Niedrige Honorare an Musikschulen

Das ist nicht richtig.

In der Unterschicht stimmt das; da findet das statt, was z.B. im Film "Idiocracy" satirisch dargestellt wird.

In der Mittel- und Oberschicht ist das Interesse an Kultur ungebrochen; man hat nur keinen Bock mehr, dafür zu bezahlen! (Während für fette Autos, Urlaube, dauernd auswärts essen und trinken etc. stets genug Kohle da ist.)
Womit zwei Dinge dokumentiert wären:
1. "Häwwe kütt von halde", wie man in Rhein-Nähe zu sagen pflegt. Vom Geldausgeben wird keiner reich - vielmehr sitzen viele auf selbigem, anstatt es auszugeben. Da bleibt es nicht aus, dass man als Anbieter kultureller Leistungen am härtesten mit denen über das Honorar verhandeln muss, die wirtschaftlich am besten dran sind. Aus Angst, den Job an noch genügsamere Mitanbieter zu verlieren, verkaufen sich viele unter Wert. Und wer erst einmal das Stigma des Billigheimers anhaften hat, braucht einen langen Atem, um sich aus dieser Falle zu befreien. Dass das Selbstwertgefühl unter ewigen finanziellen Engpässen meist abnimmt, erschwert die Sache nochmals.
2. ist alles eine Frage der Priorität. Es ist für viele eine Selbstverständlichkeit, dass Künstler mit wenig zufrieden sein können. Alles flammende Idealisten, die froh sind, für ihre unproduktive Hobbytätigkeit überhaupt ein paar Brosamen von den reich gedeckten Tischen abzubekommen - irgendwann muss dieses prekäre Bild ja mal entstanden sein. Andererseits gibt es in vielen Sportvereinen (auch hier geht es um den Hobbybereich und Freizeitsektor) einen regelrechten Wettbewerb der Mitglieder um die noch teurere Sportausrüstung (ohne Markenklamotten geht nix), und jeder zahlt ohne zu meckern. Dem gegenüber begeben sich viele Gesangvereine mit kopierten Notenblättern auf die Bühne, weil die meist gutbürgerlich einzustufenden Mitglieder keine Originalnoten kaufen wollen und bei einer Fünf-Euro-Umlage mit dem Vereinsaustritt drohen. Wahrscheinlich spielt sich der größte anzunehmende Änderungsbedarf eher in den Köpfen unserer Mitbürger(innen) ab...

meint Rheinkultur
 
Bechsteinfreund, es ist einfach so wie mit anderen Dingen, für die man andere Menschen bezahlt.

Früher (so 70er, 80er Jahre), als alle noch im Mittelstands-Wohlstands-Paradies Westdeutschland lebten, war die allgemeine Parole, daß jedermanns Arbeit was wert ist und angemessen bzw. immer besser bezahlt gehört - sich der allgemeinen Entwicklung anpassend. Dazu gehörte auch der erfolgreiche Kampf für Arbeitszeitverkürzung, der heute nahezu vergessen scheint.

Heute, da überall Schulden überhand nehmen und Wirtschaftsunternehmen unfaßbar "auf Kante gestrickt" sein müssen, um klarzukommen, versucht man hingegen, jedem nur so viel zu bezahlen, daß er nicht meutert oder die gewünschte Dienstleistung unterläßt.

Das bedeutet jedoch nicht, daß die Dienstleistung deshalb weniger gefragt wäre - es hat sich lediglich die Vorstellung extrem durchgesetzt, daß man "schön blöd" wäre, wenn man auch nur einen Cent zu viel bezahlte bzw. nicht versuchen würde, den Preis zu drücken.

Anderes Beispiel, das mir gerade einfällt: In den 90er Jahren konnte ich zu Musikschüler-Eltern sagen: "Nächste Woche kann ich Mittwoch nicht. Wann würde es Ihnen als Ersatztermin passen?", und es war gar nicht so selten, daß die dann antworteten: "Naja, ist schwierig; aber ist schon ok, kein Problem, dann fällt das halt mal aus." (Natürlich habe ich die Stunde ein andermal dennoch nachgegeben.)
Das wäre heutzutage absolut undenkbar, daß Eltern so antworten. Anderen wird NICHTS geschenkt, selbst wenn genug Kohle da ist.

