Lieber Dreiklang,
Deine Anregung
Wir können gern vielleicht mal im Detail diskutieren
greife ich auf und hoffe, daß Du - anders als in dem sogenannten Anti-Opern-Faden -
imstande bist, in Deiner Replik mehr als nur billige Polemik von Dir zu geben.
Zum besseren Verständnis, warum meine Beißhemmung Dir gegenüber gerade
im Schwinden ist, eine Reihe von Anmerkungen:
Erstmal zu Lang Lang: Ich kenne nur ein paar Einspielungen von ihm,
auf die mich Freunde per "You Tube"-Link hingewiesen haben
(was sind
das für Freunde!). Die Einspielungen klangen ziemlich gruselig,
waren aber auch nicht ungewöhnlich. Lang Lang neigt offenbar
wie viele heutige Interpreten dazu, sein Nichtverstehen der Musik
durch Überartikulation von Details zu kaschieren.
In einem Interview sah ich ihn, wie er pausbäckig das Finalthema
aus Prokofieffs drittem Klavierkonzert vor sich hinbrabbelte -
da wirkte er auf mich eher rührend. Ich weiß nicht, ob er ein cooler
Abzocker ist, der für eine Handvoll Dollar
alles spielt, also auch
diese komische Langnasen-Kunstmusik - oder ein Simplicissimus,
der sich die eigene Pose glaubt und im Übrigen nicht weiß, wie ihm geschah,
als er von Managern hochgepusht und in den musealen Konzertbetrieb
hineingeschmissen wurde.
Zu den "Abbegg"-Variationen: Mir liegen sie nicht, und ich halte sie
für keines der Hauptwerke Schumanns - aber das ist vielleicht eine
Mentalitätsfrage. Mir stehen Arbeiten wie die "Nachtstücke" oder
die "Gesänge der Frühe" und natürlich die "Kinderszenen" näher.
Zu dem hier angestellten Interpretationsvergleich werde ich also
nichts beitragen.
Mir geht es um etwas anderes. Du hast in diesem Thread eine eigenartige
Metamorphose durchgemacht - von jemandem, der erklärt:
Ich verstehe ja nicht allzu viel von Musik.
bis hin zu:
[…] ich könnte […] zu begründen versuchen, warum "mein Ohr" vermutlich
die Art, wie Menschen Musik genetisch bedingt wahrnehmen, am besten nachempfinden kann.
Begründung:
Außerdem, vom Fach bin ich doch auch, nach 30 Jahren im intensivsten Hören von Musik,
oder vielleicht nicht...?
Um Mißverständnisse auszuschließen: Hier wie in jedem Forum
treffen Spezialisten und Laien aufeinander. Ich ergreife nicht Partei
für den Fachmann, im Gegenteil: Es freut mich, wenn sich jemand
der Musik durch intensives Hören nähert, sich mit den Noten und vielleicht
sogar ihrem Entstehungshintergrund beschäftigt und interessante Fragen
dazu stellt. Als Gegengift wider dröges und selbstgefälliges Spezialistentum
ist mir das sogar sehr sympathisch.
Für Diskussionen sollte es aber eine Minimalvoraussetzung geben:
entweder Kenntnisse oder - an deren Stelle - eine gesunde Neugierde
bzw. Lernbereitschaft: der Wille, sich mit etwas Neuem und Unvertrautem
auseinanderzusetzen. Beides vermisse ich bei Dir.
Bei Deinen Elogen auf Lang Lang bekommst Du Mengenrabatt.
Sie interessieren mich nicht, obwohl der Gegensatz zwischen
Lang Lang präsentiert uns in der Carnegie Hall das überhaupt Menschenmögliche
in Präzision im Klavierspiel. Als erster Pianist des Erdballs. Die Grenzen liegen
nur noch im Instrument selbst, nicht mehr im Pianisten.
Lang Lang beweist eine Präzision, die umfassend und grenzenlos ist.
Alle anderen Pianisten bleiben im hoch anspruchsvollen pianistischen Bereich
dahinter weit zurück.
und
Ich selbst kann ja gar keine Aussagen zu maximaler pianistischer Technik treffen.
Dazu fehlt mir der Hintergrund [...]
auch eine Würdigung verdient hat.
Mir geht es um Deine generelle Herangehensweise. Du erklärst:
Ich lese praktisch niemals, allenfalls Wikipedia, und kurze, prägnante Publikationen aus dem Internet. […]
Aber ein Buch zu lesen, strengt mich viel zu viel an, das wichtigste und wesentliche davon herauszusieben
und zu bewerten etc.
