welches Gymnasium mit dem Namen eines deutschen Forschungsreisenden ich meine :005:.
Wie von den Eltern erhofft, blühte ihr Sohn dort auf, wurde Klassenbester, konnte zur zehnten Klasse als Einserschüler wieder zurück auf unsere Schule und.......blieb zum Ende des Schuljahres prompt sitzen. Ob unser Schulsystem wirklich besser war, kann ich nicht sagen, aber es wurde auf jeden Fall mehr verlangt, strenger zensiert und dadurch auch stark aussortiert. In meiner neunten Klasse blieben von 34 Schülern 13 sitzen. Realschulen hatten aber damals ein durchaus noch gutes Image und die Hauptschule war keine Restschule sondern der von der Mehrheit der Schüler selbstverständlich besuchte Schultyp, in dem die Schüler durchaus Bildung erfuhren, wie ich heute im Kontakt mit ehemaligen Hauptschülern feststellen darf. Schüler mit Lern- oder Verhaltensschwierigkeiten wurden auf Sonderschulen gefördert.

Ich persönlich fand diese Aufteilung gut, weil man in einigermaßen homogenen Gruppen zielgerichteter und konzentrierter unterrichten kann. Für "Spätzünder" oder Schüler, die aus anderen Gründen zunächst "nur" die Hauptschule besuchten, war die Durchlässigkeit auch damals durchaus gegeben.

Und heute? Die Hauptschule wurde mit Realschulen zusammengelegt und da man zwar die Hauptschulen jedoch nicht die Hauptschüler abschaffen kann, wurden in der Folge in erster Linie die Realschulen abgeschafft, denn Eltern melden ihre Kinder mit Realschulempfehlungen sicherheitshalber lieber auf einer IGS an. Dort gibt es jedoch nicht genügend Plätze, also landen viele Realschüler auf den Gymnasien. Manche schaffen es dort, aber viele drücken zunächst das Niveau in den Klassen um die Schule dann nach der sechsten oder spätestens siebten Klasse doch wieder verlassen zu müssen.
Das füllt dann zwar ab der siebten Klasse wieder die Realschule plus auch mit Realschülern, allerdings mit solchen, die sich gerade als Schulversager fühlen dürften.

Warum eigentlich mein ganzes BlaBla? Ein differenzierendes gemeinsames Lernen, wie es z.B. in Skandinavien erfolgreich praktiziert wird, ist bei uns nicht möglich, weil am Lehrpersonal gespart wird. Zwei oder sogar drei Lehrer in kleinen Klassen wie in Skandinavien ist bei uns noch keine Realität. Unsere vielen in einer für sie persönlich ungeeigneten Schulform sitzenden Schüler erleben daher täglich Rückschläge, Über- und Unterforderung, unruhige Klassen, überforderte Lehrer...Dazu dann noch die Reizüberflutung durch soziale Netzwerke. Kein Wunder, wenn auch der Instrumentalunterricht leidet.
 
@Klimperline Ein mögliche Erklärung für die Verbesserung des von dir genannten Schülers ist auch, dass er sich mit dem Schulwechsel stärker engagiert hat, während er vorher faul gewesen war. Erfolgserlebnisse wirken eben auch leistungssteigernd. Die Gegner langen gemeinsamen Lernens übersehen, dass Lernen immer ein dynamischer Prozess ist und dass frühe Trennung Entwicklungsmöglichkeiten während der Schullaufbahn von vornherein ausschließt oder zumindest deutlich erschwert. Aber - und das ist ja Konsens bei allen außer den Entscheidungsträgern - dies geht nur mit mehr Personal. Sonst haben die Schwächeren und auch die Stärkeren nichts davon.
 
Sicherheitshalber wechselte er daher zum zweiten Schuljahr auf ein Gymnasium in der hessischen Nachbarstadt, das damals für seine gute Förderung ihrer Schüler bekannt war. @Barratt wird ahnen, welches Gymnasium mit dem Namen eines deutschen Forschungsreisenden ich meine :005:.
Haha, ich war in den 90ern auch auf der westlichen Rheinseite auf einem Gymnasium. Das Gymnasium von dem Du sprichst, fing aber in unserer Umgagssprache mit D an.... :007:

Aber in den 90ern war es ja auch schon so weit, dass es ausgereicht hat nach Mainz auf die IGS zu wechseln, um im Schnitt zwei bis drei Noten besser zu sein. Auf die andere Rheinseite zu fahren war nicht mehr nötig.
 