Und das Musikschulsekretariat muss SEHR oft Eltern, auch wohlhabenden, Wochen und Monate hinterherrennen und mahnen, weil die ihre Gebühren nicht bezahlt haben. Unglaublich, was für Geschichten man da hört und was unter der scheinbar gutbürgerlichen Fassade so abgeht.

LG,
Hasenbein
 
Hasenbein, das stimmt! Wir beobachten hier kein abnehmendes Interesse an der Kultur, sondern lediglich die abnehmende Bereitschaft dafür zu zahlen. Gleichzeitig wird jedoch großzügig in Sport, teurer Sportbekleidung, Autos oder Ähnliches investiert. Wahrscheinlich hast du recht und diese Dinge sind den Konsumenten nicht zwingend wichtiger als Musik, trotzdem wird bevorzugt dafür Geld ausgegeben. Warum?
Wahrscheinlich ist es ein Phänomen unserer Gesellschaft und Zeit, vorrangig Geld für Dinge auszugeben, mit denen eine schnelle und möglichst widerstandslose Befriedigung erreicht werden kann.

LG
Bechsteinfreund
 
Es geht doch schon damit los, daß z.B. Studenten kein Problem haben, sich immer mal ein Käffchen oder einen Snack zu gönnen oder auch mal essen zu gehen, aber wenn ein Jazz-Konzert 10 Euro Eintritt kostet, heißt es: "Nee, zu teuer!" (Einfach weil es andere Konzerte gibt, die nur 4 oder 6 Euro kosten.) Oder man kommt irgendwann in der 2. Hälfte, wenn man damit rechnen kann, keinen Eintritt mehr bezahlen zu müssen...
 
Im Endeffekt ist das doch nichts als Verallgemeinerung - sagt die Studentin, die sich nun mit dem eben gekauften Kaffee in ihre Lehrveranstaltung gesetzt und trotzdem gestern 20€ für einen Liederabend von Anna Prohaska ausgegeben hat.
 
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Rheinkultur:
Ich hätte da mal 'ne Frage: Wann ist eigentlich der Mythos entstanden, dass eine Arbeit erst als etwas Ernstzunehmendes anerkannt wird, wenn man die Anstrengung beim Ausführenden spüren kann?
Sehr schöner Einwand. David Garrett sagt darüber, dass man auf keinen Fall sehen sollte, wie anstrengend Musik machen ist. Man kann nur ein gutes Konzert geben, wenn es einem absolut leicht fällt. Es darf nicht anstrengen. Der Weg bis zum Konzertabend ist das Anstrengende.

Was die Priorisierung von Geldausgaben angeht: Da gebe ich Euch absolut Recht. Es nervt mich gewaltig, wenn sich Leute über Preise jeglicher Art aufregen und ich ihnen dann immer vorrechne, für welchen Mist sie Geld ausgeben und gleichzeitig für ihre eigenen Dienste erwarten..
Hasi, spielst Du auch in Berlin oder Nähe? Wann und wo? Ich gebe gerne das 5fache aus!
 
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Rheinkultur: Sehr schöner Einwand. David Garrett sagt darüber, dass man auf keinen Fall sehen sollte, wie anstrengend Musik machen ist. Man kann nur ein gutes Konzert geben, wenn es einem absolut leicht fällt. Es darf nicht anstrengen.

Unsinn. Es strengt an, Peng, aus. Auch Garrett geht nicht gemütlich pfeifend nach dem Konzert nach Hause, als wär nix gewesen.

Es ist wie beim Sex: Bin ich scharf auf meine Freundin / Frau, fällt es mir absolut leicht, in die Stimmung zu kommen und die Energie aufzubringen, mit ihr ins Bett zu gehen. Dennoch ist der "Akt" definitiv anstrengend, so freudvoll er auch ist, weswegen man danach ja auch zwar guter Dinge, aber platt ist.

Da werden irgendwie Begriffe durcheinandergeworfen - einmal das mental bedingte "Sich-Anstrengen", "Zusammenreißen", andererseits das unvermeidliche Erschöpftsein nach intensiver Tätigkeit, das ich meine, wenn ich über "anstrengend" rede.

