Liebe chiarina,
Was ist vollkommene Schönheit?
Was ist "schöner":
dieses Bild
oder dieses
Da würde ich tatsächlich darauf antworten: "Ich würde mich nicht getrauen, das zu entscheiden". Warum? Weil die eine Fotografie einen Teil von Liszts Oberkörper zusätzlich zeigt (was möglicherweise Frauen ansprechen könnte ;)), die andere vor allem ein hintergründig-nachdenkliches Gesicht in späten Lebensjahren, welches ebenfalls seinen Reiz hat.
Der eine zieht dies vor, der andere jenes. Eine Entscheidung, welches Bild objektiv "schöner" sei, kann bzw. wollte ich nicht treffen.
Allerdings hat die Musik einen anderen Grundcharakter, sie wird durch andere Wesenszüge bestimmt, als die Malerei, oder die Kunst der Fotografie. Bei der Musik geht es, möglicherweise als grundlegendstes Element, darum, wie Menschen "singen", eine Anlage der Musikalität, die angeboren ist. Das Singen einer Melodie.
Die Anlage zu
Rhythmusempfinden ist ebenfalls genetisch angeboren. Und die Grundzüge der
Harmonik ergeben sich aus den in der Natur (bzw. Physik) begründeten, und vom Ohr wahrnehmbaren Obertonreihen.
Die zwölf Halbtöne unseres Musiksystems sind der Versuch, möglichst viele, aber nicht
zu viele, und im Frequenzverhältnis möglichst gut zur natürlichen Obertonreihe passende Tonabstände,
Töne eben, zur Gestaltung von Musik zu erhalten.
Das Tongeschlecht "Dur" ergibt sich aus der natürlichen Obertonreihe. Es wirkt im Klang "fröhlich und tatkräftig, strahlend".
Logisch und zwingend erscheint, daß der Mensch im Gegensatz dazu zur musikalischen Gestaltung noch ein Tongeschlecht schuf, das schwerpunktmäßig "traurig, düster, dramatisch, und unheilvoll" auszudrücken vermag: das
Moll.
Wieso die Kirchentonarten letztlich verschwanden, und sich genau unser heutiges "Moll" und keine andere Tonart als gestalterischer Gegensatz zum "Dur" durchgesetzt hat, vermag ich nicht zu sagen. Konnte unser heutiges "Moll" diese Forderung nach einem "Gegensatz zum Dur" für die Ohren der Menschen musikalisch am besten erfüllen?
Wenn man Menschen eine Melodie, ein bestimmtes Lied, singen läßt, etwas fröhliches oder trauriges, dann stellt man folgendes fest: die Geschwindigkeit des Gesangs, das Tempo, gruppiert sich nach einer Weile um ein "Optimum" für diese Melodie. Für jede Melodie scheint es eine Art "Optimum im Tempo" zu geben. Für so gut wie jedes Musikstück ebenfalls, ob Klassik oder Pop.
Das heißt: ich meine, zumindest schon mal im
Tempo der Musik, gibt es eine Art "objektives Optimum", welches in der Lage ist, die meisten (auch musikalisch weniger gebildeten) Menschen anzusprechen.
Es gibt so viele Deutungen eines Stücks: jede setzt ihre Prioritäten zu Lasten anderer Möglichkeiten. Wie soll es da DIE EINE geben? Die gibt es nur ganz, ganz selten.
Wäre es denkbar, daß DIE EINE, wie Du es nanntest, ganz einfach alle Möglichkeiten eines Musikstückes voll ausschöpft, möglicherweise unter Treffen von gewissen Kompromissen, aber in der Weise, daß das Ergebnis, nämlich die
Wirkung eines Musikstückes auf Menschen, daß diese Wirkung -
maximiert wird...?
Diesen Eindruck habe ich bei meiner intensiven und langen Beschäftigung mit Musik nämlich bekommen.
Und das wäre dann die "schönste musikalische Darstellung" eines Stückes.
Musik will vor allen Dingen eines: sie
will auf Menschen wirken. Sie
muß auf Menschen wirken. Je stärker sie Menschen bewegen kann, desto besser.
Oder...?
Schönen Gruß
Dreiklang