Haha, ich war in den 90ern auch auf der westlichen Rheinseite auf einem Gymnasium. Das Gymnasium von dem Du sprichst, fing aber in unserer Umgagssprache mit D an.... :007:

Oha, in den 90ern immer noch? Es fing ja eigentlich mit H an, aber D passt natürlich viel besser.:-D

Mein Erlebnis samt aller allgemein bekannten Witzchen über Spießbaden im Allgemeinen und diese eine Schule im Besonderen stammt aus dem Anfang der 70er-Jahre und da war der Unterschied sicherlich noch viel größer. Eine IGS als Ausweichmöglichkeit war noch nicht eingerichtet, also gab es Schülerströme in beide Richtungen. Weniger Begabte oder faule Säcke, die auf dem Gymnasium bleiben wollten, wechselten zur rechten Rheinseite, wer etwas lernen wollte oder als Bewohner der AKK-Stadtteile schlicht nur über die Rheinbrücke statt kilometerweit zur Wiesbadener Innenstadt fahren wollte, wechselte zur linken Rheinseite, was dann aber irgendwann beschränkt wurde als der Anteil hessischer Schüler immer weiter anstieg und das Land RLP deren Ausbildung nicht mehr finanzieren wollte. Der Anteil war übrigens zu der Zeit rapide angestiegen, als es in den drei ehemaligen Mainzer Stadtteilen auf der rechten Rheinseite plötzlich gar keine Gymnasien sondern nur noch Gesamtschulen gab, die anfangs von vielen Eltern abgelehnt wurden.
 
Ich habe ein Großteil meiner Schulzeit in skandinavischen Ländern verbracht und war daher bis zur 9. Klasse mit allen Schülern zusammen- sogar mit geistig behinderten.
Trotz diesem vermeintlichen Nachteil habe ich stressfrei ein deutsches Abi- OK, nur Schleswig- Holstein und danach ein Ingenieurstudium (nicht ganz so Stressfrei, dafür in München und in Regelstudienzeit) hinbekommen.
Das Lernen in Schweden war definitiv anders- ein klein bißchen so, wie hier in guten Montessori Schulen. Weniger Frontalunterricht und im Verhältnis mehr Lehrer. Gelitten habe ich unter den Lernschwächeren definitiv nicht. Das sozial schwierigste Wesen meiner Grundschulklasse (in Schweden bis zur 9.) war hochintelligent und ist heute Geschäftsführer einer Bank....
In Schweden waren die Grundschulen Ganztags und wir haben NIE Hausaufgaben gehabt. Alles was mit schulischer Bildung zu tun hatte, fand auch in der Schule statt.
Das Ziel war ALLEN Kindern die erfolgreiche Teilnahme an der Gesellschaft zu ermöglichen.
Trotzdem gab es Kernfächer, in denen ein deutlich höheres Niveau unterrichtet wurde, als hier auf dem Gymnasium. Wobei ich gelesen habe, dass Schweden einen signifikant höheren Anteil des BSPs in Bildung investiert. Daher vermutlich die höhere Lehrerdichte (bei Hauptfächern ca. 10 Schüler pro Lehrer bis zur 9.- den genauen Teiler kenne ich nicht)
 
Wie von den Eltern erhofft, blühte ihr Sohn dort auf, wurde Klassenbester, konnte zur zehnten Klasse als Einserschüler wieder zurück auf unsere Schule und.......blieb zum Ende des Schuljahres prompt sitzen.

Wie krass die Unterschiede zwischen den Schulen verschiedener Bundesländer sind, habe ich selbst miterlebt. So fühlte ich mich beim Umzug von Bayern nach NRW zum Ende der vierten Klasse doch glatt wieder in den Kindergarten zurückversetzt.