LG,
Hasenbein
 

Oooooh... eiiiiii.... ist da einer ein bißchen wütend und schlecht gelaunt? Muttu nich! Is nich gut für Herz und so! *tätschel*

Das ist so wie beim Autofahrn: hinter der Scheibe zeigt man gerne
jemand den Vogel, schließlich sind ja auch paar Meter Blech dazwischen.
Sollten wir uns jemals begegnen, darfst Du gerne versuchen, mich zu
tätscheln.

In gutgelaunter Erwartung -
 
Es ist wie beim Sex: Bin ich scharf auf meine Freundin / Frau, fällt es mir absolut leicht, in die Stimmung zu kommen und die Energie aufzubringen, mit ihr ins Bett zu gehen. Dennoch ist der "Akt" definitiv anstrengend, so freudvoll er auch ist, weswegen man danach ja auch zwar guter Dinge, aber platt ist.

Clavio ist klasse, wo kommt man sonst von einem Honorarthema zu solchen Erkenntnissen:-)
 
David Garrett sagt darüber, dass man auf keinen Fall sehen sollte, wie anstrengend Musik machen ist. Man kann nur ein gutes Konzert geben, wenn es einem absolut leicht fällt. Es darf nicht anstrengen. Der Weg bis zum Konzertabend ist das Anstrengende.

Interessant, dass sich da die Ansichten so unterscheiden. Ich hab neulich eine Reportage angeschaut (https://www.youtube.com/watch?v=Sl3Mtq99fio) und fand darin ein Interview mit Kissin beeindruckend (ab ca. 51:00). Er sagt:

"Usually, the number of my concerts remains below 50 per year. The paradox is that I love playing in public. On the other hand, each concert is an event for me. I could also say that each concert is a stress for me.

I give a lot. In fact, I give everything I have at that particular moment during my concert. And so, I need some time to ... sort of ... refill myself. I often have problems falling asleep afterwards. Why? [...] During a concert, my adrenaline boils to such a high temperature that it takes a while for it to cool down. Also, after my concerts, when I put on my trousers, I realize each time that I've lost weight.

Sometimes I'm being asked if I ever want to escape from music. And my answer is no. I simply wouldn't find it possible. Even if I don't touch the piano for several weeks in a row, that doesn't mean that I'm escaping from music. Music is always in me and will always remain there. This is the way I am."
 
Übrigens will ich David Garrett nicht zu nahe treten, aber ich würde vermuten, dass genau das hier:

"I give a lot. In fact, I give everything I have at that particular moment during my concert."

ein Unterschied zwischen Kissin und Garrett ist, den man auch hört.
 
Ich werde mir ganz sicher nicht erlauben, zu beurteilen, ob man da was hört. Wüsste auch gar nicht, wie man Garrett und Kissin vergleichen soll.
Aber ich nehme es Garret ab, dass auf der Bühne alles leicht sein muss. Um frei zu spielen, in die Musik einzutauchen, stört jede Anstrengung am Instrument. Selbst als Kind spielte er munter locker fröhlich ohne auch nur den Hauch einer Anstrengung auszustrahlen. Das tat dem Ausdruck der Musik keinen Abbruch, im Gegenteil.
Hier ein schönes Beispiel dazu.
 
Von "beurteilen" hatte ich nichts geschrieben. Letzendlich kann doch eh jeder nur seinen persönlichen Eindruck wiedergeben. Bei manchen ergibt sich der aus sehr viel Kenntnis, bei anderen (wie mir) nicht. Mein persönlicher Eindruck ist, dass David Garrett die Menschen durch die Leichtigkeit seiner Virtuosität begeistert und Kissin die Menschen durch seine seelische Kraft mitreißt. Natürlich kann ich da total falsch liegen, ist doch klar. Damit "erlaube" ich mir gar nichts, außer einen Beitrag in einem Musikforum zu schreiben, obwohl ich von Musik keine Ahnung habe. Es gibt bestimmt Schlimmeres.
 
darfst Du gerne versuchen, mich zu
tätscheln.

In gutgelaunter Erwartung -

Ich glaube, hier liegt ein Missverständnis vor. Hasenbein hat zwar von Sex und Tätcheln gesprochen, aber er wollte in dem Zusammenhang nicht erreichen, dass Du gleich spitz wirst *grins* Ich weiß, ist fies so von der Seite und quasi hinter der Autoscheibe. Sorry.
 

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