Vor allem, wenn ich es gar nicht brauche, und es mich auch gar nicht interessiert, privat, oder für meine Arbeit.
Du wirst mich wahrscheinlich nie mit einem Buch in der Hand finden ;)
und behauptest zugleich:
Ich bilde mir über alles meine eigene Meinung, nach reiflicher Überlegung,
Sichtung von Fakten, Phänomenen, etc. [...]
Das kann man so machen. Ich habe in meinem Leben einige wenig belesene
Menschen kennengelernt, die zugleich sehr tiefsinnige Denker gewesen sind.
Wenn nun aber beides fehlt - das Quellenstudium und die eigene gedankliche
Anstrengung?
Die von Dir so geschätzte Tante Wikipedia mag als schneller Stichwortlieferant
geeignet sein, spürt aber wenig Neigung, ein Thema differenziert darzustellen -
ganz abgesehen von der hohen Fehlerquote und der ärgerlichen Fülle an Halbwahrheiten.
So kommt es, daß Dein Versuch, das "Romantische" bei Schumann zu erfassen,
die allerdümmsten Klischees widerkäut - auf dem Niveau von Konzertführern
und CD-Booklets: Du identifizierst Romantik mit Gefühlsduselei.
Und bei Deinem angeblichen Versuch, etwas aus den Noten zu beweisen,
argumentierst Du - von ein paar Details abgesehen - mit der unfreiwilligen
Karikatur einer Liebesszene, die der Titel in Dir geweckt hat.
Für den schwierigen Begriff "Kitsch" bekommst Du eine Buchempfehlung,
auf die niemand mit sofortiger Lektüre reagieren muß. Könntest Du sie aber nicht
als Anregung ernstnehmen, Dich von einer Klischeevorstellung zu trennen?
Und hier liegt der Hase im Pfeffer:
Und ich erwähne es gern nochmal: mich interessiert unschöne Musik überhaupt nicht
(ich höre sie mir kein zweites mal an). Und langweilige auch nicht - ganz gleich, welcher Name sie nun spielt.
Aus all dem ergeben sich aber auch Probleme - nämlich dann, wenn man das schönste aus all dem herausselektieren will.
Und Schönheit von Musik muß an die konkrete Interpretation gekoppelt sein - denn schön können die meisten Menschen
nur das finden, was sie eben mit den Ohren aufnehmen.
Und die Schönheit von Musik ist doch das, worauf es ankommt.
Dazu wäre eine Menge zu sagen: Man kann Musik auch mit den Augen aufnehmen –
nämlich indem man die Noten liest
und dabei hört; Du hast zu recht erwähnt,
daß der Notentext mit seiner Realisierung nicht identisch ist (ein Mißverhältnis,
das nicht immer zugunsten der Interpreten ausfällt). Schönheit ist bei Dir notorisch
an die Vorstellung von Genuß gekoppelt, was erst dann stimmt, wenn Du sie auch
gedanklich mitvollziehst. Denn sowohl der Notentext als auch seine Realisierung
sind das Ergebnis geistiger Arbeit - eine Form der Erkenntnis, die das Recht hat,
nachvollzogen zu werden. Das ist mehr, als sich von Tönen verwöhnen zu lassen.
Musik erscheint bei Dir als eine Art Handelsware, bei der der Einkäufer zwischen Produkten
gleicher Machart, aber unterschiedlicher Provenienz das Beste "herausselektiert".
Und was sich Dir nicht sofort erschließt, wird in die Tonne gekloppt:
Sagen wir mal so: ich höre diese Musik i.d.R. nicht, und mag sie nicht besonders (bisher) - das hat aber nichts zu sagen.
Und über Sachen, die ich nicht mag, rede ich erst gar nicht - ich meide sie einfach :D
weil ich mir (ist nicht bös gemeint) mein ganzes Leben lang nur die "beste" Musik überhaupt, die ich fand, gemerkt habe;
die nach meinem Ermessen schlechte Musik bzw. zweite Wahl kam bei mir immer sofort auf die Müllhalde,
und ich habe sie mir kein zweites mal mehr angehört...
Der Wikipedia-Artikel zu diesem Begriff ist noch nicht geschrieben worden,
aber das Wiktionary kennt ihn bereits:
Borniertheit.
HG, Gomez
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