Wenn ich allerdings so etwas wie das von Dir oben Geschriebene lese, muss ich dennoch zuerst an soziale Probleme (Mobbing) denken...
 
Klimperli, schön, dass auch andere RPLer sich für den drastischen Wandel der hiesigen Schulpolitik interessieren. :kuscheln: Ich hab´s aus zwei Perspektiven erlebt. Mein Vater war Schulleiter und meine Mutter arbeitete im Götte- und später Ahnen-Ministerium.

die Hauptschule war keine Restschule sondern der von der Mehrheit der Schüler selbstverständlich besuchte Schultyp, in dem die Schüler durchaus Bildung erfuhren, wie ich heute im Kontakt mit ehemaligen Hauptschülern feststellen darf.

Aber hallo! Eine sehr gute Freundin von mir, ein halbes Jahr älter und daher eine Klassenstufe oberhalb, machte mit ihrem Hauptschulabschluss eine sehr schöne Karriere bei der Bank. Für diese Laufbahn braucht man heutzutage Abitur und "Studium".

Der Niedergang der Hauptschule (bzw. ihr systematisch betriebener Ruin) gehört zu den tragischsten Kapiteln der Bildungspolitik in der Nachkriegszeit.

Eine IGS als Ausweichmöglichkeit war noch nicht eingerichtet

Es gab ein jahrzehntelanges Ringen zwischen dem Land, das für die Schulpolitik zuständig ist, und der Stadt (in unserem Fall Mainz), die Schulträger ist. Allein schon dieses Konstrukt ist gaga, aber die Kommunen wollen es ja nach wie vor so. Also rang eine seit Jahrzehnten SPD-geführte Kommune mit einem seit Jahrzehnten CDU-geführten Land darum, wie der Schulträger (die Stadt) eine zusätzliche Schulform samt Gebäude, Infrastruktur und Personal unter Beibehalt der existierenden Schulen aus dem chronisch klammen Stadtsäckel leiert, und das in einer Phase rückläufiger Schülerzahlen. Man könnte böswillig sagen: Aus rein ideologischen Gründen völlig am Bedarf vorbei.

Der Schulträger entzog den existierenden Schulen Haushaltsmittel, allen voran den Hauptschulen. Besonders augenfällig wurde es bei den "Zusammenlegungen". Frei werdende Schulleiter- und Lehrerstellen wurden auf diesem Weg eingespart. Kurz: Eine Schule mit nunmehr zwei oder mehr Standorten musste mit dem Budget von davor zwei Schulen klar kommen. Bedenkt man zusätzlich, dass es sich dabei jeweils um "Grund- und Hauptschule" handelte, hatte eine Schulleitung plötzlich VIER Schulen an bis zu vier Standorten zu managen.

Nach dem Regierungswechsel 1991 gab es vollen Rückenwind für die langfristig verfolgte Strategie: Alles für die IGS. Das Gymnasium konnten sie (noch) nicht platt machen – aber welche Lobby hat die Hauptschule außer den tapfer kämpfenden Schulleitern, die nicht nur das finanzielle und infrastrukturelle Ausbluten ihrer Schulen beobachteten "durften", sondern auch den vermehrten Zugang einer schwierig zu beschulenden Schülerschaft?

Aufgrund des ohnehin anstehenden Generationenwechsels flohen bis zum Ende des Jahrzehnts die meisten Schulleitungen aus der Vor-Scharping-Zeit in Pension. Da man nun auch das Kultusministerium in der Hand hatte, wurden an die staatlichen Schulen linientreue Schulleiter berufen (die SPD, das muss man ihr lassen, betreibt konsequente Kaderpolitik, meine Mutter hat es im Götte-Ministerium erlebt – jede neue oder frei werdende Stelle bis zur Putzkraft wurde mit Genossen besetzt, kein Scherz!)

muss ich dennoch zuerst an soziale Probleme (Mobbing) denken...

Das besagte H. bzw. "D." ;-) ist keine staatliche Schule. Die Verballhornung von H. zu "D." resultiert nur aus der Beobachtung rheinland-pfälzischer SuS, dass die Underachiever der Klasse dort ihr Glück versuchten und meistens auch fanden. Falls die Eltern es sich leisten können, übrigens. Der Besuch dort kostet Geld, und zwar nicht wenig.

"Was nix kost´ (staatl. Schule) is aach nix wert" (alte rheinhessische Volksweisheit). Wenn die Eltern also pro Monat für den Schulbesuch des Sprösslings eine erhebliche Summe abzudrücken bereit sind, sind das a) keine Armen und b) keine Dummen. Wenn Schule plötzlich richtig was kostet, wird "Faulheit" weniger geduldet. Allein schon deshalb werden die SuS ernsthafter lernen.

Noch dazu ist das eine hervorragende Schule, die für ihr Geld wirklich was bietet.

In dem von Klimper genannten Fall tippe ich darauf, dass der betreffende Schüler tatsächlich Schulprobleme und mit Sicherheit keine "sozialen Probleme" hatte.
 
Der Niedergang der Hauptschule (bzw. ihr systematisch betriebener Ruin) gehört zu den tragischsten Kapiteln der Bildungspolitik in der Nachkriegszeit.

Das ist aber auch ein Produkt der in der Gesellschaft vorherrschenden Mentalität. 1970 hat der durchschnittlich intelligente Mensch seinen Hauptschulabschluss gemacht und dann eine Lehre bei uns in NRW meist für die Industrie begonnen. Man gehörte dann zur Mittelschicht und war damit zufrieden. Heute meint jeder, er müsse etwas ganz Besonderes sein und jeder hätte besondere Talente etc. So meint auch jeder, sich für intellektuell zu halten, das Abitur bekommen zu müssen, etwas Besonderes, Selbstverwirklichendes studieren etc. Und jeder Hohlkopf, der "sich bemüht" wird dann belohnt.
Und so gibt es dann immer mehr, die das Abitur machen wollen, was dann immer einfacher wird. Trotzdem beschweren sich immer mehr, dass das Abitur zu schwer sei, weil es als immer selbstverständlicher angesehen wird, ein Abitur und das auch mit guten Noten zu erreichen. Und so entsteht das Paradoxon, dass das Niveaulimbo eigentlich eher zu mehr Druck führt

Und das spiegelt sich auch in anderen Bereichen wieder. Ich bin beispielsweise Radrennen gefahren für ein paar Jahre. Früher war es so, dass niemand einfach so auf die Idee kam, ein Radrennen zu fahren, wenn er ein paar tausend km auf einem Rennrad gesessen hat. Wenn man da kein leistungsorientierter Amateursportler war, wäre man nie auf die Idee gekommen, ein Radrennen zu fahren. Und heute gibt es Jedermannrennen, bei denen 55jährige mit 100+kg mit 30km/h dahinkriechen. Die können dann erzählen, oh toll, ich bin ein Radrennen gefahren und ihr Ego pushen, obwohl sie eigentlich selbst wissen, dass sie nicht viel erreicht haben.

Auch in den allermeisten Studiengängen gibt es diesen Trend. Ich glaube, Musik ist so ziemlich der einzige Bereich, bei dem es an den Hochschulen eher steigende Leistungen als sinkende gibt.
Das liegt hier wohl an der Zuwanderung, die in vielen anderen Bereichen eher für ein sinkendes Niveau sorgt.
Den Trend zum Hochloben von minderwertigen Leistungen, um sich selbst für etwas Besonderes zu halten oder jedes Individuum zu etwas Besonderem zu machen, gibt es aber auch in der Musik.

Und ich glaube, das führt dennoch zu Unzufriedenheit. Ich erinnere mich beispielsweise an meinen ehemaligen Lateinlehrer an meinem katholischen Gymnasium, der ein extrem hohes Leistungsniveau abverlangte. Auch ein Schüler, der aus Bayern zu uns kam, war zu Beginn völlig überfordert und hat nur aus Nettigkeit noch eine 5 auf dem Zeugnis bekommen. In jeder Klausur in den Klassen 7-9 (Beginn ab der 5.) gab es Sechsen, kein einziges Mal eine 1.
Und hinterher waren alle, die bei ihm das Latinum gepackt haben stolz, er war trotz aller Strenge beliebt und eine 2 oder 3 war etwas wert.
Da bringen Noteninflation und Niveaulimbo nicht mehr Zufriedenheit.
 
In dem von Klimper genannten Fall tippe ich darauf, dass der betreffende Schüler tatsächlich Schulprobleme und mit Sicherheit keine "sozialen Probleme" hatte.

So ist es. In einem Arbeitszeugnis würde stehen: XY war bei seinen Kollegen äußerst beliebt und sorgte stets für gute Stimmung.:-DEr verstand unsere Frotzeleien sehr gut, galten sie doch nicht nur ihm sondern zahlreichen anderen Mainzer Schülern, die entweder wechseln "mussten" oder schlicht auf einem einfacheren Weg zu einem besseren Abischnitt kommen wollten. Es gab und gibt in diesem privaten hessischen Gymnasium eine besondere Förderung und Nachhilfe für die Schüler und zusätzlich waren damals die Anforderungen in Hessen schlicht geringer als in RLP, BW und Bayern, auch wurde weniger streng benotet. Ich habe noch ein paar alte Klassenarbeitshefte aufgehoben und kann daher beweisen, dass bei uns ein Fehler direkt eine 2 bedeutete, zwei Fehler eine 3. In einem meiner Aufsätze (!) findet man ein zusätzliches rotes Komma und unter der Arbeit die Begründung: Wegen Kommafehler nur 1 minus.

In der Oberstufe hatten wir drei Leistungsfächer zu belegen, andere Bundesländer begnügten sich mit derer zwei, zudem durften Schüler in manchen Bundesländern auch Kernfächer abwählen oder beide Leistungsfächer aus demselben Fächerkanon belegen, z.B. zwei naturwissenschaftliche Fächer. Wir hingegen konnten uns unbeliebter Fächer nicht einfach entledigen. Mathe, Deutsch, eine Naturwissenschaft, eine Fremdsprache und GK (Gemeinschaftskunde bestehend aus Geographie, Geschichte und Sozialkunde) waren Pflicht bis ins Abi und mussten entweder als Grund- oder als Leistungsfach belegt werden. Nebenfächer wurden zumindest an meiner Schule als Leistungsfächer erst gar nicht angeboten. Ich selbst bin dann noch in einem sog. "Intensiv-Leistungskurs" gelandet, den ich so nicht gewählt hatte sondern mir einfach zugewiesen worden war. Er war toll, wurde von nur neun Schülern besucht und fand phasenweise in der Uni statt, wissenschaftliche Experimente mit eingeschlossen. Manche Themenbereiche wie z.B. die organische Chemie wurden dabei tiefgehender behandelt als im späteren Studium. Die Benotung allerdings berücksichtigte den höheren Anforderungsgrad in keinster Weise und dies alles in einer Zeit als zahlreiche Studienfächer mit einem zentralen oder zumindest internen NC belegt waren und von wenigen Ausnahmen abgesehen nur der Abischnitt zählte. Ja, es gab einen Bonus, aber der bewertete dann einen Abischnitt von z.B. 2,6 mit 2,4 obwohl man in einem anderen Bundesland bei gleicher Leistung eher eine 1 vor dem Komma gehabt hätte.

Kein Wunder also, dass H im Zweifelsfall so beliebt war, trotz aller Frotzeleien.

Das eingepaukte Wissen ist fast vollständig perdu, weil ich es nach dem Abi nicht mehr gepflegt habe. Fragt mich also bitte nicht, wie man einen Kreis berechnet, was das Ohmsche Gesetz ist oder was der lateinische Satz xy auf deutsch bedeutet. Ohne Google bekomme ich es nicht mehr hin, genau wie heutige Schüler :girl:
 
und kann daher beweisen, dass bei uns ein Fehler direkt eine 2 bedeutete, zwei Fehler eine 3. In einem meiner Aufsätze (!) findet man ein zusätzliches rotes Komma und unter der Arbeit die Begründung: Wegen Kommafehler nur 1 minus.

:super: Mir brauchst Du das nicht zu beweisen, ich habe genau das auch erlebt. Exakt das gleiche. Wenn ich diese Beispiele (ja, genau diese!) heute jemandem erzähle, der lacht mich aus und bezichtigt mich des Spinnens von Seemannsgarn. Dabei hinterließ die einzige 3, die ich je in einer Deutscharbeit hatte, einen so nachhaltigen Eindruck bei mir, dass ich mich bis zum heutigen Tag an die beiden Fehler erinnern kann. :girl:

1970 hat der durchschnittlich intelligente Mensch seinen Hauptschulabschluss gemacht und dann eine Lehre bei uns in NRW meist für die Industrie begonnen. Man gehörte dann zur Mittelschicht und war damit zufrieden. Heute meint jeder, er müsse etwas ganz Besonderes sein und jeder hätte besondere Talente etc. So meint auch jeder, sich für intellektuell zu halten, das Abitur bekommen zu müssen, etwas Besonderes, Selbstverwirklichendes studieren etc. Und jeder Hohlkopf, der "sich bemüht" wird dann belohnt.
Und so gibt es dann immer mehr, die das Abitur machen wollen, was dann immer einfacher wird. Trotzdem beschweren sich immer mehr, dass das Abitur zu schwer sei, weil es als immer selbstverständlicher angesehen wird, ein Abitur und das auch mit guten Noten zu erreichen. Und so entsteht das Paradoxon, dass das Niveaulimbo eigentlich eher zu mehr Druck führt

Richtig, und das Aberwitzige daran ist, dass die früheren Hauptschüler mit ihren gutgehenden Handwerksbetrieben mehr verdienen als ich als promovierter Geisteswissenschaftler. Ich finde das übrigens vollkommen in Ordnung!!!

Plöht daran ist nur, dass sich der potenziell erfolgreiche Handwerker heutzutage durch Abitur samt "Studium" quält, "irgendwas mit Marketing" (©), und dabei nie erfährt, dass er ein solider und gut verdienender Handwerker hätte werden können. :007:
 
Plöht daran ist nur, dass sich der potenziell erfolgreiche Handwerker heutzutage durch Abitur samt "Studium" quält, "irgendwas mit Marketing" (©), und dabei nie erfährt, dass er ein solider und gut verdienender Handwerker hätte werden können.

Das ist auch eine Prestigesache. Man will halt sagen können, man sei etwas Tolles, Intellektuelles. Ich habe beispielsweise eine Freundin, die kürzlich ihren Germanistikmaster fertig gemacht hat und (keine Übertreibung) knapp über dem Mindestlohn verdient. Sie verdient in etwa 55% von dem, was eine Krankenschwester im Mittel verdient oder 63% von dem, was eine Erzieherin im Mittel verdient.

Aber ohne Studium fühlt man sich heute häufig irgendwie minderwertig. Ich kenne angestellte Handwerker (Elektrikermeister) mit über 100000€ Jahreseinkommen, ich als mich gerade bewerbender Absolvent der Ingenieurwissenschaften freue mich schon über weniger als die Hälfte.

Man darf grundsätzlich zwei Sachen nicht bei Gehältern erwarten:
1. Leistungsgerechtigkeit
2. Dass Leistungsgerechtigkeit irgendeine Berufsrangfolge darstellt. Viele meinen, es müsste in etwa so sein MINT-Fächer/Medizin > Wirtschaftswissenschaften > Lehrer > Geisteswissenschaften > kaufmännische Ausbildung > Industrieausbildung > Dienstleistungsausbildung
So eine Rangfolge kann auch nie Leistungsgerechtigkeit abbilden. Ein Handwerker kann unglaubliches Talent haben und mehr leisten als viele Akademiker.

Und die soziale Anerkennung für den profanen Handwerker ist halt nicht mehr da, obwohl die Jobsicherheit und Gehaltsaussichten gut sind. Und damit wächst die Unzufriedenheit und das Anspruchsdenken.
 
Ich checke nicht, wie man etwas studieren kann, ohne sich zu überlegen, wie man denn dann konkret Geld zu verdienen beabsichtigt.

Aber vermutlich spekuliert Deine Bekannte darauf, dass sie sich einen gut verdienenden Mann an Land zieht.
 

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